Gegen diese Waffe hat Putin keine Chance
Zum ersten Mal beweist die EU, dass sie ein Friedensprojekt ist. Mit ihrer militärischen Zurückhaltung kann sie endlich ihre wahre Stärke zeigen. Doch dafür muss sie noch weitere Bedingungen erfüllen.
Im Winter 2015 kursierte in Russland
Das Meme verdeutlicht, welches Bild der Kreml von der EU hat, und teils auch zu Recht: Immer wieder verpasst es die EU aufgrund ihrer
Doch als Russland am 24. Februar die Ukraine angriff, zeigte sich die Union plötzlich von einer entschlossenen, aktiven und einigen Seite, mit der Putin wahrscheinlich nicht gerechnet hatte. Noch am selben Tag verhängte die EU ein
Solidarische Kundgebungen in Europa, harte Sanktionen gepaart mit Gesprächsangeboten und Unterstützung der Menschen durch Hilfsgüter und Aufnahme – für manche scheint das eine zu »schwache« Reaktion zu sein. Um mich herum höre und lese ich Stimmen, die der EU militärische Schwäche vorwerfen und fordern, wieder
Als Europäerin, die in einer Ära des Friedens in Europa aufgewachsen ist, schockiert mich diese aufflammende Kriegsrhetorik zutiefst. Der griechische Schriftsteller Christoforos Kasdaglis spricht mir aus der Seele, wenn er sagt, manche Menschen schienen mehr am Sieg als am Frieden interessiert zu sein, mehr an der Verantwortlichkeit für den Krieg als an den Ursachen und den Folgen.
Waffen schaffen niemals Frieden
Was der EU als Schwäche vorgeworfen wird, ist ihre eigentliche Stärke und die Wertebasis, worauf sie gründet. Gerade jetzt, vielleicht zum ersten Mal überhaupt, beweist die EU, dass sie ein Friedensprojekt ist und Lehren aus den Jahrhunderten des gegenseitigen Bekriegens gezogen hat. In dieser aufgeheizten Stimmung muss die Union weiterhin mit Besonnenheit reagieren, statt dem schrecklichen Krieg mit impulsiver wie kontraproduktiver Militarisierung zu begegnen.
Zum einen, um die Geschichte nicht zu wiederholen. Vor dem Ersten Weltkrieg herrschte in Europa ein Gefühl des gegenseitigen Misstrauens, der Unsicherheit und Bedrohung. Das führte zu gesteigertem Nationalismus und einem Wettrüsten zwischen europäischen Mächten. Wie es endete, wissen wir heute. Doch gerade riskieren wir, dieselben Phänomene zu wiederholen. Vor allem eine weltweite Aufrüstungsspirale können wir schnell wieder erreichen. Denn wenn ein Staat im Namen seiner »Sicherheit« aufrüstet, so fühlt sich der andere Staat davon bedroht und reagiert wiederum mit Aufrüstung. So schlägt mehr Geld für das Militär eines Landes global Wellen, und am Ende wird die Welt nicht sicherer, sondern unsicherer. In der Politikwissenschaft wird dieses Phänomen Sicherheitsdilemma genannt.
Stecken Regierungen darin fest, wird Geld für Panzer und Raketen – also für die Zerstörung von Menschen und Städten – vergeudet, statt es in den Ausbau unseres
Dass sich souveräne Staaten seit 1945 kaum mehr
Das Ende des Friedens darf nicht das Ende der Friedensdiplomatie sein
Ein zweiter Grund, warum Aufrüstung keine angemessene Antwort sein kann: Uns steht heute ein Instrument zur Verfügung, das es im frühen 20. Jahrhundert noch nicht gab, nämlich Wirtschaftssanktionen. Die heutige Verflechtung der Wirtschaft macht es möglich, sie als Instrument für Frieden einzusetzen. Zur Zeit des Kalten Krieges war die Sowjetunion nicht an den westlichen Markt gebunden. Putins Russland ist wirtschaftlich enger mit der EU vernetzt, Sanktionen können das Land also härter treffen und isolieren, und dadurch genug Druck auf den Kreml ausüben, um ihn zurück an den Verhandlungstisch zu zwingen. Die EU sollte an diesen modernen Instrumenten festhalten, statt auf die Methoden und Logik zurückzugreifen, derer sich Russland gerade bedient und die das 20. Jahrhundert zu einem der blutigsten der Geschichte gemacht haben.
Alternative Mittel zum Frieden
Natürlich ist mir bewusst, dass sich die Situation verändert hat, seit Russland die Ukraine angegriffen und damit nicht nur das Völkerrecht gebrochen hat, sondern auch Kriegsverbrechen begeht. Es ist schwer, von Frieden zu sprechen, davon, Diplomatie und Gespräche nicht aufzugeben, wenn der Krieg so nahe neben einem tobt, noch mehr, wenn man direkt davon betroffen ist. Doch kann die Lösung wirklich sein, mit derselben Kriegslogik zu reagieren, wonach derjenige handelt, der den Krieg begonnen hat? Spielen wir Putin damit nicht in die Hände und weiten den Konflikt noch aus? Es muss politische Schritte geben, die das Morden und das Zerstören beenden können. Das Ende des Friedens darf nicht das Ende der Friedensdiplomatie
In den 60er- und 70er-Jahren entstand das Konzept der »sozialen Verteidigung«. Die Idee beruht unter anderem auf dem gewaltfreien Widerstand von
Auch andere Initiativen rufen zu pazifistischen Lösungen auf. Die Organisation
Der Konfliktforscher Andreas Zick schlägt vor, eine
Weiterhin an gemeinsamen Institutionen und Gesprächen festzuhalten, mag naiv und illusorisch wirken, doch Brücken sind insbesondere in Kriegszeiten essenziell. Denn der Kalte Krieg hat uns gelehrt: ein Abbruch der Kommunikation mit »dem Feind« kann zu verheerenden Folgen führen. Im Jahr 1963 wurde aufgrund fehlender Kommunikation zwischen den USA und der Sowjetunion beinahe ein Atomkrieg ausgelöst. Daraufhin wurde der »Heiße Draht« eingerichtet, eine permanente Kommunikationslinie zwischen den USA und der Sowjetunion. Seitdem hat sich der Konflikt entspannt. Daran sollte gedacht werden, wenn wir argumentieren, dass Putin nur die Sprache der militärischen Stärke verstehe.
Mit Illustrationen von Aelfleda Clackson für Perspective Daily