Die Idee einer »Digitalen Welt« kann weg
Was Mark Zuckerbergs neues Projekt Meta über unser Verhältnis zum Internet verrät und warum die Idee eines digitalen »Anderswo« schädlich ist
Computer einschalten, 3D-Brille aufsetzen, einloggen und ganz in digitale Weiten abtauchen. So stellt sich der Chef von Meta (ehemals Facebook),
Ein kollektiver virtueller Raum soll alle Computer auf dem Planeten verbinden und es Nutzer:innen ermöglichen, mit ausgedachten 3D-Figuren (Avataren) durch eine Art Internetstadt zu spazieren, zu shoppen, sich zu treffen – und vielleicht sogar dort zu arbeiten.
Doch es gibt tatsächlich eine Neuerung, mit der Meta-Chef Zuckerberg doch als Visionär aus der Sache hervorgehen könnte: Ein Handschuh soll endlich ermöglichen, Dinge im Internet »anzufassen«. Die Technik dafür ist vorhanden – doch statt einem kräftigen Händedruck dürften Nutzer:innen höchstens ein leichtes Druckgefühl spüren. Anfassen im Cyberspace? Fehlanzeige.
Nein, das »Metaverse« kommt 20–30 Jahre zu spät und hat gute Chancen, trotz Milliardeninvestitionen als einer der großen »Meh«-Momente des technischen Fortschritts in die Geschichte einzugehen – wie 3D-Brillen im Kino.
Zuckerberg arbeitet also an einer »digitalen Welt«, von der oft heute schon die Rede ist, wenn wir das normale Internet meinen.
Denn eine digitale Welt gibt es gar nicht.
Warum glauben wir, dass das Internet ein »Ort« sei?
Stopp. Halte kurz inne.
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Auf deinem Smartphone oder deinem Laptop, vielleicht abends im Bett mit einem Tee auf dem Nachttisch oder in deinem Lieblingssessel?
Hast du deine tatsächliche Umgebung für einen kurzen Augenblick vergessen, während du auf den Bildschirm geschaut hast?
Genau das ist schon der ganze Trick: die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, bei der Konzentration auf eine bestimmte Tätigkeit andere Stimuli in den Hintergrund treten zu lassen. Immersion nennt das die Neuropsychologie.
Totale Angebotsüberflutung per Knopfdruck.
Das erklärt das Gefühl, beim Einloggen die eigene Realität zu verlassen. Und es erklärt gängige Sprachmuster, die sich zu diesem Verhalten etabliert haben. Wir »gehen kurz ins Netz«, wir »surfen« oder »tauchen ab«. Doch dieses Gefühl macht das Internet nicht zu einem eigenen Ort. Es ist vielmehr ein Hinweis darauf, dass Menschen das Netz auch dazu benutzen, um ihren Alltag auszublenden.
Und das Internet hat noch einen zweiten
Eben.
Zurück zum Metaverse.
Warum es wichtig ist, dass das Netz kein »Anderswo« ist
Wenn Mark Zuckerberg davon schwärmt, im Internet endlich »herumlaufen« und es »anfassen« zu können, dann befeuert dies nur die irrige Vorstellung, das Internet sei eine Art eigene Sphäre, die wir nur besuchen – eine Sphäre, die eigene Regeln hat (die Zuckerberg mit seinem Unternehmen entwerfen und prägen möchte).
Abseits von Metas Zukunftsplänen hat sich die Vorstellung von einem digitalen Anderswo längst in unserer Sprache manifestiert,
Das ist ein Problem.
Denn in der immer wieder angedeuteten Trennung zwischen realer und »digitaler« Welt schleicht sich leicht die Vorstellung ein, im Netz würden andere Regeln herrschen. Diese Vorstellung allein reicht manchen Menschen, sich selbst grünes Licht für Aktionen jenseits gesellschaftlicher Regeln und Normen zu geben – von sexualisierter Belästigung per Dickpicks über das Führen und Verteilen von »Feindeslisten« bis hin zu wüsten Schlammschlachten und Hassmobs in sozialen Medien.
Andere Menschen glauben aus demselben Grund, diese gesellschaftlich zur Schau gestellten Abgründe erdulden zu müssen, denn: »Es ist halt das Internet. Was soll man schon machen?«
Natürlich lassen diese Plattformen den Inhalten freie Fahrt und deren Algorithmen befeuern sie noch. Doch immer mehr Hatespeech-Expert:innen sind sich sicher, dass der sich dort manifestierende Hass einen anderen Ursprung hat: Er ist nur ein Symptom und sein Ursprung ist in einer Erosion des Vertrauens von Menschen in Politik
Vielleicht sollte Politik eher dort ansetzen.
Doch es ist eben auch bequem, das Netz als eigene Sphäre zu sehen, mit eigenen Problemen und eigenen Lösungen – das Problemviertel unserer ansonsten braven Gesellschaft.
Manche Politiker:innen tun so, als seien das Internet und seine Regulierung Neuland. Dabei feiert die E-Mail dieses Jahr ihren 50. Geburtstag.
Um eine echte Zukunftsvision zu haben, müssen wir in den Spiegel im Netz schauen
Wir alle sollten »offline« und »online« endlich als 2 Facetten des modernen Lebens begreifen, die sich stark durchdringen und beeinflussen. Diese Erkenntnis ist übrigens nicht neu und vor allem bei nachkommenden Generationen selbstverständlich.
Mit dieser Perspektive wird klar, warum es keinen »Hass im Internet« gibt, sondern bloß »Hass in der Mitte unserer Gesellschaft«, der im Internet nur sichtbarer ist. Und es wird ebenso klar, dass einige Internetunternehmen wie Meta oder Amazon unseren Gesetzen und Regeln eine lange Nase zeigen – wofür sie von der EU finanziell endlich stärker belangt werden.
Anstatt von »Problemen im Netz« zu sprechen, sollten wir also lieber Probleme in unserem Land benennen. Der Blick ins Netz ist nämlich nicht ein Blick in eine andere Sphäre – sondern ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, das uns die hässlichen Seiten nur deutlicher sehen lässt.
Mit Illustrationen von Aelfleda Clackson für Perspective Daily