Dieser Mann baut die lebenswertesten Städte der Welt
Wien, Melbourne, Vancouver: Der Stadtplaner Brent Toderian hat viele Metropolen der Welt mitgeformt. Im Interview erklärt er, welche Details gute von schlechten Orten unterscheiden, was an E-Scootern so nervt – und warum der Krieg gegen das Auto ein Bullshit-Argument fauler Politiker ist. (Artikel aus dem Jahr 2020)
26. April 2022
– 13 Minuten
Wir alle kennen Orte in Städten, die wir besonders gerne mögen. Eine Gasse, einen Platz, eine Ecke. Vielleicht haben wir diese Orte einmal im Urlaub besucht, vielleicht passieren wir sie jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit. Sie üben eine besondere Magie aus – doch woraus diese Magie genau besteht, ist im Detail nur schwer zu sagen.
Brent Toderians Job ist es, diese Details nicht nur zu erkennen, sondern sie gezielt zu erschaffen. Er war Chef-Stadtplaner im kanadischen Vancouver, einer Stadt, die mehrfach als eine der lebenswertesten Städte weltweit ausgezeichnet worden ist, und artikuliert, was wir intuitiv alle wissen: Eine großartige Stadt muss nicht nur lebenswert sein – sondern auch liebenswert!
Felix Austen:
Herr Toderian, wenn Sie in eine für Sie neue Stadt kommen, was machen Sie zuerst?
Brent Toderian:
Die kurze Antwort lautet: herumlaufen! Ich versuche, mich auf jede erdenkliche Weise in der Stadt fortzubewegen. Ich verstehe eine Stadt erst, wenn ich in ihr herumgelaufen bin, öffentliche Verkehrsmittel genutzt habe, geradelt bin und entweder in ihr herumgefahren bin oder herumgefahren wurde, in einem Taxi beispielsweise. Weil ich alle Wege verstehen will, sich in einer Stadt fortzubewegen. Ich möchte ihre besten Orte sehen, ich möchte ihre schlechtesten Orte sehen – und ich möchte jeden davon verstehen.
Was macht für Sie einen Ort zu einem guten Ort?
Brent Toderian:
Menschen. Der beste Ort ist der, wo Leute sind. Das abgenutzte Sprichwort »Niemand geht mehr dahin, weil es zu voll ist« unterschreibe ich nicht. Wenn ich in einem Hotel bin, bitte ich den Concierge, mir zu sagen, wo Leute hingehen. Insbesondere die Einheimischen und nicht . Und ich frage ihn, wie ich zu Fuß dort hinkomme. Die Antwort lautet normalerweise: »Oh nein, dahin solltest du nicht laufen, nimm ein Taxi.« Diese Meinung teile ich nicht. Einer meiner New Yorker Kollegen beschrieb die Herangehensweise einmal als »urbane Diagnose«. Ich versuche, die Patientin so gut wie möglich in kurzer Zeit zu verstehen.
Welche Art von Beobachtungen machen Sie bei ihrer »urbanen Diagnose«, die ein:e Tourist:in nicht machen würde?
Brent Toderian:
Ich scanne ununterbrochen, zum Beispiel wie die öffentliche Nutzung des Raumes durch die Details der Raumgestaltung beeinflusst wird. Ich kann sofort verstehen, warum ein Ort mehr Menschen oder weniger Menschen anzieht. Mich beeinflusst dabei nicht nur die Anzahl der Leute, da auch an schlecht gestalteten Orten Leute sind. Meinen Beobachtungen zufolge wären dort noch viel mehr Menschen, wenn der Raum besser gestaltet wäre. Das veranschaulicht unseren Hunger nach einem guten öffentlichen Leben, einem schönen öffentlichen Raum.
Gibt es ein Patentrezept, um eine Stadt lebenswert zu machen?
Brent Toderian:
Ich unterscheide zwischen livability (Lebensqualität) und lovability (Liebenswürdigkeit). Erfahrung, Kultur, Spaß – das alles ist Teil einer liebenswerten Stadt. Aber es ist schwer, eine Stadt zu lieben, die keine Lebensqualität hat, also gehört beides zusammen. Lebensqualität wird beeinflusst durch Dinge wie soziale Gerechtigkeit, Sicherheit, Bildung und Gesundheitsversorgung.
Ist eine Stadt automatisch lebenswert, wenn diese Eigenschaften gegeben sind?
Brent Toderian:
Das sind Grundbedingungen. Die Abwesenheit von Verbrechen allein macht einen Ort nicht lebenswert. Aber zu viel . Es braucht also Dinge wie Sicherheit – aber es geht ebenso um die Qualität des öffentlichen Raums, des städtischen Lebens. Und die Möglichkeit, alles, was deine Stadt zu bieten hat, auf unterschiedlichen Wegen erreichen zu können, die nachhaltig und finanziell klug sind.
Damit wären wir bei einem Thema, um das in Städten immer gestritten wird: Mobilität. Und damit bei der Frage: Haben wir zu viele Autos in unseren Städten?
Brent Toderian:
Ich glaube, dass die Lebensqualität verbunden ist mit einer Unabhängigkeit vom Auto. Es fällt mir schwer zu glauben, dass irgendein Ort, der grundsätzlich von Autos abhängig ist, grundsätzlich lebenswert sein soll. Und das aus vielen Gründen. Nicht zuletzt ist , sie verkürzt unsere Lebensdauer und behindert unser soziales und familiäres Leben.
Der Physiker Felix begrüßt den Trend zu Hafermilch und fährt gern Rad. Er weiß aber auch, dass das nicht genügen wird, um die Welt vor der Klimakatastrophe und dem Ökokollaps zu bewahren. Deshalb schreibt er über Menschen, Ideen und Technik, die eine Zukunft ermöglichen. Davon gibt es zum Glück jede Menge!