Diese 4 Fakten über den Corona-Winter zeigen, dass jetzt etwas passieren muss
Die Impfung sollte alles ändern. Trotzdem rauscht Deutschland in einen Winter, der schlimmer werden könnte als der letzte. Woran das liegt und was jetzt hilft, die Welle zu brechen.
32.000 positive Tests an einem Tag: So lautete die Bilanz, die das Robert Koch-Institut am 16.11.2021 auf seiner Website veröffentlichte.
Auch die
Schaut man auf die steigenden Inzidenzen, scheint es fast so, als wiederhole sich der Winter 2020, nur eben ohne Lockdown. Sollte die Impfung nicht alles besser machen? Die Erklärung für die aktuelle Entwicklung ist im Grunde ganz einfach:
- Die Delta-Variante: Sie dominiert seit Juli 2021 in Deutschland und ist ansteckender als die zuvor grassierenden Virusvarianten. Daraus resultiert ein hohes Ansteckungsrisiko – es wird immer wahrscheinlicher, früher oder später auf das Virus zu treffen.
- Nachlassender Impfschutz: Die Wirkung der Impfung lässt mit der Zeit nach, das Ansteckungsrisiko steigt (aber dazu später mehr).
- Zu viele Ungeimpfte: Der hohe Anteil Ungeimpfter ist nichts Neues, wird aber jetzt immer problematischer. 22% der Menschen über 18 sind derzeit noch ohne Impfschutz, bei den 12–17-Jährigen sind es 57%.
- Keine Kontaktbeschränkungen: Viele Menschen treffen sich derzeit, als sei die Pandemie vorbei; letzte Woche feierten Tausende Menschen beispielsweise den Karneval in Köln. Geltende 2G- oder 3G-Regelungen wurden bisher zu selten kontrolliert.
Die kleine Verschnaufpause ist zu Ende
Spätestens jetzt ist die kleine Verschnaufpause, die Impfung und Sommer ermöglicht haben, also vorbei. Und ja, es wäre schön, wenn dieser Text nicht nötig wäre. Doch wer in den letzten Wochen in die sozialen Medien geblickt oder die Kommentarbereiche von Onlinemagazinen gelesen hat, weiß: Noch immer sind Unmengen falscher Informationen im Umlauf.
Dieser Text fasst deshalb noch einmal die 4 Fakten zusammen, die in der Diskussion um den zweiten Corona-Winter gerade besonders relevant sind – sie machen deutlich, warum wir jetzt (wieder) handeln müssen und warum Impfungen nach wie vor eine entscheidende Rolle spielen.
1. Ja, es landen mehr Geimpfte im Krankenhaus – aber dass die Impfung deshalb nicht wirkt, ist ein Fehlschluss
In den letzten Wochen kam es immer wieder zu Meldungen, aus denen hervorging, dass mehr Menschen mit Corona im Krankenhaus landen, obwohl sie geimpft sind. Das stimmt auch – doch daraus zu schließen, die Impfung wirke nicht, ist zu kurz gedacht. Ein Blick in die Zahlen, beispielhaft schauen wir uns die Gruppe der über 60-Jährigen an, verdeutlicht das:
In den
Sieht man sich die jeweiligen Gesamtzahlen von Geimpften bzw. Ungeimpften an, entsteht ein Bild, das die Wirksamkeit der Impfungen deutlich hervorhebt und nicht etwa gegen sie spricht.
Ein Problem in der derzeitigen Berichterstattung: Es wird nur selten angegeben, wie groß die Grundgesamtheit ist, aus der eine Zahl stammt. Zugegeben, die vielen Zahlen machen die Darstellung etwas komplizierter. Sie sind aber immens wichtig, um die Wirksamkeit von Impfungen korrekt abzubilden.
Die Zahlen zeigen: Ohne Impfung hätten wir ein Problem
Die obige Rechnung ist, wie immer, etwas vereinfacht und gilt nur beispielhaft für den angegeben Zeitraum. Um aussagekräftige Werte zu erhalten, müssen deshalb noch einige weitere Faktoren miteinbezogen werden. Das haben die Statistiker:innen des RKI getan und für den Zeitraum von Anfang Oktober bis Anfang November eine Impfeffektivität von etwa 72% für alle ab 18 Jahren geschätzt. In diesem Zeitraum ist die Wirkung im Vergleich zum Durchschnitt der Monate zuvor etwas gesunken, unter anderem weil die Wirksamkeit der Impfung langsam nachlässt. Aber: Der Schutz vor Hospitalisierung lag auch in den letzten 4 Wochen bei ca. 88 % für die 18–59-Jährigen und bei ca. 85% für die über 60-Jährigen. Der Schutz vor einer Behandlung auf der Intensivstation lag mit 93% (bei 18–59-Jährigen) und 90% (bei über 60-Jährigen) noch höher.
Wer sich die Zahlen vergegenwärtigt, kann sich leicht ausmalen, wo wir ohne die Impfstoffe stehen würden. Das effektivste Mittel gegen die Pandemie ist deshalb nach wie vor die Impfung. Denn sie verhindert, wie oben erklärt, eine große Zahl schwerer Verläufe und schränkt gleichzeitig die Weitergabe des Virus ein. Das wiederum entlastet die Intensivstationen, was derzeit dringend nötig ist.
2. Die Intensivstationen gelangen früher an ihr Limit als im letzten Jahr – es fehlt Pflegepersonal
In einer Umfrage vom Oktober stellte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) fest, dass etwa 20% der verfügbaren Betten auf Intensivstationen nicht genutzt werden können. Der Grund: Es mangelt an Personal.
Laut DIVI hätten im vergangenen Jahr immer mehr Pflegekräfte gekündigt, durch die Pandemie hätten sich die ohnehin schon schlechten Arbeitsbedingungen noch verstärkt. Vor einem Jahr hätten noch
Aktuell steigt die Zahl der Patient:innen mit Covid-19, die auf der Intensivstation behandelt werden, wieder steil an, die Zahl freien Betten sinkt.
Je mehr – eigentlich vermeidbare – Fälle die Intensivstationen blockieren, desto größer ist das Risiko für alle anderen, die Hilfe brauchen: Sei es ein Krebspatient, eine Schlaganfallpatientin oder eine Person, die am Herzen operiert werden muss. Die Notfallversorgung ist in manchen Kliniken bereits eingeschränkt, wichtige Operationen müssen verschoben werden.
3. Die Drittimpfung wird jetzt wichtig – und ist dennoch nicht die (alleinige) Lösung für den Winter
Bisher haben rund
Forschende aus Israel untersuchten beispielsweise eine große Kohorte von fast 34.000 Personen, die vollständig mit dem
Zahlen aus Israel belegen auch die Wirksamkeit der dritten Impfung:
In Israel erreichte die vierte Infektionswelle im September ihren Höhepunkt, etwa zu dem Zeitpunkt, als die Hälfte der Bevölkerung ein drittes Mal immunisiert war.
Drittimpfung wird für alle bezahlt, aber noch nicht für alle empfohlen
Seit dem 18. November empfiehlt
- Bewohner:innen von Altenpflegeeinrichtungen
- Bewohner:innen von Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
- Pflegebedürftige
- Personen mit Immunschwäche
- Menschen ab 70
- Pflegepersonal und andere Menschen, die in Pflegeeinrichtungen arbeiten
- Personal in medizinischen Einrichtungen mit Patient:innenkontakt
Die STIKO hatte ihre ursprüngliche Empfehlung für Auffrischimpfungen ausgeweitet, um neben dem Schutz der Einzelnen auch die Übertragung von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung zu reduzieren. Laut STIKO soll so die Infektionswellen abgeschwächt und zusätzliche schwere Erkrankungs- und Todesfälle verhindert werden. Gibt es mehr Kapazitäten als nachgefragte Impfungen, kann auch schon nach 5 Monaten aufgefrischt werden. Im Zweifel hilft es, mit dem Hausarzt oder der Hausärztin zu sprechen.
Welcher Impfstoff für Drittimpfung?
Durchgeführt werden sollen alle Booster-Impfungen mit einem mRNA-Impfstoff. Unter 30-Jährigen empfiehlt die STIKO dafür das Vakzin von Biontech/Pfizer, für alle anderen kommt auch Moderna infrage.
Doch auch wenn die Auffrischungsimpfungen für einzelne Personen bereits Wirkung zeigen:
4. Wir werden uns erneut einschränken müssen, damit das Gesundheitssystem nicht überlastet. So könnte das aussehen
Die etwa 15 Millionen Ungeimpften in der Altersgruppe ab 18 Jahren und die noch langsam anlaufenden Booster-Impfungen sind die zentralen Gründe dafür, dass wir uns in diesem Winter wieder einschränken müssen. Hinzu kommt, dass bisher nur ein kleiner Teil der Menschen in Deutschland mit SARS-CoV-2 infiziert war, eine natürliche Immunität besteht in der Bevölkerung also kaum.
»Berücksichtigt man die unentdeckten Fälle, dann hatten rund 10–15% der Bevölkerung direkten Kontakt mit dem Virus. Das bedeutet gleichzeitig, dass man im eigenen Familien- und Freundeskreis wahrscheinlich nur wenige Personen kennt, die infiziert waren, einen schweren Verlauf hatten oder verstorben sind.
SARS-CoV-2 wird aller Wahrscheinlichkeit nach endemisch. Über kurz oder lang wird also im Prinzip jede Person mit dem Virus in Kontakt kommen. Die Entscheidung, die jede Person trifft, ist, ob sie sich vorher durch Impfung schützt oder nicht. Dadurch, dass bisher nicht genug Menschen geschützt sind, kann man die Vorsichtsmaßnahmen noch nicht vollständig aufheben, ohne die Krankenhäuser deutlich zu überlasten.
Die Maßnahmen, die auch diesen Winter helfen könnten, sind nicht neu: Abstand halten, Maske tragen, Hygieneregeln befolgen, regelmäßig testen (auch als Geimpfte:r), eingeschränkte Massenveranstaltungen, mehr (Booster-)Impfungen und die Symptome einer Erkrankung ernstnehmen. Auch wenn viele Menschen müde geworden sind, die Regeln einzuhalten, ist es aktuell vielleicht wichtiger als je zuvor.
Die Gruppe um Priesemann empfiehlt zudem, einen »Not-Schutzschalter« einzuplanen, sollte sich die Lage zu sehr zuspitzen. Dazu gehört den Forschenden zufolge ein Paket aus folgenden Maßnahmen:
- Homeoffice und engmaschige Testpflicht am Arbeitsplatz
- Eine Reduktion der Gruppengröße in Kindergärten, Schulen und am Arbeitsplatz
- Schließung/Reduktion von Geschäften, Restaurants, Dienstleistungen und Veranstaltungen
- Eine deutliche Reduktion von Kontakten bei der Arbeit, in der Öffentlichkeit und im privaten Bereich
- Vermehrtes Testen am Arbeitsplatz
Würden diese Maßnahmen im Ernstfall gebündelt für etwa 2 Wochen durchgeführt, sei der Effekt auf Dauer deutlich größer als beispielsweise ein monatelanger »Lockdown-Light«, betonen die Wissenschaftler:innen. So bliebe genug Zeit, um weitere Fortschritte bei den (Booster-)Impfungen zu erzielen.
Das ist nur ein Vorschlag von vielen – was die Politik daraus macht, ist noch nicht ganz klar. Sicher ist: Es muss jetzt etwas passieren, damit wir gut durch den Winter kommen.
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