Social Media Detox: So bastelst du deine perfekte Timeline
Algorithmen und Unternehmen wollen bestimmen, was du online in dein Gehirn lässt. Aber wer hat eigentlich gesagt, dass du auch zuhören musst?
Du merkst gar nicht mehr, wie lange du schon auf deinen Bildschirm starrst. Kleine Wischbewegungen mit dem Finger lassen deine Timeline immer weiter nach unten scrollen.
- Details aus dem Leben von Hollywood-Sternchen. Der nächste Patzer eines Kanzlerkandidaten.
Du scrollst weiter.
- Ein provokanter Influencer hat eine Meinung. Jemand regt sich auf. Jemand anderes regt sich darüber auf.
Und weiter.
- Ein Aufruf, sich an einer Kampagne zu beteiligen. Einen Hashtag gibt es auch! 3 deiner Freunde schreiben bereits dazu. Es klingt sehr wichtig.
Immer weiter.
- Werbung.
- Ein entfernter Bekannter teilt ein Video eines Verschwörungsanhängers.
Kennst du das? Viele Menschen haben während der Pandemie ihren Online-Medienkonsum intensiviert. Bei manchen geht der Griff gleich nach dem Aufstehen zum Smartphone. Dabei konsumieren wohl die meisten von uns das, was wir auf dem Bildschirm vorfinden, eher flüchtig.
Kaum jemand macht sich Gedanken darüber, wie das Gesamtprodukt am Ende auf uns wirkt. Dabei geht es nicht allein um vertrödelte Zeit beim Herunterscrollen. Viele Forschende vermuten eine Verbindung zwischen sozialen Netzwerken und geistiger Gesundheit –
Da ist es kein Wunder, wenn du dich nach dem Aufschauen vom Smartphone schlecht gelaunt, überfordert oder erschöpft fühlst.
Doch es gibt ein Gegenmittel, das zwar unsexy klingt, aber große Wirkung hat: Medienhygiene.
Was du konsumierst, ist deine Entscheidung. So kannst du sie umsetzen
Wir können kaum darauf hoffen, dass Plattformen und die dahinterstehenden Medienkonzerne spontan ihr Geschäftsmodell ändern.
Wenn wir Einfluss darauf haben wollen, womit sich unser Gehirn beschäftigt, müssen wir selbst darauf aufpassen.
»Ein großer Teil der Bevölkerung achtet auf das, was sie ihrem Körper zu essen geben. Auf der anderen Seite tun sie das beim Gehirn nicht. Dabei ist es unser sensibelstes Organ.« – Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Gründerin von Perspective Daily
Ein erster Schritt ist es, zu hinterfragen, wie einzelne Beiträge in den sozialen Medien auf uns wirken. Gute Fragen für den Anfang wären etwa folgende:
- Bereichert mich ein Beitrag oder ist er für mein Leben eher irrelevant?
- Enthält ein Post wichtige Informationen oder nur Unwichtiges?
- Erzeugt das, was in die Timeline gespült wird, positive oder negative Emotionen bei mir?
Je nachdem, wie die Antworten ausfallen, lernst du erst einmal etwas über dich selbst und deine Reaktionen: Was dich in sozialen Medien bereichert und was dich stört – und damit auch was der Auslöser ist. Denn Inhalte entstehen nicht einfach aus dem Nichts. Die Personen oder Organisationen hinter den Accounts, die Inhalte teilen, haben meist bestimmte Werte und Ziele und damit einen gleichbleibenden Stil: Sie posten häufiger zu ähnlichen Themen aus derselben Perspektive.
Doch wer hat eigentlich gesagt, dass du auch zuhören musst?
Betrachtest du Accounts und ihre Inhalte generell als Angebot, das du annehmen oder ablehnen kannst, hast du den wichtigsten Baustein zur Medienhygiene gefunden.
Denn alle sozialen Medien haben Funktionen, Accounts aus der Timeline auszuschließen und sie damit so zu gestalten, wie sie dir guttut: Sei es das »Blockieren« auf Twitter, das »Entfreunden« auf Facebook oder das »De-Abonnieren« auf Youtube und Instagram. Es ist deine Timeline und du hast alles Recht, zu bestimmen, was darauf erscheint, und sie aktiv zu gestalten.
Damit das funktioniert, solltest du einige Regeln beachten.
Mit diesen 5 Regeln baust du deine perfekte Timeline
Im besten Fall entsteht durch Medienhygiene eine Timeline, die dich bereichert und gut informiert, ohne deine Nerven zu rauben. Im schlechtesten Fall mauerst du dich in einer einseitigen Echokammer ein. Den Unterschied machen diese 5 Regeln:
- Quellen von Hass, Desinformation und Trolle müssen gehen: Es gibt sie, die Accounts, die nichts Konstruktives beitragen, sondern dem Diskurs immer wieder schaden. Schließlich erzeugen Provokationen Klicks und Reaktionen – eine perfide, aber erfolgreiche Strategie in sozialen Medien. Natürlich könntest du nun gegenhalten, aufklären und widersprechen. Auch wenn das nobel ist, kostet es Zeit, Nerven und wird die Personen hinter den Accounts nicht umstimmen. Wenn dir jemand also nicht als Freund:in wirklich wichtig ist, ist es wahrscheinlich die Mühe und Zeit nicht wert. Das Ausschließen entzieht solchen Störenfrieden nicht nur das, was sie wollen (Aufmerksamkeit), sondern hat sehr wahrscheinlich noch einen zusätzlichen Effekt:
- Achte auf symptomatische Inhalte, nicht auf einzelne Posts: Jeder hat mal eine schlechte Phase oder greift daneben. Nur weil dich ein einzelner Inhalt stört, sagt das noch wenig über den Account aus – vor allem wenn du ihn kaum kennst und der Algorithmus ihn in deine Timeline gespült hat. Schaue lieber kurz nach, wie der Account normalerweise postet. War es ein Ausrutscher oder symptomatisch? Entscheide erst danach in Ruhe. Sei dabei vor allem selbstkritisch beim Ausschließen anderer Meinungen: Menschen haben unterschiedliche Werte und Ansichten, manche davon reiben sich sicher an deinen. Hier musst du ins Detail gehen und abwägen, wie stark dich die Inhalte des Accounts stören und ob er trotzdem einen Mehrwert bietet – etwa Einblick in die Lebensrealitäten einer bestimmten Personengruppe. Es ist gut, deine Ansichten regelmäßig herauszufordern – das heißt aber nicht, dass du Accounts dulden musst, deren Inhalte oft destruktiv und verletzend wirken oder dich direkt anfeinden.
- Ersetze Accounts, die Empörung und Aufregung verkaufen: Überkritisch Negatives funktioniert auf sozialen Medien besonders gut. Das wissen auch Menschen, die ihre Inhalte verkaufen oder die Reichweite ihrer Accounts schnell vergrößern wollen. Das Ergebnis dieser Strategie sind sensationalistische Headlines, wütende Monologe und oft eine deutliche Überzeichnung von Kritik. Andererseits sind solche Accounts oft am Puls der Zeit und informieren kritisch über neue Ereignisse. Doch sie sind nicht einzigartig: Ist dir ein solcher Account als Informationskanal wichtig, suche gezielt nach einer Alternative, die ausgewogener und weniger dauerempört berichtet.
- Sammele gezielt Expert:innen, die gute Informationen liefern: Manche Accounts in sozialen Medien bieten ausführliche Analysen und schlaue Gedanken. Sei es in einer Reihe von Tweets oder analytischen Videos – manches davon liefert einfach gute Informationen aus der
- Vergiss nicht den Spaß! Soziale Medien müssen nicht bitterernst sein: Gerade in den letzten 5 Jahren sind soziale Medien ernster und politischer geworden. Das kann oft sehr einseitig wirken. Denn am Ende kommt es auf die gelungene Mischung an, ob deine Timeline für dich funktioniert: Für jeden Account oder Kanal, den du abonnierst, siehst du andere ein klein wenig seltener. Eine Gegenmaßnahme gegen den Ernst der Zeit: Gezielt etwas zum Schmunzeln und Wohlfühlen zwischendurch einbauen. So gibt es beispielsweise auf Twitter seit einer Weile Accounts, deren einzige Aufgabe es ist, jede Stunde ein niedliches Tierbild,
Hier findest du das andere aktuelle Daily:
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily