Warum das Internet die Sprache nicht »verhunzt« – und die Kritik an Rezo verlogen ist
Sprache ist politisch, neue Wörter sind es sowieso. Wer aber Kritik aufgrund von Sprache pauschal abtut, der ist tatsächlich »sus«.
Es ist das große Finale der mit Anglizismen gespickten, 3-teiligen Politikkritik des Youtubers Rezo, in dem er auf den
2 Tage später entschied die Finanzbehörde, dass sie die 47 Millionen doch nicht mehr zurückhaben wollten. Das Ganze ist natürlich extrem …
Doch ob verstanden oder nicht, der lauwarme Verteidigungsversuch der Angegriffenen kommt prompt: »Oh je […] Ich nehme den nicht mehr ernst«, sagt etwa Bundesminister für Verkehr und digitale
Das Narrativ: Die CDU als sittliche Sprachwächterin gegen den Internetrabauken und Sprachverhunzer, den man allein wegen seiner Ausdrucksweise ignorieren sollte.
Ja ne, ist klar. *seufz*
Oder um es mit Rezo zu sagen: »What the fuck, dude?«
Ja, die Sprache verändert sich schnell im Netz – so what?
Thomas Strobl und alle anderen, die über Rezos politische Videos die Nase rümpfen, weil der rund 30-Jährige lieber Memes und Anglizismen bemüht, statt sprachlich ruhig und geschliffen seine Kritik vorzubringen – also schlicht und ergreifend anders spricht –,
Statt »Verrohung« der Sprache müssten sie aber von »Veränderung« sprechen. Anglizismen, Jugendsprache und Gaming-Begriffe, GIFs und Memes drängen seit Jahren massiv in den digitalen Sprachraum, auf Social-Media-Plattformen wie Twitter, Youtube und Instagram – auf denen Rezo sich bewegt, für dessen Publikum er produziert und wo er dann seine Kritik vorbringt.
Konservativer Einwand: Aber muss das denn mit Anglizismen, Smileys, Memes und Modewörtern sein?
Für Marx sind Elemente wie Emojis, Memes und auch neue Begriffe wie »sus« keine Bedrohung oder Verfallserscheinungen der deutschen Hochsprache, sondern Varianten des schon immer zu beobachtenden Sprachwandels. Sie spricht sich auch dagegen aus, von einer getrennten eigenen Sprache im Internet zu reden.
Es gibt einerseits keine eigene Internetgrammatik. Andererseits sehen wir uns auch keiner Fremdsprache gegenüber, die man Wort für Wort erlernen muss. Darüber hinaus ist das Internet kein homogener Kommunikationsraum. Wie man kommuniziert, hängt davon ab, auf welchen Seiten man sich im Netz bewegt. […] Dabei können wir die digitale Interaktion auch nicht mehr streng von der analogen trennen. Die Domänen verschwimmen. Deutlich wird das zum Beispiel daran, dass das schriftliche LOL inzwischen in den mündlichen Sprachgebrauch übergegangen ist.
Anders gesagt: Sprechen im Internet ist nur eine von vielen Spielarten (Varietäten) des Deutschen. Daran kann man sich natürlich stören, entblößt damit aber auch seine eigene Ferne zu den digitalen Medien, der Generation der Digital Natives und ihrer Influencer:innen.
Neue Sprache ist immer auch politisch
Kein Problem sieht Konstanze Marx auch im Schaffen neuer Wörter, Memes und Emojis im Netz. Ebenfalls so ein Punkt, den konservative Sprachwächter:innen gern sehr kritisch sehen.
Etwa wenn das brandneue
Auch Rezos Sprachgebrauch sei weitaus differenzierter zu betrachten, rät die Linguistin. Denn nur weil er spezifische Wörter verwendet, muss das nicht notwendigerweise Jugendsprache sein. Hier spricht ein Erwachsener, der Wörter wie »sus« ganz natürlich sagt. Seinen Sprachgebrauch als jugendsprachlich einzustufen hilft dabei, dem Ganzen Bedeutung zu entziehen. Letztlich ist es ein Trick, um sich mit der engagierten Kritik des Youtubers nicht befassen zu müssen. Er wird als nicht ernst zu nehmend degradiert – ein Zeichen für »Adultismus«.
Dahinter steht laut Marx sogar eine 2-teilige Abwertung: Die des Sprachraumes Internet samt dem, was dort (im »Neuland« für manche Politiker:innen) passiert. Dazu kommt eine Abwertung der Perspektiven der Jugend. »Diese Kombination ist eine häufig angewandte Strategie«, so Marx.
Dabei gehen gerade von Jugendlichen, da ist sich die Sprachforscherin sicher, ganz wichtige Impulse für die Weiterentwicklung unserer Sprache aus.
Und die ist heutzutage auch digital – ob das Digitalverweiger:innen nun passt oder nicht.
Wieso Sprache im Netz anders klingt – und welche Chancen darin stecken
Wenn man überhaupt etwas über Sprache im Internet sagen
- Sprechen im Netz ist interaktions- und dialogorientiert: In Chats, Kommentarfunktionen und Replys lässt sich sehr viel aktiver auf eine Äußerung reagieren. Damit sitzt die Kommunikation im Netz in gewisser Weise zwischen traditioneller Schriftsprache und mündlichem Dialog. Nichts steht für sich allein, alles hat Feedback in Echtzeit. Wie etwa Rezos »Zerstörung FINALE«-Video mit 1,8 Millionen Views und über 200.000 Likes auf Youtube.
- Der Stil: »spontan« und »authentisch«: Wenn sich Rezo in seinem Zimmer mit Gitarren und Youtube-Auszeichnungen zeigt und viele Elemente der mündlichen Sprache nutzt, dann soll das vor allem Authentizität erzeugen. Natürlich ist ein Video mit über 200 Quellen, die immer wieder eingeblendet werden, alles andere als spontan und Kulisse, Kleidungsstil und – ja, auch die blaue Haarfarbe – Inszenierung. Doch das wissen die Zuschauenden in einer Influencer-geprägten Welt mittlerweile auch. Der Youtuber hat nur verinnerlicht, dass Sprecher:innen, welche dieselben Signale
- Der Tonfall im Internet ist emotional: »Emotionen sind King im Netz« lautet nicht umsonst die Internetweisheit in allen PR-Agenturen. Schließlich erzeugen Emotionen mehr Klicks und sorgen dafür, dass sich Content durch Feedbackschleifen und Algorithmen besser verteilt. Doch darin den einzigen Grund für die extremen Wörter in Rezos Video zu sehen ist zynisch. Superlative und Kraftausdrücke wirken ehrlich, weil er über extreme Vorgänge politischer Kommunikation spricht und das auch glasklar benennt. Auf diese Emotionalität nun empört zu reagieren ist kleinlich – eben weil Rezo im Kern überprüfbare (und empörende) Fakten auflistet. Das ist weit weg von einer Hetzkampagne und eher Journalismus, der nur anders klingt.
Das alles unterscheidet Sprache im Netz natürlich von der üblichen Journalist:innen-Sprache oder Goethes Werken. Und genau darin könnten nun einige Sprachpurist:innen eine »Verrohung« oder gar einen »Verfall« der Sprache sehen. Das ist einerseits bieder – andererseits als Argument gegen Rezos solide Recherche und über 200 Quellen vor allem billig. Oder wie die Satirezeitung Postillon treffend spottet:
Was auch immer der Grund der Angegriffenen ist, es bleibt ein echter Skandal, dass hier fundierte Kritik aufgrund einer formal abweichenden Sprache als ungültig erklärt wird. Denn damit demonstrieren Politiker:innen, dass sie Argumente nur dann beachten, wenn diese in einer bestimmten Sprache vorgetragen werden. Und eben das schließt – wenn man das durchdenkt –
Was »sus« wirklich heißt und warum wir mehr solcher Begriffe brauchen
Rezos Art des politischen Sprechens und Kritisierens im Internet kann man auch als etwas sehr Wertvolles im politischen Bereich betrachten: Sie dringt zu Menschen durch, die bei PR-Sprech und TV-Talkrunden nur noch genervt abschalten. Dass eine Youtube-Videoreihe nun ein solches Phänomen wurde, ist auch ein Beleg dafür, dass politisches Sprechen im Netz fähig ist, Diskussionen anzuregen und zu aktivieren.
Anders gesagt: Anglizismen und Jugendwörter hin oder her – Rezo spricht einer Generation von Netzbürger:innen aus dem Herzen, die eben nicht politikverdrossen ist, sondern schlicht der üblichen politischen Kommunikation kein Vertrauen mehr entgegenbringt. Sie wollen sich angesichts zahlreicher Skandale und vieler Fälle von Korruption und Inkompetenz von Politiker:innen nicht mehr mit gemäßigter PR-Sprache abfinden. Und dabei verwenden und prägen sie eben auch neue Begriffe, die eigene Assoziationen implizieren – so wie »sus«.
Und hier ist die Auflösung:
Das Wort »sus« stammt aus dem enorm erfolgreichen Onlinespiel »Among us«, bei dem ein »Impostor« (Betrüger) versucht, die gemeinsame Mission eines Raumschiffes zu sabotieren, und dafür lügt, betrügt und sogar über Leichen geht. Um den Betrüger zu entlarven, sprechen sich die Besatzungsmitglieder ab und sammeln Beweise. Ist jemand verdächtig, gilt er als »sus«. Und genau diese Assoziationen unterstreichen – ob das die Angegriffenen nun verstehen, sei dahingestellt – den extremen und sozial zersetzenden Charakter ihrer Vergehen: ein egoistisches, sabotierendes Handeln gegen die Gemeinschaft. Das Wort »sus« meint also nicht nur »suspekt«, sondern zugespitzt formuliert »verdächtig asozial«.
Und dafür braucht es neue Wörter, die diese Assoziationen mitnehmen und deutlich machen, was die PR-gezähmte Sprache mancher Politiker:innen um »Fehltritte« und »Unsauberkeiten« verschleiern will.
Das sieht etwa auch Eva Eckkrammer so. Die Linguistin an der Universität Mannheim forscht zum Sprachwandel in Zeiten des Internets. Bereits vor fast 10 Jahren sah sie voraus, dass sich die beispiellosen Wandelprozesse unserer Gegenwart,
Dann entstehen neue Begriffe wie:
- »Klimaangst«, die neue Emotionen einer Generation ausdrückt,
- »Coronajahre« für eine von Resignation und Angst geprägte Zeit der globalen Pandemie, da vor allem Jugendliche einen
- »Digitale Selbstverteidigung« als Fähigkeiten, sich gegen einen immer datenhungriger agierenden
Wenn dieser Sprachwandel – zu dem die Begriffe gehören – das Deutsche »verhunzt«, dann ist das vielleicht gut so. Denn sie beschreiben zunehmend die Lebenswirklichkeit von vielen Bürger:innen hierzulande im Jahr 2021. Dass sie und ihre dazugehörigen Diskurse im Internet entstehen, sagt nichts über deren Wertigkeit aus. Wer davon aber nichts wissen möchte, zeigt nur, wie weit er sich von der Öffentlichkeit im Netz entfernt hat.
Höchste Zeit, ehrlich darüber zu reden – und zwar mit einer deutlichen und ehrlichen Sprache, die Menschen mitnimmt und auf den Punkt trifft.
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily