Donut-Ökonomie: Wie Amsterdam Mensch und Planet vor Profite stellen will
Die niederländische Hauptstadt hat sich der Donut-Ökonomie verschrieben. Kommt nun echter sozialer und ökologischer Wandel – oder sind das nur schöne Worte? Eine Spurensuche vor Ort
Ein Sommertag im Jahr 2020, die Felder am Amsterdamer Stadtrand liegen brach. Hier auf dem
In den folgenden Monaten rollten die ersten Maschinen auf den Polder, Umweltaktivist:innen stellten sich ihnen immer wieder entgegen – und tun das bis heute. Sie bringen Banner mit, die »Save our Soils« und »Planet über Geld! Politik: Tu etwas!« verlangen, veranstalten Klimacamps und Sitzblockaden, lassen sich festnehmen. Amsterdams Stadtrat besteht größtenteils aus linken und grünen Politiker:innen und ist der liberalen Landesregierung in Sachen Umwelt- und Klimaschutz um einiges voraus. Dennoch trägt die Stadt dieses Projekt mit, das Gemüsefelder in ein Industriegebiet verwandeln soll – zum Frust der Aktivist:innen. Also treten sie auf den Klimademos der Stadt auf und präsentieren die Lutkemeer-Problematik als Beispiel dafür, dass die Stadt längst nicht so grün sei, wie sie sich gebe.
Amsterdam ist zerrissen: zwischen ökologischem Willen und Industrieinteressen, zwischen Lastenrädern und Luxuswohnungen, zwischen alternativem Anstrich und giftiger Gentrifizierung. Die linksgrüne Stadtverwaltung hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, diese Zerrissenheit zu überwinden und die ökologischen und sozialen Probleme der Stadt zugleich anzupacken. Dabei helfen soll ein alternatives Wirtschaftsmodell, dem sich Amsterdam im Frühjahr 2020 verschrieben hat: die sogenannte Donut-Ökonomie. Kann diese Idee Amsterdam nachhaltig verändern oder schmückt sich hier eine Stadt einfach mit einer schicken Modebezeichnung?
Ein Wirtschaftsmodell fürs 21. Jahrhundert?
Sobald Kate Raworth, Erfinderin der Donut-Ökonomie und Star der
»Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört«, lautet der Untertitel der deutschen Version von Kate Raworths berühmtem Buch zur Donut-Ökonomie, das sie 2018 veröffentlichte. Der Ausgangspunkt ihrer Überlegungen liegt im klassischen Postwachstumsgedanken: In einer Welt mit endlichen Ressourcen ist endloses Wachstum nicht möglich. Doch die Annahme, dass die Wirtschaft stets wächst, ist fest im kapitalistischen Wirtschaftssystem verankert, egal ob in den Niederlanden oder in Deutschland. Banken vergeben Kredite in dem Glauben, dass Kreditnehmer:innen in Zukunft mehr Geld zu Verfügung haben werden. Investor:innen investieren in Firmen in dem Glauben, dass diese wachsen und immer weiter Gewinn abwerfen. Ohne Wachstum funktioniert das System nicht.
Wohlstand scheint sich an einer einzigen großen Kennzahl zu bemessen: »Seit über 70 Jahren ist die Wirtschaft auf das Bruttoinlandsprodukt als wichtigstes Maß für den Fortschritt fixiert. Für das 21. Jahrhundert ist ein weit größeres Ziel erforderlich«, schreibt Raworth. Wie sieht dieses neue Ziel aus? Als Antwort zeichnet die Ökonomin ein simples Bild: ein großer Kreis, der einen kleinen Kreis umschließt – der Donut.
Alle politischen Entscheidungen, jede wirtschaftliche Aktivität solle darauf abzielen, innerhalb des »sicheren und gerechten Raumes« des Donuts zu bleiben, so Raworth. Dafür brauche es ein Wirtschaftssystem, das im Einklang mit der Natur wirkt und der Gemeinschaft dient, anstatt nur einigen wenigen Privilegierten zugutezukommen. »Soziale Ungleichheit […] ist keine wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern ein Fehler im Design«, schreibt Raworth.
Raworth entwickelte mit ihren Donut-Mitstreiter:innen im ersten Schritt
Kreislaufwirtschaft als Testballon
Alles begann bereits 2020 mit der Idee einer
So die Idee.
»Diese Ziele werden niemals erfüllt werden«, sagt Sabbe. »Doch die Stadt macht mehr als die meisten anderen.« Bei vielen stadteigenen Bauprojekten verlangt Amsterdam schon heute, dass ein hoher Anteil des verbauten Betons und Asphalts recycelt ist und auch wieder recycelt werden kann. Da
Um zu überwachen, wie viele und welche Ressourcen in die Stadt hineinströmen und später als Müll anfallen, entwickeln Sabbe und sein Team einen sogenannten
Doch Materialflüsse sind nicht alles, was zählt. Kreislaufwirtschaft und Donut-Ökonomie – beide Ideen klingen irgendwie rund und sprechen von Nachhaltigkeit. Aber sie sind nicht dasselbe. Kreislaufwirtschaft löst nicht die Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum auf, sondern ist auch mit der schillernden Idee vom
Wem gehört die Stadt?
Damit Amsterdam tatsächlich seine Donut-Idee verwirklichen könne, brauche es Eingriffe in das »tiefe Design der Stadt«, sagt Raworth in einer Diskussionsrunde auf den Amsterdamer Donut-Tagen. Die »Idee vom Eigentum« müsse überdacht werden – wer besitzt den Grund und Boden, wer besitzt Technologie, Firmen und Wohnungen? Um den Spiralen der sozialen Ungerechtigkeit entgegenzuwirken, müsse Eigentum umverteilt werden und bestenfalls gemeinschaftlich sein, argumentiert Raworth auch in ihrem Buch.
Wie ungleich Eigentum verteilt ist, zeigt sich in Amsterdam – wie in vielen Großstädten – am deutlichsten auf dem Wohnungsmarkt. Einwohner:innen, die sich die stets wachsenden Mieten kaum mehr leisten können, stehen hier Investor:innen gegenüber, die an möglichst großen Profiten interessiert sind. »Wohnen ist sowohl ein Menschenrecht als auch ein Spekulationsgeschäft für diejenigen, die den Wohnraum einer Stadt wie ein Monopoly-Spiel behandeln«, sagt Raworth.
Soziale Gerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt herzustellen, erfordert ein gewaltiges Umdenken, etwa in Form von Gesetzen, die Investitionen in den Wohnungsmarkt regulieren.
Ein anderes Beispiel ist die Wohnkooperative »De Warren«, mit der sich 50 Freund:innen und Bekannte den Traum von einer engen Gemeinschaft inmitten der Stadt erfüllen wollen. Sie bauen ein großes Haus aus Holz, das dem Kollektiv gehört und bezahlbares Wohnen für alle 50 Menschen ermöglichen soll. Nur 1/3 der Wohnfläche ist für die einzelnen Parteien reserviert. Der Rest besteht aus Gemeinschaftsräumen, in denen die Bewohner:innen miteinander statt nebeneinander her leben können.
Solche Projekte seien »Saaten für die Zukunft, die zeigen was möglich ist«, sagt Raworth begeistert. Anders als die Hausbesetzer:innen und Hippies der 70er- und 80er-Jahre würden die Bürger:innen heute »Rechtssysteme neu erfinden, statt nur dagegen zu rebellieren.« Auch seitens der Stadt finden die idealistischen Projekte Gehör und Unterstützung. Sie würden für die Gemeinschaft »Wert schaffen, statt Wert zu extrahieren«, sagt Marieke van Doorninck, Stadträtin für Nachhaltigkeit. Doch nicht alle sind von der süßen Donut-Utopie überzeugt, deren Umsetzung bisher nur ansatzweise sichtbar wird.
