So wehrst du dich gegen (russische) Propaganda
Das will sie. So erkennst du sie. Und das können wir alle gegen sie tun.
Ein Gymnasium in Nordrhein-Westfalen Mitte März. Die Schülerinnen und Schüler wollen gegen den Ukrainekrieg protestieren,
Doch dann kommt die Nachricht von der Schulleitung: Geht so leider nicht. Eltern von russischstämmigen Schüler:innen hatten sich vehement beschwert. »Das ist alles zu einseitig!«, schimpften sie. Außerdem sei das gar kein Angriffskrieg und keine völkerrechtswidrige Invasion, sondern nur eine »besondere Militäroperation«.
Die Kinder sind geknickt, am Ende wird zwar symbolisch das Friedenszeichen gebildet, doch auf alles Weitere muss man verzichten.
Was ist da passiert?
Der Begriff »spezielle Militäroperation« stammt direkt aus dem Kreml. Die Bezeichnung ist nach allem, was wir wissen, eine glatte Lüge – also Kriegspropaganda, womit der russische Präsident die Aggression in der Ukraine erklären möchte. Und es ist das Beharren auf dieser Propaganda, die aktuell zu
Dass es solche Formulierungen und Lügen bis nach Deutschland und in die Köpfe von deutschen Staatsbürger:innen geschafft haben, zeigt, wie wirkungsmächtig Propaganda sein kann.
Und Propaganda erreicht heute sehr viel leichter Menschen als jemals zuvor. Denn wo früher nur per Radio oder Staatsfernsehen ausgestrahlt wurde, trägt das Internet heute politische Lügen ungefiltert in Haushalte auf der ganzen Welt. Und es trägt mit seiner Informationsflut, emotionalisierten sozialen Medien und lautstarken Verschwörungsgläubigen dazu bei, dass es immer schwieriger wird, Wahrheit von Propaganda zu unterscheiden.
Dieser Text will dir dabei helfen. Denn nur wer Propaganda als solche erkennt, kann sich dagegen wehren – und das nicht nur gegen jene von russischer Seite.
DAS ist Propaganda
Propaganda ist der gezielte Versuch, Gefühle und Gedanken zu manipulieren und Verhalten von einzelnen Personen, aber auch ganzen Bevölkerungen zu steuern. Meist ist ein Staat oder Militär der Absender, doch auch extremistische Individuen und Gruppen nutzen diese Mittel.
Kein Wunder, dass Propaganda so alt ist wie der Krieg selbst. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Angriffskriege nicht wirklich existieren – zumindest wenn man den Erzählungen der Aggressoren Glauben schenkt. Die stellen sich nämlich stets als die Reagierenden dar, die keine andere Wahl haben – quasi der älteste Propagandatrick der Welt. Er soll:
- die eigene Bevölkerung von der Notwendigkeit eines Krieges überzeugen,
- Feinde dämonisieren und damit moralische Überlegenheit reklamieren,
- dabei helfen, Soldat:innen zu rekrutieren,
- die Moral im Militär hochhalten.
Während eines Konflikts soll psychologische Kriegsführung zudem dafür sorgen, die Gegner:innen zu demoralisieren, zu verwirren und die Moral zu zersetzen.
All das ist nicht exklusiv russisch – das wäre ja absurd.
Ein nahezu perfektes Beispiel für (Kriegs-)Propaganda ist etwa die Begründung für den Irakkrieg von 2003. Damals hatten die Militärs der USA und Großbritanniens »eine wachsende akute Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen« in Verbindung mit terroristischen Einflüssen auf den Irak genannt und sich dabei auf Geheimdienstinformationen des CIA berufen – eine Lüge, wie wir heute wissen. Es sollte
An dem Beispiel des Kriegsgrundes im Irakkrieg ist deutlich erkennbar, wie schwierig es ist, selbst dreiste Lügen für einen Krieg restlos aufzuarbeiten. Bis heute ist etwa unklar, was der eigentliche Kriegsgrund war – Geostrategie, Ölpreis, Währungspolitik? Alles bleibt möglich. Ähnlich dürfte die russische Begründung für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine in den kommenden Jahren und Jahrzehnten aufgearbeitet werden.
Einschub: Man sollte sich allerdings hüten, die beiden Kriege über dies hinaus zu vergleichen, was hier auch nicht gemeint ist.
Putin behauptete in seiner Kriegsansprache im russischen Staatsfernsehen etwa, die Ukraine sei von einem faschistischen Terrorregime geführt (die ukrainische Regierung wurde demokratisch gewählt) und es würde ein Völkermord gegen die russische Bevölkerung ausgeübt (dafür gibt es keine Beweise). Später behauptete sein Militär,
Im UN-Sicherheitsrat warf Großbritannien Russland daraufhin Propagandalügen vor – Russland hingegen machte ebendiesen Vorwurf den USA. Auch das ist eine Eigenschaft von Propaganda: In Kriegszeiten behaupten immer alle, die Gegner würden sich ständig der Propaganda bemächtigen – das gehört dazu und soll nur die echten Lügen verschleiern.
Das heißt aber nicht, dass plötzlich alles Propaganda ist oder alle Seiten irgendwie recht hätten. Letzteres ist nicht mehr als ein Denkfehler
Ja, auch der Westen muss sich an die eigene Nase fassen
Nach dem Irakkrieg-Beispiel sollte es ja offensichtlich sein, dass auch der Westen bei Weitem nicht immun gegen Propaganda ist. Und daher sollten Nachrichten rund um den Ukrainekrieg immer mit besonderer Vorsicht und Skepsis gelesen werden.
Ein Beispiel gefällig? Gern.
Die Nachricht klingt empörend: »Todkranke Kinder eines Hospizes dazu gezwungen, in Schnee und Eiseskälte ein Pro-Kriegssymbol (Z für »sa pobedu« / »für den Sieg«) zu formen.« Das wirkt einerseits wie offene Parodie der westlichen, auf sozialen Medien oft geteilten Friedenszeichen aus Kinderketten. Andererseits passiert dies auch noch in derselben Woche, in der Russland eine Kinderklinik in Mariupol bombardiert hat?!
An dieser Stelle sollte nun jede:r innehalten.
Kann das wirklich alles wahr sein? Oder bedient das nur anti-russische Ressentiments, die seit dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gerade Hochkonjunktur haben? Alle Anzeichen sprechen eher für Letzteres.
Wenn du wissen willst, was wirklich hinter dieser Nachricht steckt, klicke hier und ich entzaubere sie dir in 6 einfachen Schritten, die dir helfen können, Propaganda zu erkennen.
- Wie wirkt die Nachricht? Die Nachricht eignet sich zu gut dafür, Russland zu dämonisieren. Hier ist ganz klar auf Empörung abgezielt, wie fast immer, wenn es um Kinder geht. Deshalb eignen sich die besonders gut für Propagandainhalte.
- Wer ist der Absender/ Was ist sein Bias? Wer sich über den Absender Dmitri Alperovitch genauer informiert, kann herausfinden, dass dieser Vorsitzender der Denkfabrik Silverado Policy Accelerator ist, einer Nichtregierungsorganisation zur Förderung US-amerikanischer Interessen. Dazu trat Alperovitch nach eigener Aussage
- Was sagt das Framing über die Intention aus? Die Sprachbarriere zur angeblichen Quelle in kyrillisch erleichtert das »Framing«, also das Verbiegen und Neurahmen einer Nachricht, um die eigene Perspektive zu unterstützen. Denn das Nachprüfen fällt schwer, in gewisser Weise steht das Bild für sich allein und beweist erst mal wenig. Wer den Text übersetzt, findet heraus, dass weder von »todkranken Kindern« noch von »Zwang« die Rede ist. Es wäre also auch durchaus möglich, dass die Kinder die Aktion mitgeplant und umgesetzt haben, so wie die Kinder im Gymnasium in NRW.
- Ist die Information authentisch? Streng genommen kann man an der Nachricht auch nicht die Authentizität des Fotos ablesen, denn Alperovitch teilt hier ein Foto, keinen Link zur Originalquelle. Ohne zusätzliche Informationen könnte es genauso gut eine beliebige Manipulation sein. Eine genauere Suche führt vor allem zu späteren Nachrichtenmeldungen – die sich in Details widersprechen. Der
- Welche überprüfbaren Fakten gibt es? Das Drohnen-Foto belegt die Meldung auf der Website des Hospizes, dass eine Aktion von 48 Personen stattgefunden hat. Das geformte Pro-Militärzeichen »Z« legt nahe, dass diese für den russischen Angriffskrieg war. Die tatsächliche Intention, inwieweit kranke Kinder beteiligt waren oder ob dabei Zwang vorlag, kann anhand der verfügbaren Informationen nicht abschließend geklärt werden.
- Was ist der Kontext und wie relevant ist das wirklich? Der Angriff auf eine Geburtsklinik im ukrainischen Mariupol fand am 10.03. statt, die Aktion im Hospiz in Kazan am 5.03. oder früher. Sie kann daher keine zynische Antwort darauf sein. Genauso wenig dürfte Russland derzeit von europäischen Friedensaktionsfotos auf sozialen Medien mitbekommen. Die staatliche Zensur verhindert den Zugriff auf Twitter, Facebook und Co. Und vor allem steht die Kazan-Aktion in keinem Fall in Relation zum erfahrenen Medienecho im Westen. Sie sagt weder etwas über den Umgang mit todkranken Kindern aus noch über den Glauben der Bevölkerung an den Angriffskrieg. In einer Zeit mit tatsächlich relevanten Informationen über russische Angriffe und zivile Opfer ist dieses Foto aus Kazan eher irrelevant.
Wer sich darüber empört und solche Inhalte teilt, betreibt vielleicht noch nicht selbst Propaganda, bedient aber die dämonisierenden Propaganda-Narrative dieses Krieges und bläst ein Detail unnötig auf und sorgt für beständiges emotionales Rauschen auf sozialen Medien.
Und damit rechnen die beteiligten Staaten und Militärs. Denn sie wissen sehr wohl, dass Menschen ihre Meinung zu diesem Krieg nicht anhand von Zahlen, Fakten oder nüchternen Analysen bilden, sondern vor allem anhand von emotionalen Geschichten und Bildern mit maximaler Reichweite.
Und genau hier kommen die sozialen Medien ins Propaganda-Spiel. Sie sind auch der Ort, an dem du am häufigsten auf politische Lügen triffst, und der Ort, wo du dich ihnen vor allem erwehren musst.
Denn der Kreml hat seine Echokanäle hierzulande längst etabliert.
Wie in der Pandemie ein Nährboden für Kriegspropaganda entstand
Wer sich derzeit auf sozialen Medien umschaut, findet durchaus Stimmen, die nicht der deutschen Berichterstattung folgen, sondern russische Propaganda wiederkauen – von Biowaffen bis hin zur »speziellen Militäroperation«. Und dabei fällt vor allem auf, dass viele dieser Profile »ungeimpft« in der Beschreibung tragen und sich in anderen Posts zur Querdenken-Ideologie bekennen.
Was aber verbindet diese beiden so unterschiedlichen Themen, also Russland-Krieg und Impf-Skeptizismus? Das habe ich die Kommunikationswissenschaftlerin Lena Frischlich von der Universität Münster gefragt, die das Projekt
Für Frischlich ist diese seltsame Verbindung gar nicht so abwegig: »Auch wenn nicht alle Impfzweifler Putin feiern, bei einer bestimmten Gruppe sehen wir Überschneidungen in der Ablehnung von gängigen medizinischen Herangehensweisen (Impfen) und Ablehnung von Mainstream-Positionen gegenüber dem Ukrainekrieg – aber noch mehr. Zum Beispiel überschneidet sich das auch mit Randmeinungen zum Klimawandel. Dabei geht es vor allem darum, sich kritisch gegen die Mehrheitsmeinung zu positionieren. Also ›Hauptsache dagegen sein‹. Das ist das, was Psychologen unter dem Konzept der Verschwörungsmentalität zusammenfassen.«
Ist eine solche Mentalität besonders ausgeprägt, steigt die Chance dafür, dass ein Mensch generell Dinge als unglaubwürdig wahrnimmt, wenn sie von mächtigen Personen oder Institutionen kommen. Macht und Autorität reduziere dabei automatisch das Vertrauen, so Frischlich. Und wenn eine Meinung zu viel Raum im Diskurs erhalte, werde ihr von diesen Menschen eher Misstrauen entgegengebracht.
Die aktuelle Situation nach 2 Jahren Coronapandemie begünstige diese Mentalität, so Frischlich:
Wir sind ja alle erschöpft und am Ende nach den letzten 2 1/2 Jahren. Die Weltlage ist sehr unsicher, der Stress hoch. Da ist der Schritt zu sagen ›das kann doch alles nicht stimmen‹ etwas weniger weit weg.
Frischlich sieht auch, wie Propaganda-Narrative gezielt auf bestimmte Bedürfnisse maßgeschneidert werden. »Die Sache mit dem Völkermord hat ja dann doch niemand geglaubt. Dann kamen eben die Biowaffen-Labore.« Und es ist sicher auch kein Zufall, dass in manchen Coronaerzählungen von Impfverweigerern Biolabore eine große Rolle spielen und die Mentalität befeuern, Regierende würden insgeheim verbotene und verwerfliche Dinge tun.
Dazu passt noch ein beliebtes Narrativ aus den Alternativmedien zur aktuellen Unterstützung vieler Akteure aus dem Bereich für Russland: das der Opferrolle. Zwar ist Russland eine Weltmacht mit großem Militär und Nuklearwaffen und eindeutig der Aggressor in diesem Krieg – doch wenn auf einmal das Land von harten Sanktionen getroffen wird und politisch isoliert ist, dann lässt sich die Rolle Putins leicht von einem Täter in ein Opfer umdeuten.
Dabei wird auch gern die Mär von einer einseitigen Berichterstattung befeuert. »Alle gegen einen«: Man wolle ja die Gegenseite – also Putin – gar nicht verstehen. Doch bei einer Politik, die einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt,
Einschub: Dieses Unverständnis gilt natürlich nur für die Politik des Kremls und nicht für russische Soldaten, die sich trotz ihrer Rolle in einem Angriffskrieg sicher auch etwas anderes für ihr Leben wünschen. Und es gilt ebenso wenig für russische Bürger:innen in Deutschland oder Deutsche mit russischen Wurzeln, die bei Weitem nicht alle pro Russland oder pro Angriffskrieg sind und hierzulande mitunter mit unfairen Anfeindungen zu kämpfen haben. Beides sind wichtige Differenzierungen, die wir nicht vergessen dürfen.
Außerdem ist die deutschsprachige Medienlandschaft bei Weitem nicht so einhellig derselben Meinung, wie es »Putinversteher« gerne behaupten: So kann der schwedische Wirtschaftswissenschaftler
Das Einzige, was neuerdings fehlt, sind die russischen Staatsmedien, die sich in jüngster Vergangenheit ins Herz der weltweiten Verschwörungsgläubigen-Szenen geschrieben haben, allen voran Sputnik und Russia Today (RT). Diese beobachten Frischlich und ihr Team zusammen mit einer Vielzahl anderer Onlinequellen seit Jahren intensiv: »Wir konnten feststellen, dass viele Inhalte der sogenannten Alternativmedien vor allem darauf abzielten, Misstrauen auf allen Ebenen zu schüren. In gewisser Weise wurde so ein fruchtbarer Boden erzeugt.«
Ein fruchtbarer Boden, der sich jetzt bezahlt macht.
Dann ist es auch kein Wunder, dass diejenigen, die gewohnt sind, hinter allem eine Verschwörung zu wittern und eigenen demokratischen Regierungen und allem, was in der Presse steht, zu misstrauen, nun für den Angreifer in diesem Krieg Partei ergreifen.
Vielleicht haben wir den Zusammenhang zwischen Propaganda und Fake News nur nicht richtig gesehen und trotz allem, was in den letzten Jahren passiert ist, Aufklärungsprojekten nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt? Denn der propagandistische Einsatz von Medien beginnt meist schon lange vor dem Krieg.
So lässt sich
Was können wir alle gegen Propaganda jetzt tun
Sicher hat der »Fruchtbare Boden«, diese spürbare Angreifbarkeit westlicher Demokratien durch Desinformation und Polarisierung – von Verschwörungsglauben über Wissenschaftsleugnung bis zu »Lügenpresse«-Rufen – es leichter gemacht, jetzt auch Zweifel am Angriff auf die Ukraine zu wecken.
Doch darin könnte eine große, politische Antwort auf Propaganda liegen, die auch Frischlich im Auge hat: Dem Vertrauensverlust auf allen Ebenen – in Staat, in Gesellschaft und in Medien – entschieden entgegenwirken. Dazu nötig wäre etwa, so die Forscherin, die großen gesellschaftlichen Fragen anzugehen, die Bürger:innen in die Resignation treibt: von sozialer Ungleichheit bis zum Marginalisieren oder Diskriminieren von Menschen.
Wie sehr habe ich das Gefühl, dass ich als Bürger:in eine Regierung habe, die sich dafür interessiert, wie es mir geht, die meine Bedürfnisse ernst nimmt? Wie stellen wir gut recherchierte und vertrauenswürdige Informationen bereit? Wie finanzieren wir guten Journalismus? Das sind die wichtigen Fragen. Denn Desinformation versucht natürlich auch, diese Lücken zu nutzen.
Wenn man das von der politischen Ebene herab weiterdenkt, wären vertrauensbildende Maßnahmen und alles, was die deutsche Gesellschaft und europäische Gemeinschaft zusammenwachsen lässt – von Sportgruppen bis zur Nachbarschaftshilfe, über Städte-Partnerschaften bis zu Erasmus-Austausch – auch Maßnahmen gegen eine Anfälligkeit für die Lügengebilde eines anderen Staates.
Doch Vertrauen baut man nicht über Nacht auf. Diese Maßnahmen sind eher eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, die viel Zeit braucht, um ihre Effekte zu zeigen.
Was aber kann schneller gegen Propaganda wirken?
An dieser Stelle bringen Politiker:innen gern das Schlagwort »kritische Medienkompetenz« ins Spiel – das wird unter Journalist:innen scherzhaft gern »Die Phrase, wenn Politiker:innen nicht weiterwissen« genannt. Denn dahinter kann sich alles und nichts verbergen: im besten Fall die Kompetenz, Fakten von Fälschungen und echte Nachrichten von Fake News und Propaganda zu unterscheiden.
Dazu könnte man an dieser Stelle eine Checkliste zitieren, die etwa Propaganda von Journalismus unterscheidet. Zum Beispiel so:
Falsch ist diese Liste sicher nicht – ob sie gerade aber auch nützlich ist, steht auf einem anderen Blatt. Zum Beispiel dürften derzeit viele Nachrichten aus der Ukraine eher einseitig sein, weil ein Krieg zwischen 2 Ländern nun mal dazu verleitet, Partei zu ergreifen. Auch ist es nur menschlich, dass viele Nachrichten gerade emotionale Reaktionen hervorrufen – ganz ohne Propaganda zu sein. Wenn dann noch »Clickbait-Überschriften« dazukommen, verwischt schlechter Journalismus die Trennlinien noch weiter; vor allem wenn er undifferenziert Partei ergreift oder publikumswirksame Personen sprechen lässt, die einfach keine Experten auf dem Gebiet sind.
Falschnachrichten-Experte Simon Sonnenberg jedenfalls sagt: »Das reicht nicht. Medienkompetenz muss gelernt werden, sie kann nicht einfach verordnet werden – und schon gar nicht auf die Schnelle. Das muss man trainieren und am Ball bleiben. Schließlich will niemand auf gefälschte Nachrichten oder Lügen und Propaganda reinfallen.« Davon ist der Unternehmer aus Augsburg überzeugt.
Ich glaube tatsächlich an die Mündigkeit der Menschen. – Simon Sonnenberg
Als eigene Lösung hat er mit
Es soll die Realität auf sozialen Medien abbilden, also den Newsfeed, den viele Menschen auf Facebook oder Twitter sehen und in den sich dann auch Fake News und Propaganda einschleichen.
Die meisten Menschen schauen sich in dieser Situation eine Nachricht kaum intensiv an. Wir versuchen, dafür zu sensibilisieren, dass es mehrere Ebenen einer Information gibt und Überschrift und Bild nur die erste davon sind. Danach kommen noch der Inhalt selbst und dahinter Primärquellen und Kontext.
Sonnenbergs Trick ist, auf news.oder.fake beispielhafte Schlagzeilen zu präsentieren und dazu einzuladen, sich näher damit zu beschäftigen. Denn am Ende muss der Nutzende spielerisch entscheiden: Hältst du das für Nachrichten oder Lügen?
Wir leben eben in einer hoch digitalisierten Informationsgesellschaft und haben mehr Informationen als jemals zuvor zur Verfügung. Und ich glaube, wenn man das nicht bewusst versucht in den Alltag zu integrieren und sich ständig versucht weiterzubilden, dann haben es Desinformationen umso leichter – vor allem solche, die erst mal unser eigenes Weltbild bestärken.
Als Anreiz gibt es bei news.oder.fake eine Bestenliste, um sich mit anderen Hobby-Wahrheitssuchenden zu vergleichen. Das ist natürlich einerseits Spiel, andererseits ein Trainingscenter für echte Medienkompetenz.
Dabei stoßen Sonnenberg und sein Team bei der eigenen Recherche zu vielen Nachrichten für seine App darauf, dass es statt wahr oder falsch am Ende heißen muss: Es ist kompliziert. »Manchmal ist es wahnsinnig schwer, einer Information auf den Grund zu gehen, und teilweise nicht so trennscharf, wie wir das gerne hätten. Diese ganz simple Schwarz-Weiß-Logik – es wäre schön, wenn es so wäre. Dann wüsste man vielleicht, was gut und böse ist. Die Welt ist manchmal aber einfach leider komplexer als das.« Vielleicht kommen neue Informationen hinzu, es ändert sich der Forschungsstand der Wissenschaft. Oder ein Fakt lässt sich überhaupt nicht sicher überprüfen, weil etwa eine Einschätzung zugrunde liegt.
Das ist vielleicht die letzte und wichtigste Kompetenz gegen Propaganda: Ein Verständnis dafür, dass sich die Welt nicht immer nach einer binären Logik einteilen lässt: wahr oder falsch – es ist oft eben kompliziert. Unsere Welt der (immer digitaler werdenden) Informationen ähnelt immer häufiger einem dynamischen Prozess,
Und wir müssen lernen, diese zunehmende Spannung und Informationsunsicherheit auszuhalten. Sonst laufen wir Gefahr, fast alles zu glauben, um sicher etwa »zu wissen«.
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily