2.000 Euro für alle, die ihr Auto verkaufen!
Elektro statt Verbrenner: Deutschland redet immer nur von der Antriebswende. Um eine echte Verkehrswende und die Klimaziele zu erreichen, braucht es aber mehr. Zum Beispiel eine Abschaffprämie!
Vor einigen Jahren hatte ich eine interessante Begegnung im Zug. Mir gegenüber saß ein Geschäftsmann aus der Automobilindustrie. Wir kamen ins Gespräch und nach einer Weile fragte ich: »Warum fahren Sie (als Automann) denn mit der Bahn, sogar mit einer BahnCard 100?« Dessen Antwort: »Vor einigen Jahren habe ich mir den Fuß gebrochen. Bruch und Operation waren kompliziert. Später meinte der Chirurg, ich könne jetzt ein Jahr kein Auto fahren. Das war für mich ein ziemlicher Schock. Und nach einiger Zeit wurde mir klar, dass ich ja auch mit der Bahn fahren kann. Als die BahnCard nach einem Jahr abgelaufen war, konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen, mit dem Auto zu fahren. Wenn ich jetzt nach Hause komme, sind die Berichte geschrieben, die Listen fertig und ich habe meistens Feierabend. Früher musste ich mich dann noch Stunden an den Schreibtisch setzen. Deswegen ist es für mich auch nicht so schlimm, wenn der Zug mal Verspätung hat.«
Gefangen in der Autoroutine
So wie der Geschäftsmann haben alle Menschen Gewohnheiten und Routinen. Als Routine bezeichnen Psychologen das, worüber man nicht mehr nachdenkt, nicht mehr nachdenken muss. Das macht sie so nützlich. Sie entlasten und ermöglichen es, dass sich die Menschen darauf konzentrieren können, was eine bewusste Entscheidung verlangt. Anders wäre der Alltag gar nicht zu bewältigen. Sie lenken das Fahrzeug, ohne die einzelnen Handlungsabläufe zu planen. Und sie erledigen ihre Einkäufe, Arbeitswege und vieles mehr mit dem Auto, einfach weil sie es immer so gemacht haben.
Hinzu kommt: Gefühlt fahren alle mit dem Auto. Ausnahmen bestätigen die Regel. Warum sollte man da auf seinen privaten Wagen verzichten? Für den Klimaschutz, gewiss. Und ja, mein Auto macht Städte nicht schöner. »Aber was bringt es schon, wenn ich verzichte und meine Nachbarn ändern nichts? Die finden durch meinen Verzicht nur leichter einen Parkplatz.«
Die Umstellung auf ein Leben ohne eigenes Automobil wird als radikal empfunden – auch von weiten Teilen der grünen Bewegung. Es ist sozial-kulturell und mental fest verankert. Es ist einfach sehr bequem, meistens. Und man hat seine Privatsphäre. Besonders für Menschen im ländlichen Raum ist es kaum vorstellbar, auf das Auto zu verzichten.Gefühlt fahren alle mit dem Auto.
Da kann auch der Weg zum Regionalbahnhof in 5 Minuten erreichbar sein, mit super Anbindung in die City. Die meisten stehen lieber in der Rushhour. Zu umständlich erscheint der Weg zum Bahnhof, Umstieg in den Zug, dann weiter mit Bus oder Rad zur Arbeit. Es sei denn, die Straßen in die City sind morgens so verstopft, dass der Zug deutlich effizienter erscheint.
Was löst das Umdenken aus?
Stau auf der Autobahn, nervige Parkplatzsuche, steigende Spritpreise und Parkplatzgebühren reichen bisher offenbar nicht aus, um einen Wandel der Mobilitätskultur anzuregen. Die Frustrationstoleranz ist enorm. Der Pkw-Bestand nimmt kontinuierlich zu, inzwischen sind es mehr als
So wie gestresste Menschen nach einem Herzinfarkt ihr Leben neu ordnen, erging es dem Geschäftsmann aus der Automobilindustrie mit dem gebrochenen Fuß. Der komplizierte Bruch veranlasste ihn, über Alternativen nachzudenken. Und so versuchte er etwas Neues, was er vermutlich sonst nie gemacht hätte. Er fährt mit der Bahn. Anfänglich wirkt alles ziemlich kompliziert und die Verspätungen nerven. Nach einigen Monaten ist die Fahrt mit der Bahn Routine geworden. Allmählich gewinnen mental die Vorzüge an Bedeutung und nach einem Jahr erscheint die berufliche Fahrt mit dem Auto nicht mehr so clever.
Wenn man also möchte, dass Millionen Menschen im Laufe der Verkehrswende ihr Auto freiwillig abschaffen, auf Carsharing umsteigen und viele Wege mit Bahn und Rad erledigen, dann braucht es einen Impuls von außen. Er muss stark genug sein, um die Gewohnheiten infrage zu stellen.
Viel Geld fürs Auto
Doch bisher ist die Bundesregierung offenbar nicht daran interessiert, dass Millionen ihre Gewohnheiten ändern und das Privatauto abschaffen. Im Gegenteil verschenkt sie Milliarden, damit die Menschen ihre automobilen Gewohnheiten beibehalten. In Deutschland gibt es viel Geld vom Staat, wenn man einen Dienstwagen fährt, wenn man einen Diesel fährt, wenn man E-Auto fährt, wenn man ein Hybrid-Auto kauft oder wenn man zur Arbeit pendelt. Insgesamt fördern die Behörden klimaschädliches Mobilitätsverhalten mit knapp 30 Milliarden Euro,
Nur wenn man sein Auto abschafft, dann gibt es kein Geld. Warum gibt es keine Förderung für das Naheliegende? Es dürfte wohl der weitaus effektivste Beitrag zu Klimaschutz und Verkehrswende sein, den man leisten kann. Eine Abschaffprämie könnte das fördern, und zwar so: Wer sein privates Auto abschafft und mindestens für ein Jahr autofrei bleibt, bekommt 2.000 Euro. Zum Vergleich: Im Jahr 2009 gab es für die Verschrottung eines Autos 2.500 Euro, heute bekommen Käufer eines E-Autos bis zu 9.000 Euro. Der Bund würde die Abschaffprämie zahlen, die Städte könnten die Prämie mit eigenen »Incentives« verstärken: Etwa durch ein günstiges Ticket für den Nahverkehr, einen Zuschuss für E-Bike oder CargoBike und – ganz wichtig – besondere Angebote für Carsharing. Denn die Umstellung fällt leichter, wenn sich ein Gemeinschaftsauto in unmittelbarer Nähe befindet.
Es gab Modellprojekte wie etwa
Zusammen mit einigen Verkehrsexperten im Wuppertal Institut bin ich davon überzeugt, dass solch ein Selbstversuch über ein Jahr lang genug ist, um neue Routinen zu etablieren. Diese innovative Form einer Abwrackprämie könnte als Milliardenprogramm die Transformation der Mobilitätskultur anstoßen. Wenn man die Prämie auf 2.000 Euro festlegt, würden bei einem Gesamtvolumen von 4 Milliarden Euro 2 Millionen Autos abgeschafft. Vorausgesetzt freilich, es finden sich genügend Interessenten. Das müsste man ausprobieren, zunächst in kleinem Maßstab. Details wären nach der Auswertung von Modellphasen festzulegen: Wie hoch sollte die Prämie sein, damit sie als attraktiv empfunden wird? Welche Incentives kommen gut an? Wie nah muss ein Carsharing-Wagen bereitstehen?
Der Zeitpunkt ist günstig
Knapp
Denn die Anschaffungskosten machen beim Privatauto den größten Anteil aus. Anschließend ergeben sich nur die Kosten für den Unterhalt und in der Regel sehen die Nutzenden allein den Spritpreis. Im Vergleich erscheinen Bus und Bahn dann sehr teuer, ebenso wie Carsharing, weil mit jeder Fahrt die Vollkosten abgerechnet werden. Aus dem Besitz des Fahrzeugs ergibt sich sozusagen der ökonomische Zwang, es auch zu nutzen, außer wenn Geld keine Rolle spielt.
Millionen haben schon einmal darüber nachgedacht, ihr Auto abzuschaffen.
Die politische Debatte zur Verkehrswende nimmt an Fahrt auf, wie auch die Umsetzung von Maßnahmen. Der Bund hat seine Investitionen in die Bahn deutlich erhöht, regionale Bahnstrecken werden eröffnet statt – wie in den Jahrzehnten zuvor – geschlossen. Die Zugverbindungen zwischen Großstädten sollen sich durch den »Deutschlandtakt« deutlich verbessern. Viele Städte verbessern ihre Nahverkehrs- und Sharingangebote, vergrößern ihre Radwegenetze, verbreitern die Radwege, investieren in mehr Sicherheit, fördern CargoBiking und vieles mehr. München, Hamburg und Berlin haben mit dem Rückbau von Parkflächen begonnen. Parken wird teurer und die CO2-Steuer erhöht den Spritpreis. All das hat bisher nicht bewirkt, dass sich nennenswerte Teile der automobilen Stadtgesellschaft vom Privatauto trennen. Hier setzt die Prämie an. Sie regt bestenfalls eine gesellschaftliche Debatte zum Thema Privatauto an. Womöglich ändert sich nicht nur die Einstellung des Empfängers, sondern der gesamten Gesellschaft.
Die Umstellung auf E-Mobilität reicht nicht aus
Die Bundesregierung redet nicht davon, aber um die Klimaschutzziele zu erreichen, wird sich auch
Es ist ein kaum vorstellbarer Kraftakt, die Autoflotte auf elektrische Motoren umzustellen, betrieben mit grünem Strom. Das ganze Vorhaben hängt von der Bereitschaft unserer Nation ab, ihre Mobilitätsroutinen zu überdenken.
Verschiedene Klimaschutzszenarien gehen von einem notwendigen
Eine Prämie für kein Auto klingt im autoverrückten Deutschland ziemlich abenteuerlich. Doch das Weniger in der Automobilindustrie führt zu einem Mehr in zukunftsfähigen Branchen: Der Nah- und Fernverkehr, die Fertigung von Bussen und Zügen, Rädern, CargoBikes und E-Scootern, und die damit auszubauende Infrastruktur bringt wirtschaftliches Wachstum.
Nun lässt sich fragen, ob es angemessen ist, den Autobesitzern noch mehr Geld hinterherzuwerfen. Wer hingegen nie ein Auto besessen hat oder bereits vor 5 Jahren auf Carsharing umgestiegen ist, bekommt nichts.
Stimmt, das ist ungerecht, aber bei der Einrichtung von Anreizen nicht zu vermeiden. Politik richtet sich auf die Zukunft. Wer vor Einführung des Elterngeldes Kinder bekam, ist leer ausgegangen, ebenso wie die Käufer eines Elektroautos. Eine ebenso seltene wie verschwenderische und populistische Ausnahme war die im Jahr 2014 beschlossene, rückwirkende Auszahlung der Mütterrente, eine verbesserte rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten für Kinder, die vor 1992 geboren wurden.
Fairfuture statt Failfuture
Deutschland war mal vorbildlich beim Klimaschutz. Doch jetzt geht es nicht mehr voran. Das liegt nicht zuletzt am Versagen der Verkehrspolitik und einem Bundesverkehrsminister, der ein zigmal untersuchtes Tempolimit mit nachweislich positiven Effekten für Klima und Todesraten als »gegen jeden Menschenverstand« bezeichnete, unterstützt von einem Welt-Chefredakteur, der einer jungen Fridays-for-Future-Aktivistin empfahl, doch auch mal über die »Seele des Autos« zu reflektieren.
Das Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2030 die Emissionen im Sektor Verkehr um 40% zu senken, ist nicht mehr annähernd zu erreichen. Die Emissionen liegen heute fast auf dem gleichen Niveau wie 1990.
Und dennoch stehen die Zeichen auf Wachstum, mehr Straßen, mehr Autos, mehr Lkw, mehr Logistikzentren. Diese für Klima, Landschaft und Gesundheit desaströste Entwicklung zu stoppen, ist inzwischen sogar verfassungsrechtlich geboten. Die Antriebswende ist auf dem Weg, die Mobilitätswende steht noch aus. In Verbindung mit den avisierten Investitionen in nachhaltige Infrastruktur könnte eine Abschaffprämie als förderpolitische Innovation der Anfang für einen Wandel unserer Mobilitätskultur sein, eine mentale Transformation. Es muss ein Ruck gehen durch Autodeutschland!
Redaktion: Felix Austen
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily