4 Denkfehler, die du bei der Klimakrise vermeiden solltest
Wir wissen so viel über den Klimawandel – und nehmen ihn in unserer Umwelt doch kaum wahr. Selbst nach der Flutkatastrophe im letzten Jahr fehlt uns das nötige Risikobewusstsein. Warum das so ist und wie wir es besser machen
An einem Abend vor wenigen Monaten stand ich im Zimmer meiner Tochter und schaute aus dem Fenster. Draußen tobte ein Sturm. Ich hatte alles, was auf der Terrasse stand, längst sicher verstaut. Jetzt schaute ich auf die hochgewachsene Scheinzypresse in unserem Garten und fragte mich, ob sie dem immer stärker werdenden Wind standhalten würde. Das tat sie zum Glück. Ein paar Häuser weiter aber stürzte in der Nacht eine große Fichte auf die Straße. Als ich morgens aufstand, hörte ich lautes Sägen. Feuerwehrleute waren damit beschäftigt, die Fahrbahn freizuräumen. Es blieb nicht ihr einziger Einsatz an diesem Tag.
Ich erinnere mich an den Moment am Fenster, weil ich eine Angst verspürte, die ich bisher nicht kannte. Hinter mir lag meine 4-jährige Tochter im Bett und schlief, und ich fragte mich: Wie heftig werden die Stürme sein, wenn sie so alt ist wie ich und aus dem Fenster sieht? In dieser Nacht sind ein paar Dachziegel von unserem Haus herabgefallen. Wie vielen Unwettern wird das Dach standhalten können? Ein weiterer, sehr primitiver Gedanke kam mir: Werde ich meine Frau und meine Kinder schützen können? Das Haus meiner Familie? Ich nahm etwas wahr, was ich bisher ein wenig belächelt hatte: die Angst vor den
Bei jedem Unwetter flaut irgendwann der Wind ab. Der Regen hört auf, die Bäume werden zur Seite geräumt, die Dachziegel erneuert. Normalität kehrt ein. War doch alles halb so wild, denke ich dann. Es wird schon alles nicht so schlimm werden, wie es immer in den Artikeln und Büchern heißt, die ich lese. Das sind nur Nachrichten und Prognosen. Und überhaupt, warum sollte es ausgerechnet mich treffen, wenn der nächste Sturm kommt? Es wird schon irgendwie gut gehen.
Unsere Wahrnehmung hindert uns daran, Risiken richtig einzuschätzen.
Solche Gedanken sind gut erklärbare psychologische Mechanismen. Sie helfen uns dabei, uns selbst zu beruhigen und an bestehenden Lebensgewohnheiten festzuhalten. Doch unbequeme Wahrheiten werden nicht weniger wahr, nur weil wir uns daran gewöhnen. Die Selbstberuhigung führt nicht dazu, dass wir einer drohenden Krise bestmöglich begegnen. Die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen
Wir können uns nur auf bevorstehende Katastrophen vorbereiten, wenn wir ein Bewusstsein für ihre Tragweite haben. Und um besser mit eintretenden Krisen umgehen zu können, ist es notwendig, Risiken richtig einzuordnen. In diesem Text werde ich 4 Wahrnehmungsfehler identifizieren, die uns daran hindern, die möglichen Konsequenzen des Klimawandels richtig einzuschätzen – und erklären, wie wir uns diesen Denkfehlern stellen können.
1. Die Normalitätsverzerrung: Je schlimmer die Vorhersage, desto unglaubwürdiger
Es kommt vor, dass uns große Krisen wie aus dem Nichts ereilen. In den USA kollabierten 2008 die Banken, was zu einer langjährigen weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise führte. Einige Jahre später kam es zur sogenannten »Flüchtlingskrise«. Zuletzt die Coronapandemie, die Flutkatastrophe, der Krieg in der Ukraine.
All diese Krisen vereint nicht nur, dass sie schwere soziale Folgen haben. Meistens haben sie Politik und Gesellschaft auch kalt erwischt. Allerdings: Aus heiterem Himmel kam keine der Krisen. Stürme lassen sich immer voraussagen. Und, um im Bild zu bleiben: Bei allen der gerade genannten Krisen waren die dunklen Wolken schon Jahre vorher zu erkennen. Immer warnten Klimaforscher:innen, Soziolog:innen, Wirtschaftswissenschaftler:innen, Epidemiolog:innen und andere anerkannte Fachleute und Institutionen vor heftigen Ereignissen. Immer mahnten sie, etwas zu unternehmen, bevor es zu spät ist.
Der Klimawandel ist die denkbar größte Krise für uns Menschen, weil sie unsere Lebensgrundlage
Warum aber sind wir so krisenblind? Eine Erklärung dafür ist das sogenannte »Normalcy bias«. Diese Normalitätsverzerrung führt dazu, dass Menschen Gefahren kleinreden oder gar nicht erst glauben. Jüngstes Beispiel dafür: der Ukrainekrieg. Ein Angriff auf das gesamte Land galt bis zuletzt als das schlimmste, aber auch unwahrscheinlichste Szenario. Noch als US-Präsident Joe Biden vor einem russischen Einmarsch innerhalb weniger Tage warnte, schien ein Krieg außerhalb des Vorstellungsvermögens vieler Menschen zu
In Deutschland und anderen Ländern wurde Biden wegen seiner Warnungen als »Kriegstreiber« bezeichnet. Dass er sich auf Geheimdienstinformationen berief, wurde kurzerhand übersehen. Biden behielt recht. Wie prognostiziert, kam es wenige Tage später
In einer Krisensituation erkennt nur eine kleine Gruppe, auf welche Reaktion es ankommt.
Es kann nicht sein, was nicht sein darf – und dann tritt es doch ein. Das Normalcy bias führt dazu, dass wir reale Gefahren unterschätzen. Das wiederum bewirkt, dass wir unvorbereitet sind und unzureichend reagieren, wenn die Krise eintritt.
Mahnende Stimmen – sei es bei einem drohenden Krieg, in einer Pandemie oder vor einem angekündigten Hochwasser – als Panikmacher zu bezeichnen ist also keine gute Idee. Besonders dann nicht, wenn die Personen über Fachwissen verfügen und durch ihre Position Anerkennung und Autorität erworben haben. Menschen, die eine Vorahnung äußern und meinen, Anzeichen einer Gefahr zu erkennen, mögen zwar als Besserwissende erscheinen, doch etwas besser zu wissen kann in einer Krise Leben retten.
Vielleicht sollten wir uns ein Beispiel am Verhalten von Tieren nehmen: Bei den Erdmännchen etwa lässt sich ein klar definiertes Sozialgefüge beobachten. Wenn ein Teil der Gruppe in der Erde buddelt, gibt es andere Tiere, die aufrecht auf einem Ausguck stehen, die Umgebung sichern und Alarm schlagen, wenn Gefahr in Verzug ist. Bei den Honigbienen ist das ähnlich: In jedem Volk gibt es Wächterbienen, die am Flugloch warten, aufpassen und Eindringlinge abwehren. Diese Beispiele zeigen, dass eine hohe Wachsamkeit in der Tierwelt überlebenswichtig ist. Bei Menschen ist das nicht anders.
2. Die Optimismusverzerrung: Uns wird schon nichts passieren
Systematische Denkfehler zeigen: Menschen denken nicht immer logisch und rational, sondern neigen dazu, Dinge zu vereinfachen. Das hilft uns gerade bei der so komplexen Klimakrise, das Thema irgendwie fassbar zu machen. Das kann positive Folgen haben, wenn wir beispielsweise dazu übergehen, weniger Fleisch zu essen oder häufiger mit dem Rad zu fahren. Wir wissen dann, dass wir etwas Gutes tun.
Unser begrenztes Denkvermögen kann aber auch negative Folgen haben: Wir glauben, in einer Normalität zu leben, und erwarten »die Klimakatastrophe«, wenn überhaupt, in einer fernen Zukunft. Dass eine Katastrophe aber heute schon über uns hereinbrechen kann, sollte seit dem Hochwasser im letzten Jahr eigentlich allen klar sein.
Unsere Hoffnungen erscheinen uns oft wahrscheinlicher, als sie in Wirklichkeit sind.
Benni Thiebes, Risikoforscher und
Risiken seien immer Wahrscheinlichkeiten – und Menschen seien nun einmal schlecht darin, Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen. Hinzu komme ein genereller Optimismus: »Wir sind als Menschen hoffnungsvoll und erwarten erst einmal nicht das Schlimmste.«
Was Risikokompetenz genau bedeutet und wie du sie verbessern kannst, findest du in diesem Artikel von Judith Braun:
Das »Optimism bias« tritt häufig zum Normalcy bias hinzu: Es wird schon alles gut werden. Diese optimistische Verzerrung führt dazu, dass Menschen die Wahrscheinlichkeit negativer Ereignisse in ihrer eigenen Zukunft unterschätzen. Das heißt, wir sehen zwar vielleicht die drohenden Folgen, glauben aber, dass es uns schon nicht treffen wird. Unsere Hoffnungen erscheinen uns wahrscheinlicher, als sie in Wirklichkeit sind.
Diese Denkweise stützen wir durch vermeintliche Beweise, die auch ich mir immer wieder vorhalte: Die Flutkatastrophe war da, ich habe sie sogar mit eigenen Augen gesehen, als ich eine Reportage für Perspective Daily
Ich kann die Gefahren für mein eigenes Leben so lange leugnen, wie ich nicht selbst betroffen bin. Klüger wäre es natürlich, die Betroffenheit einzukalkulieren und entsprechende Vorkehrungen zu
Rund 80% der Menschen unterliegen der Optimismusverzerrung, wie Forscher:innen anhand von Experimenten und Fragebögen herausgefunden
Um Veränderung im Handeln zu bewirken, sei eine Änderung im Denken notwendig. Und dazu brauche es eine andere Art der Kommunikation, die die positiven und gemeinschaftlichen Seiten der Bewältigung von Klimafolgen in den Vordergrund rücke, meint Thiebes:
Wenn man sich mit Risiken befasst, bin ich immer dafür, das proaktiv und unaufgeregt zu tun. Ich habe ein Problem damit, wenn Gefahren in Katastrophenszenarien dargestellt werden. Natürlich wird es einzelne Katastrophen geben. Aber wir müssen eine unaufgeregte Art finden, darüber zu reden und uns rein sachlich mit Risiken zu beschäftigen, so wie wir es auch in anderen Lebensbereichen tun, etwa bei der Sicherheit von Verkehrsmitteln und Medikamenten.
Risiken zu kennen und zu kommunizieren bedeutet also nicht, dass jemand pessimistisch oder hoffnungslos ist. Es spricht nichts dagegen, Hoffnung zu haben. Es kommt aber darauf an, die eigene Hoffnung nicht mit Erwartungen zu verwechseln: Ich hoffe zwar, dass kein Sturm mehr kommt, der weitere Dachziegel vom Haus reißt. Aber ich erwarte, dass es wieder passiert, und bereite mich darauf vor.
3. Pflanzenblindheit: Es gelingt uns nicht, das Verschwinden der Natur wahrzunehmen
Wenn ich am Kinderzimmerfenster stehe, sehe ich den Rasen, die Bäume, Sträucher und Blumen in unserem Garten. Lange war er mehr oder weniger sich selbst überlassen. So ist mit der Zeit ein schöner zugewachsener Garten entstanden, mit Fliederbüschen, Wildem Wein und einem kleinen Walnussbaum.
Da aber auch jeder wilde Garten etwas Ordnung vertragen kann, fing ich an, mich mit den einzelnen Pflanzen zu beschäftigen. Doch schnell kam ich an die Grenzen meiner Naturkenntnis. Wie viele andere Menschen leide ich unter einem Wahrnehmungsfehler: Ich sehe, dass in meinem Garten, an der Straße, im Wald, eigentlich überall Pflanzen sind. Ich weiß aber weder, wie sie heißen, noch aufgrund welcher Bedingungen sie dort wachsen. Dieses Phänomen nennt sich Pflanzenblindheit. Ich sehe in der Regel einfach Sträucher, Bäume und andere grüne Gewächse. Manchmal kann ich sie identifizieren, oft aber nicht.
Mir fehlen das Wissen, aber auch die Zeit, um das Verschwinden von Arten zu bemerken. Möglicherweise ist das menschliche Auge aber auch gar nicht gut geeignet, um Pflanzen differenziert wahrzunehmen. Biolog:innen, die sich mit Pflanzenblindheit
4. Das Shifting-Baseline-Syndrom: Wir akzeptieren eine neue Norm, ohne es zu merken
Meine Pflanzenblindheit führt auch dazu, dass ich Veränderungen in der Natur kaum bemerke. Ich übersehe, dass bestimmte Arten verschwinden und sich andere immer weiter ausbreiten. Das liegt auch an einem Phänomen, das in der Umweltforschung als »Shifting-Baseline-Syndrom« bezeichnet wird. Es beschreibt den Umstand, dass wir den Wandel unserer Umwelt nur eingeschränkt wahrnehmen, weil er sich langsam, über Generationen vollzieht.
In meiner Kindheit gab es im Sommer Scharen von Schmetterlingen auf den Wiesen – doch es waren schon weitaus weniger als noch Jahrzehnte zuvor. Meine Großeltern müssen mit jedem Schritt über eine Wiese zahlreiche Schmetterlinge aufgescheucht haben. Sie liefen über andere Wege als ich, hörten andere Vögel singen und strichen sich mehr Insekten von den Armen und Beinen.
Meine Kinder werden etwas ganz anderes als natürlich wahrnehmen. Weite kahle Flächen in ehemals dichten Wäldern sind für sie normal. Die Ausgangssituation hat sich verschoben. Das Shifting-Baseline-Syndrom sorgt dafür, dass stetige Umweltveränderungen unbemerkt bleiben und mit der Zeit eine neue akzeptierte Norm für den Zustand der Natur darstellen. Wir werden damit toleranter in Bezug auf Umweltzerstörungen.
Aber wie lässt sich das verhindern? Pflanzenblindheit und das Shifting-Baseline-Syndrom sind Wahrnehmungsfehler, die sich nicht einfach abstellen lassen. Doch wir können lernen, ein neues Bewusstsein zu entwickeln. Die Biologen Masashi Soga und Kevin Gaston forschen zum
Ähnlich argumentiert die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal. In der Wochenzeitung
In Schweden kommen Kinder erst mit sieben Jahren in die Schule und verbringen die verlängerte Kindergartenzeit zu einem großen Teil in den schwedischen Wäldern, wo sie anhand von Blättern und Ästchen das Zählen und die Grundrechenarten lernen: Bring mir drei Bucheckern, und jetzt drei mehr. Deshalb fordere ich: auch in Deutschland Waldkindergärten für alle bis zum siebten Lebensjahr!
Mithu Sanyal, die im vergangenen Jahr große Aufmerksamkeit mit ihrem Roman »Identitti« erlangt hat, betont in ihrem Artikel, dass nicht die Natur, sondern unser Verhältnis zur Natur gestört sei. »Wir wachsen mit der Vorstellung auf, dass Menschen getrennt sind: voneinander und von der Welt um uns herum«, schreibt sie. Wenn wir uns jedoch als getrennt von der Natur wahrnehmen, könnten wir auch nicht mit ihr interagieren. »Die Aufgabe ist also, das Bewusstsein für unsere intime Verwandtschaft mit der lebendigen Welt wiederherzustellen und einen nützlichen und heilsamen Umgang zu erlernen«, stellt Sanyal fest. Die Natur in Ruhe zu lassen sei keine sinnvolle Option, weil wir eben selbst Teil der Natur seien.
Eines der ersten Dinge, die wir gegen den Klimawandel unternehmen können, ist also, ihn überhaupt erst einmal wahrzunehmen. Dazu gehört auch, wahrzunehmen, was aufgrund der Klima- und Umweltveränderungen nicht mehr da ist. Wann hast du zum Beispiel zuletzt den trillernden Gesang einer Feldlerche oder das Zirpen von Grillen gehört?
Wie unsichtbare Gefahren sichtbar werden
Doch die Wahrnehmung der Gefahren, die durch den Klimawandel drohen, ist nicht nur eine individuelle Aufgabe, sondern die Aufgabe ganzer Gesellschaften. Dabei können schon einfache Hilfsmittel weiterhelfen. Benni Thiebes vom Deutschen Komitee Katastrophenvorsorge schlägt vor, unsichtbare Risiken in unserer Umwelt sichtbarer zu machen. »Gerade die größeren Ereignisse, die nur sehr selten stattfinden, aber zu Katastrophen führen können, sollten wir besser veranschaulichen.« So könnten beispielsweise bei Dorffesten in hochwassergefährdeten Orten die vorhandenen Hochwasserlinien an Gebäuden mit blauen Luftballons markiert und so thematisiert werden. Oder man könnte Straßenlaternen mit Hochwassermarken versehen.
Thiebes findet, dass das Risikobewusstsein ein wichtiger Schritt sei, um mit einer Krise besser umgehen zu können, wenn sie eintrete. Er erinnert sich in unserem Gespräch an ein Haus in Walporzheim im Landkreis Ahrweiler, an dem historische Flutmarken aufgemalt waren. Sie stammten aus den Jahren 1804 und 1910. Es waren Jahrhunderthochwasser. Letztes Jahr wurden diese Marken überschritten. Der Mann, der in diesem Haus lebte, erzählt Thiebes, sei der Einzige in der gesamten Nachbarschaft gewesen, der sich vor der Flut in Sicherheit gebracht habe. Er habe das Risiko rechtzeitig erkannt.
Ich weiß es nicht mit Sicherheit, doch ich vermute, dass dieser Mann seine Nachbar:innen gewarnt hat. Doch weil sie eine derartige Katastrophe bisher nicht erlebt hatten, konnten sie sich nicht vorstellen, dass es dazu kommt. Während ich die letzten Sätze dieses Artikels schreibe, ist es draußen wieder stürmisch geworden. Die Bäume biegen sich im Wind. Es wird wohl nicht so schlimm werden, nicht heute. Aber morgen, nächste Woche oder in einem Jahr kann es ganz anders aussehen. Ich muss endlich einsehen, dass der Klimawandel zu meinem Leben dazugehört. Ich kann ihn nicht ignorieren.
Titelbild: Eris Setiawan - CC0 1.0