Flughafenchaos: Das Problem liegt im System
Verspätungen, verlorenes Gepäck, Flugausfälle – an deutschen Flughäfen herrscht zurzeit Chaos. Schuld sollen Corona und Arbeitskräftemangel sein. Doch unser Autor sieht eine grundsätzliche Schieflage auf dem Arbeitsmarkt.
Wenn sich gleich 3 Bundesminister:innen gemeinsam vor die Kameras stellen, sollte man davon ausgehen können, dass es ernst ist.
Worum ging es also beim gemeinsamen Pressetermin von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) in der vergangenen Woche?
Nein. Es ging um das Chaos an den deutschen Flughäfen. Weil dort Personal fehlt, warten Passagiere im Moment stundenlang auf ihr Gepäck oder an der Sicherheitskontrolle, es kommt zu Verspätungen und Flugausfällen. Ärgerlich, klar. Und eine Steilvorlage für reißerische Schlagzeilen in der Boulevardpresse, ausstaffiert mit Bildern von frustrierten Flugreisenden.
Wo sind die Pressekonferenzen zur Notlage in Erziehung und Pflege?
Für die Minister:innen wiederum bietet diese »Notlage« eine Gelegenheit, öffentlich Handlungsfähigkeit zu beweisen – in der Hoffnung, dass das Flugchaos einfacher zu beseitigen ist als die seit Jahren schwelenden Probleme in Bildung und Pflege.
Eines haben diese Branchen aber mit den Flughafen-Jobs gemein, die gerade nicht besetzt werden können: Sie alle sind anstrengend, stressig und mies bezahlt. In der öffentlichen Diskussion über den »Fachkräftemangel« wird das gerne verdrängt. Aber wen soll es wundern, dass Knochenjobs schwer zu besetzen sind?
Der Personalmangel an den Flughäfen ist also nicht die Ursache der Misere. Er ist lediglich ein Symptom des »liberalisierten« Arbeitsmarktes, in den sich nun einmal mehr die Politik einmischen muss, um ihn am Laufen zu halten.
Verzögerungen im Betriebsablauf. Der Grund: miese Jobs
Aber immer der Reihe nach. 7.200 Mitarbeiter:innen fehlen der Flugbranche zurzeit allein am Boden. Hinzu kommen Engpässe in der Luft, sprich bei den Fluggesellschaften. Warum? Weil es nicht genug Arbeitskräfte gibt – jedenfalls dann, wenn wir dem Vorstandsvorsitzenden des Frankfurter Flughafens Glauben schenken wollen.
Gerne hätte man noch mehr Leute eingestellt, doch man sei »auf einen Arbeitsmarkt gestoßen, der vollbeschäftigt ist«,
Wir haben hier kein Stammpersonal mehr, das wir früher noch hatten. Auch weil die Löhne geringer sind als damals. Das spiegelt sich in jedem Bereich wider. Es ist nicht mehr lukrativ für die Leute, in Früh-, Spät- und Nachtschicht und an Samstagen und Sonntagen zu arbeiten.
Für de Sirio und seine Kolleg:innen sei die Belastung immer weiter angestiegen, sodass viele seiner Kolleg:innen in den vergangenen Monaten endgültig gegangen seien.
»Wir haben keine 5 Minuten, um uns mal zu erholen und kurz Luft zu holen.« – Michele de Sirio
Auch Mitarbeitende an Sicherheitschecks und im Reinigungsbereich fehlen. Wichtige Arbeitsbereiche, die bereits vor Jahren an Subunternehmer outgesourct wurden. Dort kommen oft Zeitarbeiter:innen zum Einsatz,
Fehlen hier Arbeitskräfte? Oder fehlen Arbeitskräfte, die bereit sind, sich zu diesen Bedingungen ausbeuten zu lassen?
Symptombekämpfung statt Ursachenforschung
Das Minister:innen-Trio hat sich nun aufgemacht, Symptome zu bekämpfen, ohne die Ursachen anzugehen. Und das mit einer Maßnahme, die auch in anderen Bereichen üblich ist: 2.000 günstige Arbeitskräfte aus dem Ausland sollen kurzfristig eingeflogen werden und den Karren aus dem Dreck ziehen.
Immerhin verweist Arbeitsminister Heil (SPD) auf der Pressekonferenz zum Flughafenchaos auf die offensichtlich versäumte Verantwortung der Arbeitgeber. Personal sei entlassen und Kurzarbeitergeld während der Krise nicht aufgestockt worden, sodass den Beschäftigten nichts anderes übrigbleibe, als sich nach neuen Jobs umzusehen.
Und das, obwohl der Staat Fluggesellschaften und Flughäfen mit massiven Finanzhilfen unter die Arme gegriffen habe, so der Minister.
Hier rächen sich auch die Versäumnisse der Politik, die Nichtregierungsorganisationen wie die »Bürgerbewegung Finanzwende« schon zum Start der Hilfsgelder für Unternehmen kritisiert haben. Denn an die Wirtschaftshilfen von über 120 Milliarden Euro waren oft erstaunlich wenige Bedingungen geknüpft – wie etwa ein Verbot von Kündigungen.
Hat »die Politik« es also mal wieder an die Wand gefahren? Diese Schlussfolgerung wäre viel zu billig. Denn auf einem vermeintlich freien Markt stehen die Arbeitgeber in der Pflicht,
Neben Politik und Arbeitgebern steht aber noch eine weitere Gruppe in der Verantwortung: wir selbst. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Fliegen billig ist. Denn die Kampfpreise vieler Fluggesellschaften werden
Weniger, aber dafür zu faireren Bedingungen (und höheren Preisen) zu fliegen, freut also nicht nur das Klima, sondern im Idealfall auch irgendwann die Beschäftigten. Das kann aber nur funktionieren, wenn wir uns des eigentlichen Kerns der Sache annehmen.
Wir übersehen ein wichtiges Puzzlestück für das große Ganze
Das Flughafenchaos ist nur die jüngste Spielart eines grundlegenden Problems unserer Wirtschaft. Die Coronakrise ist es nicht. Es ist der »liberalisierte« Arbeitsmarkt, der prekäre Beschäftigungsverhältnisse erst ermöglicht
Es ist ein Arbeitsmarkt, der zutiefst rassistisch und frauenfeindlich ist,
Sehen wir der Realität ins Auge: Niemand entscheidet sich freiwillig dafür, im Niedriglohnsektor tätig zu sein. Hier arbeiten Menschen, die keine andere Wahl haben. Menschen, denen es an Qualifikation fehlt oder deren Qualifikationen nicht anerkannt werden, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, Menschen, die Sorgearbeit und Geldverdienen irgendwie unter einen Hut bekommen müssen.
Gibt es nicht mehr genügend Menschen, die bereit oder gezwungen sind, die oft systemrelevanten Tätigkeiten im Niedriglohnsektor auszuführen, kommt es zu »Verzögerungen im Betriebsablauf«, wie man es am Flughafen nennen würde.
Was bringen mehr Jobs, wenn man von ihnen nicht leben kann?
Jetzt ist die große Stunde der (echten) Leistungsgesellschaft gekommen
Der Mindestlohn wird bald steigen – von 10,45 auf 12 Euro. Das war eines der zentralen Wahlkampfversprechen der SPD. Ist die Umsetzung ein erster Schritt, um dem Problem entgegenzuwirken?
Vielleicht. Allerdings wird die Inflation alsbald dafür sorgen, dass diese Zugewinne nicht mehr reichen, um
Nun plant die Bundesregierung einen runden Tisch mit Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, um nach Lösungen zu suchen.
Der Widerspruch liegt auf der Hand: Mal für Mal muss die Politik eingreifen, um den liberalisierten Arbeitsmarkt mit all seinen Unzulänglichkeiten am Laufen zu halten. Statt aber durch Regeln und Gesetze die Arbeitsbedingungen wirklich zu verbessern,
Während der Coronapandemie wurde uns auf schmerzliche Weise bewusst, welche Jobs wirklich systemrelevant sind – und welche nicht unbedingt. Jetzt bietet sich eine Gelegenheit, diesen Ball in der Diskussion über faire, existenzsichernde Löhne und Gehälter wieder aufzunehmen.
Titelbild: Ante Hamersmit - CC0 1.0