Waterworld: Warum diese Kühe auf dem Meer leben
Im Hafen Rotterdams schwimmt eine Hightechfarm. Wegen des Klimawandels könnte das weltweit einmalige Projekt die Zukunft der Viehhaltung sein.
Als ich mit dem Fahrrad den Gustoweg im Rotterdamer Mervehaven entlangfahre, höre ich in der Ferne ein Muhen. Ansonsten lässt sich vom Milchbauernhof, der am Ende der Straße auf dem Wasser eines Hafenbeckens schwimmt, noch nichts erahnen. Erst beim Näherkommen wird deutlich, dass hier – inmitten
Ich schwanke für einen Moment, als mich Minke van Wingerden, Betreiberin der Floating Farm, auf die quadratische, 27 mal 27 Meter große Plattform aus Beton und Stahl führt. Der 3-stöckige Schwimmkörper, dessen unterstes Stockwerk fast komplett unter Wasser liegt, ist über Metallpfeiler so mit dem Hafenbeckenboden verankert, dass er nicht abdriften kann. Jedoch sinkt und steigt er im Takt der Gezeiten, um die 2 Meter
Kompakte Hightechfarm auf dem Wasser
Kuh Hanna wird bei dem jetzt anstehenden Melkvorgang etwa 8,5 Liter Milch erzeugen. Das liest Bert van Doesborg vom Display der kompakten, vollautomatischen »Melkbox« ab, die über Computerchips in den Halsbändern der Kühe den Milchstand misst. Einen Roboter wie diesen besaß der Milchbauer auch auf seinem Hof mit 170 Kühen in Friesland, den er vor Kurzem an seinen Sohn übergeben hat, um nun im Hafen Rotterdams zu arbeiten.
Es gibt weniger Gras. Ansonsten unterscheidet sich Milchviehhaltung auf dem Wasser nicht von Milchviehhaltung auf dem Land.
Auch der Rest der Floating Farm ist kompakt und automatisiert. Vom Melksystem führen Schläuche zu einem Milchtank im mittleren Stockwerk. Hier werden die knapp 900 Liter Milch, die pro Tag produziert werden, direkt
Über eine knapp 4 Meter lange Stahlbrücke können die Kühe eine Grasfläche auf dem Hafengelände erreichen. Wenn es stürmt, fährt Bert van Doesborg die Seitenwände der Farm hoch, um die Tiere vor Regen und Wind zu schützen.
Das Ziel: Kürzere Transportwege in Zeiten der Klimakatastrophe
Es ist die Notwendigkeit, Städte vor den Auswirkungen der Klimakrise zu bewahren, die Minke van Wingerdens Ehemann Peter nach einem Besuch in New York im Jahr 2012 dazu inspiriert hat, einen Bauernhof aufs Wasser zu verlegen.
Als Hurrikan Sandy damals Manhattan und die Bronx flutete, waren Tausende Bewohner:innen plötzlich von Transportrouten abgeschnitten. Nach nur 2 Tagen standen sie vor leeren Frischeregalen im Supermarkt. Angesichts der Prognosen, dass im Jahr 2050 knapp
Auf dem Wasser sind wir klimaadaptiv. Wenn der Meeresspiegel steigt, steigen wir mit – und können weiterhin Nahrung produzieren.
Kaum ein anderer Ort scheint für solch ein Experiment geeigneter als Rotterdam. Ganze 90% der niederländischen Stadt liegen unterhalb des Meeresspiegels an der Rhein-Maas-Delta-Mündung, wo der Rhein in die Nordsee fließt. Innovationen zum Schutz vor Hochwasser, Überschwemmungen und stärker werdenden Regenfällen sind hier
Auf der Suche nach nachhaltigen Lösungen für urbane Ernährung
Auf die Innovationsfähigkeit der Floating Farm ist Minke van Wingerden besonders stolz. Neben der Klimaadaption treibt sie vor allem der Wunsch an, die Milchproduktion transparenter und umweltschonender zu gestalten.
»Wir suchen nach neuen Antworten auf die Frage: Wie ernähren wir die Welt?« – Minke van Wingerden
So erhält der Bauernhof seine Energie aus Solaranlagen, die nebenan im Wasser treiben. Ernährt werden die Kühe nicht mit herkömmlichen Futtermitteln,
Auf der Floating Farm selbst werden auch Düngemittel hergestellt, die durch
Wir wissen, dass der Fleisch- und Milchkonsum in westlichen Ländern wie den Niederlanden zu hoch ist. Doch die meisten Menschen werden nicht von heute auf morgen damit aufhören, Fleisch und Joghurt zu essen. Daher müssen wir uns bemühen, diese Lebensmittel so nachhaltig wie nur möglich zu produzieren.
Allerdings sind der Nachhaltigkeit von Viehhaltung in ihrer jetzigen Größenordnung Grenzen gesetzt. So hat die Massenproduktion tierischer Lebensmittel vielseitige Auswirkungen auf die Umwelt – inklusive Luftverschmutzung, hohen CO2-Ausstößen und starkem Wasserverbrauch. Das Paradoxe: Laut einer
Als eine Kuh ins Wasser fiel …
Braucht Rotterdam also die Milchviehwirtschaft auf dem Wasser? Nicht jede:r ist davon überzeugt. Als vor Kurzem eine Kuh beim Überqueren der Stahlbrücke zum Hafengelände
Laut Oane Visser, Professor für Agrarwissenschaften an der Erasmus-Universität Rotterdam, wirft der Vorfall jedoch nicht nur ethische Fragen über das Tierwohl
Nichtsdestotrotz lobt Oane Visser die Bemühung, Aufmerksamkeit für das Thema urbane Ernährung zu schaffen und neue Lösungen zu testen. Diese sollten bestenfalls an lokale Gegebenheiten angepasst sein. So könnten vor allem Städte wie Hongkong, die wenig Zugang zu Agrarflächen auf dem Festland haben, von schwimmenden Agrarinstallationen profitieren.
Minke van Wingerden und ihr Team haben die Hightechfarm, die bisher von privaten Investor:innen finanziert wird, jedenfalls so konzipiert, dass sie replizier- und skalierbar ist. Auch für das Zukunftsprojekt der Gründer:innen haben sich schon neue Investor:innen gefunden: Sofern es die Behörden genehmigen, soll neben dem Kuhstall demnächst ein Kräuter- und Gemüsegarten schwimmen.
Redaktion: Katharina Wiegmann
Titelbild: Zelda Bonnet - copyright