Don’t call it »Hilfe«!
Jedes Jahr reisen tausende junge Menschen nach Afrika, Asien und anderswo hin, um dort freiwillig zu arbeiten. Hilft das vor Ort?
Stelle dir folgende Szene vor: Eine Lehrerin steht in einem Klassenzimmer vor 20 Schülern, die ihr still zuhören. Da klopft es, die Tür öffnet sich und 2 junge Leute aus einem anderen Land betreten das Klassenzimmer. Die Kinder sind abgelenkt, springen auf und freuen sich lautstark über den Besuch. Die Lehrerin sorgt noch einmal kurz für Ruhe, verabschiedet sich dann und überlässt den Unterricht den 2 Besuchern. Die schaffen es aber nicht, die Klasse wieder zu beruhigen. Wie auch? Sie haben keine pädagogische Ausbildung, keine Erfahrung im Unterrichten und befinden sich noch dazu in einer ihnen komplett
Was würdest du denken, wenn das in einer Schule deiner Stadt Alltag wäre? Irrsinn! Das vielleicht gut gemeinte Engagement der Gastlehrer ist nicht nur nutzlos (es gibt ja eine Lehrerin), sondern stört sogar den wohlgeordneten Schulalltag der Kinder und damit deren Ausbildung. In vielen Ländern des
Sie wollen damit meist eine »andere Welt entdecken«,
»Wem nutzt dieses Engagement […] wirklich?«
Jugendlichen mit dem deutschen »Weltwärts«-Programm mit Steuergeldern, derzeit sind es jährlich 29 Millionen, einen Abenteuerurlaub zu finanzieren, mag innenpolitisch gewünscht sein, mit Entwicklungshilfe hat es aber nichts zu tun.
Diese kommerziellen Angebote sind dann aber ähnlich teuer wie eine Luxusreise und klingen auch oft so:
Traumhaft gelegen auf Andros Island, der größten und unberührtesten Insel der Bahamas, im ältesten Tauchgebiet der Erde, wirst du dein
Den Tauchschein gibt es nach Wunsch bei diesem Angebot für schlappe 2.110 Euro pro Monat auch noch obendrauf. Ach so, und man darf natürlich auch die Kinder der örtlichen Schule
Viele Studien belegen, dass diese meist kurzfristigen Freiwilligendienste mehr schaden als
Die Gastorganisation, die die Freiwilligen vor Ort betreut, hat dabei wenig bis kein Mitspracherecht. Alfred Tibenderana, dessen Organisation
Schließlich soll der Schwarze glücklich sein, dass die Weißen da sind, der soll sich nicht beschweren, der soll sich freuen und machen – es ist doch ein Privileg, mit Weißen zusammenarbeiten zu dürfen.
Der Deutsche Lou Paul Buckendahl hat Alfred Tibenderanas Organisation mit gegründet und seine Diplomarbeit der
Ein tief eingepflanztes und Jahrhunderte bewahrtes Minderwertigkeitsgefühl auf der einen Seite und ein Gefühl der – zumindest unbewusst gelebten – Überlegenheit auf der anderen Seite, schaffen hier perfekt ineinander hakende, aber denkbar ungünstige Voraussetzungen für eine Arbeit auf ›Augenhöhe‹.
Sind internationale Freiwilligenprogramme also generell eine schlechte Idee? Sollten die 20.000–30.000 jungen Leute aus Deutschland, die bisher jährlich einen internationalen Freiwilligendienst leisten, den Wunsch zu helfen lieber im Pflegeheim um die Ecke verwirklichen und einfach eine ganz normale Rucksackreise durch Tansania buchen? Wer bin ich, ihnen das zu sagen?
Ich bin eine von ihnen.
Ich war 2014 als Teilnehmerin
Auch wenn wir damals im Überschwang des Abschieds sicher ein wenig übertrieben haben: Was hat uns zu diesem Urteil bewogen? War es wirklich besser als andere Projekte oder gehen alle Freiwilligen mit der rosaroten Brille nach Hause und können erst mit etwas Abstand kritischer auf die eigenen Erfahrungen blicken, so wie ich jetzt?
Fest steht: Zwischen den einzelnen Projekten und Programmen klaffen große Qualitätsunterschiede und die Ansätze sind sehr verschieden. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen – dabei helfen die Forschungsliteratur und meine eigenen Erfahrungen:
1. Weißte Bescheid? – Die Vorbereitung
Dieser Punkt hat 2 Dimensionen: kurzfristig und langfristig. Bietet das Programm Seminare, die mich auf den Aufenthalt im Ausland vorbereiten? Nur wer reflektiert und offen in den Auslandsaufenthalt startet, kann den programmierten Kulturschock abdämpfen, sich schnell einarbeiten und sinnvoll tätig werden.
Die Vorurteile müssen in der Vorbereitungszeit intensiv und wiederholend angegriffen werden und eingebettet werden in einen größeren Kontext. Der strukturelle und subtile Rassismus in Deutschland ist immer noch vorhanden – so denken dann auch die Freiwilligen, sie seien ›besser‹ als wir.
Kurz vor der Abreise haben mich die Seminare sensibilisiert für Themen wie Postkolonialismus, Antirassismus und mich dazu angeregt, offen zu sein für alles, was erst einmal nicht in mein gewohntes Weltbild passt.
»Dass ihr offen wart für eine andere Kultur, hat dazu geführt, dass das Projekt erfolgreich war«, sagte mir Mbuh Blaise Baneh, der Leiter meiner Filmschule, als ich ihn jetzt nach den Faktoren für das Gelingen unseres Projekts fragte.
Die langfristige Vorbereitung fängt viel früher an und ohne, dass ich es wusste: Nur wenn ich weiß, was ich tue, kann ich auch einen sinnvollen Beitrag leisten. Beim ASA-Programm ist das Voraussetzung, die Projekte richten sich explizit an bestimmte Studiengänge und Berufsgruppen, nicht an Schulabgänger. Ich bin mit einem abgeschlossenen Studium und ein paar Jahren journalistischer Erfahrung in der Tasche nach Kamerun gereist, um dort mein Wissen weiterzugeben. Am Weltwärts-Programm nehmen hauptsächlich Schulabgänger teil. Eine Aufgabe für sie zu finden, die sie nicht über- und nicht unterfordert, aber auch keinem Bürger vor Ort die Arbeit wegnimmt, ist nicht so einfach. Immerhin gibt es bei Weltwärts auch Vorbereitungsseminare – bei privatwirtschaftlichen Anbietern beschränken sich die Anforderungen meistens auf geringfügige Fremdsprachenkenntnisse und die Vorbereitung auf einen Sprachkurs.
Es geht mir hier nicht um Pauschalurteile, sondern die Frage, die sich jeder Teilnehmer stellen sollte: Kann ich in diesem Projekt mit meinen Fähigkeiten etwas beitragen, was nicht auch jemand von dort leisten könnte?
Wer braucht schon 20-jährige Freiwillige, die beim Brunnen graben helfen. Haben die schon jemals einen Brunnen in ihrer Heimat gegraben? Die wissen nicht einmal, wie ein Brunnen ausschaut.
2. Arbeit für Geld oder Geld für Arbeit? – Die Finanzierung
Wer »Freiwilligendienst im Ausland« googelt, findet unzählige Organisationen, die einen ins Ausland schicken möchten. Von »zahle 2.000 Euro« bis »bekomme ein Stipendium im Wert von 2.000 Euro« ist alles dabei. Beides ist legitim, die Frage, die man sich bei privatwirtschaftlichen Anbietern nur stellen muss: Wenn ich für etwas zahle, erwarte ich dann nicht eher eine Leistung, als selbst einen Dienst leisten zu müssen?
Programme wie ASA oder Weltwärts werden großteils vom Entwicklungsministerium finanziert. Reise, Seminare und Taschengeld wird den Freiwilligen bezahlt, auch, um »jungen Menschen aus einkommensschwachen Familien« einen solchen Auslandsaufenthalt zu ermöglichen. Das Problem daran ist nur: Diese Zielgruppe wird bisher kaum
3. Bitte schön, dein neuer Mitarbeiter! – Die Rolle der Gastorganisation
Bei vielen Programmen wählt die Entsendeorganisation im Globalen Norden aus den Bewerbern die Glücklichen aus, die ins Projekt zur Gastorganisation geschickt werden. Das hört sich nach Bevormundung an. Ist es auch, und zwar für die Gastorganisationen: Sie müssen nehmen, was kommt, und am Ende vielleicht auch noch eine schlechte Bewertung einstecken, wenn das Projekt nicht zu den Erwartungen der Freiwilligen passt. Nicht selten kommt es so zu
Die Organisation im Gastland − etwa meine junge Filmschule − weiß, welches Knowhow vor Ort fehlt und kann deshalb am besten beschreiben, was im Projekt gemacht werden soll und wer sich dafür eignet. Deshalb hat der Leiter meiner Filmschule, Mbuh Blaise Baneh, einen Projektantrag an ASA gestellt für Lehrkräfte, die in seiner Filmschule Seminare zu Kameraführung, Audio- und Videoschnitt und Bildbearbeitung geben können. Als Radiojournalistin passte ich dazu
4. Aus den Augen, aus dem Sinn? – Die Langzeitwirkung
Wer beim BMZ Gelder beantragen will, muss normalerweise einen Plan haben, wie sein Projekt nachhaltig – also langfristig – Wirkung zeigen soll. Aber Freiwilligendienste konzentrieren sich oft nur auf die
Auch meine beiden Tandem-Partner und ich haben in der Bamenda Film School nur ein Gastspiel als Lehrer gegeben. Hätten wir uns eher darauf konzentriert, uns mit den anderen Dozenten über Themen, Methoden und Kenntnisse auszutauschen, hätte die Filmschule auch auf Dauer gewonnen − und sich damit tatsächlich
5. In 2 Wochen die Welt retten? – Die Dauer
Wenn Freiwilligenprojekte wie Urlaub aussehen und auch nicht länger dauern als eine durchschnittliche Pauschalreise, ist davon auch nicht viel mehr zu erwarten: Wenn ein 17-Jähriger auf den Bahamas 3 Wochen Fische zählt, nimmt er sicher ein paar nette Eindrücke mit nach Hause und bringt ein wenig Geld in den lokalen Wirtschaftskreislauf, das war’s. Kulturelle Anpassung hingegen verläuft idealtypisch in 4 Phasen, die jeweils etwas Zeit brauchen:
In meiner Honeymoon-Phase habe ich fleißig Texte für meine Studierenden zusammengestellt. In der nächsten Phase habe ich mich geärgert, dass sie die Texte nicht wie verlangt lesen, und schon an mir und ihnen gezweifelt. Und erst dann habe ich angefangen zu verstehen, dass ich es hier einfach mit einer anderen Lernkultur zu tun habe: Tatsächlich hatten die Studierenden mehr davon, wenn ich 1 Stunde lang einen Vortrag gehalten habe, als wenn ich ihnen einen Text zum Lesen gab. Erst am Ende meines 3-monatigen Aufenthalts hatte ich das Gefühl, richtig angekommen zu sein. Dann hätte ich anfangen können, einen effektiven Beitrag zu leisten. Hier ist das Weltwärts-Programm besser aufgestellt: Die Aufenthaltsdauer liegt durchschnittlich bei 11–13 Monaten. Diese Zeitspanne wird von den Gastorganisationen, die die Freiwilligen ja auch einarbeiten müssen,
Zusammenfassend können wir festhalten: Ein
- vom Staat gefördertes und kontrolliertes Programm
- für von der Gastorganisation ausgewähltes,
- geschultes Fachpersonal
- mit intensiver Vorbereitungsphase
- und langer Aufenthaltsdauer
wäre das Beste, damit die Freiwilligen mit ihrer Arbeit
Selbst in diesem »Optimalfall« muss sich ein Freiwilligendienst noch an anderen Maßnahmen messen lassen: Hätte es meine Filmschule nicht viel weitergebracht, wenn das Geld für meinen Aufenthalt stattdessen in Kameras, Laptops und sonstiges Equipment gesteckt worden wäre? All diese Punkte sind nicht neu und den Programmverantwortlichen und Geldgebern aus regelmäßigen Evaluationen und Befragungen bekannt. Warum werden also noch immer hauptsächlich Schulabgänger ohne Fachwissen in den Globalen Süden geschickt?
Zusammenarbeit auf Augenhöhe geht anders!
Die Antwort: Weil es nicht um die Entwicklung im Gastland geht, sondern um die der
Umgekehrt wird also ein Schuh draus. Ein Freiwilligendienst ist der Dienst an den Freiwilligen, den Entsende- und vor allem Gastorganisationen leisten. Das so anzuerkennen ist ja erst einmal nicht verwerflich. Nur ehrlicher. Und es entlastet die motivierten jungen Menschen von einer Erwartung, die sie, frisch von der Schulbank, nicht erfüllen können, nämlich mit Knowhow und Erfahrung im Gastland eine Lücke zu füllen. Nicht umsonst bezeichnet sich »Weltwärts« inzwischen als »Lerndienst«. Diese Art der
Das ist keineswegs eine Formalität – zumindest nicht für die Beteiligten in den Gastländern.
So wie jetzt ist es der falsche Name, das falsche Geld! […] Ein weiteres Problem stellt die geringe Bezahlung für die Mentoren und Betreuer der Freiwilligen dar. Wie kann das sein, dass diese Arbeit nicht bezahlt wird?
Bisher sieht Weltwärts für die Gastorganisationen nicht explizit ein Budget vor. Das Geld geht an die deutschen Entsendeorganisationen. Die dürfen ihren Partnern im Süden etwas davon abgeben, müssen das aber nicht tun. Würden »Freiwilligendienste« in Zukunft ehrlicherweise etwa »interkulturelles Bildungsjahr« heißen, würde anerkannt, wer hier an wem einen Dienst leistet, und auch die Ausbilder und Mentoren im Gastland müssten ordentlich bezahlt werden. Eine wichtige Frage auch für die Qualität des Programms.
Wir regeln hier die Formalitäten, sind verantwortlich, wenn die Freiwilligen Probleme haben, schreiben Berichte. Wie könnt ihr einen nachhaltigen Freiwilligendienst erwarten, wenn ihr die, die alles koordinieren, nicht bezahlt?
Die Ungleichheit hat noch eine weitere Dimension: »Er kommt, ich hole ihm die Arbeitserlaubnis. Ich jedoch bekomme kein Visum bei euch.« So fühlt sich für Alfred Tibenderana die Ankunft von Weltwärts-Freiwilligen an.
Wenn wir wirklich Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe betreiben und nicht nur Entwicklungshilfe leisten wollen, machen wir einen Austausch daraus! Für jeden »weltwärts« Reisenden darf auch ein Afrikaner, Lateinamerikaner oder Asiate zu Organisationen nach Deutschland kommen. In Ansätzen gibt es diese »Süd-Nord«-Programme schon, allerdings nur
Für mich wird Kamerun nie mehr nur »irgendwo in Afrika« sein. Ich habe dort viele fleißige, kreative und optimistische Menschen kennen gelernt. Der Austausch mit ihnen war der »Gewinn«, von dem wir alle bei meiner Abschiedsparty sprachen, und ich darf sie heute meine Freunde nennen. Und genau deshalb kann ich verstehen, dass sie es leid sind, zu passiven Empfängern degradiert zu werden.
Titelbild: Linda Dreisen - copyright