Lobbyismus ist besser als sein Ruf. So nutzt du ihn für das Gute
Zuckerlobby, Öllobby, Rüstungslobby – oft beeinflussen die Falschen unsere Demokratie und blockieren wichtige Reformen. Ein Verein zeigt, wie wir gegenhalten. Werde einfach selbst Lobbyist:in!
Martin Delker ist Lobbyist. Mehrmals im Jahr trifft er sich mit Abgeordneten aus seinem Wahlkreis. Manchmal fahren er und seine Mitstreiter:innen nach Berlin, um direkt im Bundestag Gespräche zu führen und ihre Beziehungen zur Politik weiter auszubauen. Bei einem gemeinsamen Frühstück mit Politiker:innen sprechen sie über ihre Anliegen und Wünsche, geben inhaltlichen Input und machen Vorschläge für gesetzliche Regelungen.
Geld bekommt Martin Delker für diese Arbeit nicht. Hinter ihm steht auch kein Wirtschaftsunternehmen, dessen Interessen er durchsetzen will. Der Münchner Architekt lobbyiert ehrenamtlich als privater Bürger für den Klimaschutz.
Lobbyismus als Ehrenamt? Das mag im ersten Moment befremdlich klingen. Lobbyismus – so denken viele –, das ist doch etwas, was dubiose Gestalten mit schwarzen Köfferchen in Hinterzimmern betreiben.
Jede:r kann Lobbyist:in werden
Tatsächlich ist Lobbyismus an sich erst einmal nichts Verwerfliches, sondern kann sogar ein nützlicher Bestandteil der Demokratie sein. Denn er ist ein Instrument, um Anliegen aus der Zivilgesellschaft und von Unternehmen an die Politik heranzutragen. Die Interessengruppen haben oftmals viel Wissen in ihrem jeweiligen Fachgebiet, das sie weitergeben können.
So unterhalten nicht nur große Konzerne wie Volkswagen und die BASF, sondern auch Verbände wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und Nichtregierungsorganisationen wie der BUND Naturschutz
Allerdings gibt es für das schlechte Image des Lobbyismusbegriffs in Deutschland (und Europa) gute Gründe. Organisationen wie LobbyControl und Abgeordnetenwatch kritisieren seit Jahren, dass niemand so genau weiß,
Das Problem mit der Lobbyarbeit ist […] nicht, dass Organisationen ihre Anliegen bei den Abgeordneten vortragen, sondern dass dies vollkommen intransparent geschieht.
Mehr Transparenz, mehr Perspektiven
Ein weiteres zentrales Problem: Große Unternehmen oder Wirtschaftsverbände haben für ihre Lobbyarbeit in der Regel mehr Zeit, Geld und Ressourcen als jene Gruppen, die sich beispielsweise für soziale oder ökologische Belange einsetzen. Das führt zu einem Ungleichgewicht, das die Interessen der Gesellschaft nicht richtig abbildet.
Um das erste Problem – die mangelnde Transparenz – anzugehen, wurde in den letzten 10 Jahren immer wieder über eine einfache, aber vielversprechende Lösung gestritten: ein sogenanntes Lobbyregister. Das ist eine öffentlich einsehbare, digitale Datenbank, bei der sich alle registrieren müssen, die Einfluss auf die Bundespolitik nehmen.
Im März vergangenen Jahres hatte sich die alte Bundesregierung schließlich auf ein solches Register geeinigt, seit Januar
Das zweite Problem – das Ungleichgewicht zwischen der Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Gruppen – erscheint aussichtsloser. Doch auch hier gibt es Möglichkeiten, die Situation zu verbessern: Zum Beispiel müssten mehr Menschen aktiv ihre Interessen an Politiker:innen herantragen. Das ist der Grundgedanke hinter sogenannten Bürgerlobbys.
Womit wir wieder bei Martin Delker wären.
Delker arbeitete 35 Jahre als Architekt, davon lange im Bereich des klimagerechten Bauens. Heute ist der Wahl-Münchner als Bauherrenberater selbstständig. Bereits in den 80er-Jahren engagierte er sich neben der Arbeit politisch in einer Bürgerlobby, die dem Hunger und der Armut in der Welt etwas entgegensetzen wollte. Als Jahre später Mitstreiter:innen für eine Bürgerlobby mit Fokus auf Klimaschutz gesucht wurden, war Delker sofort Feuer und Flamme, erzählt er im Videointerview.
Die Antwort auf die Klimakrise: Demokratie
Im Jahr 2007 gründete sich in den USA die erste
Der Leitsatz der Bürgerlobby Klimaschutz: »Unsere Antwort auf die Klimakrise? Demokratie.« Konkret geht es darum, das persönliche Gespräch mit den Bundestagsabgeordneten aus dem eigenen Wahlkreis zu suchen, zum Beispiel in den
Wir haben viele Millionen Menschen in Deutschland, die alle 4 Jahre wählen gehen. Aber dass man seinem Abgeordneten zwischendurch sagen kann, was man sich von seiner Politik wünscht, weiß kaum jemand. Oder sie denken: Das bringt sowieso nichts, man hört mir ja doch nicht zu!
Dass das so nicht stimmt, weiß Delker aus eigener Erfahrung. Er hat über die Jahre bereits mit schätzungsweise 70 Bundestagsabgeordneten regelmäßig gesprochen, und das quer durch alle Parteien. Wenn er sich ein halbes Jahr nach dem ersten Gespräch wieder mit ihnen trifft, hätten sich viele Abgeordnete weiter mit den Themen aus dem Gespräch auseinandergesetzt und man könne an einem ganz anderen Punkt ansetzen. »Das Beeindruckendste ist, dass man merkt, wie wirksam man als einzelner Bürger sein kann«, sagt Delker.
Die eiserne Regel
Inhaltlich vertritt die Bürgerlobby Klimaschutz 3 konkrete Forderungen, auf die sie hinarbeitet und mit denen die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens erfüllt werden sollen:
- Konsequente Emissionsminderung in Deutschland und Europa
- Wirksame CO2-Preise
- Gerechte Verteilung der Einnahmen als
Der Verein vernetzt die aktiven Ehrenamtlichen miteinander und vermittelt ihnen wichtiges Wissen zur Klimapolitik sowie zu den Klimazielen der Bürgerlobby. Da es einschüchternd sein kann, auf (Berufs-)Politiker:innen zu treffen, die viel Übung im Reden haben, bietet der Verein außerdem Workshops für seine Ehrenamtlichen an. Darin lernen sie beispielsweise, wie sie sich vorbereiten und eine gute Gesprächsatmosphäre schaffen können. In Rollenspielen üben sie konkrete Gespräche.
»Der Workshop-Tag am Sonntag war super schön und witzig aufgebaut«, erzählt Nare Mistou. Die 16-jährige Schülerin und ihre Familie gehören der Religionsgemeinschaft der Jesid:innen an und leben in einer Kleinstadt in Schleswig-Holstein. In der Vergangenheit war Nare Mistou bereits bei Fridays for Future aktiv, war aber schnell auf der Suche nach anderen Möglichkeiten, sich zu engagieren. Über ein Stipendium der
Ein respektvoller Umgang ist für die Bürgerlobby Klimaschutz grundlegend für ihre Arbeit. »Wir haben nur eine eiserne Regel: Finde im Vorfeld etwas über den Abgeordneten heraus, wofür du Respekt, Anerkennung oder gar Bewunderung empfinden kannst, und beginne das Gespräch mit diesem Punkt«, erklärt Martin Delker, der selbst regelmäßig die Gesprächsworkshops leitet und dafür aus seiner jahrelangen Erfahrung schöpft. Dabei gehe es nicht darum, den Politiker:innen »Honig um den Bart zu schmieren« oder berechnend-manipulativ vorzugehen, sondern um etwas rein Menschliches:
Der Schlüssel liegt darin, dass du nicht sagst: ›Sie als SPD-Abgeordnete oder Sie als Mitglied in diesem oder jenem Ausschuss und überhaupt ihr Politiker …!‹ Sondern du zeigst damit, dass du diejenige oder denjenigen persönlich meinst. Dass du sie in irgendeinem ihrer Aspekte als Mensch wahrnimmst. Das ist aufrichtig und funktioniert – oder eben nicht.
Verbündete helfen gegen Nervosität
Nach dem Workshop-Tag ging es für Nare Mistou und ihre Gruppe am Montag in ihr allererstes Lobbygespräch. Etwa eine Stunde lang sprachen sie mit Thomas Heilmann von der CDU, der sich in seiner Partei für Klimapolitik einsetzt, über die Idee einer Klimadividende. Anfangs habe sie ein wenig gebraucht, sich auf das Gespräch einzustellen, erzählt Nare Mistou, weil Heilmann viele Fachwörter nutzte und sie generell als Person sehr beeindruckt hatte.
In ihrem zweiten Gespräch, diesmal mit Saskia Esken (SPD), konnte sie sich schon ein bisschen besser entspannen. »Manchmal vergisst man, was man eigentlich sagen wollte. Aber im Team dort zu sitzen, hat mir Sicherheit gegeben, sodass ich deswegen nicht nervös war«, sagt die 16-Jährige im Videogespräch. Hinterher sei sie einfach froh und stolz auf sich gewesen.
Sowohl Nare Mistou als auch Martin Delker ist anzumerken, wie viel Energie und Motivation sie aus den Gesprächen mit Abgeordneten ziehen. Beide strahlen so viel Hoffnung aus und den Willen, etwas zu bewegen – von Ohnmacht gegenüber dem politischen System keine Spur.
»Wir haben nicht die Zeit, auf die Abgeordneten zu warten, die wir uns wünschen«
Doch braucht es umgekehrt überhaupt eine Bürgerlobby, um ambitioniertere Klimapolitik voranzubringen? Gibt es nicht genügend Wissenschaftler:innen, die den Bundestag und die Bundesregierung beraten?
Das Wissen sei theoretisch vorhanden, meint Martin Delker. Aber es sei für Abgeordnete unmöglich, Expert:innen in allen Themenbereichen zu sein, über die sie jeden Tag diskutieren oder abstimmen müssten – außer, es handele sich um eine:n Fachpolitiker:in, zum Beispiel in einem konkreten Ausschuss. So müssten verschiedene Themen zwangsläufig unterschiedlich gewichtet werden. Das Problem dabei: Bis die Dringlichkeit der Klimakrise bei allen angekommen sei und Mehrheiten für nötige Maßnahmen ermögliche, könnte es bereits zu spät sein. »Wir haben nicht die Zeit, auf die Abgeordneten zu warten, die wir uns wünschen. Wir müssen mit denen arbeiten, die wir haben«, sagt Delker.
Woher sollen die Abgeordneten denn wissen, was sich die Wähler:innen wirklich wünschen, wenn nicht von uns? Wenn wir nichts sagen, müssen sie sich auf Umfragen, Meinungsforschung oder Rätselraten verlassen. Aber das ist nicht dasselbe, wie in einen Dialog zu treten.
Durch Fridays for Future und die vielen Hundertausenden Jugendlichen, die seit 2019 auf die Straßen gingen, um zu protestieren, sei dieser Dialog um einiges leichter geworden. Aber das allein reiche nicht, meint Delker. Sowohl der Druck und der Lärm von der Straße als auch die persönlichen Gespräche seien nötig und ergänzten sich. Oder wie es Perspective-Daily-Autor
Die Bürgerlobby Klimaschutz konnte bereits erste Erfolge feiern. So hat es ihre Forderung nach einer Klimadividende
Irgendwann, so hofft Martin Delker, werde die Bürgerlobby Klimaschutz überflüssig, weil ihre Ziele erreicht seien. Themen, für die sich Bürgerlobbyist:innen einsetzen können, werden aber wohl nie ausgehen.
Wer vertritt eigentlich noch die Interessen der Bürger:innen? Das sollen die mal schön selber machen, meint auch der Jura-Professor Alberto Alemanno. Lies hier das Interview, das meine Kollegin Katharina Wiegmann 2018 mit ihm geführt hat:
So wirst auch du ein:e Lobbyist:in!
Neben der Empfehlung, sich Verbündete zu suchen und sich gut vorzubereiten, hat die Bürgerlobby Klimaschutz auch für das eigentliche Gespräch mit Abgeordneten konkrete Tipps. Diese lassen sich neben dem Klimaschutz auf alle anderen Themen übertragen:
- Respektiert die Zeit der Gesprächspartner:innen. Fragt zu Beginn des Gesprächs, wie viel Zeit euer Gegenüber hat. Jemand in der Gruppe behält die Uhr im Blick und kann 5 Minuten vor Ende dafür sorgen, dass das Gespräch einen guten Abschluss findet.
- Stellt euch und euer Anliegen kurz vor. Euer Gegenüber will wissen, wer ihr seid und was euch bewegt. Es lohnt sich, die Vorstellung vorher zu üben.
- Versucht, eine Verbindung über gemeinsame Werte aufzubauen. Es lohnt sich, die eigenen Sorgen und Hoffnungen darzulegen und auch die eures Gegenübers herauszuhören. Auch wenn ihr euch in den Details nicht einig seid, ist eine offene Bekenntnis zu bestimmten Werten eine gute gemeinsame Gesprächsgrundlage.
- Stellt eine klare Forderung. Nach dem Treffen sollen sich die Abgeordneten darüber im Klaren sein, was ihr von ihnen wollt. Sucht euch 1–2 Punkte aus, die euch am wichtigsten sind, damit euer Anliegen einen klaren Fokus hat. Fragt am besten direkt: »Wären Sie bereit, sich persönlich für unser Anliegen einzusetzen?«
- Stellt Fragen, um Einblicke zu erlangen. Fragt eure Gegenüber zu ihren Ideen, Plänen und Bedenken. Nehmt sie ernst und macht Notizen. Ein
- Bietet eure Hilfe an. Zum Beispiel: »Mit welchen weiteren Informationen können wir Sie unterstützen?«
- Fragt nach der Möglichkeit eines weiteren Treffens. Das macht es möglich, konkreter zu werden. Außerdem gibt es den Abgeordneten einen Grund, sich in der Zwischenzeit mehr mit dem Thema zu beschäftigen.
- Bleibt am Ball. Nach dem Treffen ist vor dem Treffen. Politik lässt sich nur mit einem langen Atem beeinflussen. Sendet den Abgeordneten die versprochenen Informationen, bleibt in Kontakt und lasst sie wissen, dass ihr auf sie zählt.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily