Warum ich zögere, traditionelle Kleidung zu tragen
Ich besitze kein traditionelles Kleidungsstück, dabei sehne ich mich nach Verbundenheit zu meinen palästinensischen Wurzeln. Was hält mich davon ab, mich über meine Kleidung auszudrücken?
Bei meinem Spaziergang durch die Münsteraner Innenstadt fällt mir die Gruppe junger Männer sofort auf. Und nicht nur mir. Auch das Pärchen neben mir verrenkt sich fast den Hals. Mit ihren Lederhosen, karierten Hemden, hochgezogenen Socken und blank geputzten Schuhen stechen die Jungs aus der Masse heraus. »Ja, ist denn schon Oktoberfest?«, murmelt eine Passantin neben mir und schüttelt den Kopf.
Okay, über Männer in Lederhosen können wir uns streiten. Ich finde es aber eigentlich ganz cool, junge Menschen zu sehen, die traditionelle Kleidung offenbar nicht altbacken finden. Ich gehe weiter, öffne gedanklich meinen Kleiderschrank und stelle fest:
Ich besitze kein einziges traditionelles Kleidungsstück.
In meinem Fall denke ich nicht an Lederhosen, sondern an Kleidung, wie sie die demokratische Abgeordnete Rashida Tlaib bei ihrer Einführung 2019 im US-Kongress trug. Sie verzichtete damals auf einen Hosenanzug und entschied sich stattdessen für eine Art Kleid, das von oben bis unten mit bunten Stickereien geschmückt war. Sie trug ein traditionell palästinensisches Thobe; die Stickereien darauf werden Tatreez genannt. Diese jahrhundertealte Stickkunst wird üblicherweise von palästinensischen Müttern an ihre Töchter weitergegeben. Farben und Motive unterscheiden sich von Region zu Region. Wer die Stickereien lesen kann, erfährt etwas über Gesundheitszustand, Reichtum oder den Familienstatus der Frau. Diese Lesart gehört allerdings der Vergangenheit
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily