Wollen wir telefonieren?
Weil Tippen praktischer ist, kommen wir seltener ins direkte Gespräch – doch Telefonieren bringt uns einander näher als eine Chat-Nachricht. Und eine Studie zeigt: Die Befürchtungen, die uns davon abhalten, zum Hörer zu greifen, sind unbegründet.
Hast du während der Feiertage zum Hörer deines Festnetztelefons gegriffen, um die Nummer von Verwandten und Freund:innen zu wählen? Oder hast du stattdessen Nachrichten in eine Messenger-App auf deinem Smartphone getippt, weihnachtliche Videos weitergeleitet oder schnell ein paar Bilder verschickt?
Wir finden immer seltener einen Grund zu telefonieren. Wollen wir etwas fragen, einen Gedanken oder eine Information teilen oder uns nur mal kurz melden, dann machen wir das per Textnachricht. Das geht schnell und überlässt der anderen Person die Entscheidung, ob sie sich gerade von unserer Mitteilung unterbrechen lassen möchte oder ob sie diese lieber später liest.
Wenn wir schreiben, statt miteinander zu sprechen, verpassen wir aber etwas sehr Wichtiges: Der Klang unserer Stimmen bringt uns einander näher, als ein stummer Text allein es kann. Das zeigen die Ergebnisse einer
Es ist gut möglich, dass das Klingeln eines Telefons bald so unbekannt sein wird wie das Surren eines Wählscheibentelefons
Weil Nachrichten zu schreiben so bequem ist, denken wir oft gar nicht darüber nach, dass wir auch anrufen könnten. Dabei ist gerade jetzt die perfekte Zeit, sich bei lieben Menschen zu melden und sie zu fragen, wie ihr Jahr war und wie sie die Feiertage verbracht haben. In einer ihrer ersten Studien fragten Amit Kumar und Nicholas Epley 300 Personen kurz vor und kurz nach Silvester, wie einsam sie sich fühlten. Je mehr Zeit die Befragten zum Jahreswechsel im Gespräch mit anderen verbrachten, desto weniger einsam waren sie. Wie oft sie sich aber in dieser Zeit über E-Mail, Textnachrichten oder soziale Medien mit anderen Menschen austauschten, hatte keinen Einfluss darauf, wie allein sie sich fühlten.
Oft ist es eine unbegründete Angst, die uns davon abhält, anzurufen
Wir tippen nicht nur, weil es praktisch ist, sondern auch, weil wir uns sicherer dabei fühlen. Zum Telefon zu greifen kostet oft etwas Überwindung. Da wir nicht wissen, wie die Person am anderen Ende der Leitung reagieren und wie die Unterhaltung laufen wird, setzen wir unser Ego dabei einem, wenn auch kleinen, Risiko aus: Was ist, wenn ich gerade störe? Was ist, wenn ich nicht weiß, was ich sagen soll, und herumstottere? Was ist, wenn die andere Person keine Lust hat, mit mir zu sprechen?
Die Ergebnisse waren gemischt: Die Befragten erwarteten einerseits, sich ihren früheren Freund:innen näher zu fühlen, wenn sie mit ihnen sprachen, befürchteten aber auch, dass es seltsam und unangenehm sein würde, sie einfach so anzurufen.
Doch das war nur der erste Teil der Studie: Die Wissenschaftler wollten schließlich auch wissen, ob die Erwartungen ihrer Proband:innen tatsächlich zutrafen. Im zweiten Schritt sollten sich die Teilnehmer:innen tatsächlich bei ihren alten Freund:innen melden und berichten, wie der Austausch lief. Ob sie telefonisch oder per E-Mail Kontakt aufnehmen sollten, entschied das Los.
Die Erfahrungen der Proband:innen zeigen, dass ihre Befürchtungen unbegründet waren. Für die Personen, die ihre alten Freund:innen nach vielen Jahren Funkstille anriefen, war die Unterhaltung nicht unangenehmer als für diejenigen, die sie anschrieben. Dafür fühlten sich die Teilnehmer:innen, die mit der einst vertrauten Person telefonierten, anschließend enger mit ihr verbunden als jene, die sich über E-Mail mit ihr austauschten.
Andere Menschen wirken präsenter – aufmerksamer, intelligenter, rationaler und empfindsamer –, wenn wir von ihnen hören, was sie zu sagen haben, anstatt es nur zu lesen.
Um sicherzugehen, dass dieser Verbundenheitseffekt nicht nur bei Studierenden auftrat oder Zufall war, führten die beiden Psychologen weitere Experimente durch. Das Ergebnis war immer das gleiche: Egal ob Fremde oder Freunde, ob E-Mail, Messenger, Telefon oder Videochat: Wer miteinander sprach, hatte mehr Freude dabei und fühlte sich seinen Interaktionspartner:innen näher, als wer nur Mitteilungen voneinander las.
Ob das Gespräch mit Video oder ohne war, machte dagegen keinen Unterschied. Die Forschenden erklären das damit, dass es hauptsächlich die Stimme ist, die Menschlichkeit und Nähe transportiert. Sie gibt den Worten einen bestimmten Tonfall, verleiht ihnen Betonung und legt Pausen fest. Dadurch verrät sie uns mehr darüber, was die andere Person denkt und fühlt. Die Stimme vermittelt die Präsenz eines Menschen – seine Persönlichkeit und seine Gedanken – besser und klarer, als die Worte allein es können, und baut damit Distanz ab.
Auch eine Sprachnachricht kann uns einander näher bringen.
Reicht dann schon eine Sprachnachricht für mehr Nähe? Davon gehen Amit Kumar und Nicholas Epley zumindest aus. In ihren Experimenten verwendeten sie zwar keine Sprachnachrichten, aber
Worauf wartest du also noch? Es gibt doch bestimmt ein paar Menschen, denen du einen guten Start ins neue Jahr wünschen willst. Warum rufst du sie nicht einfach an, statt ihnen an Silvester ein lustiges GIF oder eine Emoji-Parade zu schicken? Dass du dabei nichts verlieren, sondern einen Schub Freude und Verbundenheit bekommen und sogar schenken kannst, weißt du ja jetzt.
Titelbild: Cottonbro - CC0 1.0