Russische (Des-)Information?
Falschmeldungen und Trolle gehören zum Alltag im Internet dazu. Neuerdings spricht vieles dafür, dass der russische Staat diese bewusst nutzt, um europäische Staaten zu beeinflussen. Es gibt auch erste Gegeninitiativen.
»Ja, ihr seid dumm. Ihr russischen Journalisten, die stolz sind auf ihr Land. Seid ihr bescheuert?«, soll der Mann laut dem russischen Übersetzer zu der adrett gekleideten Interviewerin gesagt haben. Außerdem, so heißt es in dem Video des regierungsfreundlichen
Der Mann heißt Hajo Seppelt und arbeitet als Journalist beim WDR. Sein Schwerpunkt: Doping im Sport. Auch seinen Enthüllungen ist es zu verdanken, dass der
Hajo Seppelt beschreibt das Interview mit den RT-Journalisten anders. Gegenüber der
Wie sich die Situation wirklich zugetragen hat, lässt sich kaum nachweisen. Klar ist aber: RT berichtet ausführlich und streut dabei Zweifel an den Recherchen des deutschen Journalisten ein – Recherchen, die sich mit den Ergebnissen anderer Journalisten und mit zwei Berichten der
Von Troll-Fabriken und fragwürdigen Experten
Mit genau diesem Vorgehen von RT hat auch Sijbren de Jong von

Ein Beispiel: Die »Agency for Internet Studies« (Agentur für Internetstudien) klingt vermeintlich seriös – hinter ihr verbirgt sich aber eine Troll-Fabrik, der im vergangenen Jahr der Prozess gemacht wurde. Die
Sijbren de Jong weist darauf hin, dass eine direkte Kontrolle durch den Kreml oft schwer nachweisbar sei – vermeintliche Trolle könnten auch russische Bürger sein, die tatsächlich so denken. Neben den Troll-Fabriken existieren zahlreiche andere Möglichkeiten, die der Kreml (vielleicht) zur Desinformation nutzt. Verbindungen konnten jedoch bislang kaum nachgewiesen werden. Ein Mitarbeiter der EU, der sich viel mit dem Thema beschäftigt, erwähnt kleinere Internetseiten, die in Zentraleuropa und ehemaligen Ostblockstaaten eine wichtige Rolle spielen würden. Trolle seien vor allem in Skandinavien erfolgreich, während etwa in Großbritannien die offiziellen russischen Medien, wie RT oder Sputnik, bedeutsam seien. Der Mangel an konkreten Studienergebnissen erschwere es, das Ausmaß zu beziffern.
Was ist eigentlich Desinformation?
Der Mangel an konkreten Beobachtungen und Zahlen fordert Wissenschaftler wie Sijbren de Jong, die sich mit russischer Desinformation beschäftigen, heraus. Anders als die Propaganda während des Kalten Krieges ist der Begriff der Desinformation wesentlich unklarer, die Grenzen zu »normaler« Berichterstattung sind fließend. Der Politikwissenschaftler Donald Jensen vom amerikanischen
Die Wahrheit herauszufinden mag schwierig sein – eine klare Falschaussage ist aber meist leicht zu benennen. Wenn etwa die ukrainische Regierung in russischen Medien pauschal als »faschistisch« bezeichnet wird, braucht es keine politikwissenschaftliche Definition von Faschismus, um die Aussage zu widerlegen. Auch wenn die rechtsradikale ukrainische
Anders als bei der Sowjet-Propaganda des Kalten Krieges fehlen bei heutiger Desinformation eine klare Ideologie und ein klarer staatlicher Sender der Botschaften. Statt mit einer globalen, politisch links orientierten Bewegung kooperiert der Kreml jetzt mit allen, die dazu bereit sind: Alt-Linke, Separatisten und Rechtspopulisten.

Russlands europäische Verbündete
Seine Verbündeten fördert der Kreml auf verschiedenste Weisen, staatsfinanzierte Medien sind nur ein Teil davon. Welche Hilfsmittel am besten funktionieren, ist dabei von Land zu Land unterschiedlich.
- Medienaufmerksamkeit: Ben Nimmo arbeitet aktuell am
- Geld: Auch im deutschsprachigen Raum gibt es Beispiele für solche Parteinahmen Russlands. Die rechtspopulistische österreichische FPÖ hat beispielsweise seit den 1990er-Jahren eine 180-Grad-Wende in ihrem Verhältnis zu Russland vollzogen. Die damals strikt anti-russische Partei kann sich heute
- Austausch: Kooperationen zwischen der AfD und Russland zeigen sich jedoch auf anderer Ebene. So nahm der nordrhein-westfälische AfD-Landesvorsitzende Marcus Pretzell am

Informationen als Druckmittel russischer Politik
Steckt dahinter eine neue eurasische Ideologie, wie sie etwa der russische Politiker und Publizist
In ihrem Bericht
- Stören von Kommunikationskanälen durch den Kauf von westlichen Medien, Koordination von
- Demoralisieren des Feindes durch die Verwirrung des Westens mit widersprüchlichen Aussagen, Verleitung von Experten durch hochkarätige Foren und Desinformations-Kampagnen
- Aushebeln von Kommando-Strukturen durch Zerteilung des Westens und den Kauf
Desinformation wäre demnach, wie Donald Jensen vom CEPA betont, »nur eine von mehreren Waffen im russischen Arsenal«. Ihm zufolge geht russische Desinformation über sowjetische Propaganda hinaus und ist besonders effektiv, weil wir noch zu wenig darüber wissen. Anders als Peter Pomerantsev und Michael Weiss schätzt er russische Desinformation aber weniger dramatisch ein. Sie sei vielmehr eine »nicht sehr weiche Version der weichen Macht
Dem bereits genannten EU-Mitarbeiter zufolge geht es zusätzlich darum, bestehende Konflikte innerhalb der EU zu verstärken und so eine Polarisierung der EU zu fördern. Darum seien sowohl die schottische als auch die britische Unabhängigkeit, ungeachtet der ideologischen Unterschiede, von russischem Interesse. Interessant wird es in diesem Kontext, die russische Berichterstattung über Abspaltungsbewegungen in Schottland und Nordirland
Sijbren de Jong vom HCSS beschreibt die russische Strategie als Versuch, Gegner durch Reflexe zu kontrollieren. Wenn Russland eine Drohkulisse aufbaue und Ängste schüre, provoziere dies Reaktionen im Westen. Wenn der Kreml Ängste im Baltikum (Estland, Lettland und Litauen) schüre, liege das nicht daran, dass Russland das Baltikum ernsthaft bedrohen wolle – der Kreml spiele sich aber stärker auf, als er sei. So sei Russland den Wirtschaftsdaten zufolge nicht allzu wichtig für die EU

Mittel und Wege gegen Desinformation
Gerade weil Desinformation kein klarer Begriff ist, wird er auch kritisiert und es wird beispielsweise
Auch deswegen tut sich die EU schwer mit Gegenmaßnahmen. Erst im September 2015 wurde die East StratCom Task Force in der Abteilung für Strategische Kommunikation im Europäischen Auswärtigen Dienst gegründet. Die 10 Mitarbeiter werden bislang von den Mitgliedstaaten der EU eingestellt und sind keine festen EU-Bürokraten. Dazu kommen Bedenken, dass sich die EU mit
Die Berichte richten sich laut Aussage des befragten EU-Mitarbeiters sowohl an Journalisten als auch an die interessierte Öffentlichkeit. Aufklärung ist demnach ein wichtiges Ziel, um russischer Desinformation entgegenzutreten. Nur: Studien zu Falschmeldungen deuten an, dass dies kontraproduktiv sein kann – nachträgliche Korrekturen von Fehlinformationen können den
Im September wird die EU die Task Force erstmals evaluieren, um zu bewerten, wie erfolgreich ihre bisherige Arbeit war. Der Leiter der Information Warfare Initiative, Donald Jensen, betont, dass ein besseres Verständnis für russische Ziele, Strategien und Netzwerke unumgänglich sei, um eine effektive Gegenstrategie zu entwickeln. Die anstehende Evaluation könnte diese Informationen liefern.
Was bleibt bis dahin an Alternativen? Die Förderung eines verantwortungsvollen Umgangs mit Medien im Allgemeinen ist ein guter Startpunkt. Medien und Behörden können nur begrenzt informieren, ohne in eine Gegenpropaganda zu verfallen. Deswegen gilt: Als Mediennutzer sollten wir (prinzipiell und unabhängig von russischer Desinformation) auf Quellen achten und selbstständig Informationen überprüfen, bevor wir Falschmeldungen aufsitzen. Denn die Verantwortung, zu entscheiden, welchen Informationen wir vertrauen, kann uns niemand abnehmen.
Mit Illustrationen von Pavel Sokov für Perspective Daily