So nutzt du die Macht auf deinem Girokonto
Geld für dich »arbeiten zu lassen« ist nicht unmoralisch, sondern Sinn und Zweck desselben. Trotzdem ruht bei den Deutschen zu viel Geld auf dem Girokonto oder Sparbuch. So nutzt du dein Erspartes, um die Welt zu verbessern und dabei Rendite zu machen.
Denkst du auch öfter an dein Geld, seit alle von der Inflation reden? Klickst du häufiger in dein Onlinebanking und schaust zu, wie die Zahlen weiter schrumpfen? Dann bist du in diesem Land in guter Gesellschaft.
Die Deutschen sind schlecht darin, etwas mit ihren Ersparnissen anzufangen.
Zum anderen bleibt das überschüssige Geld auf den Konten, weil die Menschen es offenbar nicht besser wissen. Letzteres bestätigt eine
Dabei ist die Frage existentiell, was mit dem hart erarbeiteten Geld passiert: Für Geld gibt es keinen Stand-by-Modus, keine neutrale Form, die sich der kapitalistischen Dynamik entzieht. Geparktes Geld auf dem Girokonto wird jeden Tag weniger, die Inflation frisst es Stück für Stück auf. Gerade jetzt! Seit der Wiedervereinigung haben wir das nicht mehr so stark gespürt wie heute. Die Lösung dafür ist, Geld anzulegen. Dank Niedrigzinspolitik ergibt das gerade nur an den Finanzmärkten Sinn.
In einem Gastbeitrag schlägt Yanis Varoufakis eine Lösung für die Inflation vor, die nicht auf Kosten von Niedrigverdiener:innen geht:
Geld kann Gutes tun
Was wäre, wenn diese Menschen auch nur die Hälfte dieses überschüssigen Geldes in Solarparks, Veggieburger oder Sozialwohnungen stecken würden? Schließlich benötigen Unternehmen Kapital, um gute Produkte herzustellen. Für die Energiewende beispielsweise braucht es effiziente Solarzellen. Eine Investition in einen Solarzellenhersteller unterstützt die Forschung und kurbelt die Entwicklung an. Der Hersteller kann mit neuem Kapital mehr Personal einstellen oder die Arbeitsbedingungen der aktuellen Mitarbeiter:innen verbessern. Private Verbraucher:innen könnten also ihr Erspartes nehmen und in Wertpapiere wie Aktien dieser Firmen investieren. Ihr Geld kann etwas Gutes tun.
Doch beim Wort »Börse« rümpfen viele wieder die Nase. Das Geld für sich arbeiten zu lassen? Mit diesem System wollen viele nichts zu tun haben. An dieser Stelle lohnt es sich, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen und erst mal zu fragen: Woher kommt unser Geld überhaupt? Und was bedeutet es, Geld für sich arbeiten zu lassen? Wir werden sehen, dass Geld nie für etwas anderes als für den Verleih bestimmt war.
Verleih mit Rendite ist Sinn und Zweck des Geldes
Eine Geschichte über den Ursprung des Geldes, die sich Wirtschaftswissenschaftler:innen seit Jahrhunderten gerne erzählen, ist das
Der Anthropologe
Seine Forschung erzählt aber eine andere Geschichte. Laut ihm kam das Geld in die Welt, um genau das zu tun, wovor wir Deutschen uns nun so scheuen: Das Verleihen von Geld gegen Rendite. Graeber zufolge war das virtuelle Geld, sprich die Schulden, noch vor den Münzen da. Kreditsysteme, Anschreiben, auch Ausgabenkonten habe es lange vor dem Bargeld gegeben. »Diese Dinge sind so alt wie die Zivilisation«, schreibt Graeber.
Der besterhaltene Beweis dafür sind Lehmtafeln aus dem
Die Geschichte des Geldes ist also eine Geschichte der Schulden. Das bedeutet, es hat nie ein Geldsystem ohne Schulden gegeben. Und seit es Geld gibt, verdienen Menschen mit dem Verleih von Geld.
Natürlich geschieht das nicht immer auf gerechte Weise: Menschen wurden und werden über Schulden ausgebeutet und in den Ruin getrieben. Und nicht nur diese: Der Zwang zu wachsen verleitet Unternehmen immer wieder dazu, Menschenrechte oder Umweltschutz dem Profit unterzuordnen. Doch gleichzeitig bauen Kredite auch Existenzen auf und holen Menschen aus der Armut. Für viele Menschen ist ein Kredit sogar der einzige Weg zu einem besseren Leben. Geld zu verleihen kann also an der richtigen Stelle Gutes bewirken.
Die Börse bringt Mensch und Unternehmen zusammen
An der Börse und dem Aktienmarkt werden dann Menschen und Unternehmen, die Geld brauchen, mit Menschen und Organisationen zusammengeführt, die Geld verleihen wollen. Ein Unternehmen, wie der genannte Solarzellenhersteller, braucht Geld und wirbt bei mir um eine Investition. Ich bin überzeugt von dem Vorhaben und den Werten der Firma und investiere. Dafür bekomme ich Anteile an eben dieser.
Wenn das Unternehmen seine Ziele erreicht hat und gut wirtschaftet, erhalte ich als Geber:in eine Entlohnung in Form von Renditen. Denn geht es dem Unternehmen gut, steigt sein Wert und damit auch der Wert meiner Anteile. Das Geld arbeitet also in dem Sinne, als dass es hilft, die Ziele anderer Menschen zu erfüllen. Für diesen Vorgang bräuchte es natürlich keine Börse. Ich kann heute auch direkt Miteigentümerin einer Firma werden und investieren. Nur trage ich dann auch ein hohes Risiko und bin stärker mit dem Unternehmen verbunden. Eine Aktie dagegen kann ich jederzeit kaufen und verkaufen.
Hier erklärt dir Katharina Wiegmann, wie kritische Aktionär:innen Druck auf Konzerne machen:
An dieser Stelle ertönt häufig der Vorwurf, dass mit dem Kauf einer Aktie nicht das Unternehmen das Geld bekommt, sondern der oder die Verkäufer:in. Das ist richtig. Das Unternehmen bekommt nur direkt Geld,
Damit sind im Idealfall auch mehr Investor:innen bereit, in Projekte des Unternehmens zu investieren. Mehr Spitzenkräfte werden angezogen. Ein steigender Aktienkurs verbessert also die Reputation eines Unternehmens. Das kann auch bedeuten, dass Anleger:in ein Unternehmen über- oder unterbewerten, zum Beispiel durch gute Marketingmaßnahmen, die einen anderen Eindruck vermitteln, oder einen Skandal. Wenn dann Geschäftszahlen vorgelegt werden, sorgen die harten Fakten schon mal für Ernüchterungen. Dann wird der Kurs »korrigiert«, nach oben oder nach unten.
Die Börse ist wie eine Schule, in der Wahrheiten und Gerüchte ausgetauscht werden.
Eine Aktie spiegelt im Prinzip die Bewertung eines Unternehmens durch Menschen wider, selbst wenn sie mal falsch liegen. Die Börse ist damit wie eine Schule, auf deren Schulhof Wahrheiten und Gerüchte ausgetauscht werden. Wenn dann die Schulglocke klingelt und alle wieder im Klassenzimmer sitzen, werden mit den gesammelten Informationen die Lehrkräfte und Mitschüler neu bewertet.
Menschen machen den Markt. Also steht es mir als Marktteilnehmerin auch frei, mein Geld in die Hand zu nehmen und es nur Unternehmen zu geben, die meiner Ansicht nach ethisch korrekt wirtschaften. Und damit sind wir bei der Ausgangsfrage angelangt: Kann ich mein Geld für mich arbeiten lassen und damit die Welt verbessern?
Färbt euer Geld grün!
So wie wir als Konsument:innen entscheiden können, nach Bioprodukten oder nachhaltiger Kleidung zu greifen (sofern wir es uns leisten können), können wir das eigene Geld nach und nach in
Hier ist es wichtig, zuerst für sich selbst zu klären, nach welchen Werten eine Firma wirtschaften soll und welche Art der Projekte und Branchen ich unterstützen möchte. Das bedeutet, ich als Anlegerin muss mir
Das fällt nicht unbedingt leicht, weil viele Unternehmen nur wenig Informationen preisgeben oder sie für Branchenfremde schwer zu verstehen sind. Zudem schmücken sich viele Unternehmen gerne mit grünen Labels, hinter denen sich Greenwashing verbergen kann. An dieser Stelle müsste die Politik einheitliche Regelungen festlegen. Das hat sie zuletzt mit der
Systemwandel von unten
Solange die Politik also noch keine aussagekräftigen Labels einführt, bleibt uns als Verbraucher:innen nichts anderes übrig, als genau hinzuschauen. Die Mühe ist es wert: Ökologische Bewegungen wie Fridays for Future oder damals die Anti-Atomkraft-Bewegung haben unseren Blick auf den Klimaschutz geprägt und den Trend zur Nachhaltigkeit verstärkt. Es braucht den Systemwandel, aber es waren einzelne Individuen, die ihn gefordert haben. Auf den Finanzmärkten ist das Angebot an nachhaltige Geldanlagen
Anfang 2021 versuchten Tausende Kleinanleger:innen den Kampf gegen große Hedgefonds. Felix Austen und Dirk Walbrühl erklären die Hintergründe:
Wenn jede:r das überschüssige Geld auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto in nachhaltige oder soziale Unternehmen investieren würde, könnten mehr Windparks oder mehr Autoladesäulen errichtet, mehr sozial geförderter Wohnraum gebaut werden. Denn die Idee von Geld war schon immer, durch Schulden Neues zu erschaffen.
Das muss nicht zwangsläufig mit Aktien geschehen. Auch sogenannte »Green Bonds«, grüne Anleihen, finanzieren Klimaprojekte, Genossenschaftsanteile oder Direktinvestitionen realisieren Wohnprojekte mit gedeckelten Mieten und Mikrokredite helfen Kleingewerbetreibenden in Entwicklungsländern, ihre Ideen zu verwirklichen. Je mehr Menschen diese Arten der Geldanlage nachfragen, umso mehr müssen sich auch die großen Investoren danach richten. Zum einen für die Rendite, zum anderen für das Image.
Geld bedeutet Macht. Es ergibt einen Unterschied, wo es platziert wird: In ethisch korrekten Anlagen oder in Anlagen, die Mensch oder Natur ausbeuten. Es wäre schade, den Finanzmarkt den Morallosen zu überlassen. Nutzen wir die Macht auf unseren Girokonten!
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily