Im Winter 2015 kursierte in Russland
Waldimir Putin im Gespräch mit Barack Obama. Die beiden unterhalten sich über einen Vorfall, der die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei zu dieser Zeit belastete: Weil ein russisches Kampfflugzeug in den türkischen Luftraum eingedrungen war, hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan es abschießen lassen. In dem Meme beklagt sich Putin bei Obama über Erdoğan. Obama antwortet: »Aber er hatte dich doch davor gewarnt, dass er dein Flugzeug abschießen würde, wenn du türkischen Luftraum verletzt.« Putin lächelt verschmitzt und entgegnet: »Das stimmt. Aber ich dachte, er sei wie die EU: Viel Geschwätz und nichts dahinter.«
Das Meme verdeutlicht, welches Bild der Kreml von der EU hat, und teils auch zu Recht: Immer wieder verpasst es die EU aufgrund ihrer
auf externe Ereignisse schnell zu reagieren; und in Fragen der internationalen Politik – von Migration bis zum Umgang mit Russland – spricht die EU selten mit einer Stimme.
Doch als Russland am 24. Februar die Ukraine angriff, zeigte sich die Union plötzlich von einer entschlossenen, aktiven und einigen Seite, mit der Putin wahrscheinlich nicht gerechnet hatte. Noch am selben Tag verhängte die EU ein
gegen Russland, wenige Tage später einigten sich die Mitglieder im Rat sogar darauf, einige russische Banken aus dem internationalen Zahlungssystem
auszuschließen – ein umstrittener Schritt, weil er die eigene Wirtschaft
. Auch bei der Aufnahme von Geflüchteten zeigen alle Mitgliedstaaten Solidarität: von den 4–7 Millionen Menschen, die Schätzungen zufolge aus der Ukraine in die EU flüchten könnten, sollen alle schnell und bedingungslos
Selbst Polen, sonst als Aufnahmeverweigerer bekannt, empfängt die ukrainischen Schutzsuchenden mit offenen
Solidarische Kundgebungen in Europa, harte Sanktionen gepaart mit Gesprächsangeboten und Unterstützung der Menschen durch Hilfsgüter und Aufnahme – für manche scheint das eine zu »schwache« Reaktion zu sein. Um mich herum höre und lese ich Stimmen, die der EU militärische Schwäche vorwerfen und fordern, wieder
. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte an, 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitzustellen und in Zukunft das Zwei-Prozent-Ziel der
einzuhalten; in Schweden und Finnland wird plötzlich wieder über einen NATO-Beitritt diskutiert; der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj forderte Europäer:innen aus anderen Ländern auf, sich dem ukrainischen Militär anzuschließen, worauf Tschechien seinen Soldat:innen dafür eine Sondergenehmigung zusicherte.
Als Europäerin, die in einer Ära des Friedens in Europa aufgewachsen ist, schockiert mich diese aufflammende Kriegsrhetorik zutiefst. Der griechische Schriftsteller Christoforos Kasdaglis spricht mir aus der Seele, wenn er sagt, manche Menschen schienen mehr am Sieg als am Frieden interessiert zu sein, mehr an der Verantwortlichkeit für den Krieg als an den Ursachen und den Folgen.