Hier entsteht eine Wirtschaft, die ohne Öl, Kohle und Gas auskommt
Fossile Rohstoffe durch Alternativen vom Acker ersetzen: Die Bundesregierung investiert Milliarden in die Erforschung der sogenannten Bioökonomie. Doch gibt es in Deutschland und weltweit überhaupt genug Platz für diese Vision?
Die Solarplatten wandern mit der Sonne von Osten nach Westen, recken ihre Hälse, immer darauf erpicht, voll im Licht der Sonne zu stehen. Gute Ausgangsbedingungen dafür haben sie: Auf dem
Dieses intelligente Zusammenspiel aus Photovoltaikanlage zur Stromerzeugung und landwirtschaftlichem Anbau nennt sich
Klingt gut, doch Moment: Was ist eine Bioökonomie überhaupt?

Bioökonomie, was ist das und wie funktioniert sie?
Was ist Bioökonomie?
Es gibt keine allgemeingültige Definition von Bioökonomie. Die Bundesregierung versteht in ihrer »Nationalen Bioökonomiestrategie« darunter eine Wirtschaftsweise, die Kohle, Erdöl, Erdgas als Rohstoffe für Produkte durch nachwachsende Rohstoffe ersetzen will. Andere endliche Rohstoffe wie Lithium oder Kupfer, die nicht dadurch ersetzt werden können, sollen geschont werden. Das Konzept orientiert sich an der Kreislaufwirtschaft. Die Regierung verbindet die Bioökonomie mit nachhaltigem Wirtschaftswachstum. NGOs plädieren für eine Bioökonomie in einer Postwachstumsgesellschaft.
Eine wissens- und technologiebasierte Wirtschaft ohne Kohle und Öl, die sich nur aus nachwachsenden Rohstoffen und erneuerbaren Energien speist und in der es kaum Müll gibt, sondern fast alles aufbereitet und wiederverwendet wird: Genau das ist die Utopie der Bioökonomie, wie sie in und um den Hambacher Tagebau entstehen soll. Momentan ist sie aber eher noch als Grundgedanke für einen Systemwandel zu verstehen, der Menschen hilft, vom Einsatz fossiler Rohstoffe wegzukommen.
»Grundlage für die Bioökonomie ist das Nutzen und die Verarbeitung von Biomasse wie Holz oder organischen Resten der Lebensmittelverarbeitung, aber auch Tieren, Insekten und Mikroorganismen. Bei der Umwandlung von Biomasse in Materialien oder Chemikalien haben die Stoffwechseleigenschaften von Mikroorganismen eine Schlüsselrolle«, erklärt mir Christian Klar im Videogespräch. Er koordiniert die Strukturwandelinitiative
Wie eine Bioökonomie im Rheinischen Revier aussehen kann und welche Rolle die Initiative BioökonomieREVIER dabei spielt, erklärt das Forschungszentrum Jülich in diesem Video.
In der Praxis
Um möglichst viele Produkte und Prozesse, die auf der Verarbeitung von Kohle, Erdgas und Erdöl basieren, durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen, braucht es eine enge Zusammenarbeit von Industrie, Wirtschaft und Forschung. Wir müssen komplett neue, kreislaufförmige Wertschöpfungsketten für das Rheinische Revier entwickeln und sie auch wirklich nachhaltig gestalten. Denn Bioökonomie ist nicht per se nachhaltig.
Das Problem:
Hat die Welt genügend Platz für eine Wirtschaft mit nachwachsenden Rohstoffen?
Denn:
Die Agrarwissenschaftlerin glaubt, dass es global genügend Biomasse für eine weltweite Bioökonomie und auch ausreichend Platz für deren Anbau gibt, wenn jegliche Effizienzen ausgeschöpft werden. Wenn also intelligent(er)e Lösungen genutzt werden, um Biomasse sinnvoll zu nutzen und weiterzuverarbeiten, sowie alle Abfall- und Nebenprodukte effizient verwendet werden. Das Ganze national zu betrachten sei nicht möglich, kaum ein Land oder eine Region sind komplett autonom, der Im- und Export von Biomasse gehört zur globalisierten Welt dazu.
Land ist da, doch mit dem jetzigen Konsummuster können wir unseren eigenen Verbrauch nicht von dem Land decken, das uns in Deutschland zur Verfügung steht.
Global kann eine Bioökonomie also funktionieren – in der Theorie zumindest. In der Praxis ist es etwas komplexer, denn im Prinzip können wir Biomasse für 3 Dinge auf den zur Verfügung stehenden Flächen anbauen, die alle in Konkurrenz zueinander stehen: Essen, Materialien, Energie. Ersteres ist alternativlos, die Nutzung von Biomasse als Rohstoff für neue Materialien soll zunehmen und die Nutzung von Pflanzen für Energie kann durch Wind, Wasser und Solarenergie weitgehend ersetzt werden.
Derzeit werden
»Wenn der Großteil der Energie in Zukunft aus Sonne und Wind gewonnen wird, haben wir genug Biomasse, um die Weltbevölkerung mit allem zu versorgen, was nötig ist: Nahrungsmittel und auch Materialien«, so Lewandowski. »Aber Menschen leiden nicht an Hunger, weil weltweit nicht genug Nahrungsmittel produziert werden, sondern weil sie keinen Zugang dazu haben. Für Hunger sind in der Praxis vor allem politische Gründe und Verteilungsfragen verantwortlich.«
Daran kann die Bioökonomie nichts ändern. Sie könne Menschen jedoch dazu befähigen, sich selbst mit Nahrungsmitteln zu versorgen und unabhängiger vom globalen Weltmarkt zu werden, findet Lewandowski. Denn das Ziel der biobasierten Wirtschaft sei es, möglichst regionale Lösungen zu finden. So auch im Rheinischen Revier.
Was muss ich beim Aufbau einer Bioökonomie alles bedenken?
»Da die Bioökonomie so viel Platz braucht, sorgen sich die Leute, dass nun jedes Fitzelchen genutzt wird, um industriell ausgebeutet zu werden«, erzählt Christian Klar von BioökonomieREVIER. »Doch das geht nicht, damit würden wir uns nur unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstören. Ohne fruchtbare Böden, Naturschutz und die Erhaltung der Biodiversität geht das Konzept nicht auf.«
Um eine nachhaltige Bioökonomie aufzubauen, die möglichst viele Menschen versorgen kann, muss klar geregelt sein:
- Welche Flächen stehen uns zur Verfügung und wofür werden sie genutzt (Land- und Forstwirtschaft, Siedlungen und Industrie, Infrastruktur, Naturschutz)?
- Welche biologischen Ressourcen stehen uns bereits zur Verfügung (Anbau, aber auch ungenutzte Potenziale wie Reststoffe oder »Müll«)? Wie lassen sich diese effizienter und platzsparender anbauen, nutzen und weiter- oder wiederverwerten?
- Welche Pflanzen können wie angebaut werden, um klimafreundlich qualitativ hochwertige Biomasse zur Verfügung zu stellen?
- Und wie lassen sich dabei der Naturschutz und die Artenvielfalt erhalten?
Genau diese Fragen versucht die Initiative BioökonomieREVIER derzeit für das Rheinische Revier zu beantworten.



Im Rheinischen Revier gibt es zudem eine Besonderheit:
Wie können die vorhandenen Flächen am besten genutzt werden?
Um die verfügbaren Flächen so effizient – das ist eines der beliebtesten Worte rund ums Thema Bioökonomie – wie möglich zu nutzen, müssen innovative, platzsparende Konzepte her. Eines ist die eingangs beschriebene Agri-Photovoltaik-Anlage. Hier kann auf der gleichen Fläche Strom erzeugt und Nahrung gewonnen werden. In Zukunft soll die Anlage auch noch das Wasser für die Bewässerung der Arnika sammeln und dosieren. Die lokalen Bäuer:innen können sich auch vorstellen, so regenempfindliche und fragile Früchte wie Himbeeren und Erdbeeren anzubauen. Das Forschungszentrum Jülich ist optimistisch, mittelfristig mit Agri-Photovoltaik in die Fläche zu gehen.
Andere Ideen sind: Abwechslungsreiche, längere Fruchtfolgen auf dem Acker mit Blütenpflanzen, welche Insekten und Bestäuber anlocken und die Erde sich erholen lassen, oder die Reduktion der Tierhaltung. »Fleischkonsum ist sehr ineffizient in der Flächennutzung«, sagt Iris Lewandowski. »Wenn ich Fleisch esse, brauche ich 10-mal so viel Fläche, wie wenn ich mich vegetarisch ernähre.« Christian Klar von BioökonomieREVIER stimmt ihr zu.
Welche Biomasse baue ich an und wie nutze ich sie?
Die eigentliche Arbeit beginnt im Labor.
Szenenwechsel: Ein weißer, steriler Raum. In der Mitte steckt eine Zuckerrübe, eingepflanzt in einen futuristisch anmutenden Scanner, wie aus einem Science-Fiction-Film. Nun fluten die Wissenschaflter:innen die mit meterdicken Wänden abgeschirmte Klimakammer langsam mit radioaktivem Kohlenstoff. Zuerst passiert nichts, doch dann zeigen sich rote Farbflecken auf dem Laptopmonitor, der das Geschehen wiedergibt. Gespannt schauen die Forschenden auf den Bildschirm und verfolgen, wie die Blätter der Zuckerrübe den Kohlenstoff aufnehmen, er durch die Pflanze wandert und sich in den Wurzeln ablagert.
Christian Klar und seine Kolleg:innen wollen verstehen, was sich dort unter der Erde abspielt.
Denn: Die biobasierten Rohstoffe in die Wertschöpfungsketten der Industrie zu integrieren, ist gar nicht so einfach. Die Pflanzenreste müssen möglichst vollständig aufgeschlossen und in die einzelnen chemischen Grundbausteine aufgetrennt werden können, aus denen die Industrie dann neue Produkte zusammenbauen kann.
Ebenso wichtig ist, wie schnell die Pflanzen wachsen und den gewünschten Zustand erreichen. Können Rohstoffe nicht rasch genug nachwachsen, wird die
Die Bioökonomie bekannter machen
Die Bundesregierung möchte regionale Bioökonomien etablieren, doch fast niemand kann mit dem Wort etwas anfangen.
»Ich finde, dass die Bundesregierung in der Bioökonomieforschung viel tut, aber eigentlich gar nicht darüber redet«, sagt Christian Klar. Den Job als Sprachrohr übernimmt die Initiative BioökonomieREVIER, zumindest für die Region.
»Bald werden auf den Feldern der Region viel mehr Agri-Photovoltaik-Anlagen und andere Multinutzungskonzepte zu sehen sein«, sagt Christian Klar. Er spricht fast jeden Tag mit einem oder mehreren Akteuren aus der Region, um sie
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