Schluss mit knappen Ressourcen: Wie unsere Städte zu wahren Rohstofflagern werden
In Zukunft holen wir unsere Baumaterialien nicht mehr aus der Erde, sondern aus bestehenden Gebäuden. Dort sind sie nahezu unbegrenzt verfügbar – wenn wir sie endlich im Kreislauf nutzen.
Die Planken der Holzfassade formten einst die Saunabänke in einem Fitnessstudio. Die Bretter der Fensterrahmen säumten lange Jahre die Scheiben eines zum Abriss freigegebenen Verwaltungsgebäudes. In den Wänden verbaute, abgenutzte Jute-Kakaosäcke isolieren nun als Wärmedämmung die Räume. Und was im Inneren des Hauses wie eine kunstvoll gefertigte Natursteinmauer wirkt, ist in Wahrheit alter Gipskarton. Das preisgekrönte Recyclinghaus in Hannover sieht modern aus, doch ist es – wie sein Name schon andeutet – zu über der Hälfte
Das Einfamilienhaus besitzt noch weitere Besonderheiten, die mit ungeschultem Auge nur schwer erkennbar sind: Es ist so gebaut, dass es im Falle eines Um- oder Rückbaus wieder in seine ursprünglichen Bestandteile und Materialien zerlegt werden kann – wie ein Puzzle. Die Fenster, Fassade, Dämmung, der Holzrohbau und sogar ganze Teile des Hauses können dann in anderen Bauprojekten wiederverwendet werden. Damit zählt das Recyclinghaus zu den wenigen Gebäuden in Deutschland, die nach den Ansätzen der
Zirkuläres Bauen und Urban Mining – Grundideen für ein zukunftsfähiges Wohnen und Arbeiten
»Das Ganze nennt sich zirkuläres Bauen, ein Bauen in möglichst geschlossenen Kreisläufen«, erklärt mir Anja Rosen, Honorarprofessorin für zirkuläres Bauen an der Bergischen Universität Wuppertal, im Videogespräch. »Indem schon bei der Planung das Lebens– oder Nutzungsende des Gebäudes mitgedacht wird, können die Rohstoffe und der dort verbaute Wert nach dem Rückbau erhalten bleiben«, sagt die Architektin. Das ist wichtig, denn elementare Baustoffe wie Sand, Kies, Erze und Metalle werden aufgrund unseres unbedachten und verschwenderischen Baustils immer knapper.
In den vergangenen Jahrhunderten sei dies noch kein Problem gewesen, da Menschen weitestgehend natürliche Baustoffe verwendet hätten, wie Holz, Lehm und Stein, so Rosen: »Das waren Materialien, die alle aus dem Naturkreislauf kommen und wieder leicht in ihn zurückkehren können.« Im 20. Jahrhundert habe die Bauindustrie jedoch begonnen, mehr Chemie zu verwenden und hoch technisierte Baustoffe herzustellen, die allen Anforderungen gleichzeitig gerecht werden konnten, wie dem Brand- und Wärmeschutz.
»Diese Performance hat die Bauindustrie erreicht, indem sie verschiedene Rohstoffe zu Kompositmaterialien vermischt hat. Das hat jedoch niemand zu Ende gedacht«, so Rosen. Werden verschiedene Materialien wie Mineralien, Kunststoffe und Metalle vermengt, sind sie verunreinigt und können am Ende nur schwer bis gar nicht voneinander getrennt werden. Alles, was im Zweifelsfall bleibt, ist Abfall, der deponiert oder verbrannt werden muss. »Dann haben wir noch ein ganz anderes Problem: die Schadstoffbelastung. Gerade in den 60er- bis 80er-Jahren sind Schadstoffe verbaut worden, wie
Das ist beim zirkulären Bauen nicht der Fall, die Baustoffe sowie die gesamte Bauweise soll in Verträglichkeit mit den natürlichen Kreisläufen stehen. Das bedeutet zum einen: Es sollen nachhaltige und umweltverträgliche Baustoffe und Bauweisen verwendet werden. Zum anderen betrifft es aber auch die Energieversorgung der Gebäude: Hier sollten erneuerbare Energien wie Solarenergie und Geothermie verwendet werden.
Momentan verbauen wir die Rohstoffe nachfolgender Generationen. Wir leben auf Pump. Aber wenn wir in Zukunft zirkulär bauen, werden unsere Städte zu leicht erschließbaren Rohstoffminen, die wir bewirtschaften können – ganz nach dem Konzept des Urban Mining Designs. Dann entnehmen wir nichts mehr der Erde, sondern können die verbauten Rohstoffe aus Gebäuden und Infrastruktur zurückgewinnen, wiederverwenden oder recyceln und dann im Kreislauf halten. Diese stellen ein riesiges Material- und Rohstofflager dar. Wir müssen nur lernen, es zu nutzen.
Um herauszufinden, wie gut Bauwerke als urbane Mine taugen, hat die Architektin ein Bewertungstool entwickelt, den
Warum das Recyclinghaus nicht zu 100% aus wiederverwendeten und recycelbaren Materialien besteht
Noch steckt das zirkuläre Bauen in Deutschland und in ganz Europa in den Kinderschuhen und hat mit ganz alltäglichen Kinderproblemen zu kämpfen. Es fehlen Regeln und richtige Anreize. Und das, obwohl sich die Europäische Union das Ziel gesetzt hat,
Zur Einordnung: Der Bausektor ist derzeit weltweit eine der Branchen mit dem höchsten Ressourcenverbrauch und mit dem größten Abfallaufkommen.
Der Bausektor ist ein Elefant im Klimaraum, über den kaum jemand spricht.
- 8% der jährlichen
Wie wir zu einer hochwertigeren Verwertung der Rohstoffe gelangen und welche Stolperfallen auf dem Weg zu einer zirkulären Bauweise noch beseitigt werden müssen, wird am Beispiel des Recyclinghauses deutlich.
Ursprünglich sollte das Einfamilienhaus zu 100% aus wiederverwerteten und wiederverwertbaren Materialien bestehen. Von diesem Ziel mussten sich die Architekt:innen jedoch bald lösen. Zu hoch waren die Anforderungen: Jedes gebrauchte Baumaterial muss auf seine Verwendung geprüft werden und erfüllt oft nicht die Anforderungen der Baunorm, schreibt der
Überhaupt fehle es an Richtlinien für gebrauchte Bauelemente und -materialien. Gerade bei Dichtungen und Wasserleitungen sei das der Fall gewesen; die Bauherren und -damen seien nicht darum herumgekommen, Neue zu verwenden. So sind für die Planung des Hauses schnell 3 Jahre vergangen. »Es hatte vor allem länger gedauert als angenommen, wiederverwertbare Baumaterialien zu finden und Fachbetriebe, die sie entsprechend recyceln und einbauen«,
6 Punkte, die es braucht, damit wir für die Zukunft bauen
Aus der Recherche und meinem Gespräch mit Anja Rosen haben sich 6 Maßnahmen herauskristallisiert, welche die Baubranche zukunftsweisend ausrichten. Diese sind:
- Technisches und praktisches Wissen aneignen: Früher wussten die Menschen, wie sie mit natürlichen Rohstoffen wie Lehm und Stroh bauen können, ohne viel zu verkleben. Doch was damals eine Bauart der armen Leute war, ist heute aufwendig und teuer. »Das Wissen ist verloren gegangen, darum muss man es sich heute von einer Handvoll Experten bezahlen lassen«, sagt Anja Rosen.
»Momentan geht der Trend zum Holzbau, da Holz Kohlenstoff speichert und als Kohlenstoffsenke dient. Die hohe Nachfrage führt zu steigenden Holzpreisen, doch wir dürfen dem Wald auch nicht mehr Holz entnehmen, als nachwachsen kann. Darum wird momentan viel - Gebäude umfunktionieren, sanieren und erhalten: Mit dem Wissen können Bauherren nicht nur neue Gebäude bauen, sondern in erster Linie auch umfunktionieren und sanieren lassen. »Gebäude müssen flexibel gestaltet werden«, so die Architektin. »Wenn städtische Büros nun immer weniger genutzt werden, sollten sie beispielsweise in Wohneinheiten umfunktioniert werden können.« Wir wollten Gebäude so lange wie möglich nutzen, der Rückbau ist die letzte Instanz.
Bestehende Gebäude müssen so lange genutzt werden, wie es geht.
- Alles wiederverwenden, was geht – wenn ein Gebäude doch abgebrochen werden muss: »Den meisten Bauherren ist es egal, was mit dem Bauschutt passiert, wenn ein Grundstück freigeräumt werden soll«, sagt Anja Rosen. »Davon müssen wir weg.« Es gebe immer einen Nutzen für das Material, er muss nur mitbedacht werden. Auch wenn Architekt:innen und Bauingenieur:innen bereits an dem Thema arbeiteten, liege es letzten Endes in den Händen der Bauherrn, die den Auftrag erteilten. Diese müssten für das Thema sensibilisiert werden, da sie häufig noch vor den höheren Kosten zurückschrecken würden.
- Städte als Wertstofflager betrachten: »Werden Gebäude und Infrastrukturen im Urban Mining Design geplant, sind die Initialkosten zwar höher, doch die Instandhaltung ist geringer und es ist ein wahres Wertstofflager«, so Rosen. Das bedeutet: Wer das Gebäude nach ein paar Jahren verkaufen will, bekommt nicht nur den steigenden Grundstückpreis, wie es heute der Fall ist, sondern auch den steigenden Wert der verbauten Materialien. Außerdem entfallen die Entsorgungskosten, die in den kommenden Jahren steigen werden.
- Einen Markt für gebrauchte Baumaterialien etablieren: In Deutschland ist die Nachfrage nach Sekundärrohstoffen noch gering. Es gibt vereinzelte
Wie können wir einen Markt für gebrauchte Baumaterialien schaffen?
Einen solchen versucht Concular momentan zu schaffen. Das Berliner Start-up hat eine digitale Vermittlungsplattform für gebrauchte Bauteile entwickelt. Architekt:innen und Bauherren können die Rohstoffe von bestehenden Gebäuden von Concular digital erfassen lassen und sie bei einem Rückbau auf der Plattform zum Verkauf anbieten. Interessierte können sich diese gleich von Concular an die eigene Baustelle liefern lassen.
Etwas weiter ist das österreichische Unternehmen BauKarussell. Es beschränkt sich nicht auf die Vermittlung von gebrauchten Bauteilen, sondern fasst selbst mit an. So hat es schon einige große Rückbauprojekte für die Stadt Wien geplant und vorbereitet, - Gesetzliche Anreize und Vorgaben schaffen: Die Europäische Union strebt an, bis 2050 eine echte Kreislaufwirtschaft in allen 27 Mitgliedstaaten zu etablieren. Dabei spielt das Bauwesen aufgrund seines hohen Ressourcenverbrauchs und Abfallaufkommens eine elementare Rolle. Trotzdem gibt es in Deutschland kaum Anreize für Bauherren, gebrauchte Baustoffe einzusetzen. Und umgedreht ebenso: Auftraggeber werden nicht dafür belangt, wenn sie sich gegen sekundäre Rohstoffe entscheiden. Das kann sich jedoch bald ändern: Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag angekündigt,
Hessen geht mit gutem Beispiel voran.
Hessen legt laut Anja Rosen noch einen drauf: »Das Bundesland möchte einen Leitfaden für ressourcenschonendes Bauen aufsetzen. Damit könnten im nächsten Schritt Fördermittel verknüpft werden. Das hieße, wenn man beim Bauen stoffliche Ressourcen einspart und definierte Strategien anwendet, dass man dann dafür Fördermittel erhalten würde.« Die Expertin hofft auf solche Vorbilder. Außerdem müsste die öffentliche Hand als Bauherr vorangehen, damit die Industrie in diesem Bereich mehr investiert. Die Stadt Zürich hat beispielsweise entschieden, dass alle städtischen Neubauten, bei denen Beton verwendet wird,
Wie wollen wir in Zukunft wohnen?
Damit die Bauwirtschaft wirklich nachhaltig wird, braucht es allerdings auch einen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung. Es gibt in Deutschland viel mehr Ein- und Zweifamilienhäuser als Mehrfamilienbauten. Zudem nimmt die durchschnittliche Wohnfläche pro Einwohner:in jährlich
Wir müssen uns laut der Architektin immer wieder fragen: Wie wollen wir wohnen? Brauchen wir den Platz wirklich? Das kann sich mit jeder Lebenslage ändern und vielleicht lässt sich weniger Fläche genau so gestalten,
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily