3 Schritte, um die Inflation zu stoppen, ohne dabei die Zukunft der Menschheit zu gefährden
Der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis zeigt sich in seinem Gastbeitrag überzeugt: Die Zentralbanken müssten die Zinsen erhöhen und gleichzeitig voll auf grüne Transformation und sozialen Ausgleich setzen.
Die Inflation ist eine Krankheit, von der arme Menschen Hier zeigt Chris Vielhaus, warum die Schmerzgrenze bei den Lebensmittelpreisen schon lange überschritten istunverhältnismäßig stark betroffen sind. Schon bevor Wladimir Putin seinen brutalen Krieg gegen die Ukraine entfesselte, lag die Inflation in den USA bei über 7,5% und in Europa sowie dem Vereinigten Königreich bei über 5%. Der Ruf nach einer Eindämmung der Inflation ist daher völlig gerechtfertigt. Die Zinserhöhungen in den USA und dem Vereinigten Königreich Das Handelsblatt über die zweite Zinserhöhung der Bank of England in kurzer Zeit (2022)kommen nicht überraschend. Allerdings wissen wir aus der Geschichte, dass diese vermeintliche Lösung den ärmeren Klassen einen weiteren grausamen Schlag versetzt. Zusätzlich sind wir heute mit einem neuen Problem konfrontiert: Sie könnten beunruhigenderweise auch die dringend nötige ökologische Wende zunichtemachen.
Zinserhöhung als Mittel gegen Inflation
Über die sogenannten Leitzinsen nehmen Zentralbanken Einfluss auf die Geldentwertung. Um die Inflation zu bremsen, erhöhen sie die Zinsen. Die Idee dahinter: Das Geld und damit Kredite »teurer« machen, damit sich Verbraucher:innen und Unternehmen weniger davon leihen und die im Umlauf befindliche Geldmenge reduziert wird. So soll auch die Nachfrage gebremst und Unternehmen dazu gezwungen werden, günstigere Preise aufzurufen, um ihre Produkte absetzen zu können.
2 einflussreiche Lager beherrschen den öffentlichen Diskurs über die Inflation und was gegen sie zu tun sei. Das erste Lager fordert, dass die Flammen sofort durch eine geldpolitische Machtdemonstration erstickt würden: eine drastische Anhebung der Zinssätze, um die Ausgaben zu drosseln. Sie warnen davor, dass später ein umso brutaleres Vorgehen erforderlich sei, wenn jetzt nicht ein wenig geldpolitische Gewalt angewandt werde. Sie verweisen dabei auf den »Volcker-Schock« vor fast 50 Jahren. Dabei handelt es sich um eine Anspielung auf Paul Volcker, den Vorsitzenden der
der die Hyperinflation der 70er-Jahre mit radikal hohen Zinssätzen bekämpfte. Ein Vorgehen, das die amerikanische Arbeiterklasse nachhaltig geschädigt hat.Das zweite Lager lehnt eine solche Schocktherapie als unnötig ab. Stattdessen wird hier ein vorsichtiges »Auf-Sicht-Fahren« vorgeschlagen, also die Situation laufen zu lassen, solange die Löhne der Beschäftigten niedrig gehalten werden und sich keine Lohninflation abzeichnet.
Beide Lager stimmen darin überein, dass steigende Löhne die eigentliche Bedrohung darstellten, wobei sich ihre Meinungsverschiedenheiten nur darauf konzentrieren, ob es geboten sei, vor oder nach dem Anstieg der Löhne zu handeln.
Einig sind sie sich auch darin, dass zur Bekämpfung der Inflation die Geld- und Kreditversorgung in 2 Schritten geändert werden müsse: Die Zentralbanken müssten zunächst die Geldschöpfung stoppen und erst dann die Zinssätze erhöhen. Doch beide Lager liegen mit ihren jeweiligen Punkten gefährlich falsch.
Folgen des Volcker-Schocks
Paul Volcker setzte in den USA angesichts der starken Inflation von bis zu 15% extrem hohe Leitzinsen von zeitweise über 20% durch (aktuell wird eine Erhöhung in Richtung 1% diskutiert). Zwar konnte die Inflation so nach einiger Zeit unter Kontrolle gebracht werden, jedoch brach der Bau- und Agrarsektor der USA nahezu zusammen und die Arbeitslosigkeit schoss in die Höhe. Es folgte eine starke wirtschaftliche Rezession, die zur Abwahl des demokratischen Präsidenten Jimmy Carter führte und dem Republikaner Ronald Reagan zum Sieg verhalf, der alsdann auf neoliberale Wirtschaftspolitik setzte.
Keine Angst vor steigenden Löhnen
Erstens sollte die Lohninflation (sprich: steigende Löhne) begrüßt und nicht wie der Staatsfeind Nummer 1 behandelt werden. Zweitens sollten die Zentralbanken gerade bei steigenden Zinssätzen weiterhin Geld schöpfen. Nur sollten sie es dieses Mal gezielt in grüne Investitionen und den Sozialsektor leiten.
Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 hat man sehenden Auges eine Hier zeigt Chris Vielhaus, wie ungleich die Vermögen in Deutschland verteilt sindwachsende Ungleichheit in Kauf genommen. Seit 14 Jahren profitieren die wenigen Reichen von der Geldpolitik der Zentralbanken, während ein Großteil der Bevölkerung unter strafenden Sparmaßnahmen leidet. Dies hat zu chronisch unzureichenden öffentlichen Investition und niedrigen Löhnen geführt. Die Zentralbanken haben den Geldhahn ordentlich aufgedreht, was die Aktien- und Immobilienpreise in die Höhe trieb, während die Löhne stagnierten. Die Werte von Aktien und Anlageobjekten schossen durch die Decke, während die erschütternde Ungleichheit zur Tagesordnung wurde. Irgendwann, vor Corona, waren sich fast alle einig, auch viele der Superreichen, dass die Löhne steigen müssten. Nicht nur im Interesse der Arbeitnehmer, sondern auch weil niedrige Löhne zu mangelnder Nachfrage beitrügen und zu Gesellschaften mit geringer Produktivität, geringen beruflichen Qualifikationen, wenig Aufstiegschancen und einer vergifteten Politik führten.

Bemerkenswerterweise war alles, was es brauchte, um diesen Konsens aufzulösen, eine im historischen Vergleich bescheidene Lohninflation, ausgelöst durch einen Arbeitskräftemangel nach dem pandemiebedingten Lockdown. Nachdem man ein Jahrzehnt lang die Augen vor der galoppierenden Inflation der Vermögenswerte verschlossen hatte (und sie im Falle irrer Immobilienpreise und überschwänglicher Aktienmärkte sogar noch feierte), versetzte ein Hauch von Lohninflation die Behörden in eine fast unkontrollierbare Panik. Plötzlich wurde die Aussicht steigender Löhne vom Ziel zur Bedrohung – was Andrew Bailey, den Gouverneur der Bank of England, dazu veranlasste, die Arbeitnehmer aufzufordern, sich mit Lohnforderungen »klar zurückzuhalten«.
Der Zusammenhang von Inflation und Lohnforderungen
Viele Ökonom:innen warnen in Zeiten steigender Inflation vor der sogenannten Lohn-Preis-Spirale. Sie fürchten, dass die steigenden Preise Gewerkschaften dazu veranlasse, höhere Löhne zu fordern – was angesichts der sinkenden Kaufkraft der Menschen durch die höheren Lebenshaltungskosten durchaus Sinn ergibt. Steigen die Löhne, ist es denkbar, dass auch die Unternehmen ihre Preise erhöhen, um die höheren Lohnkosten auszugleichen. Doch nicht alle Ökonom:innen sehen das so: Da die Lohnentwicklung in vielen Bereichen in den letzten Jahren viel zu gering war, halten sie Erhöhungen sogar für nötig.
Es handelt sich jedoch nicht um eine bloße Wiederholung der 70er-Jahre, als die Arbeiterklasse das einzige Opfer der Zinserhöhungen war. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass ein Volcker-Schock heute nicht nur einen großen Anteil des Einkommens der Erwerbstätigen auslöschen würde – Felix Austen stellt das vielleicht wichtigste Projekt unserer Zeit vorsondern zudem die grüne Transformation gleich mit.
Das Gegenargument ist natürlich, dass weder die Arbeitnehmer noch die Gesellschaft überhaupt in einen grünen Wandel investieren könnten und auch nicht von Lohnerhöhungen profitieren würden, wenn diese von den steigenden Preisen aufgefressen würden. Das stimmt. Richtig ist aber auch, dass eine Geldpolitik mit dem vorrangigen Ziel, Lohninflation zu verhindern und die Inflation im Keim zu ersticken, nur zu einem weiteren vergeudeten Jahrzehnt führen wird, gekennzeichnet durch unzureichende Investitionen in Mensch und Natur. Selbst wenn es die arbeitende Klasse in den nächsten 10 Jahren schafft, sich zusammenzuschließen und im Arbeitskampf den ihr zustehenden Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hält Lohnsteigerungen sogar für nötig (2022)Anteil am Gesamteinkommen einzufordern, so ist doch davon auszugehen, dass weitere 10 Jahre unzureichender Investition in den grünen Wandel unseren Zukunftsaussichten als Menschheit irreparablen Schaden zufügen werden – wenn sie uns nicht sogar an den Rand des Aussterbens bringen.
Was können wir also gegen die Inflation tun, ohne Investitionen in den grünen Wandel zu gefährden? Was ist die Alternative zu einem Klassenkampf in Form einer stumpfen Zinspolitik, die das Geldangebot auf breiter Front entweder gewaltsam (wie die Befürworter einer »Machtdemonstration« vorschlagen) oder sanfter (der »Auf Sicht fahren«-Vorschlag) verknappt?
3 Ziele, die einen Ausweg möglich machen
Eine vernünftige alternative Politik muss 3 Ziele verfolgen:
- Die Preise von Vermögenswerten (zum Beispiel Häuser- und Aktienpreise) müssen gedrückt werden, um zu verhindern, dass knappe finanzielle Ressourcen für den Aufbau von rein virtuellen Papierwerten verschwendet werden.
- Die Preise für Grundgüter müssen gesenkt und gleichzeitig höhere Renditen für Investitionen in grüne Energie und Verkehr ermöglicht werden.
- Massive Investitionen in Energieeinsparung und grüne Energie, Verkehr, Landwirtschaft – sowie in den sozialen Wohnungsbau und die Pflege.
Mit der folgenden 3-teiligen politischen Agenda können diese 3 Ziele erreicht werden.
Erstens: Eine deutliche Anhebung der Zinssätze. Die extrem niedrigen Zinssätze haben es nicht geschafft, Investitionen anzukurbeln – und standen ohnehin nie denjenigen zur Verfügung, die entweder Geld leihen mussten oder leihen wollten, um Dinge zu tun, die die Gesellschaft braucht. Das Einzige, was die extrem niedrigen Zinssätze bewirkt haben, ist der Anstieg der Immobilienpreise, der Aktienkurse, der Ungleichheit und all jener Dinge, die die Gesellschaft spalten.
Zweitens muss dies in Verbindung mit einer massiven, von der Zentralbank unterstützten, grünen, öffentlichen Investitionsoffensive geschehen. Natürlich wird eine Anhebung der Zinssätze die Investitionen nicht ankurbeln, auch wenn die Zinssätze nahe Null ebenfalls wenig zur Förderung von Investitionen beigetragen haben. Um dem Sumpf der geringen Investitionen zu entkommen, sollte die Zentralbank eine neue Art des sogenannten
Sie sollte aufhören, die Finanziers zu finanzieren, und sich stattdessen verpflichten, öffentliche grüne Anleihen zu fördern (notfalls durch deren Aufkauf), die jährlich Mittel in Höhe von 5% des Volkseinkommens einbringen – eine Summe, die direkt in den grünen Wandel investiert wird und der Gesellschaft eine Chance gibt zu tun, was sie tun muss, um das Klima zu stabilisieren.Drittens: Die Ausweitung desselben Modells der öffentlichen Finanzierung (das heißt Unterstützung der Zentralbank für öffentliche Anleihen) für Investitionen in den sozialen Wohnungsbau und die Pflege.
Kurz gesagt, was ich vorschlage, ist eine Umkehrung der toxischen Politik, die seit 2008 betrieben wird. Die Zentralbanken dürfen den Reichen nicht länger kostenloses Geld und niedrige Zinssätze zur Verfügung stellen, während der Rest im
vor sich hin darbt. Stattdessen sollte sie das Geld für die Reichen teurer machen (durch deutliche Zinserhöhungen) und gleichzeitig billiges Geld für Investitionen in die Dinge bereitstellen, die die Mehrheit und die Umwelt brauchen und verdienen.Dieser Text ist am 17. März 2022 zuerst auf Hier geht es zum englischsprachigen Artikel im Guardiantheguardian.com erschienen.
Übersetzung aus dem Englischen: Mathis Gilsbach und Chris Vielhaus
Redaktion: Chris Vielhaus
Titelbild: DiEM25 - copyright