»Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren«
Menschenrechte klingen nicht nur schön, sie sind auch ziemlich wichtig. So weit, so unumstritten. Doch nur wenige haben eine Ahnung, was sie eigentlich sind. Ein wenig Aufklärung
Was haben
Verstoßen die Inhaftierung von Yücel oder das Einreiseverbot von Trump gegen die Menschenrechte? Verstößt es gegen die Menschenrechte, wenn ein Heroinabhängiger in der Haft kein Methadon erhält oder wenn Homosexuellen das Recht versagt wird, ein Kind adoptieren zu dürfen?
Auf Facebook, in Gesprächen, in den Diskussionen hier bei Perspective Daily – mit den Menschenrechten wird gern argumentiert. Meist scheint es dabei aber weniger um tatsächliche Auseinandersetzungen mit dem Recht zu gehen.
Deswegen habe ich unsere Facebook-Follower vergangene Woche gefragt: Für wie relevant haltet ihr Menschenrechte? Wie gut wisst ihr darüber Bescheid? Und was würdet ihr gern wissen?
174 Umfrage-Teilnehmer haben mitgemacht. Von »Verstößt Trump eigentlich ständig gegen die Menschenrechte?« bis hin zu »Warum sind bei Menschenrechten Anspruch und Wirklichkeit so weit voneinander entfernt?« – die Fragen deckten ein breites Spektrum ab. Dieser Text soll möglichst viele beantworten und dabei einen groben Überblick über den Themenkomplex »Menschenrechte« verschaffen.
Keine Ahnung, was Menschenrechte sind – aber sie sind sehr wichtig!
Den Begriff ›Menschrechte‹ nutzen nicht nur Anwälte und Politiker gern, sondern auch die breite Öffentlichkeit. Menschenrechte werden ins Feld geführt, um [Gesellschafts-]Kritik zu üben; oder aber, um daraus bestimmte Ansprüche abzuleiten. Meist bleibt jedoch unklar, worum genau es eigentlich geht.
»Sind Ethik und Menschenrechte dasselbe?«, so
Auch wenn es nicht immer den Anschein hat: Es gibt eine ganze Reihe von »Mächtigen«, die sich »um Menschenrechte scheren«. Das folgende Schaubild veranschaulicht, wie viele Gremien sich allein bei den Vereinten Nationen dafür einsetzen, den Schutz der Menschenrechte zu verbessern.
Den eigenen Kenntnisstand zum Thema »Menschenrechte« ordneten die Umfrage-Teilnehmer vorsichtig ein: Fast 2/3 gaben sich selbst 3 oder weniger von 5 Punkten. Im Kontrast dazu stehen die Zahlen zur subjektiven Relevanz: 4,9 von 5 Punkten –
Ein gewisses Defizit zeigte sich auch bei den Antworten auf die offene Frage, in welchen Situationen Menschenrechte etwas bewirken können: Jeder Dritte war der Meinung: »In allen Situationen!«, »Immer!« oder »Jederzeit!« Eine Handvoll vertrat die Gegenthese. 3% antworteten: »Nie!« 15% hielten Menschenrechte – fälschlicherweise –
Sind Menschenrechte also wirklich immer so eindeutig, dass es doch eigentlich keine Ausnahmen geben dürfte? Wie so oft steckt der Teufel im Detail.
3 Dinge, die man über Menschenrechte wissen sollte
1. Menschenrecht ist nicht gleich Menschenrecht
Was sind Menschenrechte? Die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte«, eine
Die UN-Menschenrechts-Charta bezeichnen Völkerrechtler als die »1. Generation« der Menschenrechte. Sie wurde 18 Jahre später ergänzt durch 2 weitere Verträge: den »Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte« (UN-Zivilpakt) und den »Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte« (UN-Sozialpakt). Diese 2 Verträge bilden die Grundlage der sogenannten »2. Generation«.
Diese 3 Rechtsquellen (UN-Menschenrechts-Charta, UN-Zivilpakt und UN-Sozialpakt) sind so etwas wie die Basis des Menschenrechts-Schutzes auf globaler Ebene. Sie werden ergänzt durch speziellere Rechtsquellen. Während also die UN-Menschenrechts-Charta beispielsweise in Artikel 2 (unter anderem) Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet, regelt das
Außerdem wird immer öfter über eine 3. Generation diskutiert: Darunter sollen solche Rechte fallen, die nicht einzelnen Menschen zustehen, sondern bestimmten Gruppen (meist dem Staatsvolk) als Kollektiv. Vor allem Entwicklungsländer berufen sich auf die 3. Generation der Menschenrechte.
Und schließlich gibt es neben dem globalen den regionalen Menschenrechts-Schutz. Darunter fallen die EU-Menschenrechts-Charta (1950), die Amerikanische Menschenrechts-Konvention (1969) oder auch die »Banjul Charta« genannte Afrikanische Charta der Menschen- und Völkerrechte (1981).
»Viele Länder haben die UN-Menschenrechtskonvention unterschrieben und doch gibt es so viele Verstöße gegen die Menschenrechte. Wie kommt das?« – ein Umfrage-Teilnehmer
3 Generationen von Menschenrechten, regionaler und internationaler Schutz, spezielles Recht vs. allgemeines Recht. Ganz schön kompliziert. Wichtiger, als sich all die Details zu merken, sind die Schlussfolgerungen: Wer von »Menschenrechten« spricht, kann damit vieles meinen. Wer wirklich mit Menschenrechten argumentieren will, sollte sich ein wenig vertiefter mit der Materie auseinandersetzen. Natürlich tippt sich ein »Trump verstößt gegen die Menschenrechte« schneller als »Der Einreisestopp, den Trump per Dekret beschlossen hat,
2. Menschenrechte gelten (fast) nur, wenn sich Staaten selbst verpflichten
Menschenrechte, so erklärt es etwa humanrights.com, sind »Rechte, die Sie haben, weil Sie ein Mensch sind«. Klingt logisch. Andererseits gilt aber zum Beispiel der regionale Menschenrechts-Schutz – wie der Name nahelegt – nur regional. Und auch internationales Menschenrecht dürfte bei der Urteilsverkündung eines südsudanesischen Gerichtes weniger Beachtung finden, als wenn eine norwegische Richterin Recht spricht. Inwiefern Recht tatsächlich schützt, hängt sehr von der Qualität des jeweiligen Rechtsstaates ab.
Menschenrechte schützen also nicht jeden Menschen gleich. Wie kann das sein? Sind Menschenrechte doch nicht universell?
Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele: […] eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen
Die Lieblingsantwort jedes Juristen: »Es kommt darauf an.« Nämlich darauf, über welche Menschenrechte man gerade spricht. Meistens dürften die Rechte der ersten und zweiten Generation gemeint sein. Doch selbst hier gibt es Unterschiede:
- Die 1. Generation der Menschenrechte, die UN-Menschenrechts-Charta, ist eine Resolution – also eine Art Beschluss – der UN-Generalversammlung. Jeder Staat, der den UN beitritt, verpflichtet sich laut UN-Charta außerdem dazu, »[…] die Achtung vor den Menschenrechten […] zu fördern und zu festigen«. Doch rechtlich sind diese beiden Quellen nicht bindend, sondern in erster Linie Absichtserklärungen. Sie sind so etwas wie die Vision eines Idealzustands, auf den es hinzuarbeiten gilt. Ein Spagat zwischen der Vorstellung, wie die Welt sein sollte, und dem Zustand, in dem sie sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg befand, als die Weltgemeinschaft in Paris die Allgemeinen Menschenrechte ausrief.
- Die 2. Generation der Menschenrechte besteht aus völkerrechtlichen Verträgen. Unter 3 Bedingungen verpflichten sich Staaten auf diesem Wege: Sie müssen erstens
Das Gleiche gilt bei den vielen Verträgen, die spezielle Aspekte des Menschenrechts-Schutzes ausführlicher regeln. Ein echter Verstoß gegen Menschenrechte liegt nur vor, wenn erstens gegen eine tatsächlich verbindliche Bestimmung verstoßen wurde. Zweitens muss der jeweilige Staat das Abkommen unterzeichnet und ratifiziert haben. Je nach Vertrag fällt die Quote der Länder, die dies getan haben, sehr unterschiedlich aus. 2 Beispiele:
- Die
- Die UN-Wanderarbeiterkonvention (2003 in Kraft getreten zum Schutz der Rechte aller Arbeitsmigranten, Saison- und Gelegenheitsarbeiter und ihrer Familienangehörigen) haben hingegen bisher nur 46 Staaten ratifiziert –
Ein Zwischenfazit: Wann Staaten gegen einzelne menschenrechtliche Bestimmungen verstoßen, bedarf jeweils einer genauen Prüfung. Das Bauchgefühl allein reicht nicht aus. Das ist in der Praxis oft frustrierend. Vor allem, wenn im Ergebnis ein Verstoß vorliegt, man aber nichts dagegen tun kann. Denn:
3. Im Völkerrecht gibt es keinen Gerichtsvollzieher
»Wie werden Menschenrechte international eingefordert? Wie steht es dabei um staatliches Hoheitsrecht?« – ein Umfrage-Teilnehmer
Fast jeder fünfte Umfrage-Teilnehmer interessiert sich für die Frage, wie man Staaten zur Einhaltung der Menschenrechte zwingen kann. Wichtig dabei: Menschenrechte betreffen das Verhältnis zwischen Mensch und Staat. Und wenn es Spezialgesetze gibt, dann braucht man sich nicht auf die Menschenrechte zu berufen. Wenn ein überarbeiteter Angestellter des
Und wenn es nun ganz explizit um Menschenrechte geht? Wenn ein Staat sich verpflichtet hat und ein Verstoß vorliegt? Wie kommt der Einzelne dann zu seinem Recht?
Selbst wenn all dies eindeutig vorliegt, lautet die Antwort: Es kommt darauf an. Grundsätzlich können Staaten nur dann verklagt werden, wenn sie dafür selbst Rechtswege erschaffen haben, wie zum Beispiel in Europa den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Asien hat zwar seit 2007 ebenfalls eine regionale Menschenrechts-Charta, aber (noch) keinen Mechanismus,
Für einige wenige völkerrechtliche Verträge gibt es für den Einzelnen außerdem die Möglichkeit, sich direkt beim UN-Ausschuss für Menschenrechte zu beschweren – allerdings nur zulasten von Staaten, die ein entsprechendes Zusatzprotokoll unterschrieben haben. Eine Individualbeschwerde wegen eines Verstoßes gegen den UN-Sozialpakt ist beispielsweise nur dann möglich,
So verworren das alles klingt: Diese Zusatzprotokolle, die Individuen die Möglichkeit geben, sich direkt an den UN-Ausschuss für Menschenrechte zu wenden, sind
2 Beispiele veranschaulichen, wie unterschiedlich die Beteiligung an völkerrechtlichen Verträgen ist. Um zwischen den beiden Konventionen zu wechseln, nutze die Schaltflächen oben links in der Grafik.
Und was, wenn ein Staat (vor einem internationalen Gericht) mit Erfolg verklagt wurde und sich schlicht weigert, etwas zu ändern? Auf internationaler Ebene gibt es keinen Gerichtsvollzieher – und damit auch selten eine Möglichkeit, ein völkerrechtliches Urteil zu vollstrecken. So frustrierend das für manch einen klingen mag, sollte doch eines im Hinterkopf behalten werden: Die Staaten haben sich freiwillig dazu verpflichtet, Menschenrechte zu wahren. Es ist also nicht so, dass politische Entscheidungsträger grundsätzlich alles dafür tun,
Darüber hinaus gibt es für viele völkerrechtliche Verträge Kontrollmechanismen. Diese verpflichten Staaten beispielsweise, dem Kontrollorgan bei den UN jährlich Bericht zu erstatten,
»Die Menschenrechtsverletzungen von heute sind die Massaker von morgen.« – Nelson Mandela
Kein Staat steht außerdem beim Thema Menschenrechte gern unten auf der Liste. Letztes Jahr beispielsweise wehrte sich Saudi-Arabien dagegen, im Anhang eines UN-Berichts als Staat gelistet zu werden, der wegen
Dieses Beispiel zeigt zweierlei: Erstens ist das Thema Menschenrechte auch und gerade für Staaten relevant, die dagegen verstoßen. Dabei geht es oft um Ansehen in der internationalen Gemeinschaft – selbst wenn gar keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen drohen. Zweitens sind die UN keine Weltregierung. Die Staaten geben den Ton an. Das Völkerrecht (und damit auch die Menschenrechte) ist immer nur so stark, wie die Staaten es zulassen.
Sind Menschenrechte rassistisch?
Sind die Menschenrechte also am Ende nichts weiter als ein wohlklingendes Feigenblatt (insbesondere der westlichen Staaten) für Interessenpolitik? Kritiker sprechen von »Eurozentrismus« und werfen dem Völkerrecht im Allgemeinen und den Menschenrechten im Speziellen vor, eine »weiße Dominanzkultur« zu betreiben. »Die heilige Dreifaltigkeit, die angeblich allein zur Erlösung in der modernen Welt führen könne: Menschenrechte, politische Demokratie und freie Märkte«, so kritisiert es etwa der
Tatsächlich dürfte niemand abstreiten, dass eine internationale 2-Klassen-Gesellschaft existiert, in der der Westen überproportional häufig den Ton angibt. Ausgerechnet der besonders egoistisch auftretende Donald Trump hat nun jüngst eine Dynamik in Gang gesetzt, infolge derer vermehrt über
Menschenrechte schützen Menschen (noch) nicht so, wie es sich viele wünschen. Doch sie üben steten Druck auf alle Staaten aus und haben schon manch einem Individuum zu seinem Recht verholfen. So erstritt etwa ein heroinabhängiger Häftling vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Bundesrepublik Deutschland ein
Und was ist mit dem (neuen) Einreiseverbot von Trump? Prinz Seid bin Ra’ad Seid Al-Hussein, jordanischer Diplomat und seit 2014 Hoher Kommissar für Menschenrechte bei den UN, bezeichnete das erste Verbot als menschenrechtswidrig, weil es eine
»Wieso nehmen große Teile der Bevölkerung die Menschenrechte als etwas wahr, was sie nicht betrifft?« – ein Umfrage-Teilnehmer
Auch bei Deniz Yücel spielen eine Reihe von Menschenrechten eine Rolle, neben Presse- und Meinungsfreiheit beispielsweise auch die Garantie auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren. FDP-Vize Wolfgang Kubicki forderte bereits,
Ob’s hilft? Immerhin kann auch die Türkei vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt werden. Zu diesen Klagen wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit kommen – allerdings könnte das noch dauern. Zunächst muss nämlich der
Menschenrechte schützen auch »die Bösen«
Menschenrechte enthalten keine Garantie, dass sich Staaten auch daran halten. Echter Rechtsschutz bei Verstößen beginnt erst, sich zu entwickeln. Doch sie sind bereits so etwas wie der ständige moralische Zeigefinger in der internationalen Gemeinschaft. Sie sind Leitplanken bei der schwierigen internationalen Debatte, wie sich die Weltgemeinschaft fortentwickeln soll. Sie werden immer verbindlicher. Sie sind nicht perfekt – aber weit besser als »nichts«.
Zivilgesellschaftliche Vorbehalte gegen Menschenrechte gibt es übrigens
Was wir heute unter Menschenrechten verstehen, gibt es gerade mal seit einer Generation. Sie sind (zum großen Teil) Rechte, die jedes Individuum auf der ganzen Welt hat. Das ist nichts weniger als eine der spektakulärsten Entwicklungen der menschlichen Sozialisierung. Derzeit erlebt die Welt vielerorts Angriffe auf diese und andere Werte, auf die man sich geeinigt zu haben glaubte. Einigen dient das als Beweis, dass Menschenrechte nichts taugen. Das Gegenteil ist der Fall: Der zunehmende Erfolg autokratischer Gesellschaftsmodelle zeigt schon heute, wie wichtig es ist, weiter auf stabile und humane (nationale und internationale) Rechtssysteme hinzuarbeiten. In den vergangenen 70 Jahren war die internationale Gemeinschaft – alles in allem – auf einem guten Weg.
Trump, Putin, Erdoğan – eine Hand voll Herren mit ausgeprägten Egos genügen im 21. Jahrhundert noch immer, um eine ganze Welt in Schockstarre zu versetzen. Vor allem Präsidialsysteme, wie Erdoğan gerade eines aufzubauen versucht, führen zu einer Machtfülle, die nicht in den falschen Händen landen sollte. Menschenrechte sind ein kräftiges Werkzeug, Machtfülle zu begrenzen. Und darum ging es doch genau genommen schon immer: Wie kontrollieren und begrenzen wir Macht im Interesse aller?
Titelbild: Krish Dulal/Borut Podgoršek/Gage Skidmore - CC BY-SA 3.0