Von schwarzen Rittern, Zuckerbrot und Peitsche: Wie Sanktionen gegen Russland wirken können
Die EU verhängt immer schärfere Sanktionen gegen Russland. Doch kann wirtschaftlicher Druck Kriege beenden? 3 Vorschläge für einen effizienten Einsatz wirtschaftlicher Strafmaßnahmen
Ja, es geht noch härter. Darüber ist sich die Europäische Kommission einig und verabschiedet Anfang April
Das Besondere an diesem Sanktionspaket: Erstmals soll der Energiesektor berührt werden – die wirtschaftliche Achillesferse des Kremls, aber auch der EU. Kohlelieferungen aus Russland im Wert von
Die Maßnahmen gegen Russland seit Beginn des Angriffskrieges sind überraschend hart. Noch gegen kein anderes Land hat die EU Sanktionen in dieser Geschwindigkeit, Einigkeit und in diesem Umfang erlassen. Im Rahmen der
- Gezielte Sanktionen gegen kremlnahe Personen, darunter Mitglieder des russischen Parlaments oder Oligarchen und Geschäftsleute; ihnen wurden etwa Konten eingefroren oder die Einreise in die EU verwehrt.
- Die EU sperrte den europäischen Luftraum für russische Fluggesellschaften sowie zahlreiche Häfen für russische Schiffe.
- In der EU geparkte Vermögenswerte von Wladimir Putin und seinem Außenminister Sergei Lawrow wurden eingefroren.
- Die Ausstrahlung staatsnaher Medien wie Sputnik und Russia Today wurde in der EU verboten.
- Der Import von Eisen, Stahl und Luxusgütern aus Russland in die EU wurde gestoppt; auch Holz und Wodka darf Russland nicht mehr in die EU liefern.
- Die EU beschränkte den Zugang zu Kapital- und Finanzmärkten für russische Unternehmen und Banken. So wurden zum Beispiel Transaktionen mit der russischen Zentralbank verboten. Ein besonders umstrittener Schritt, der auch die europäischen Volkswirtschaften hart treffen könnte, wurde ebenso genehmigt: 7 russische Banken wurden vom Zahlungssystem
Diese Reaktion der EU auf Russlands Angriffskrieg steht – wenn auch in außergewöhnlicher Härte – exemplarisch für die Außenpolitik westlicher Demokratien: Sobald schwere
Doch welche Ziele verfolgen Sanktionen genau? Und erreichen sie diese überhaupt?
Sanktionen: Der Joker der Außenpolitik
Sanktionen können unterschiedliche Gestalt annehmen: Manchmal kommt es zu einem Waffenembargo oder der Im- bzw. Export bestimmter Güter und Dienstleistungen wird gestoppt. Meistens treffen die Strafmaßnahmen gezielt Personen aus Regierungs- oder Wirtschaftskreisen; ihre Konten werden dann zum Beispiel eingefroren und sie dürfen nicht mehr in das sanktionierende Land einreisen.
Mit Sanktionen soll bewirkt werden, dass Regierungen ein bestimmtes Verhalten ändern. So sollte beispielsweise im Fall Iran die politische Führung dazu gebracht werden, ihr Atomprogramm einzustellen. In den seltensten Fällen zielen Sanktionen darauf ab, das Regime an sich zu ändern
»Im Falle des Ukrainekrieges geht es bei den Sanktionen vor allem um einen Rückzug Russlands aus der Ukraine. Konkretere Ziele sind noch nicht definiert worden«, sagt Liana Fix, Politikwissenschaftlerin bei der Körber-Stiftung mit Fokus auf Russland und Osteuropa.
Wirtschaftliche Strafen ermöglichen es der EU, die Ukraine zu unterstützen, ohne militärisch eingreifen zu müssen. Sanktionen sind so etwas wie der Joker in der Außenpolitik: Er kommt ins Spiel, sobald Verhandlungen mit einem Staat nicht mehr ausreichen, und wird von einem Akteur gezogen, bevor dieser zu militärischen Mitteln greift. Sanktionen sind also weder Diplomatie noch Krieg, weder Worte noch Waffen. Vor allem sind sie eines: umstritten. Was bringen sie wirklich?
Die »Sanktionspeitsche« als reine Symbolpolitik?
Die Frage nach der Wirksamkeit internationaler Sanktionen stellt sich in der Außenpolitikforschung immer wieder, ohne eindeutig beantwortet werden zu können. Denn der Einfluss von Sanktionen auf den Kurswechsel eines Regimes ist schwer von anderen Faktoren trennbar, zum Beispiel von einer starken Opposition oder der wirtschaftlichen Lage im Land.
Dementsprechend sind die Ergebnisse von Studien umstritten, die die Auswirkungen von Sanktionen untersuchen.
Sascha Lohmann forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin zu internationalen Sanktionen. Für Lohmann fokussiert sich die Fachliteratur zu sehr auf das hohe Ziel der Verhaltensänderung und vernachlässigt dabei unterschwellige Absichten, die öfter erreicht, jedoch nicht immer offiziell kommuniziert würden. Dazu gehöre, eine Regierung zu bestrafen oder zumindest ihr Handeln zu erschweren; vor allem gehe es aber darum, das eigene Image als moralisch handelnder Staat international aufrechtzuerhalten. »Die Fähigkeit, die eigene Einflusslosigkeit angesichts verabscheuungswürdiger Taten auszuhalten, ist insbesondere in westlichen Demokratien nicht besonders ausgeprägt«, so der Politikwissenschaftler.
Dies scheint auch für die jüngsten Sanktionen der EU ein wichtiger Motivator zu sein. So begründete die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Vorschlag zum Sanktionspaket Nummer 5 damit, dass die EU und die ganze Welt Haltung gegenüber
Auch laut Politologin Liana Fix könnten die aktuellen Sanktionen normative Grenzen ziehen. Sie sagt: »Damit stärkt man nicht nur die eigenen Werte, sondern schreckt auch andere Akteure ab, die ähnliche Regelverletzungen planen.«
Was bei Sanktionen alles schiefgehen kann
Um einen moralischen Imageverlust zu vermeiden, nehmen die sanktionierenden Länder allerdings Nebenwirkungen in Kauf, die häufig bei Sanktionen auftreten:
- Der »Rally ’round the flag«-Effekt
Sanktionen können unbeabsichtigt autoritäre Regierungen stärken, wenn sich die Bevölkerung aufgrund der von außen auferlegten Restriktionen mit ihrer Regierung solidarisiert. Russlands Präsident Wladimir Putin zieht diese Opferkarte gern, und sie scheint zu funktionieren: - »Der schwarze Ritter«
Als »schwarze Ritter« würden laut Lohmann Länder bezeichnet werden, die sanktionierte Regierungen unterstützten und so die Wirkung von Sanktionen abfederten. Sanktionen trieben in diesem Fall das betroffene Land (weiter) in die Arme autoritärer Bündnispartner. Als Beispiel nennt Lohmann Nordkorea, dessen Regime durch die Unterstützung Chinas aufrechterhalten werde. Auch für Russland könnte China - Das Leid der Gesellschaft
Sanktionen können gravierende Folgen für die Zivilgesellschaft haben, wenn sie die gesamte Volkswirtschaft eines Landes treffen.
Laut Lohmann träfen aber selbst diese »intelligenten Sanktionen« immer wieder unschuldige Zivilist:innen. Im Iran etwa nahm die Qualität von Autotreibstoffen aufgrund von Importeinschränkungen petrochemischer Erzeugnisse ab, was die Luftverschmutzung in Teheran erheblich verschlimmerte –
Angesichts der geringen Erfolgsquote von Sanktionen und der Anzahl an Nebenwirkungen stellt sich die Frage: Gibt es einen besseren Weg?
Keine Sanktionen sind auch keine Lösung: 3 Vorschläge für mehr Effizienz
Dass Sanktionen dennoch Wirkung zeigen – wenn auch selten die gewünschte Verhaltensänderung –, darüber sind sich die meisten Forscher:innen einig. Als Instrument der Außenpolitik sind sie also kaum wegzudenken.
Liana Fix hält die EU-Sanktionen gegen Russland für wichtig, um weiter Druck auf Putin auszuüben. Insbesondere Energiesanktionen könnten eine Wirkung erzielen, meint die Russlandexpertin und fügt hinzu: »Je höher der Druck auf Russland, desto mehr verbessern wir die Verhandlungsposition der Ukraine.«
Doch könne der Joker geschickter ins Spiel geworfen werden. Sanktionen sollten nicht reflexartig als emotionale Antwort erlassen werden, sondern überlegt. Hier sind 3 Maßnahmen, die uns die Forschung und Erfahrungen aus der Geschichte lehren. Werden sie beachtet, können Sanktionen effizienter wirken:
- Keine Peitsche ohne Zuckerbrot
Dafür plädiert die amerikanische Politikwissenschaftlerin Stacy Closson - Die wissenschaftliche Basis prüfen
Bevor Sanktionen als reine Symbolpolitik blind erlassen werden, sollte abgewogen werden, in welchen Fällen und zu welchem Zeitpunkt sie sinnvoll sind. Als Entscheidungsbasis können wissenschaftliche Studien dienen. Diese haben verschiedene Faktoren identifiziert, welche die Wirksamkeit von Sanktionen erhöhen oder schmälern. Dabei gilt: Je stärker der Austausch zwischen sanktionierendem und sanktioniertem Land im ökonomischen, kulturellen und sozialen Bereich ist, desto aussichtsreicher sind Sanktionen, da durch die Unterbrechung der Beziehungen das »Zielland« wirklich getroffen wird. Eine langjährige Sanktionierung führt außerdem zur Abnahme der Wirkung von Sanktionen. Und: Wenn Sanktionen unilateral erlassen werden, wirken sie weniger, als wenn eine Staatengemeinschaft geschlossen dahintersteht. Militärregime und Regime mit einem autoritären Führer an der Spitze sind anfälliger für Sanktionen (im Gegensatz zu Einparteiendiktaturen oder religiösen/sozialistischen Diktaturen), weil es schwieriger ist, Nachfolger zu finden, und keine Ideologie die Legitimation aufrechterhält. Und schließlich: Wenn die mit den Sanktionen verbundenen Forderungen einen zu hohen Preis vom Zielland verlangen, werden sie eher wirkungslos bleiben. - Abschreckung
Bekanntlich wirkt die Möglichkeit einer Bestrafung oft stärker als die Strafe selbst. So wie die Furcht vor einer
Wie der Joker in ein Kartenspiel gehört, so sind auch Sanktionen aus der Außenpolitik nicht wegzudenken – allein schon wegen ihrer symbolischen Bedeutung. Das europäische Image haben sie jedenfalls aufpoliert: Die EU kann sich nicht vorwerfen lassen, untätig gegenüber der Ukraine zu sein.
Erste Auswirkungen des Sanktionsjokers scheint es bereits zu geben. So kann Russland seine Schulden nicht mehr in Dollar zurückzahlen, was auf eine
Ob der wirtschaftliche Druck den Kreml dazu bewegen kann, seine Truppen ganz abzuziehen und
Einige der oben genannten Punkte erfüllen die Sanktionen der EU. So wurden sie graduell erlassen, und die Aussicht auf Verschärfung wurde angekündigt. Der Knackpunkt dabei bleibt, ob Russland die Abschreckung ernst nimmt oder bezweifelt, dass die EU tatsächlich den Import von Gas und Öl aus Russland stoppen könnte. Auch steht die »westliche« Welt geschlossen hinter den Sanktionen, was deren Wirksamkeit erhöht. Ein weiterer Pluspunkt: Russland ist wirtschaftlich eng mit der EU verbunden, sodass die Sanktionen Russlands Wirtschaft massiv schaden. Was hingegen fehlt, ist eine klare Kommunikation von Anreizen, die Russland zu einem Waffenstillstand bewegen könnten. Auch zieht sich das Sanktionsregime gegen das Land nun schon seit 2014 in die Länge, was die Wirksamkeit der Strafmaßnahmen mindert.
Schlussendlich hängt das Ergebnis von mehreren Faktoren ab: Wie geschickt die EU ihre Sanktionen mit diplomatischen Anreizen verbinden und gleichzeitig Russland mit der Aussicht auf weitere Energiesanktionen abschrecken kann; wie sich die wirtschaftliche Lage und die Opposition im Land entwickeln – und ob China Putin als schwarzer Ritter den Rücken für seinen Krieg freihalten wird.
Dieser Text ist bei uns in ähnlicher Form bereits im Jahr 2021 erschienen, anlässlich der aktuellen Lage habe ich ihn überarbeitet und ergänzt. Aus dem Jahr 2021 stammen die Zitate von Sascha Lohmann. Ergänzend dazu habe ich mit der Politologin Liana Fix ein aktuelles Interview geführt.
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily