Wer gibt Putin das Recht, die Rohstoffe des russischen Volkes zu verscherbeln?
Die Hälfte des weltweit gehandelten Öls ist gestohlen. Auch Deutschland importiert fossile Rohstoffe, die korrupte Eliten an ihrer Bevölkerung vorbei ins Ausland verkaufen. Wie können wir uns vom »blutigen Öl« befreien? (Artikel aus dem Jahr 2016)
Die Nachricht der neuen Elektroshop-Kette hat sich in den vergangenen Wochen in Windeseile verbreitet. Gerade mal 2 Monate ist es her, dass der erste Laden in Köln eröffnet hat. Die Preise sind unschlagbar: 200 Euro für einen 60-Zoll-Flachbildfernseher, 150 Euro für einen großen Kühlschrank mit 2 Türen und Eiswürfelmaschine. Nicht schlecht, oder? Sicher einen Besuch wert. Der einzige Haken: Der Shop fragt bei seinen Lieferanten nicht nach, woher die Laptops, Smartphones und Waschmaschinen kommen. Das Label »Made in …« fehlt.
Parallel häufen sich seit einigen Wochen Nachrichten über lokale Street-Gangs, die in Osteuropa die Bevölkerung terrorisieren und Häuser plündern. Letzten Freitag haben sie mit Gewalt die Führung erster Länder übernommen. Ihr Markenzeichen: Sie exportieren große Mengen Elektronikartikel, von Flachbildschirmen bis hin zu teuren Kaffeeautomaten, gestohlen von den Bürgern des Landes. Nachdem wir bereits das ein oder andere Mal zugeschlagen haben und uns über unsere Schnäppchen freuen, machen wir eine böse Entdeckung: Unser neuer Tablet-PC und die Waschmaschine sind gestohlen, importiert von Dieben aus Osteuropa. Würden wir weiterhin dort einkaufen?
Die Fabel vom legalen Handel
Die Geschichte klingt wie ein schlechtes Märchen, ist aber nicht weit von der Wahrheit entfernt. Der Wahrheit über den Handel mit einem der wichtigsten Güter weltweit: Öl. Jeden Tag fließt Öl aus Ländern zu uns, die – gemäß unserem hier geltenden Verständnis von Gerechtigkeit – die eigene Bevölkerung ausbeuten und berauben. Gestohlenes Öl in unseren Tanks, in unseren
Anhand unseres Verständnisses von Gerechtigkeit haben wir den
»Beim Ölhandel gilt das
Leif Wenar beschäftigt sich seit über 10 Jahren mit dem Welthandel von Öl im Zusammenhang mit internationalen Rechtsfragen. Anfang 2016 hat er
Stanford. Leif Wenar trinkt seinen Morgenkaffee, bei uns ist früher Abend. Auf dem Bildschirm taucht ein freundlicher Mann auf, der nicht wirkt, als könne er ein Buch über blutige Geschäfte schreiben. Eine kurze Begrüßung und wir steigen direkt ins Thema ein. Er bringt den Vergleich mit der Elektroshop-Kette und fragt: »Wie kann es sein, dass wir, ohne Fragen zu stellen, Ressourcen blind kaufen – von jedem, der diese liefern kann? Egal ob im Herkunftsland Gewalt und Schrecken herrschen. Egal ob die Bürger des Landes nicht nach ihrer Zustimmung gefragt werden und auch nicht am Gewinn beteiligt werden.«
Beispiel Irak: »Als Saddam Hussein in den 80er-Jahren durch einen militärischen Putsch die Macht übernommen hat, war es auf einmal legal für Deutschland, Öl von Saddam zu kaufen. Jahrzehnte später, nachdem der IS einen Teil dieser Ölquellen übernommen hat, konnte der IS das gewonnene Öl legal an Deutschland verkaufen. Natürlich nur, bis auf internationaler Ebene beschlossen wurde, nichts mehr vom IS zu kaufen.«
Oder Saudi-Arabien, der weltweit größte Exporteur von Öl und gleichzeitig eines der letzten Länder, das die UN-Menschenrechte nicht anerkennt. Es ist ein Land, in dem der König die absolute Macht besitzt, in dem es keine Pressefreiheit gibt, in dem Frauen kaum Rechte haben und das eine sehr fundamentalistische Interpretation des Islams beheimatet und vorschreibt, den Wahhabismus. Nicht zuletzt ist Saudi-Arabien einer
Wer hat mein Öl gestohlen?
Artikel 1 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom
- Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.
- Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigen Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden.
Fast alle Länder haben diesen Aussagen zugestimmt, sie unterschrieben und
Die Weltbevölkerung ist sich im Grunde also einig: Die Bewohner eines Landes sollten Kontrolle über ihre Ressourcen haben. Wie lässt sich das überprüfen? Leif Wenar beschreibt einen
Wenn nun unsere Antwort auf diese Fragen »Nein!« laute, sei die logische – und rechtlich korrekte – Reaktion, den Konsum von Rohstoffen aus dem entsprechenden Land zu beenden. Denn nach unseren eigenen Gesetzen sind diese Rohstoffe illegal – und wir befinden uns in der gleichen Lage wie ein Kunde der Elektroshop-Kette, der gestohlene Ware kauft. Bei der Überprüfung demokratischer Rechte und deren Umsetzung in einem Land hilft zum Beispiel die jährliche Bewertung der
Der Freedom-House-Index von allen Öl exportierenden Ländern. Alle hellgrauen Länder exportieren kein Öl. Klicke auf ein Land, um zu sehen, wie viel Öl in Barrels (Fässer) aus diesem Land täglich exportiert wird (2012–2014) und welchen Freedom-House-Index das Land hat.
Sobald wir tanken, finanzieren wir Gewalt und Unterdrückung
Aber es geht nicht nur ums Öl, mit dem wir unsere Tanks füllen und unsere Wohnungen heizen. »In deinem Smartphone befinden sich wahrscheinlich Rohstoffe aus dem Kongo. Gewonnen von Menschen, die durch eine grausame Miliz beherrscht werden«, sagt Leif Wenar und hält sein eigenes Smartphone vor die Kamera seines Laptops. »Ich habe damit nicht nur Waren gekauft, die aus dem Kongo geplündert sind. Mein Geld als Konsument fließt auch noch direkt zurück zu diesen Milizen. Damit gebe ich einen Anreiz für mehr Gewalt. Wenn die Welt sagt: Ressourcen können mit Gewalt erobert werden und jeder, der das tut, kann viel Geld erwirtschaften, sorgen wir selbstverständlich für mehr Gewalt und Unterdrückung.«
Kriege und Bürgerkriege sind in Ländern mit vielen Ressourcen 2-mal so häufig wie in Ländern mit geringen oder keinen Ressourcen.
Mit anderen Worten: Wir haben in den letzten Jahrzehnten zur Finanzierung von
Die Problematik ist viel älter als unsere Ölabhängigkeit: Das »Recht des Stärkeren« stammt nicht nur aus dem letzten Jahrhundert, sondern aus dem Jahr 1648. Das Jahr des
Wie soll der Diktator ohne Öl seine goldenen Wasserhähne bezahlen?
Auch im Jahr 2016 gibt es zahlreiche Länder, die von Alleinherrschern regiert werden. Staaten, die große Ölreserven besitzen, sind nicht nur häufiger von Bürgerkriegen betroffen, sie werden auch viel häufiger von Alleinherrschern regiert. Ein Beispiel: Teodoro Obiang ist »Präsident« von Äquatorialguinea, einem kleinen Staat an der afrikanischen Westküste. Nachdem er seinen Onkel 1979 durch einen Putsch entmachtete und töten ließ, ist der 74-jährige diktatorische Staatspräsident heute dienstältester Präsident weltweit. Äquatorialguinea gehört zu den wichtigsten afrikanischen Öllieferanten und Teodoro Obiang international zu den reichsten Staatsoberhäuptern.
Teodoro Obiang
»Je weniger ein Regime auf die Steuergelder seiner Einwohner angewiesen ist,
Aber ohne russisches Öl und Gas wird es diesen Winter kalt, oder?
Glaubt Leif Wenar an einen Wandel? Ungefähr 1/3 seines Buches handelt von konstruktiven Lösungsvorschlägen. Vor einigen Wochen war er in Washington, um Politiker davon zu überzeugen, den Handel mit unfreien Staaten zu überdenken. Für die Entscheidung, welche Länder als Handelspartner zugelassen sein sollten,
Auf unsere Frage, wie es weitergehen wird, antwortet er dennoch: »Ich bin extrem optimistisch. Wenn wir in die Vergangenheit schauen, sehen wir die enormen Fortschritte, die wir bereits gemacht haben. Früher erlaubte das ›Recht des Stärkeren‹ den legalen Sklavenhandel. Millionen Menschen wurden so von Afrika nach Amerika transportiert und verkauft. Jetzt gibt es internationale Regeln, die den Menschenhandel offiziell verbieten. Das Gleiche gilt für Apartheid, territoriale Ansprüche, Genozide usw. Es gelten nicht mehr die Regeln von 1648, die besagten, es gehe uns nicht an, was in den Nachbarländern passiert.«
»Wir brauchen wirklich eine Änderung der politischen Parameter. Aber auch da bin ich optimistisch.«
Aber (noch)
Aber wenn fast die Hälfte des weltweit gehandelten Öls »gestohlen« ist – wie können wir noch entscheiden, was wir guten Gewissens kaufen können? Wo sollen wir dann noch tanken und wie unsere Wohnungen und Büros heizen? Auch auf diese Frage hat Leif Wenar eine Antwort: »Der Westen ist nicht mehr auf das Öl autoritärer Regimes angewiesen. Es gibt ausreichend Öl aus freien Ländern.« Die Umstellung von heute auf morgen ist nicht notwendig. Stattdessen schlägt er vor, den Handel allmählich auslaufen zu lassen. So haben wir Zeit,
Die Anpassung unseres individuellen und staatlichen Handelns ist wichtig – nur so kann sichergestellt werden, dass grundlegende Maßstäbe wie die UN-Menschenrechtskonvention auch über die eigene Landesgrenze hinaus berücksichtigt werden. Aber kann das dann wirklich einen Unterschied vor Ort machen? Für die Menschen in Äquatorialguinea, die verhaftet werden, wenn sie Flugblätter verteilen? Kann es langfristig wirklich so laufen, wie von unserem Interviewpartner beschrieben: Vom durch den Ölhandel erwirtschafteten Geld zu Steuereinnahmen zu einer langfristigen Demokratisierung? Ob die autoritären Regimes weiterhin Geld verdienen werden, hängt von den politischen Entscheidungen Chinas und Indiens ab. Das bestätigt auch Leif Wenar. »Aber stellt euch vor, die EU würde heute verkünden, kein Öl mehr aus autoritären Regimes zu kaufen. Als die USA in der Vergangenheit beschlossen, keine Diamanten mehr aus Kriegsgebieten zu kaufen, folgte die EU sehr schnell mit einer ähnlichen Gesetzgebung.«
In all diesen nicht freien Ländern gibt es Menschen, die für mehr Rechte und Freiheit kämpfen. »Einige Politiker aus diesen Ländern haben schon öfter Reformen angekündigt. Ideen liegen in der Schublade, ihre Umsetzung verzögert sich aber immer wieder.« Unsere Entscheidung, den Ölhandel mit diesen Ländern zu beenden, könnte den Ausschlag dafür geben, diese Reformen aus den Schubladen zu holen. Russland, Deutschlands wichtigster Öl- und Gaslieferant, hatte 2014 noch einen Wert im Freedom-House-Index, der es genau zwischen frei und nicht frei einsortierte.
Wie steht es genau um Deutschland beim Import von gestohlenem Öl? Neben Russland gehören andere Regimes wie Kasachstan und Saudi-Arabien, die den Test auf Basis der Freedom-House-Bewertung nicht bestehen, zu den Lieferanten. Sie gelten als nicht frei. Auch Äquatorialguinea steht auf der Liste von 34 Ländern, aus denen Deutschland 2014 Öl importierte.
Es gibt aber auch Öl exportierende Länder wie Norwegen, in denen die Einwohner bereits frei und selbstbestimmt lebten, als die Ölvorkommen entdeckt wurden. Die norwegische Regierung investierte von Beginn an fast alle Einnahmen aus dem Ölhandel in die Rentenfonds des Landes. Die USA und Mexico sind weitere Beispiele für große Ölexporteure, die als frei oder zumindest teilweise frei eingestuft sind. Das zeigt: Es gibt alternative Ölquellen. So hat Deutschland 2014 die Ölimporte aus Norwegen im Vergleich zum Vorjahr bereits um 38% erhöht. Ölmilliarden müssen also keinen Fluch bedeuten. Aber wenn Öl in Ländern entdeckt wird, in denen die Bevölkerung kaum ein Recht auf Mitsprache hat, trägt das dazu bei, den Status quo zu erhalten. Das zeigen Leif Wenars und andere Studien.
Gibt es in Zukunft dann zwischen Super und E10 den Zapfhahn mit Fairtrade-Diesel?
Wird es also Zeit, an Tankstellen »Made in …«-Labels mit Farbcodierung einzuführen? Damit wir Bürger entscheiden können, ob wir mit unserem Geld autoritäre Regimes unterstützen möchten? Vielleicht. Viele andere Produkte werden bereits fair gehandelt und wollen so bessere Arbeitsbedingungen für die Produzenten garantieren. Und auch wenn dies zahlreiche Herausforderungen mit sich bringt, haben wir bei Schokolade, Kaffee und Kleidung bereits die Wahl zwischen Marken, die sich für fairen Handel stark machen, und solchen, die es nicht tun. Gibt es in Zukunft dann zwischen Super und E10 den Zapfhahn mit Fairtrade-Diesel? Leif Wenar arbeitet aktuell an einem Ranking von Ölfirmen. Er will zeigen, welche Ölfirmen in welchen Ländern operieren. Die individuelle Kaufentscheidung an der Tankstelle ist also eine Möglichkeit, sich bewusst gegen gestohlenes Öl zu entscheiden. Der Großteil des Öls steckt aber indirekt in anderen Produkten wie Kunstoffen und ist wichtige Energiequelle. Hier braucht es die von Leif Wenar angesprochene politische Veränderung.
In der Vergangenheit haben wir es auf internationaler Ebene geschafft, Sklaverei abzuschaffen und Völkermorde zu verbieten. Die Frage ist nun: Wer wird zuerst handeln – die USA, China, Indien oder die EU? Deutschland könnte auf seinem Weg zur Energieunabhängigkeit inklusive Energiewende ein Zeichen setzen. Auf Öl, das aus nicht freien Ländern stammt, könnten wir als Erstes verzichten. Die Politik ist gefragt – und damit jeder von uns. Denn Deutschland hat genau wie die Schweiz und Österreich einen Freedom-House-Index von 1, frei also. Frei zu fragen, zu diskutieren und Änderungen zu bewirken.
»Am Ende sind es die Ideen, die gewinnen«, schreibt unser Interviewpartner im drittletzten Kapitel von Blood Oil. Sie müssen nur umgesetzt werden.
Titelbild: Gas-Abfackelung in Algerien
Titelbild: Yann Arthus-Bertrand / GettyImages - copyright