Gegenwind für die Donut-Utopie
»Schade, dass unsere Stadtverwaltung mit theoretischen Modellen und kleinen Praxisbeispielen Schönwetter spielt, während die großen Industriezweige unberührt bleiben«, schreibt Johnas van Lammeren, Fraktionsvorsitzender der niederländischen Partei für die Tiere, in einem
Auch aus der Bevölkerung regen sich Zweifel an den Absichten der Stadtverwaltung. Während Raworth und van Doorninck auf der Bühne der Donut-Tage plaudern, meldet sich eine ältere Frau zu Wort, sichtlich in Rage. Es gebe einen Ort, der perfekt in das Konzept der Donut-Ökonomie passe, und eben diesen wolle die Stadt zerstören, ruft sie. Sie spricht von dem erwähnten Lutkemeerpolder am Stadtrand. Die landwirtschaftliche Idylle war einst viel von dem, was Raworth als Lösung anpreist: eine gemeinschaftlich genutzte Fläche, ein multikultureller Begegnungsort, ein Hotspot für Artenvielfalt und eine nachhaltige Lebensmittelquelle.
Auf der Bühne wird die Stadträtin van Doorninck ein bisschen blass und ihr Tonfall schwankt ins Defensive, während sie einen Text herunterrattert, der gut einstudiert wirkt. Sie spricht von jahrzehntealten Verträgen und von den vielen Millionen Euro, die es kosten würde, aus diesen Verträgen herauszukommen. Sie spricht von einem »Dilemma, das sehr weh tut«.
Eine Transformation, die nicht weh tut
Die Haltung der Stadtverwaltung ist klar: Nachhaltigkeit und Transformation ja – aber nicht in dieser konkreten Angelegenheit. Und so scheint es sich mit ihrer ganzen Donut-Strategie zu verhalten. Der Wille für Veränderung ist da, und wo es nicht so weh tut, geschieht diese Veränderung auch. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft fossile Ressourcen durch erneuerbare zu ersetzen und generell besser zu recyceln, ist eine immense Herausforderung. Doch im Großen und Ganzen bleibt der Eindruck: die Stadtverwaltung lässt zu, dass vieles weiterläuft wie bisher.
Die Stadt strukturell zu erneuern – sich von Wirtschaftsinteressen zu trennen, gemeinschaftliche Eigentumskonzepte zu ermöglichen, Vermögen umzuverteilen –, das sind stärkere und manchmal schmerzliche Eingriffe. Hier müssten mächtige Akteur:innen Macht aufgeben. Was in Amsterdam passiert, ist mehr als ein bisschen Zuckerguss, der vergossen wird, um den Anschein eines Donuts zu erwecken. Doch einige wichtige Zutaten fehlen (noch) im Teig, denn bisher benutzt die Stadt die Donut-Ökonomie vor allem als Synonym für Kreislaufwirtschaft. Die Frage nach sozialer Gerechtigkeit und Umverteilung – also der innere Kreis des Donuts – ist bisher kleinteiligen Bürger:inneninitiativen überlassen. »Natürlich bewegt sich die Stadt zu langsam«, sagt die Ökonomin Kate Raworth. »Überall auf der Welt geht es zu langsam.« Dass Amsterdam überhaupt beginnt, sein Wirtschaftssystem zu überdenken, scheint sie aber optimistisch zu stimmen.
Die Aktivist:innen vom Lutkemeerpolder sehen das anders. Auf einem Klimacamp ein Jahr später, im August 2021, sitzen sie auf Heuballen auf den trockenen Feldern im Polder herum und planen eine Blockade der Baustelle für den nächsten Morgen. Die
Redaktion: Benjamin Fuchs
Titelbild: nenilkime - copyright
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