Placebo oder nicht? Die Wirkung eines Wortes
Placebos kennt jeder. »Medikamente ohne Wirkung halt.« Weit gefehlt. Placebos sind nicht nur Scheinmedikamente, sondern eine Vielzahl erstaunlicher Effekte in unserem Gehirn, die Einfluss auf unser Wohlbefinden haben. Richtig genutzt könnten sie unser Gesundheitssystem enorm verbessern.
Die Frage, die sich aufdrängt, treibt nicht nur Wissenschaftler um: Was ist ein Placebo? Und wie können wir seine Effekte messen und nutzen?
Viele Ärzte verschreiben regelmäßig Placebos
Placebos sind nicht nur »Dummy-Tabletten« aus Zucker. Der weiße Kittel, das Stethoskop in der Hand, Blickkontakte, die Wortwahl und Berührungen – all das hat einen Einfluss auf den Patienten und damit auf die Wirkung einer Behandlung.
Hätten wir das Vergnügen gehabt, zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen Arzt aufsuchen zu müssen, hätte dieser uns mit großer Wahrscheinlichkeit ein Scheinmedikament, ein Placebo, mitgegeben. Gefärbtes Wasser, Tabletten aus Brotkrümeln oder
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war das gängige Praxis. Die Ärzte wussten, dass die verabreichte Scheinmedizin keinen medizinischen Effekt versprach. Sie wussten aber auch, dass die Patienten zufriedener nach Hause gingen. Gefärbtes Wasser und Tabletten aus Brotkrümeln
Umfragen zeigen, dass
Nicht ein Effekt, sondern viele
Die Antwort hätte so einfach sein können. Als 3 amerikanische Wissenschaftler
1. Schritt: Nach der schmerzhaften Entfernung eines Backenzahns werden die Patienten zunächst an einen Tropf mit
2. Schritt: Heimlich ersetzen die Wissenschaftler das Morphium durch Kochsalzlösung. Beginnen die Patienten, sich zu beschweren, vor Schmerzen zu schreien? Nein. Sie geben weiterhin an, keine Schmerzen zu haben, auch als die Wirkung des Morphiums längst nachgelassen haben muss.
3. Schritt: Als die Wissenschaftler zur Kochsalzlösung den Stoff Naloxon hinzufügen, der
Damit war klar: Placebo-Effekte sind keine Hirngespinste. Unsere Erwartungen an eine Behandlung haben messbare biologische Effekte in unserem Gehirn.
Doch die Geschichte mit den Endorphinen ist nicht der Weisheit letzter Schluss. (Es ist eben doch nicht so einfach …) Als die Wissenschaftler ein anderes Schmerzmittel testen, das nichts mit Endorphinen zu tun hat, wirkt zwar wieder die Kochsalzlösung – das Naloxon aber hat keinen Effekt. Die Schmerzen kehren nicht zurück. Das Gleiche gilt, wenn die Patienten davon ausgehen, verdünntes Morphium zu erhalten. In beiden Fällen sind andere Vorgänge im Gehirn für die schmerzstillende Wirkung der Kochsalzlösung verantwortlich. Darum haben in diesen Fällen die blockierten Endorphine keine Auswirkung auf die wahrgenommenen Schmerzen.
Bereits 1978 war also bekannt: Es gibt nicht den Placebo-Effekt, sondern viele Placebo-Effekte. Jeder mit seiner eigenen biochemischen Signatur. Unser Gehirn kennt anscheinend vielfältige Wege, um uns in die Irre zu führen. Das Schöne ist: Wir können jeden einzelnen dieser Mechanismen erforschen.
Beschwipst ohne Alkohol
Die Faszination dieser unterschiedlichen Effekte lässt viele Wissenschaftler nicht mehr los, was in den letzten Jahren zu einer Fülle von aufschlussreichen Forschungsarbeiten geführt hat. Hier sind 3 Beispiele aus der wunderbaren Welt der Placebo-Effekte:
1. Worte: Zunächst zurück zum Valium – und der Wirkung eines Wortes. Denn eigentlich ist der Begriff »Valium« das eigentliche Medikament: Nur wenn Valium draufsteht, wirkt Valium. Ähnliches gilt für andere Medikamente, wie zum Beispiel
Es wäre also falsch zu sagen, Valium und Co.
2. Aussehen und Form: Neben einzelnen Wörtern spielt auch die Erscheinungsform der Medikamente eine Rolle: 2 Pillen wirken stärker als eine, Pillen mit einem Markennamen funktionieren besser als
Und wer bei der Hausparty Geld sparen möchte, kann die leeren Wodkaflaschen auch einfach mit Tonic auffüllen. Mit der entsprechenden Atmosphäre kann das bei den Gästen zu einem ähnlichen »Schwips« wie
3. Wissen: Wirken Placebo-Effekte nur, wenn wir blauäugig Scheinmedikamente verabreicht bekommen? Weit gefehlt. Auch das zeigen zahlreiche Experimente, zum Beispiel mit Parkinson-Patienten. Diese leiden unter anderem an Bewegungsstörungen, hervorgerufen durch einen Mangel am Botenstoff Dopamin in bestimmten Hirnregionen. Die Behandlung läuft meist über Medikamente, die die Ausschüttung von Dopamin erhöhen und so die Bewegungsstörungen verringern. Das Verblüffende: Erhalten Parkinson-Patienten wissentlich ein Placebo, erhöht sich ihre Dopamin-Ausschüttung in einigen Gehirnregionen um
Auch wenn die Forschung und Wirkung von Placebo-Effekten
Unsere Gedanken und Erwartungen setzen bestimmte Vorgänge in unseren Gehirnen in Gang. So beeinflussen sie unseren Körper, unsere Wahrnehmung – »Wir können uns nie sicher sein, welche Wirkung ein Medikament tatsächlich hat«
und natürlich auch die Art und Weise, wie Medikamente und Behandlungen wirken. Je stärker wir von der Wirkung einer Behandlung überzeugt sind, desto besser wird diese tatsächlich sein. »Wir können uns nie sicher sein, welche Wirkung ein Medikament tatsächlich hat«, sagt der Neurowissenschaftler
Wäre es nicht schade, wenn wir und unser Gesundheitssystem diese Erkenntnisse ignorieren?
»Doppelt blind« ist nicht der Weisheit letzter Schluss
Angesichts der vielen neuen Erkenntnisse erscheint unser Zulassungsverfahren für Medikamente und unsere Gesundheitsversorgung tatsächlich schnell veraltet.
Zulassung von Medikamenten
An dieser Stelle ist noch mal ein wenig Theorie nötig. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gilt die sogenannte Doppelblind-Studie als goldener Standard in der medizinischen Forschung. Das Prinzip ist einfach: Es gibt 2 Versuchsgruppen. Die eine Gruppe erhält das zu testende Mittel, die andere ein Placebo. Sowohl die Teilnehmer der Studie als auch die Versuchsleiter wissen nicht, wer das Placebo erhält – darum »double blind« (»doppelt blind«).
Das Ziel: Die Wirkung des Mittels und Placebo-Effekte voneinander zu trennen. Bei einer Doppelblind-Studie werden Placebo-Effekte also nicht eliminiert, sondern es wird dafür gesorgt, dass sie für alle Beteiligten gleich groß sind. Jede zusätzliche Wirkung in der Medikamenten-Gruppe soll so auf das getestete Mittel zurückzuführen sein. Das ist angesichts der Erkenntnisse, wie wir sie beim Valium kennengelernt haben, jedoch zu kurz gedacht: All die Effekte, die an unsere Erwartungen gekoppelt sind,
Gibt es Alternativen für die klassischen Tests? Ja, zum Beispiel eine dritte Test-Gruppe, die keine Behandlung erhält und sozusagen auf der »Warteliste« steht. So können viele Effekte unter Kontrolle gebracht werden. Fabrizio Benedetti legt noch einen drauf: Seine Alternative, die »ausgewogene Placebo-Studie«, benötigt sogar 4 Gruppen: 2 erhalten ein Placebo, 2 das zu testende Mittel. Verdecktes Testen als Alternative
Dabei wird jeweils eine Gruppe angelogen: Die Teilnehmer dieser denken, sie erhielten ein Placebo, obwohl sie eine Pille mit Wirkstoff schlucken und umgekehrt. Dass dieser Ansatz ethische Probleme mit sich bringt, liegt auf der Hand. Vor allem, wenn es um potenziell riskante Mittel geht. Wissenschaftlich gesehen ist das »verdeckte Testen« aber
Für ein zukunftsweisendes Gesundheitssystem spielt vor allem der Kontakt zwischen Patienten, Ärzten und Pflegepersonal eine wichtige Rolle: Die sogenannten »bedside manners« (»Manieren am Krankenbett«). Worte, Blicke und Berührungen – all das hat
Klar, die bewusste »Nutzung« von Placebo-Effekten kann keine Heilung garantieren, aber fehlendes Vertrauen zwischen Behandelten und Behandelnden kann den Therapie-Verlauf unterwandern. Fest steht: Die Art und Weise, in der das medizinische Personal
Unser Gesundheitssystem
Um das zu erreichen, müssen wir vor allem an einer Stelle ansetzen: Der Ausbildung von Ärzten und Pflegepersonal. Nur wenn junge Ärzte in ihrer Ausbildung lernen, wie wichtig das Verhältnis zwischen ihnen und den Patienten für Behandlungserfolge ist, können sie die Vielfalt der Placebo-Effekte nutzen, um ihre Behandlung zu verbessern. Die deutsche Bundesärztekammer hat bereits 2010 Stellung bezogen und
Ist das 6 Jahre später der Fall? Immerhin taucht der Begriff »Placebo« zweimal im 2015 erstmals erstellten
Zeit ist im medizinischen Alltag meist ein knappes Gut. Sich neben Notfällen, Visiten und einem überfüllten Wartezimmer auch noch ein paar Minuten Zu wenig Zeit für Interaktion zwischen Arzt und Patient
für ein vertrauensvolles Gespräch zu nehmen, scheint häufig unmöglich. »Das ganze Gesundheitssystem ist nicht darauf ausgerichtet, dass viel Zeit für die Interaktion zwischen Arzt und Patienten bleibt«, erzählt mir die junge Ärztin Lisa Austen. Seit 7 Monaten arbeitet sie als Assistenzärztin in der Unfallchirurgie und Orthopädie in einem Berliner Klinikum.
Egal welche (ehemaligen) Medizinstudenten ich zu den Inhalten ihres Studiums gefragt habe: Die Vielfalt der Placebo-Effekte und die »bedside manners« haben keine große Rolle gespielt. Lediglich im praktischen Teil werden angemessene Verhaltensweisen bei der Vermittlung von schlechten Diagnosen besprochen. Die Bedeutung von Worten, Gesten und Ritualen bei der Behandlung – und damit letztendlich auch die langfristige Zeitersparnis – ist bekannt. Sie muss nur noch praktisch umgesetzt werden.
Ein Fazit? Vielleicht ist es an der Zeit, Placebos systematisch, auch wenn es schnell gehen muss, in die medizinische Ausbildung und den Alltag zu integrieren.
Titelbild: Maren Urner