Was kommt im Schlaraffenland auf unseren Tisch?
Jeder hat eine Meinung zur Zukunft der Landwirtschaft. Bevor wir darüber reden können, müssen wir mit einigen Mythen aufräumen.
Debatten über Landwirtschaft
Landwirtschaftliche Produkte stellen wir uns nicht ins Regal. Wir sitzen nicht darauf. Sondern wir essen sie. Ein intimer Vorgang, der Vertrauen voraussetzt. Wo Vertrauen fehlt, kommen die Emotionen auf den Tisch.
Hinzu kommt, dass Landwirte
Das Thema Landwirtschaft betrifft uns alle – in Form von Essen und unserer Abhängigkeit von der Natur. Denn trotz des Schlachtrufs
Wir haben uns gefragt: Worum geht es beim Thema Landwirtschaft eigentlich? Zum einen um genug gesundes Essen – ein Thema, das jeden betrifft und das wir in Zukunft noch öfter aufgreifen wollen. Letzte Woche haben wir
Darum werden wir uns in jedem unserer Texte zum Thema einer ganz konkreten Frage widmen. Hier und heute: Die (teilweise von Mythen und Halbwahrheiten geprägte) Diskussion um Landwirtschaft aus der Perspektive der Landwirte.
Wo gibt’s die eierlegende Wollmilchsau?
Wenig spricht dafür, dass die Zukunft rosiger wird. Denn nicht »nur« Umweltschutz und gesunde Ernährung stehen auf dem Forderungskatalog jener, die (bestimmte Formen von) Landwirtschaft kritisieren und weitere Reformen fordern.
Lassen sich die Anforderungen an Landwirte überhaupt unter einen Hut bringen? Ein paar Beispiele verdeutlichen die verzwickte Lage:
- Versorgungssicherheit: Der gesellschaftlich elementarste Punkt ist selten Gegenstand erhitzter Debatten: Wer kann sich im 21. Jahrhundert (in Deutschland) ernsthaft leere Supermarktregale vorstellen? Doch egal, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen wird – ohne Versorgungssicherheit wird es nicht gehen.
- Sozialverträgliche Preise: In kaum einem anderen Land zahlen die Verbraucher weniger fürs Essen als in Deutschland:
- Wettbewerbsfähigkeit: Die Landwirtschaft unterliegt zumindest im barrierefreien EU-Binnenmarkt einem europäischen Wettbewerb. Jede zusätzliche gesetzliche Auflage ist damit aus ökonomischer Sicht für den Landwirt ein potenzieller Standortnachteil.
- Der Erhalt ländlicher Idylle: Bei diesem Stichwort ein paar Worte zu meinem Hintergrund: Ich bin auf dem Land groß geworden. Im Galopp über Stoppelfelder; die Gerüche von Rapsblüte, Gülle oder frisch gedroschenem Weizen symbolisierten den Wechsel der Jahreszeiten. Wohl kaum ein Beruf bietet diese Erfüllung, dem Produkt des eigenen Schaffens beim Wachsen zuzusehen. Der Natur so nah zu sein.
Wie sieht er also aus, der perfekte Landwirt? Er emittiert kein CO2, verwendet weder Pflanzenschutzmittel noch Dünger, sorgt für möglichst viele Arbeitsplätze auf dem Lande (Ohne Überstunden! Und mehr als Mindestlohn wäre nett.) und produziert dabei große Mengen an optisch makellosen, gesunden und schmackhaften Lebensmitteln zu wettbewerbsfähigen Preisen. Falls er Tiere hat
Doch die eierlegende Wollmilchsau gibt es noch nicht einmal in der Landwirtschaft. Stattdessen gibt es zahlreiche Mythen, Gerüchte und viel Halbwissen, sobald es um Landwirtschaft in Deutschland geht. Ein paar davon möchte ich richtigstellen.
6 kleine Irrtümer zur heimischen Landwirtschaft
- »David gegen Goliath« oder: »Die großen konventionellen Betriebe verdrängen die kleinen ökologischen.«
Richtig ist: Der durchschnittliche landwirtschaftliche Haupterwerbs-Betrieb in Deutschland hat
Richtig ist außerdem: Seit der Finanzkrise haben Investoren Boden als Investitionsgut entdeckt, der zwar jährlich nur eine magere Rendite von etwa 1–2% abwirft, dafür aber bei sehr geringem Risiko ein solides Potenzial für langfristige Wertsteigerung hat. Um - »Überall gibt es nur noch Monokulturen!«
Zunächst: Was ist eigentlich eine Monokultur? »Bei Monokulturen handelt es sich um den Anbau einer einzigen Pflanzenart (Reinkultur) über mehrere Jahre hinweg auf derselben Fläche«, erläutert das Portal
Richtig ist aber auch: Es gibt – gerade im Osten der Republik – riesige Felder mit teilweise weit über 100 Hektar, auf denen dieselbe Frucht angebaut wird.
Große Felder mit nur einer Feldfrucht gibt es übrigens sowohl bei - »Goldgrube Biogas«
Von »satten Einspeisevergütungen« durch Biogas, mittels derer Großbetriebe Ortsansässige überbieten, war
Auch, dass Ortsansässige beim Flächenerwerb zu kurz kommen, ist statistisch nicht korrekt: Die - »Vielen konventionellen Landwirten ist die Umwelt egal«
Nicht wenn ihnen ihre eigene Zukunft wichtig ist: Landwirte sind erstens von guter Bodenqualität abhängig. Lassen sie ihre Böden versauern, schaufeln sie sich ihr eigenes Grab – oder das ihrer Erben. Hinzu kommt, dass Umweltvergehen
Richtig ist aber auch: Es gibt Bereiche, in denen Landwirte Kreisläufen in der Umwelt Schäden zufügen, ohne dass sie Strafen oder schlechte Böden fürchten müssen. Die Stickstoff- bzw. Nitratbelastung ist zum Beispiel - »Der Staat muss mehr tun«
Die meisten Belange werden an den Staat adressiert, also die Bundesregierung. Doch unsere Agrarpolitik findet heute zu einem großen Teil auf europäischer Ebene statt und ist das Ergebnis von Kompromissen, um die zäh gerungen wurde. Und unser Binnenmarkt ist barrierefrei: Legt also beispielsweise der deutsche Staat die Umweltschutz-Latte noch höher, bedeutet das für den deutschen Landwirt entweder höhere Kosten oder weniger Umsatz. Im Ergebnis ein Standortnachteil (ohne die Möglichkeit eines Standortwechsels). Das ist kein Totschlag-Argument gegen zusätzliche Auflagen, sondern lediglich der Hinweis auf den ökonomischen Druck, unter dem viele (nicht alle!) Landwirte stehen. Manch einer, der die Agrarrevolution fordert, vergisst dabei, dass landwirtschaftliche Betriebe auch in Zukunft Geld verdienen können müssen. - »Ökologische Landwirtschaft ist ähnlich effizient und kostengünstig möglich«
Dazu ein paar Zahlen:
Der Ertrag ökologischer Landwirtschaft ist – je nach Produkt – erheblich geringer. Spiegelbildlich ist auch der Preis höher: Einige (!) Konsumenten sind bereit, für ökologische Lebensmittel mehr zu bezahlen. Doch wirtschaftlich rentabel ist der durchschnittliche ökologische Betrieb nur deswegen, weil er – im Vergleich zu konventionellen Betrieben – deutlich höhere EU-Agrarsubventionen erhält:
Ein weiteres Vorurteil: Lobbyismus und Parteipolitik verhageln am Ende doch sowieso jeden guten Kompromiss. Dieser Vorwurf ist – zumindest so pauschal – ungerechtfertigt.
Wer konstruktiv diskutiert, ist nicht interessant genug
Ein schönes Beispiel für Politik, die Inhalte über Wahlkampfgetöse stellt (und vermutlich deswegen von den meisten Medien nicht aufgegriffen wird), liefert eine aktuelle Debatte um das besonders emotionale Thema »Tierwohl«.
Vergangene Woche traten
Wie schwierig dabei ein guter Kompromiss sein kann, veranschaulicht eine etwas detailliertere Betrachtung des Problems der sogenannten »Kastenstände«, ein kleiner Mosaikstein im Steinschlag der Herausforderungen rund um die Themen Landwirtschaft und Ernährung.
Kastenstände sind Vorrichtungen, in die Säue nach dem Abferkeln gezwängt werden. So wird verhindert, dass die Säue sich auf ihre eigenen Ferkel legen und diese verletzen oder töten. Außerdem kommen Kastenstände zum Einsatz, wenn Säue künstlich befruchtet werden: Wenn Säue »rauschig«, also empfängnisbereit sind, bespringen sie sich oft gegenseitig und verletzen einander dabei teils schwer. Kastenstände verhindern dies.
70 cm Breite stehen einer Sau in diesen Kastenständen zur Verfügung. Das sei zu wenig und die Vorrichtung zumindest im Zusammenhang mit Befruchtung unzulässig, urteilte im November 2016 das Bundesverwaltungsgericht. Welche Regeln nun genau gelten, ist für Tierhalter unklar, weil dies oft von der Auffassung einzelner Behörden abhängig ist. Eine Rechtsunsicherheit, die Tierhalter vor Schwierigkeiten stellt: »Man hat erst die Praxis verprügelt. Und man kommt jetzt erst mit entsprechenden Recherchen, wie das künftig funktionieren soll«, beklagt sich Hans Georg Meyer, ein betroffener Landwirt, im
Derzeit wird auf Versuchsbetrieben mit einer größeren Breite experimentiert. Dabei zeichnet sich ab, dass mehr Breite zu mehr Verletzungen führt, wenn die Säue sich umdrehen.
Selbst bei solch einem überschaubaren Einzelproblem ist es also gar nicht so leicht, eine ideale Lösung zu finden.
Moralisch fressen?
Die Liste von Mythen und Halbwissen rund um das Thema Landwirtschaft ließe sich natürlich weiter fortsetzen. Sie steht stellvertretend für die Frage: Wie gehen wir mit den Ansprüchen an die »eierlegende Wollmilchsau« um?
Es steht außer Frage, dass die konventionelle Landwirtschaft weiterentwickelt werden muss, zum Beispiel im Hinblick auf Stickstoff und CO2. Und es überrascht sicher niemanden, dass die diesbezüglichen Freudentänze unter konventionellen Landwirten ausbleiben. Doch pauschale Schuldzuweisungen oder vermeintliche »Lösungen«, die Teile der Komplexität einfach ausblenden, lösen kein Problem.
»Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral«, ließ einst Bertolt Brecht eine seiner Figuren in der Dreigroschenoper in der Ballade über die Frage »Wovon lebt der Mensch?« verkünden. Doch im 21. Jahrhundert geht es beim Thema »(fr)essen« zunehmend um Moral, Ethik, Nachhaltigkeit. Ohne Frage ein großer Fortschritt!
Doch um die vielen Themen rund um unser Essen konstruktiv zu diskutieren, sollten – zusammengefasst – ein paar Dinge berücksichtigt werden:
- Das komplexe Thema Landwirtschaft berührt zahlreiche berechtigte Interessen: Naturschutz, Versorgungssicherheit, Gesundheit, bezahlbare Preise, Tierwohl, Erhalt ländlicher Strukturen. Und daneben auch Wettbewerbsfähigkeit: Landwirte wollen nicht nur (derzeit bereits durch gewaltige Summen subventioniert) zu Marktpreisen produzieren, sondern auch etwas verdienen. Alle Interessen unter einen Hut zu bekommen, ist eine komplizierte Aufgabe und erfordert stets Kompromisse.
- Die deutsche Landwirtschaft hat (wie viele andere Wirtschaftszweige auch) binnen nur einer Generation die größte und schnellste Transformation ihrer Geschichte hinter sich. Als mein Vater in den 1960er-Jahren seinen Betrieb übernahm, verabschiedete er sich vom letzten Arbeitspferd im Stall. Heute fahren die 400-PS-Traktoren meines Bruders GPS-optimiert, ohne dass noch jemand lenken muss.
- Im Gegensatz zu den meisten anderen Wirtschaftszweigen sind Landwirte überwiegend Einzelunternehmer und schon heute teilweise überfordert angesichts der
Auch in Zukunft wird sich Landwirtschaft weiter ändern müssen. Um im Rahmen der künftigen Transformation die zahlreichen Interessen sachgerecht abzuwägen, taugt der Ansatz vom niedersächsischen Minister Meyer: mit- statt gegeneinander. Kein Ideologiegetöse, sondern harte, inhaltliche Arbeit. Über Partei- und Ideologiegrenzen hinweg.
Titelbild: Fabian Ludwig - copyright