Diese Zahlen zeigen: Systemwandel bringt dem Klima mehr als grüner Lifestyle
Vegane Ernährung, Fahrrad statt Auto und kleine Wohnung: All das ist gut fürs Klima. Doch systematische Veränderungen sind um ein Vielfaches wirksamer, zeigt diese Studie. Gut, dass die meisten Menschen dafür sind!
»Wer muss sich ändern: Das System oder ich?«, über diese Frage haben die Kollegin Katharina Wiegmann und ich
In Bezug auf die Klimakrise und die Bemühungen um mehr Klimaschutz bin ich nun auf interessante Zahlen gestoßen, die diese oft schwammige Diskussion bereichern. Ein französisches Forschungsteam hat sich in einer
Dabei legen die Forschenden den durchschnittlichen CO2-Ausstoß französischer Bürger:innen von 10,8 Tonnen CO2 pro Jahr und Person zugrunde, der dem Deutschen sehr nahe kommt. Nun berechnen sie, wie sehr sich dieser persönliche CO2-Fußabdruck dem Paris-konformen Ziel von 2 Tonnen CO2 pro Jahr und Kopf nähert, wenn die Menschen auf individueller Ebene ihre Entscheidungen voll und ganz zugunsten des Klimas treffen. Also: Tierische Produkte im Speiseplan zunehmend durch pflanzliche ersetzen, den Zug statt den Flieger nehmen, LED-Birnen einschrauben und wiederverwendbare Wasserflaschen statt Einwegplastik nutzen.
Ihre Schlussfolgerung: Diese Einsparungen machen schon einen gewissen Unterschied und bringen uns dem Pariser Klimaziel um etwa 10% näher. Weitere 10% auf dem Weg zum Zielwert bis 2050 wären mithilfe von energetischen Sanierungen beim Wohnen und besseren Heizungen zu erreichen; ein Sektor, den die Autor:innen irgendwo zwischen persönlicher und systemischer Entscheidungssphäre ansiedeln.
Doch mit diesen 20% Emissionsreduzierung fehlen noch 60%, um in Summe auf eine 80%ige Reduktion zu kommen, wie sie die Pariser Ziele erfordern. Und genau hier kommt das System ins Spiel: Mit konsequenter Klimapolitik und klaren Klimaschutzprogrammen in der Wirtschaft ließen sich im Transport, im Bau, in der Landwirtschaft und im Energiesektor die restlichen 60% einsparen. Das Einsparpotenzial im System ist den Autor:innen zufolge also 3-mal so hoch wie das auf individueller Ebene.
Individuelle Änderung reicht nicht – selbst wenn es alle täten
Also, wer muss sich ändern? Natürlich am besten beide – die großen Potenziale aber liegen laut der Studie im System. Dazu schreiben die Autor:innen:
… um den CO2-Fußabdruck der Wirtschaft zu senken, ist individuelles Handeln sicher Teil der Antwort, aber es genügt nicht, um die nötigen Reduktionen zu erreichen. […] Neben den Bemühungen in unserem Privatleben, die bereits stattfinden sollten, sollte das System seine Bürger:innen und Angestellten dabei unterstützen, indem es sie zu einem Wandel anstößt, der radikaler und tiefgreifender ist als das, was derzeit stattfindet.
Eine Annahme, die der Studie zugrunde liegt, ist besonders interessant: Die Autor:innen weisen darauf hin, dass diese 20%ige Einsparung nur dann eintritt, wenn alle Menschen auf individueller Ebene sofort den Rahmen ihrer Handlungsmöglichkeiten voll ausschöpfen und direkt zu ambitionierten und idealistischen Klimaschützer:innen werden. Also über Nacht zu einem Volk von Rad fahrenden, in Wohnungen lebenden Veganer:innen werden. Ein – optimistisch ausgedrückt – unwahrscheinliches Szenario.
Für treffender halten die Autor:innen die Einteilung der Bevölkerung in 3 Gruppen: 20% »Ambitionierte«, 60% »Durchschnittliche« und 20% »Resistente« in Bezug auf privaten Klimaschutz. Erstere passen ihr Leben aus eigenem Antrieb den klimatischen Erfordernissen an, und tun das auch unter heutigen Bedingungen schon. Die »Durchschnittlichen« hingegen haben wohl nichts einzuwenden gegen ein paar vegetarische Tage pro Woche, vielleicht verreisen sie auch mal im Zug, und wenn es sich rechnet, spricht für sie auch nichts gegen eine Solaranlage auf dem Dach. Doch ihre gewohnten Bahnen werden sie ohne externe Anreize und Regeln nicht verlassen. Auto, Flugreise und Steak gehören dafür zu selbstverständlich zum Leben dazu. Die »Resistenten« hingegen halten nichts von der »Klimaschutzideologie«; sie beharren auf ihrem Freiheitsverständnis, in dem Klimagerechtigkeit nicht vorkommt, und lehnen es entsprechend ab, ihr Leben in irgendeiner Form zu ändern.
Dieses Modell der Bevölkerung mag grob und vereinfachend sein, es ist aber dennoch deutlich realistischer, als mit 100% ambitionierten Ökovorreitern zu kalkulieren. So kämen dann durch individuelle Bemühungen beim Klimaschutz sogar nur 10% der nötigen Einsparungen zustande, so die Studie. Allein oder primär auf individuelles Handeln zu setzen, führt also zielstrebig in die Klimakatastrophe.
Das Modell veranschaulicht aber auch die Wechselwirkungen zwischen systemischem und individuellem Wandel: Über Steuern, (abzuschaffende) Subventionen, Förderungen, Infrastruktur etc. werden klimafreundliche Verhaltensweisen einfacher, billiger und letztlich »normaler«. Für die 60% aus der Mitte sind das oft die entscheidenden Faktoren bei Konsumentscheidungen. Doch natürlich gibt es auch systemische Bereiche, von denen die meisten Menschen nur am Rande etwas mitbekommen. Denken wir etwa daran, mit welchem Energieträger Waren über See transportiert werden.
Das heißt allerdings nicht, dass wir uns entspannt zurücklehnen können. Ein systemischer Wandel verändert das eigene Leben nicht weniger als ein individueller. Das Ziel ist schließlich dasselbe: Am Ende müssen Emissionen, Ressourcen- und Energieverbrauch sinken. Also weniger Fleisch und mehr Pflanzen auf dem Teller, weniger Auto- und dafür mehr Zug- und Radfahrten, daran führt kein Weg vorbei. Selbes gilt für kleinere, energiesparendere Wohnungen und mehr Nutzen statt Shoppen. Systemischer Wandel heißt dann für uns, dass diese Dinge so viel attraktiver werden, dass wir sie ganz automatisch wählen – auch ohne idealistische Weltsicht.
Die Mehrheit will den Systemwandel
Passend zur Frage nach dem Wandel flatterten Ende Oktober die Ergebnisse einer
- 77% der Deutschen halten den Klimawandel und seine Folgen für die größte Herausforderung der Menschheit.
- 72% finden, dass sich der Klimawandel auf ihren Alltag auswirkt.
- 68% glauben, dass sie sich mehr Sorgen um den Klimanotstand machen als ihre Regierung.
- 63% befürchten, dass ihr Land es nicht schaffen wird, seine CO2-Emissionen drastisch zu senken.
- 62% würden eine Steuer auf Produkte und Dienstleistungen begrüßen, die am stärksten zur Erderwärmung beitragen.
Ob die Menschen erzwungene Klimaschutzmaßnahmen vor allem ihrer Mitmenschen wegen befürworten oder weil sie hoffen, so auch den eigenen Schweinehund zu überwinden, fragt die Umfrage nicht ab. Klar ist: Wer heute damit anfängt, landet weicher in einer Zukunft, in der klimafreundliches Verhalten die neue Norm ist.
Kurze Anmerkung: In der ursprünglichen Version habe ich vom »systematischen« Wandel geschrieben, richtig in diesem Kontext ist aber der »systemische« Wandel. Diesen Fehler habe ich korrigiert.
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Titelbild: unsplash/PD - CC0 1.0