Mit Sicherheit können Afghanen nicht abgeschoben werden
Denn selbst die UN-Berichte spiegeln nur einen Teil der Gefahr wider. Ist das Grund genug, Afghanen nicht mehr aus Deutschland abzuschieben?
»Ich habe Angst um mein Leben«, sagt Wazir am Telefon. Im vergangenen Herbst kam der 23-jährige Afghane in Deutschland an. Vor wenigen Wochen erfuhr er jedoch, dass die deutschen Behörden seinen Asylantrag ablehnen werden. Da Wazir nun die Abschiebung droht, ist er
Wazir kam bei seinen Verwandten in Hessen unter. Einige von ihnen leben seit Jahrzehnten in Deutschland und besitzen zum Teil die deutsche Staatsbürgerschaft. Auch sie flüchteten aus Afghanistan nach Deutschland; in den 1980er-Jahren während der sowjetischen Besatzung oder in den 1990er-Jahren während des
»Ich verstehe nicht, warum die deutsche Bundesregierung Afghanen heute abschiebt. Auch wir kamen als Geflüchtete – und wurden herzlich empfangen. Damals verstand man unsere Situation. Andernfalls wäre eine Zukunft in Deutschland nicht möglich gewesen«, sagt Wazirs Cousine.
Für viele Afghanen steht außer Frage: In ihrer Heimat herrscht Krieg nicht erst seit dem
Bevor der Krieg in Syrien ausbrach, waren Afghanen die größte Flüchtlingsgruppe weltweit.
Flüchtlingsland Afghanistan
Die meisten afghanischen Geflüchteten nimmt in diesen Tagen allerdings, so paradox das auch klingen mag, Afghanistan selbst auf – und die meisten von ihnen kommen nicht zurück aus Deutschland. Im Iran und Pakistan, den beiden Nachbarstaaten Afghanistans, sind 2,5 Millionen Afghanen registriert. Die Dunkelziffer dürfte
In Pakistan und Iran gelten afghanische Geflüchtete als »Sicherheitsrisiko«
Doch in den vergangenen Monaten wurden Hunderttausende Afghanen gezwungen, den Iran oder Pakistan zu verlassen. Denn in beiden Ländern gelten afghanische Geflüchtete als
Einmal abgeschoben, werden sie gezwungenermaßen zu Binnenflüchtlingen innerhalb Afghanistans, die oftmals von einer Krisenregion in die andere fliehen. Laut der Menschenrechts-Organisation Amnesty International gibt es mindestens
»Human Rights Watch« wirft der Flüchtlingsabteilung der UN vor, Geflüchtete nicht ausreichend geschützt und die pakistanische Abschiebungskampagne nicht entschieden verurteilt zu haben. Seit vergangenem Juli wurden fast
Für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) scheint die gegenwärtige Situation in Afghanistan keinen Einfluss auf die Abschiebungen aus Deutschland zu haben. Im Fall von Wazir begründete es, dass dessen Leben dort nicht als gefährdet eingestuft werde. In diesem und anderen Abschiebefällen beruft sich das BAMF auch auf Gebiete, in denen Afghanen angeblich in Sicherheit leben könnten.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) kommentiert dies in einem Bericht an das Bundesinnenministerium wie folgt:
Seit Mitte Dezember wurden bereits 78 afghanische Geflüchtete aus Deutschland in 3 Charterflügen
Bereits im vergangenen Jahr machte ein durchgesickertes EU-Dokument deutlich, dass die Union die Abschiebung von bis zu
»War on Terror«
Durch den jüngsten Deal könnte de facto eine unbegrenzte Anzahl afghanischer Geflüchteter abgeschoben werden. Im Gegenzug erhält die afghanische Regierung in Kabul finanzielle Hilfen. Laut der Europäischen Kommission soll Afghanistan bis 2024 jährlich mehr als 1 Milliarde Euro erhalten. Die Regierung von Präsident
Die afghanische Regierung ist lediglich am Geld der EU interessiert. Das korrupte, politische System des Landes, welches kurz nach dem Einmarsch der NATO entstanden ist, ernährt sich weiterhin von Hilfszahlungen, die auch in der Vergangenheit eigentlich für Schulen oder Krankenhäuser gedacht waren. Letztendlich haben sie allerdings nur das Luxusleben vieler Politiker und Kriegsfürsten finanziert.
Was Waheed Mozhdah sagt, bestätigen auch die Studien von
Mozhdah hebt hervor, dass die Kabuler Regierung den Schein gegenüber den westlichen Staaten wahren muss; sie gibt also vor, alles im Land – vor allem die Sicherheitslage – unter Kontrolle zu haben. Die Kämpfe in vielen Provinzen spielt sie herunter. »Überall in Afghanistan herrscht Gefahr. Zu behaupten, dass zum Beispiel Kabul sicher sei, ist falsch, wenn man die Anzahl der Anschläge und Attentate in Betracht zieht, die hier regelmäßig stattfinden. Regionen außerhalb der Großstädte sind klassische Kriegsschauplätze, an denen sich die afghanische Armee und die Taliban offen bekämpfen. Und viele dieser Gebiete sind ohnehin schon in der Hand der Taliban und werden nicht von der Regierung kontrolliert«, so Mozhdah.
Der Analyst kritisiert dabei auch die Rolle des Westens in Afghanistan: »Die selbstauferlegte Mission der westlichen Staaten unter der Führung der USA war die ›Befriedung‹ des Landes. Stattdessen ist genau das Gegenteil passiert. Tatsächlich gab es vor 2001 nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Staaten wie dem Irak weniger extremistische Akteure als heute. Der US-geführte
»Die Sicherheit in Afghanistan ist natürlich nicht so hoch wie anderswo«
Bereits Ende 2015 rechtfertigte Innenminister Thomas de Maizière Abschiebungen nach Afghanistan. Afghanistan könne aufgrund des Friedenseinsatzes der NATO-Soldaten sowie der Entwicklungshilfe, die in das Land geflossen ist,
In den Hintergrund gerät oftmals, was mit den Abgeschobenen passiert, sobald sie in Kabul sind. Wie im Fall des 23-jährigen Emran. Er wurde im Dezember aus Bulgarien nach Afghanistan
Österreich hatte ihn abgeschoben, obwohl er sich in ärztlicher Behandlung befand: »Ich habe Leber- und Nierenprobleme. Hinzu kommen noch psychische Beschwerden. Mein Arzt meinte, dass ich Österreich auf keinen Fall verlassen dürfe und auf eine permanente Behandlung angewiesen sei.« In Afghanistan kann Emran auf keine Behandlung hoffen. Dazu fehlt ihm das Geld.
Seitdem sich Emran wieder in seiner Heimat befindet, ist er vollkommen auf sich allein
Wie gefährlich ist Afghanistan wirklich?
Um die Lage in Afghanistan korrekt einschätzen zu können, braucht es vertrauensvolle Quellen. Doch diese sind in Regionen unter der Kontrolle der Taliban nur schwer auszumachen. Selbst der UN-Bericht, der die Gewalt im Land beschreibt und auf den sich westliche Politiker stützen, wird deshalb kritisiert. Analyst Waheed Mozhdah sieht hier Handlungsbedarf:
Die meisten Menschen, die den Bericht erstellen, sitzen in Kabul. Sie sind kaum in jenen Gebieten präsent, die vom Krieg am meisten betroffen sind. Dies betrifft auch Journalisten und andere Menschenrechtler. Es fehlt weiterhin an Transparenz.
Er kritisiert vor allem die konservative Zählmethode der Organisation. Demnach sind nämlich mindestens 3 verschiedene Quellen für die
Das haben auch deutsche Politiker erkannt, und sie reagieren. Das niedersächsische Innenministerium erklärte etwa, dass derzeit Rückführungen nach Afghanistan »im Zweifel bis zur Klärung der Sicherheitslage zurückgestellt
3 verschiedene Quellen sind für die Bestätigung eines zivilen Opfers notwendig
Um verlässliche Informationen zusammenzutragen, muss sich in Afghanistan Grundlegendes verändern. In vielen Dorfgemeinschaften werden weiterhin weder Geburts- noch Todesurkunden ausgestellt. Allein durch diese Praxis sind viele Opfer des Krieges nicht nachvollziehbar. Weitere unabhängige Beobachter, die zivile Opfer zählen, sind ebenfalls wichtig – und zwar in allen Gebieten des Landes, wobei ihnen eine freie und sichere Arbeit garantiert werden muss. Sie dürfen sich weder von Taliban-Kämpfern noch von lokalen Milizen oder Soldaten bedroht fühlen. Um dies zu erreichen, ist Druck von allen politischen Akteuren nötig, die in Afghanistan präsent sind.
Gegen Deutschlands Abschiebepraxis machen sich auch Bürgerinitiativen und Privatpersonen stark. Um afghanische Geflüchteten vor der Abschiebung zu schützen, sammeln sie Unterschriften.
Am aussichtsreichsten sind
In Notsituationen gibt es die Möglichkeit des Kirchenasyls, wie es 2013 die Lampedusa-Geflüchteten in der Kirche auf St. Pauli
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