In 7 Büchern um die Welt: Unsere Lesetipps für den Sommer
Wer liest, muss nicht unbedingt ins Flugzeug steigen, um etwas über die Welt zu erfahren. Heute stellen wir 7 Bücher aus 7 Ländern vor, die kürzlich ins Deutsche übersetzt wurden.
Wer die Welt erkunden und neue Länder kennenlernen möchte, muss dafür nicht unbedingt in den Zug oder in ein Flugzeug steigen. Auch ein gutes Buch vermag es, uns andere Kulturen näherzubringen – manchmal sogar tiefgreifender und mit mehr Hintergrundwissen, als es auf einer Reise möglich ist.
Und wer könnte besser von einem Land, dessen Geschichte und den kollektiven Gefühlen der Bevölkerung erzählen, als die Menschen, die dort aufgewachsen sind? Doch es ist gar nicht so einfach, in deutschen Buchhandlungen Übersetzungen von Veröffentlichungen aus dem Ausland zu finden – außer, es handelt sich um amerikanische oder britische Literatur.
Wir wollen dich deshalb heute auf eine kleine literarische Weltreise mitnehmen. Die Redaktion stellt 7 Bücher aus 7 Ländern vor, die kürzlich ins Deutsche übersetzt wurden.
Japan: Was es für Frauen bedeutet, im Patriarchat Mutter zu werden
von Désiree SchneiderWie wäre es, wenn ich plötzlich schwanger wäre?
Das fragen sich viele Menschen. Manche, weil sie wissen wollen, wie sich eine Schwangerschaft anfühlt. Andere, weil sie neugierig sind, was es in ihrem Leben verändern würde – beruflich und privat. So auch Frau Shibata.
Die Anfang 30-Jährige lebt in Tokyo, hat einen Uniabschluss und ist Single. Weil sie auf ihrer ersten Arbeitsstelle hohe Schuhe tragen musste und sexuell belästigt wurde, kündigte sie. Nach vielen Jahren hatte sie endlich den Mut dafür aufgebracht. In ihrem aktuellen Job, bei einer Firma für Papierrollen, ist es aber nicht besser. Frau Shibata schiebt viele Überstunden, muss den Männern den Kaffee bei Besprechungen reichen, das leere Geschirr abräumen, die Küche sauber halten und sich um die Post kümmern. Dabei gehören diese Aufgaben gar nicht zu ihrem Job. Sie erfüllt sie, weil sie eine Frau ist.
Um den Demütigungen zu entkommen, beschließt Frau Shibata kurzerhand: »Jetzt bin ich schwanger.« Plötzlich wird sie rücksichtsvoll behandelt, muss sich um kein dreckiges Geschirr mehr kümmern und darf überpünktlich die Arbeit verlassen. Was als Notlüge im Job beginnt, nimmt im Laufe der rund 200 Buchseiten immer mehr Raum in Frau Shibatas Leben und auch in ihrem Bauch ein.
»Ein Kind zu bekommen, ist die Hölle, keins zu bekommen ebenso.«
Die Japanerin zieht ihren Schwindel so weit durch, dass sie in den folgenden 40 Wochen fast alle Höhen und Tiefen einer Schwangerschaft durchlebt. Sie besucht Aerobic-Kurse für Schwangere, sucht sich einen Namen für das Kind aus und verspürt Wehenschmerzen. Während für die Leser:innen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie immer wieder verschwimmen, begreift die Protagonistin, was es für eine junge Frau bedeutet, in der immer noch patriarchalischen Gesellschaft Japans Mutter zu werden.
Für ihren Debütroman gewann die japanische Schriftstellerin Emi Yagi den Dazai Osamu Prize, einen bekannten Literaturpreis für japanische Nachwuchsschriftsteller:innen. Das Gedankenexperiment ist eine Gesellschaftskritik an ihrer Heimat und gibt interessante
Emi Yagi: Frau Shibatas geniale Idee. Aus dem Japanischen von Luise Steggewentz. Atlantik-Verlag, 21 Euro.
Frankreich: Zum Lachen ins KZ gehen
von Felix AustenDie französischen Schriftsteller Édouard Louis und Didier Eribon haben mit »Das Ende von Eddy« und »Rückkehr nach Reims« in den letzten Jahren gezeigt, wie gewaltvoll, hart und lieblos das Leben im französischen Prekariat sein kann (und warum die Rechtspopulistin Marin Le Pen so erfolgreich ist), und welches Leid ein gewalttätiger Vater über eine Familie bringen kann. Im Vergleich dazu haben es Serge und seine Geschwister eigentlich ganz gut erwischt, sie sind noch zu Scherzen aufgelegt.
Zwar haben auch sie einen Vater, der nicht nur körperlich klein gewachsen ist, sondern dem es in allen anderen Situationen ebenfalls an der Größe mangelt, die nötig wäre, um seinen Kindern einen Erfolg zu gönnen oder sich über ihr Glück zu freuen. Beim Schach etwa, dem gemeinsamen Hobby von Vater und Söhnen, kann er nicht verlieren:
Sobald er sich bedroht fühlte, sagte er, oh, interessant, eine sehr interessante Situation! Analysieren wir die Varianten! Er verwandelte die Partie in eine Übung, sie wurde völlig neutral, und keiner gewann sie mehr.
Doch in der wuseligen, chaotischen französischen Familie geht sein egozentrisches Gehabe eher unter. Was die 3 erwachsenen Kinder mehr beschäftigt, ist der Mangel an Identität und Lebensinhalt, den sie trotz oder vielleicht gerade aufgrund ihrer jüdischen Abstammung verspüren. Um daran etwas zu ändern und in der Hoffnung, ihrem Erbe gerechter werden zu können, brechen die 3 geschichtsvergessenen französischen Juden gemeinsam zu einer Reise nach Auschwitz auf. Was folgt, sind viele unterhaltsame Romanseiten und bitterböse Lacher, die diesseits des Rheins in der Form wohl nicht hätten geschrieben werden können.
Yasmina Reza: Serge. Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Carl Hanser Verlag, 22 Euro.