Digitaler Minimalismus: Wie wir besser leben, wenn wir Technologien aufs Wesentliche reduzieren
Smartphones und soziale Medien haben uns die letzten Momente der Einsamkeit geraubt und belagern unser Bewusstsein. Welche Folgen das hat und wie wir mithilfe des Digitalen Minimalismus zurück zu einem selbstbestimmten Leben finden, zeigt Cal Newport in seinem gleichnamigen Buch. Hier liest du einen Auszug daraus.
Als ich mit der Arbeit an diesem Kapitel begann, veröffentlichte ein Kolumnist der New York Post ein Editorial mit dem Titel »Wie ich meine Smartphone-Abhängigkeit loswurde – und wie auch Sie es schaffen können«. Sein Geheimnis? Er deaktivierte die Benachrichtigungsfunktionen von 112 verschiedenen Apps auf seinem iPhone. »Es ist relativ leicht, die Kontrolle zurückzugewinnen«, schloss er voller Optimismus.
Derartige Artikel gibt es oft in der Welt des Technologiejournalismus: Der Autor entdeckt, dass sein Verhältnis zu digitalen Tools dysfunktional geworden ist. Voller Besorgnis wendet er einen cleveren Lifehack an und berichtet dann begeistert, dass alles viel besser geworden sei. Ich bin bei solchen Schnelllösungen immer skeptisch. Meiner Erfahrung mit diesen Themen nach ist es schwer, sein digitales Leben allein durch die Anwendung von Tipps und Tricks zu reformieren. Das Problem ist, dass kleine Veränderungen nicht ausreichen, um unsere großen Schwierigkeiten mit neuen Technologien zu lösen. Die zugrunde liegenden Verhaltensweisen, die wir damit zu verändern hoffen, sind in unserer Kultur verwurzelt und werden, wie ich im ersten Kapitel dargelegt habe, von starken psychologischen Kräften gestützt, die unsere Grundinstinkte steuern. Um die Kontrolle zurückzuerlangen, müssen wir über kleine Korrekturen hinausgehen und stattdessen unser Verhältnis zur Technologie von Grund auf neu gestalten, und zwar auf der Basis unserer tief verankerten Wertvorstellungen.
Mit anderen Worten, der Kolumnist der New York Post sollte über die Benachrichtigungseinstellungen seiner 112 Apps hinausschauen und sich die viel wichtigere Frage stellen, warum er überhaupt so viele Apps benutzt. Was er braucht – was jeder von uns braucht, der sich mit diesen Problemen herumschlägt –, ist eine Philosophie der Techniknutzung, die von Grund auf abdeckt, welche digitalen Tools wir in unser Leben hineinlassen, aus welchen Gründen und mit welchen Einschränkungen. Mangelt es an dieser Selbstbeobachtung, sind wir weiterhin dem Kampf gegen einen Wirbelsturm aus suchterzeugenden und verlockenden Cyber-Kinkerlitzchen ausgesetzt, in der vagen Hoffnung, dass die richtige Kombination von Ad-hoc-Tricks uns rettet.
Mit Illustrationen von Aelfleda Clackson für Perspective Daily