4-Tage-Woche in Island: Das sind die wichtigsten Lehren aus dem Experiment
3.000 Isländer:innen haben im Auftrag des Staates weniger gearbeitet. Die Auswertung zeigt, wie positiv sich bereits eine Reduzierung um wenige Stunden auswirkt – und welche Zutaten ein gutes Zeitmodell braucht.
Es ist noch gar nicht so lange her, da war es normal, 6 Tage in der Woche zu arbeiten. Sonntag war frei, die anderen Tage waren Arbeitstage. Doch weil die Geschichte der Arbeit auch eine Geschichte der Arbeitszeitverkürzung ist, blieb es nicht bei diesem Modell.
Die Verkürzung von Arbeitszeit hat eine lange Tradition.
Weniger Arbeit bei gleichem Einkommen, das ist eine Forderung, die heute unter dem Schlagwort »4-Tage-Woche« immer häufiger zu hören ist.
Der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann erklärte
Die 4-Tage-Woche wäre die Antwort auf den Strukturwandel in Branchen wie der Autoindustrie. Transformation darf nicht zur Entlassung, sondern muss zu guter Arbeit für alle führen. Damit lassen sich Industriejobs halten, statt sie abzuschreiben.
Jetzt hat die Idee der 4-Tage-Woche erneut für Schlagzeilen gesorgt, wegen eines groß angelegten Modellversuchs in Island, bei dem zahlreiche Beschäftige ihre Arbeitszeit reduzierten. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber: Hier geht es eigentlich gar nicht darum, das Wochenende um einen weiteren Tag zu verlängern und an den restlichen Tagen so zu arbeiten wie vorher. Die Erfahrungen aus Island zeigen, worauf es bei neuen Arbeitszeitmodellen wirklich ankommt. In diesem Text fasse ich die wichtigsten Lehren aus dem Experiment zusammen.
Schon eine Reduzierung um wenige Stunden senkt das Burn-out-Risiko
Zwischen 2015 und 2019 reduzierten knapp 3.000 Beschäftigte im Auftrag der isländischen Regierung ihre Arbeitszeit von 40 auf 35 oder 36 Wochenstunden. Das Einkommen blieb gleich. Teilgenommen haben Menschen, die in ganz verschiedenen Berufen tätig sind: im Büro, im Krankenhaus, im Kindergarten oder bei der Polizei. Nicht nur Beschäftigte mit klassischen 8-Stunden-Tagen machten mit, sondern auch Personen mit atypischen Arbeitszeiten, die etwa Schichtdienste haben. Weil Island ein kleines Land mit rund 365.000 Einwohner:innen ist, waren mehr als 1% der arbeitenden Bevölkerung an dem Experiment beteiligt.
Schon seit mehreren Jahren gibt es in Island intensive Debatten um kürzere Arbeitswochen. Mit 39,2 Stunden ist die durchschnittliche Arbeitszeit in dem Land vergleichsweise hoch.
Was würde also passieren, wenn die Isländer:innen, die wenig Freizeit gewöhnt sind, auf einmal ein paar Stunden mehr zur Verfügung hätten? Das hat jetzt der unabhängige Thinktank Autonomy
- Gleiche Produktivität: Trotz der Arbeitszeitreduzierung um 4–5 Stunden blieb die Produktivität und Leistung der Beschäftigten an den Versuchsarbeitsplätzen gleich oder verbesserte sich sogar.
- Geringeres Burn-out-Risiko: Vor allem bei Beschäftigten in Büros, Schulen und Berufen im Freien stieg das Wohlbefinden. Zahlreiche Beschäftigte berichteten, weniger gestresst zu sein.
- Bessere Work-Life-Balance: Weil sich viele Beschäftigte besser fühlten, hatten sie nicht nur mehr Zeit, sondern auch mehr Energie für Aktivitäten in ihrer Freizeit, für Hobbys, Treffen mit Freunden oder Sport. Das alles wirkte sich wiederum positiv auf die Arbeitsleistung und -zufriedenheit aus. Wegen der Zufriedenheit mit dem neuen Modell sank auch das Interesse an Teilzeitbeschäftigung.
- Mehr Kooperation: Die Umfragen zeigten auch, dass sich die Zusammenarbeit an den Arbeitsplätzen veränderte. Kolleg:innen unterstützten sich mehr, es gab weniger Verwirrung über Rollenverteilungen, Führungskräfte verhielten sich fairer und ermutigten mehr, Beschäftigte spürten mehr Unabhängigkeit und Selbstbestimmung über das eigene Arbeitstempo. Kontrollgruppen ohne Arbeitszeitveränderungen zeigten diese Verbesserungen nicht.
Der Umfang der Studien und die Vielfalt der beteiligten Arbeitsplätze sowie die Fülle quantitativer und qualitativer Daten lieferten bahnbrechende Belege für die Wirksamkeit der Arbeitszeitverkürzung, heißt es in der Autonomy-Studie. Kein Wunder, dass nach der Veröffentlichung zahlreiche internationale Medien darüber berichteten.
In den Artikeln über das isländische Experiment war meist von der 4-Tage-Woche die Rede. Doch in der Studie selbst heißt es, dass der Begriff eher ein gedanklicher Rahmen ist. Der Versuch in Island hatte eben kein starres Modell vorgesehen. In Zukunft nur 4 Tage statt bisher 5 dem notwendigen Übel nachzugehen, das ist nicht die Idee.
Die 4-Tage-Woche muss kein starres Modell sein
Stattdessen gingen Unternehmen und Beschäftigte so mit der kürzeren Arbeitszeit um, wie es ihnen sinnvoll erschien. Sie passten Schichtpläne an, veränderten Arbeitsweisen, indem sie zum Beispiel Meetings verkürzten oder weniger Zeit mit Kaffeepausen verbrachten. Beschäftigte suchten sich einen Tag, der ihnen gut passte, um früher Feierabend zu machen. Ein Modell für alle gab es also nicht.
»Wichtig ist vor allem, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein hohes Maß an Selbstständigkeit bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit hatten«, sagte Jack Kellam
Manchen fiel es jetzt leichter, ihre Besorgungen zu erledigen. Viele Beschäftigte verbrachten mehr Zeit mit der eigenen Familie. Sie kochten häufiger etwas Frisches und kümmerten sich mehr um eine gesunde Ernährung. Hausarbeit konnte jetzt leichter auch an Wochentagen erledigt werden. Manche Befragte berichteten, dass das ihre Lebenszufriedenheit erhöhte, weil diese Aufgaben nun nicht mehr am Wochenende anfielen.
Selbstbestimmung macht zufrieden.
Viele Männer in heterosexuellen Beziehungen übernahmen außerdem mehr Hausarbeit, vor allem kochten und putzten sie mehr. Auch für Alleinerziehende entspannte sich die Situation spürbar. Die Teilnehmer:innen sagten auch, dass sie jetzt mehr Zeit für sich selbst hätten, etwa um in Cafés zu gehen, ihre Kinder früher vom Kindergarten abzuholen, oder für ihre eigenen Hobbys.
Was genau die Menschen in ihrer Freizeit zufriedener und ausgeglichener machte, spielt nach Ansicht des Studienautors Jack Kellam aber eine untergeordnete Rolle. Im Zeit-Interview sagte er: »Die Probanden konnten über die Zeit, in der sie nun weniger arbeiten mussten, selbst bestimmen. Es ist egal, ob jemand in dieser Zeit vor dem Computer sitzt und zockt oder im Wald spazieren geht.« Selbstbestimmung mache zufrieden, so Kellam.
Die Ergebnisse aus Island liefern damit wertvolle Informationen darüber, wie ein gutes
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Titelbild: Iswanto Arif - CC0 1.0