Hört auf, den Mythos »Überbevölkerung« zu glauben!
»Gäbe es weniger Menschen auf der Welt, gäbe es keinen Klimawandel«: Wer so argumentiert, macht es sich nicht nur viel zu leicht, sondern befeuert auch Menschenhass und Rassismus. Das Problem ist ein anderes.
Was haben der für seine Naturdokus weltberühmte britische Naturforscher David Attenborough und der Attentäter, der vergangene Woche in einem Supermarkt in den USA
Bevor nun die Ersten empört aufschreien: Nein, ich setze Attenborough nicht mit einem rechtsradikalen Mörder gleich. Und ich möchte auch seine Leistungen für den Umweltschutz nicht kleinreden. Doch »Überbevölkerung« zum Sündenbock der Klimakrise zu machen, verschiebt die Verantwortung weg von den reichen Ländern der Erde hin zu den armen (mal wieder). Und nicht nur das. Das Argument ist im Kern menschenverachtend und rassistisch – egal ob man es aus der Position eines wohlmeinenden Klimaschützers heraus nutzt oder um aktiv seinen Hass gegen andere zu begründen.
Alle unsere Umweltprobleme sind leichter zu lösen, wenn es weniger Menschen gibt, und schwieriger – und letztendlich unmöglich – zu lösen, wenn es immer mehr Menschen gibt.
Der Gedanke hinter dem Argument der Überbevölkerung: Es gibt zu viele Menschen. Die schiere Masse sprengt alle ökologischen Grenzen und verursacht zu viele Treibhausgase. Gäbe es weniger Menschen auf der Welt, würden sich viele unserer heutigen Probleme von selbst lösen.
Es stimmt schon: Noch nie gab es so viele Menschen auf der Erde wie heute. In den letzten 500 Jahren vervielfachte sich die Bevölkerungszahl
Doch daraus das Eindämmen des Bevölkerungswachstums als einzig wirkliche Lösung zu schlussfolgern, wie es beispielsweise auch die Primatenforscherin Jane Goodall, Teile der Klimabewegung und 65.000 Unterzeichner:innen einer
Der Bevölkerungszuwachs wird in Zukunft ohnehin zurückgehen
Es gibt unterschiedliche Prognosen, wie sich die Weltbevölkerung in den nächsten Jahrzehnten entwickeln könnte. Doch die meisten gehen davon aus, dass die Zahl bald ihr Maximum erreicht haben wird und danach entweder stagniert oder sogar rückläufig sein wird. Die Vereinten Nationen schätzen, dass sich die Bevölkerung im Jahr 2100 bei rund
Durch Bildung und Wohlstand gehen die Geburtenraten schon jetzt stark zurück. Aktuell bekommen Frauen weltweit durchschnittlich 2,37 Kinder. Im Jahr 2100 könnten es laut UNO nur noch 1,66 Kinder pro Frau sein.
Was passiert, wenn man den Mythos von Klimakrise durch Überbevölkerung zu Ende denkt? Wenn also nicht mehr das Empowerment und die Selbstbestimmung der Frauen sowie die Bekämpfung von Armut im Fokus stehen, sondern es bloß darum geht, die Bevölkerungszahl zu verringern? Laut der Theorie der »Optimalen Bevölkerungsgröße« dürfte es nur 2 Milliarden Menschen auf der Welt geben, damit alle einen möglichst hohen Lebensstandard genießen könnten. In der Konsequenz ist der aktuelle Geburtenrückgang durch Armutsbekämpfung und Aufklärung nicht schnell genug und nicht effektiv genug. Was bleibt an Möglichkeiten?
Reichere Menschen haben einen viel größeren Einfluss auf das Klima als ärmere
Ganz abgesehen davon hinkt die Argumentation »mehr Menschen = mehr CO2-Emissionen« auch an anderer Stelle. Denn sie suggeriert, dass jeder Mensch und jedes Land weltweit gleich viel zur Klimakrise beiträgt. Das ist aber nicht der Fall. Wer den Mythos »Überbevölkerung« nutzt, um anderen Ländern vorzuschreiben, wie viele Kinder sie haben dürfen,
Nicht die Überbevölkerung verschärft die Klimakrise, sondern zu viel Konsum.
Und verkennt damit, wer sowohl historisch gesehen als auch gegenwärtig für die meisten CO2-Emissionen verantwortlich ist – nämlich der Globale Norden. Oder in Zahlen ausgedrückt: Die reichsten 10% der Weltbevölkerung, dazu zählen auch wir hier in Deutschland, sind für mehr als die Hälfte der globalen
Menschen in ärmeren Regionen der Welt sind hingegen schon jetzt stärker von den Folgen der Klimakrise betroffen. Es geht nicht um Ressourcen, sondern in erster Linie darum, wer sie verbraucht und wie. Nicht die Überbevölkerung verschärft die Klimakrise,
Selbst wenn die Bevölkerungszahl im Jahr 2100 die 10-Milliarden-Marke überschreitet, müsste das nicht grundsätzlich heißen, dass es für all diese Menschen nicht genügend Ressourcen zum Überleben gibt.
Rassist:innen nutzen die Angst vor Überbevölkerung, um ihre Taten zu legitimieren
Wer anmerkt, dass auf der Erde zu viele Menschen leben, ist nicht automatisch Rassist:in. David Attenborough ist kein Ökofaschist wie der Attentäter von Buffalo, der sich selbst so bezeichnete. Doch der Fokus auf Überbevölkerung als vermeintlich größtes Problem lenkt nicht nur von der eigenen Verantwortung ab, sondern öffnet Tür und Tor für gefährliche, menschenverachtende Narrative – von denen mögliche Zwangssterilisationen nur der Anfang sind.
Schließen wir diese argumentative Türe also lieber wieder ganz schnell. Was ich mir wünsche: Zum einen, dass Zugang zu Verhütung künftig ausschließlich mit Menschenrechten und Selbstbestimmung begründet ist und damit, das Leben von Frauen verbessern zu wollen. Und nicht mit der Rettung des Klimas.
Zum anderen wünsche ich mir, dass wir uns unserer Verantwortung stellen. Der Globale Norden hat in den letzten Jahrhunderten das CO2-Budget der Erde
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily