Auf dem Land geht es nicht ohne Auto. Oder doch?
Geteilte Autos können das Leben auf dem Land attraktiver und umweltfreundlicher machen. Einen guten ÖPNV können sie jedoch nicht ersetzen – im Gegenteil: sie sind darauf angewiesen.
Wer in einer Großstadt von A nach B möchte, hat dafür viele Möglichkeiten. S-Bahnen, Busse, Radwege, E-Scooter oder Carsharingangebote geben einfache Antworten auf die Frage »Wie komme ich da eigentlich hin?« – von der Fahrt zu einer Praxis bis zum Supermarkt.
Sicher auch deshalb verzichten immer mehr Städter:innen ganz bewusst – und mit gewissem Stolz – auf den eigenen Pkw. Allen voran in der Hauptstadt Berlin.
Wer aber schon einmal versucht hat, auf dem Land eine Bank oder ein Krankenhaus zu erreichen, der versteht genau, warum Menschen außerhalb der Großstädte über diesen Anti-Auto-Trend nur müde lächeln können. In vielen kleineren Ortschaften Deutschlands fahren Zug oder Bus nur wenige Male am Tag. Ein Auto steht dort in fast jeder Einfahrt.
Viele Gemeinden versuchen der Autoflut auf dem Land mit Carsharingkonzepten entgegenzuwirken.
Das Problem der Mobilität auf dem Land
Das nordhessische Homberg (Efze) nahe Kassel ist eine
Was hier fehlt, ist eine eigene Zuganbindung. Der nächste Bahnhof befindet sich erst im viel kleineren Nachbarort Wabern, mehr als 10 Kilometer entfernt. Als Konsequenz hat Homberg eine hohe Dichte an Kraftfahrzeugen.
Nach Angaben der Stadtverwaltung kommen hier
Dass das alles andere als umweltfreundlich ist, wissen auch die Behörden vor Ort und
Geschäftsführer Michael Schramek erklärt mir im Gespräch, wieso Menschen in der Region so ungern auf ihr Auto verzichten: »Wer mit dem Bus zu den Stoßzeiten morgens und abends nach Homberg auf die Arbeit und nach Hause fährt, braucht mindestens doppelt so lange wie mit dem Auto.« Schramek wohnt selbst im Kreis und versucht seit Jahren, die Autos dort zu reduzieren und die Reisezeiten zu verbessern.
Aber wie soll das gehen?
Lösung 1: Der Dienstwagen im Abo
Ein Auto ist absurd umweltschädlich. Denn obwohl es mehrere Menschen transportieren könnte, fährt oft nur eine einzige Person damit durch die Gegend. Besser wäre es natürlich, sich zu Fahrgemeinschaften zu verabreden – doch das scheitert in der Realität oft.
Argumente, die für viele auf dem Land vielleicht gegen Carsharing sprechen: mangelnde Flexibilität, wenn gerade vielleicht kein Auto verfügbar ist, es aber dringend gebraucht wird, um Kinder in die Kita oder zur Schule zu bringen, zwischendurch einzukaufen oder zur Arbeit zu fahren.
Für Michael Schramek sind Argumente wie diese vor allem eine Frage der Gewohnheit: »Die Menschen auf dem Land müssen sich erst an die Idee gewöhnen, ein Auto zu teilen, und sehen, dass es funktionieren kann«, erklärt Schramek. »Und dann müssen sie auch noch den großen Schritt vollziehen, den eigenen Pkw abzuschaffen.«
Um Menschen für diese Idee zu gewinnen, haben die Stadt Homberg und Schrameks Unternehmen 2018 ein Pilotprojekt gestartet: Die Mitarbeitenden der Kreis- und Stadtverwaltung können anstelle ihres Privatautos ein Carsharingauto für ihren Arbeitsweg verwenden, das von Regio.Mobil zur Verfügung gestellt wird.
Und so funktioniert es: Das geteilte Auto pendelt täglich zwischen 2 Standorten hin und her. In der Zeit, in der es nicht dienstlich gebraucht wird – also mittags auf dem Parkplatz der Stadtverwaltung oder abends in einem von Hombergs Vororten –, kann der Pkw von anderen Menschen gebucht werden. Für den Fall, dass das Auto mal nicht rechtzeitig zurückgebracht werde, sei immer ein alternatives Carsharingauto in der Nähe, versichert Schramek. Für diese Mobilität zahlen die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung einen
Heute, 3 Jahre nach der Einführung, kann man das Pilotprojekt vorsichtig als Erfolg bezeichnen. Vorsichtig deshalb, weil die Coronakrise die Pläne des Carsharinganbieters deutlich entschleunigt hat. Momentan sind in Homberg 8 Autos von Regio.Mobil im Einsatz. Schramek hat ausgerechnet, dass es 50 Autos bräuchte, um die Dienstfahrten der gesamten Verwaltung sicherzustellen. Sie sollen in den nächsten Jahren noch dazukommen.
Lösung 2: Das eigene Auto als Carsharingauto
Eine andere Lösung kommt von unten, also von den Bürger:innen auf dem Land selbst. Carsharinganbieter stellen dabei nur die Technologie zur Verfügung, damit Gemeinden, Unternehmen, Vereine oder auch Einzelpersonen ihr Auto teilen können. So auch in Kaufungen, im Speckgürtel von Kassel, mit einer direkten Bahnverbindung in die Stadt. Insgesamt 4 privat betriebene Carsharingfahrzeuge gibt es dort bisher. Eines davon gehört Thomas Neuroth. Er ist Mobilitätsberater und Mitgründer des lokalen
Neuroth besitzt einen elektrischen Renault Zoe, ausgestattet mit einer Carsharingtechnik, bei der das Auto über eine App gebucht und entsperrt werden kann. Der Schlüssel liegt im Handschuhfach. Für ihn kostet das Buchen seines eigenen Autos nichts. Andere bezahlen 26 Cent pro Kilometer (bei einer Strecke unter 100 Kilometern) und 2,20 Euro pro Stunde (tagsüber). Für Strecken über 100 Kilometer und nachts sinken die Preise.
»Bisher klappt es ganz gut«, sagt der Mobilitätsberater. Er hofft, dass in Zukunft noch mehr Menschen das Angebot nutzen würden. Wird sein Auto regelmäßig gebucht, kann er sogar etwas daran verdienen: 75% der Umsätze dürfen Eigentümer:innen behalten,
Für die Startkosten konnte der Verein Spurwechsel allerdings die Gemeinde für sich gewinnen, die das Projekt mit 10.000 Euro bezuschusst. »Damit ist jedes Minus vorerst abgedeckt«, so Neuroth.
Die fehlende Zutat für einen nachhaltigen Mobilitätsmix
Haben die Lösungen aus Homberg und Kaufungen das Zeug, skeptische Landbewohner:innen zu überzeugen? Viele werden weiterhin nicht auf ein eigenes Auto verzichten wollen, solange nicht garantiert ist, dass immer dann eines verfügbar ist, wenn sie es brauchen.
Bis zu einer Fahrleistung von 800 Kilometern pro Monat ist Carsharing günstiger als ein Neuwagen
Diese Garantie können die Carsharingdienste bisher nicht geben. Auf dem Land bieten sie eine flexible Transportmöglichkeit, die für technikaffine Menschen mit wenig Mobilitätsbedürfnissen funktioniert. Damit alle nachhaltiger mobil sein können, müssen die Gemeinden reagieren: mit einem besseren ÖPNV. Denn der ist nicht nur umweltfreundlicher als die Pkw, sondern könnte die Sicherheit und Verlässlichkeit herstellen, die viele Menschen brauchen, um den großen Schritt zu wagen und das eigene Auto herzugeben.
Es ist daher vielleicht ein Denkfehler, Carsharingangebote als Alternative zum ÖPNV zu betrachten. Sie sind viel eher eine Zutat in einem nachhaltigeren Mobilitätsmix abseits der Großstädte.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily