Debatten über Landwirtschaft Das überrascht nicht, denn Landwirtschaft ist nicht bloß irgendein Wirtschaftszweig.
Landwirtschaftliche Produkte stellen wir uns nicht ins Regal. Wir sitzen nicht darauf. Sondern wir essen sie. Ein intimer Vorgang, der Vertrauen voraussetzt. Wo Vertrauen fehlt, kommen die Emotionen auf den Tisch.
Hinzu kommt, dass Landwirte Das öffentliche Bewusstsein für Umweltschutz ist Heute wird genauer hingeschaut: »Wer düngt zu viel?« »Hat da jemand Altöl verbrannt?« oder »Überall nur Monokulturen!«.
Das Thema Landwirtschaft betrifft uns alle – in Form von Essen und unserer Abhängigkeit von der Natur. Denn trotz des Schlachtrufs gilt: Gegessen wird immer.
Wir haben uns gefragt: Worum geht es beim Thema Landwirtschaft eigentlich? Zum einen um genug gesundes Essen – ein Thema, das jeden betrifft und das wir in Zukunft noch öfter aufgreifen wollen. Letzte Woche haben wir dazu veröffentlicht. Nicht nur in der Redaktion ging es heiß her, auch die Diskussionen mit unseren Mitgliedern verliefen emotional: eine Ein Mitglied brachte eine zentrale Herausforderung auf den Punkt:
Darum werden wir uns in jedem unserer Texte zum Thema einer ganz konkreten Frage widmen. Hier und heute: Die (teilweise von Mythen und Halbwahrheiten geprägte) Diskussion um Landwirtschaft aus der Perspektive der Landwirte.
High Tech und Digitalisierung machen im 21. Jahrhundert auch vor der Landwirtschaft nicht halt. Die Drillingsreifen verhindern eine übermäßige Bodenverdichtung. –
Quelle:
ElcajonfarmsCC BY 3.0
Wo gibt’s die eierlegende Wollmilchsau?
Zwischen 2013 und 2016 hat sich die Etwa 9.000 Betriebe wurden also aufgegeben. Meist ein Resultat des gewaltigen Strukturwandels in der Landwirtschaft.
Wenig spricht dafür, dass die Zukunft rosiger wird. Denn nicht »nur« Umweltschutz und gesunde Ernährung stehen auf dem Forderungskatalog jener, die (bestimmte Formen von) Landwirtschaft kritisieren und weitere Reformen fordern.
Lassen sich die Anforderungen an Landwirte überhaupt unter einen Hut bringen? Ein paar Beispiele verdeutlichen die verzwickte Lage:
Versorgungssicherheit: Der gesellschaftlich elementarste Punkt ist selten Gegenstand erhitzter Debatten: Wer kann sich im 21. Jahrhundert (in Deutschland) ernsthaft leere Supermarktregale vorstellen? Doch egal, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen wird – ohne Versorgungssicherheit wird es nicht gehen.
Sozialverträgliche Preise: In kaum einem anderen Land zahlen die Verbraucher weniger fürs Essen als in Deutschland: Die einen sind daher bereit, höhere Preise in Kauf zu nehmen. Andere betonen, dass
Wettbewerbsfähigkeit: Die Landwirtschaft unterliegt zumindest im barrierefreien EU-Binnenmarkt einem europäischen Wettbewerb. Jede zusätzliche gesetzliche Auflage ist damit aus ökonomischer Sicht für den Landwirt ein potenzieller Standortnachteil.
Der Erhalt ländlicher Idylle: Bei diesem Stichwort ein paar Worte zu meinem Hintergrund: Ich bin auf dem Land groß geworden. Im Galopp über Stoppelfelder; die Gerüche von Rapsblüte, Gülle oder frisch gedroschenem Weizen symbolisierten den Wechsel der Jahreszeiten. Wohl kaum ein Beruf bietet diese Erfüllung, dem Produkt des eigenen Schaffens beim Wachsen zuzusehen. Der Natur so nah zu sein.
fordern jene, die möglichst viel Idylle konservieren und der Erosion dörflicher Strukturen Einhalt gebieten wollen. Der Appell in Richtung Landwirtschaft lautet häufig: kleinere Höfe, mehr Mitarbeiter.
Ländliche Idylle: Etwa 27% der landwirtschaftlichen Fläche Deutschlands werden – meist für Nutztiere – als Dauergrünland genutzt. –
Quelle:
Ales KrivecCC BY 3.0
Wie sieht er also aus, der perfekte Landwirt? Er emittiert kein CO2, verwendet weder Pflanzenschutzmittel noch Dünger, sorgt für möglichst viele Arbeitsplätze auf dem Lande (Ohne Überstunden! Und mehr als Mindestlohn wäre nett.) und produziert dabei große Mengen an optisch makellosen, gesunden und schmackhaften Lebensmitteln zu wettbewerbsfähigen Preisen. Falls er Tiere hat sollten sie außerdem
Doch die eierlegende Wollmilchsau gibt es noch nicht einmal in der Landwirtschaft. Stattdessen gibt es zahlreiche Mythen, Gerüchte und viel Halbwissen, sobald es um Landwirtschaft in Deutschland geht. Ein paar davon möchte ich richtigstellen.
6 kleine Irrtümer zur heimischen Landwirtschaft
»David gegen Goliath« oder: »Die großen konventionellen Betriebe verdrängen die kleinen ökologischen.«
Richtig ist: Der durchschnittliche landwirtschaftliche Haupterwerbs-Betrieb in Deutschland hat Das entspricht gut 80 Fußballfeldern. Ökologische Betriebe, die mindestens die Anforderungen der erfüllen müssen, sind mit praktisch gleich groß.
Richtig ist außerdem: Seit der Finanzkrise haben Investoren Boden als Investitionsgut entdeckt, der zwar jährlich nur eine magere Rendite von etwa 1–2% abwirft, dafür aber bei sehr geringem Risiko ein solides Potenzial für langfristige Wertsteigerung hat. Um also die Übernahme von Landflächen durch Investoren im großen Stil, zu erschweren, ist es deswegen nur möglich, vom Staat ausgeschriebene Flächen zu erwerben, wenn man einen landwirtschaftlichen Abschluss hat.
»Überall gibt es nur noch Monokulturen!«
Zunächst: Was ist eigentlich eine Monokultur? »Bei Monokulturen handelt es sich um den Anbau einer einzigen Pflanzenart (Reinkultur) über mehrere Jahre hinweg auf derselben Fläche«, erläutert das Portal Nur Mais und Roggen eignen sich in Deutschland grundsätzlich für diese Form von Anbau. Echte Monokulturen gibt es auf heimischen Feldern nur selten.
Richtig ist aber auch: Es gibt – gerade im Osten der Republik – riesige Felder mit teilweise weit über 100 Hektar, auf denen dieselbe Frucht angebaut wird. Doch der Staat hat hier schon einiges getan. Grünstreifen, die Landwirte um die meisten ihrer Felder anlegen, sind eines der Resultate einer Agrarpolitik, die nach einem Interessenausgleich strebt. Sie bieten den Tieren zusätzliche Nahrung und vielfältigeren Lebensraum und tragen so zum Erhalt der Artenvielfalt bei. Und auch Betriebe mit Biogasanlagen dürfen nicht mehr auf 100% ihrer Flächen Mais anbauen, sondern auf maximal 75%.
Große Felder mit nur einer Feldfrucht gibt es übrigens sowohl bei
»Goldgrube Biogas«
Von »satten Einspeisevergütungen« durch Biogas, mittels derer Großbetriebe Ortsansässige überbieten, war die Rede. Tatsächlich war das Geschäftsmodell Biogas über Jahre sehr rentabel – und das bei sehr geringem Risiko. Doch die fetten Jahre für Biogas sind vorbei. Zahlen vom September 2015 zeigen:
Auch, dass Ortsansässige beim Flächenerwerb zu kurz kommen, ist statistisch nicht korrekt: Die (eine GmbH, die für den Verkauf staatlicher Flächen zuständig ist) hat
»Vielen konventionellen Landwirten ist die Umwelt egal«
Nicht wenn ihnen ihre eigene Zukunft wichtig ist: Landwirte sind erstens von guter Bodenqualität abhängig. Lassen sie ihre Böden versauern, schaufeln sie sich ihr eigenes Grab – oder das ihrer Erben. Hinzu kommt, dass Umweltvergehen Die machen bei konventionellen Betrieben etwa 50% des Gewinns aus (bei ökologischen Betrieben beträgt der Anteil über 90%). Jeder Verstoß gegen umweltrechtliche Auflagen ist aus finanzieller Sicht also ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.
Richtig ist aber auch: Es gibt Bereiche, in denen Landwirte Kreisläufen in der Umwelt Schäden zufügen, ohne dass sie Strafen oder schlechte Böden fürchten müssen. Die Stickstoff- bzw. Nitratbelastung ist zum Beispiel Zwar wird heute immer weniger Stickstoff bei steigenden Erträgen eingesetzt.
»Der Staat muss mehr tun«
Die meisten Belange werden an den Staat adressiert, also die Bundesregierung. Doch unsere Agrarpolitik findet heute zu einem großen Teil auf europäischer Ebene statt und ist das Ergebnis von Kompromissen, um die zäh gerungen wurde. Und unser Binnenmarkt ist barrierefrei: Legt also beispielsweise der deutsche Staat die Umweltschutz-Latte noch höher, bedeutet das für den deutschen Landwirt entweder höhere Kosten oder weniger Umsatz. Im Ergebnis ein Standortnachteil (ohne die Möglichkeit eines Standortwechsels). Das ist kein Totschlag-Argument gegen zusätzliche Auflagen, sondern lediglich der Hinweis auf den ökonomischen Druck, unter dem viele (nicht alle!) Landwirte stehen. Manch einer, der die Agrarrevolution fordert, vergisst dabei, dass landwirtschaftliche Betriebe auch in Zukunft Geld verdienen können müssen.
»Ökologische Landwirtschaft ist ähnlich effizient und kostengünstig möglich«
Dazu ein paar Zahlen:
Der Ertrag ökologischer Landwirtschaft ist – je nach Produkt – erheblich geringer. Spiegelbildlich ist auch der Preis höher: Einige (!) Konsumenten sind bereit, für ökologische Lebensmittel mehr zu bezahlen. Doch wirtschaftlich rentabel ist der durchschnittliche ökologische Betrieb nur deswegen, weil er – im Vergleich zu konventionellen Betrieben – deutlich höhere EU-Agrarsubventionen erhält:
Ein weiteres Vorurteil: Lobbyismus und Parteipolitik verhageln am Ende doch sowieso jeden guten Kompromiss. Dieser Vorwurf ist – zumindest so pauschal – ungerechtfertigt.
Wer konstruktiv diskutiert, ist nicht interessant genug
Ein schönes Beispiel für Politik, die Inhalte über Wahlkampfgetöse stellt (und vermutlich deswegen von den meisten Medien nicht aufgegriffen wird), liefert eine aktuelle Debatte um das besonders emotionale Thema »Tierwohl«.
Vergangene Woche traten Niedersachsens grüner Landwirtschaftsminister Christian Meyer zusammen mit seinen Amtsvorgängern Gert Lindemann (CDU) und dem früheren SPD-Politiker Uwe Bartels vor die Presse. Sie forderten eine parteiübergreifende Verständigung, die auf dem gründet, der von Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt (CSU) eingesetzt wurde. Der grüne Minister Meyer bot sogar an, die Diskussion um die Tierwohlstrategie aus den Wahlkämpfen des Jahres 2017 herauszuhalten.
Wie schwierig dabei ein guter Kompromiss sein kann, veranschaulicht eine etwas detailliertere Betrachtung des Problems der sogenannten »Kastenstände«, ein kleiner Mosaikstein im Steinschlag der Herausforderungen rund um die Themen Landwirtschaft und Ernährung.
Kastenstände sind Vorrichtungen, in die Säue nach dem Abferkeln gezwängt werden. So wird verhindert, dass die Säue sich auf ihre eigenen Ferkel legen und diese verletzen oder töten. Außerdem kommen Kastenstände zum Einsatz, wenn Säue künstlich befruchtet werden: Wenn Säue »rauschig«, also empfängnisbereit sind, bespringen sie sich oft gegenseitig und verletzen einander dabei teils schwer. Kastenstände verhindern dies.
70 cm Breite stehen einer Sau in diesen Kastenständen zur Verfügung. Das sei zu wenig und die Vorrichtung zumindest im Zusammenhang mit Befruchtung unzulässig, urteilte im November 2016 das Bundesverwaltungsgericht. Welche Regeln nun genau gelten, ist für Tierhalter unklar, weil dies oft von der Auffassung einzelner Behörden abhängig ist. Eine Rechtsunsicherheit, die Tierhalter vor Schwierigkeiten stellt: »Man hat erst die Praxis verprügelt. Und man kommt jetzt erst mit entsprechenden Recherchen, wie das künftig funktionieren soll«, beklagt sich Hans Georg Meyer, ein betroffener Landwirt, im
Derzeit wird auf Versuchsbetrieben mit einer größeren Breite experimentiert. Dabei zeichnet sich ab, dass mehr Breite zu mehr Verletzungen führt, wenn die Säue sich umdrehen.
Selbst bei solch einem überschaubaren Einzelproblem ist es also gar nicht so leicht, eine ideale Lösung zu finden.
Kastenstände beschützen Ferkel davor, von ihrer Mutter versehentlich zerquetscht zu werden. Eine umstrittene Vorrichtung. –
Quelle:
MaqiCC BY-SA 3.0
Moralisch fressen?
Die Liste von Mythen und Halbwissen rund um das Thema Landwirtschaft ließe sich natürlich weiter fortsetzen. Sie steht stellvertretend für die Frage: Wie gehen wir mit den Ansprüchen an die »eierlegende Wollmilchsau« um?
Es steht außer Frage, dass die konventionelle Landwirtschaft weiterentwickelt werden muss, zum Beispiel im Hinblick auf Stickstoff und CO2. Und es überrascht sicher niemanden, dass die diesbezüglichen Freudentänze unter konventionellen Landwirten ausbleiben. Doch pauschale Schuldzuweisungen oder vermeintliche »Lösungen«, die Teile der Komplexität einfach ausblenden, lösen kein Problem.
»Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral«, ließ einst Bertolt Brecht eine seiner Figuren in der Dreigroschenoper in der Ballade über die Frage »Wovon lebt der Mensch?« verkünden. Doch im 21. Jahrhundert geht es beim Thema »(fr)essen« zunehmend um Moral, Ethik, Nachhaltigkeit. Ohne Frage ein großer Fortschritt!
Doch um die vielen Themen rund um unser Essen konstruktiv zu diskutieren, sollten – zusammengefasst – ein paar Dinge berücksichtigt werden:
Das komplexe Thema Landwirtschaft berührt zahlreiche berechtigte Interessen: Naturschutz, Versorgungssicherheit, Gesundheit, bezahlbare Preise, Tierwohl, Erhalt ländlicher Strukturen. Und daneben auch Wettbewerbsfähigkeit: Landwirte wollen nicht nur (derzeit bereits durch gewaltige Summen subventioniert) zu Marktpreisen produzieren, sondern auch etwas verdienen. Alle Interessen unter einen Hut zu bekommen, ist eine komplizierte Aufgabe und erfordert stets Kompromisse.
Die deutsche Landwirtschaft hat (wie viele andere Wirtschaftszweige auch) binnen nur einer Generation die größte und schnellste Transformation ihrer Geschichte hinter sich. Als mein Vater in den 1960er-Jahren seinen Betrieb übernahm, verabschiedete er sich vom letzten Arbeitspferd im Stall. Heute fahren die 400-PS-Traktoren meines Bruders GPS-optimiert, ohne dass noch jemand lenken muss.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Wirtschaftszweigen sind Landwirte überwiegend Einzelunternehmer und schon heute teilweise überfordert angesichts der an die sie sich halten müssen. Das unterscheidet sie beispielsweise von Betreibern eines Atomreaktors, die ebenfalls viele Auflagen zu beachten haben, aber entsprechendes Personal einstellen können.
Auch in Zukunft wird sich Landwirtschaft weiter ändern müssen. Um im Rahmen der künftigen Transformation die zahlreichen Interessen sachgerecht abzuwägen, taugt der Ansatz vom niedersächsischen Minister Meyer: mit- statt gegeneinander. Kein Ideologiegetöse, sondern harte, inhaltliche Arbeit. Über Partei- und Ideologiegrenzen hinweg.
Frederik interessiert sich für etwas, was zunächst sperrig klingt: Systeme. Welchen Einfluss haben scheinbar unsichtbare Strukturen auf unseren Lebensalltag? Als Anwalt, Unternehmensberater, Gründer und Diplomat hat Frederik unterschiedlichste Perspektiven kennengelernt und ist überzeugt: Vom kleinen Start-up bis hin zum großen Völkerrecht sollten wir weniger an das Gewissen des Einzelnen appellieren und stattdessen mehr an systematischen Veränderungen arbeiten.
Frederik war bis Juli 2017 Stammautor bei Perspective Daily und ist seitdem Gastautor.
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