Frieden entsteht nicht an Verhandlungstischen, sondern so
Die Erfahrung zeigt: Frieden, der hält, wird von Menschen in kleinen Gemeinden gemacht, nicht von Regierungschef:innen oder Diplomat:innen. Hier sind deren Geschichten.
Frieden hält oft nicht lange, Waffenstillstände in Konflikten werden
Ein Grund für kurzlebige Friedensabkommen: Die Menschen vor Ort werden zu selten in die Verhandlungen einbezogen. Denn sie haben in der Regel weder die Kontrolle über relevante Rohstoffe noch verfügen sie über militärische Mittel oder sitzen direkt an den Schalthebeln der politischen Macht.
Stattdessen diskutieren internationale Diplomat:innen, Regierungschef:innen oder Verteter:innen militanter Gruppen am Verhandlungstisch und bestimmen darüber, was am Ende diejenigen am stärksten betrifft, die ausgeschlossen werden: die lokale Bevölkerung.
Frieden hält länger, wenn die lokale Zivilgesellschaft am Prozess beteiligt war.
Dabei sind es gerade
Die Friedens- und Konfliktforscherin Desirée Nilsson hat für eine im Jahr 2012 erschienene Studie alle Friedensabkommen nach Ende des Kalten Krieges statistisch ausgewertet.
Dazu gehören etwa Menschenrechtsgruppierungen, religiöse wie kulturelle Organisationen oder Frauenvereine.
Andere Studien zeigen, dass Friedensabkommen effizienter umgesetzt werden, wenn auch weibliche Delegierte vertreten sind. Katharina Wiegmann hat mit der Mitgründerin vom Centre for Feminist Foreign Policy, Kristina Lunz, über die Vorteile einer feministischen Außenpolitik gesprochen:
Auch wenn Medien meist nur über die Verhandlungen auf politischer Ebene berichten – auch in den kleinen Gemeinden, die vom Konflikt betroffen sind, tut sich etwas. Die Menschen vor Ort entwickeln ihre eigenen Strategien, um ihren Alltag so gut es geht fortzuführen. Damit bringen sie manchmal Frieden in ihre kleine Realität, die auf nationaler Ebene unerreichbar erscheint.
Mit 3 Beispielen wollen wir zeigen, was eine kleine Dorfgemeinschaft in einem Konflikt – sowohl innerstaatlich als auch gegen Drittstaaten – bewirken kann und warum es wichtig ist, bei Friedensverhandlungen die Leute vor Ort einzubeziehen.
Wie ein Dorftausch 2 Gemeinden rettete
von Julia Tappeiner
Als die Aserbaidschaner das Haus sahen, das mein Großvater gebaut hatte, meinten sie, es sei zu alt. Und außerdem hänge ein Kreuz an der Wand. Ich sagte: Das ist doch gut, dann beschützt euch der Herr. Sie antworteten: Aber du bist doch Christ und wir sind Muslime. Ich sagte: Es gibt nur einen Gott, es spielt keine Rolle, wie wir ihn nennen. Daraufhin willigten sie ein.
Heute lebt die aserbaidschanische Familie in dem Haus des Armeniers Ishkan Tsaturian. Er hingegen lebt mit seiner Frau und Kindern in dem ehemaligen Haus der Aserbaidschaner, Hunderte Kilometer von seiner Heimat entfernt. Die beiden Familien sind nicht die einzigen, die ihre Häuser getauscht haben. Wie kam es dazu?
Nagorny-Karabach-Konflikt
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 wurden Armenien und Aserbaidschan unabhängige Staaten. Deshalb entbrannte der Konflikt um das Grenzgebiet Nagorny-Karabach, das überwiegend von Armenier:innen bewohnt ist, offiziell aber zum Staatsgebiet Aserbaidschan gehört. 1991 erklärte sich die Region für unabhängig, wurde jedoch nicht anerkannt. Seit 1992 vermittelt die OSZE in dem Konflikt. Es wurde noch kein nachhaltiger Frieden gefunden: Zuletzt kam es 2020 zu einem Krieg, bei dem Armenien Gebiete an Aserbaidschan verlor und etliche Armenier:innen aus Nagorny-Karabach flüchteten.
Im Jahr 1989 heizt sich der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan auf. Viele Dörfer in Armenien sind damals von ethnischen Aserbaidschaner:innen bevölkert, während in Aserbaidschan armenische Gemeinden leben. Als Nationalismus und Feindschaft zwischen den beiden Völkern wachsen, kommt es auf beiden Seiten zu gewaltsamen Angriffen bis hin zu Massakern. Etliche Aserbaidschaner:innen flüchten aus Armenien und umgekehrt.
Daraufhin schließen 2
Seda Muradyan hat die beiden Dörfer für seine Dokumentation »From Home to Home« fast 20 Jahre nach dem Tausch besucht.
Die Bewohner:innen erzählen darin, wie sie sich gegenseitig Videos ihrer Häuser schickten, um zu verhandeln, wer mit wem sein Haus tauscht. Anschließend zogen alle Familien in das jeweilige Dorf auf der anderen Seite der Grenze.
Das Wichtigste an dem Deal: Die Armenier:innen haben versprochen, auf die Gräber der Aserbaidschaner:innen aufzupassen, die Aserbaidschaner:innen kümmern sich dafür um jene der Armenier:innen. Dass beide Gemeinden dieses Versprechen halten, beweist die Doku: Sie zeigt, wie beide Seiten die Gräber ihrer Vorgänger pflegen.
Die armenische und die aserbaidschanische Dorfgemeinschaft lebt jetzt zwar in einem Land, das nicht ihre Heimat ist; dafür aber in einem, in dem sie in Frieden ihren Alltag führen können, ganz ohne Furcht, aufgrund ihrer Sprache oder Religion umgebracht zu werden.

Das Beispiel zeigt: Die Bereitschaft der Bevölkerung, um des Friedens willen Kompromisse einzugehen, ist oft größer als diejenige der Regierungschef:innen. Und sie ist länger anhaltend.
Das liegt wohl auch daran, dass sich die Folgen von Krieg – in diesem Fall Verfolgung und Pogrome –stärker auf das Leben der Bewohner im Konfliktgebiet auswirken als auf das Leben der politischen Elite. Genauso sind für diese Menschen aber auch die Vorteile einer friedlichen Verständigung zwischen den Völkern am stärksten spürbar. Ihre Motivation, Krieg zu beenden, ist daher stärker.
Mit Terroristen reden?
von Mathis GilsbachSommer 2020. Amadou Guindo, der Dorfvorsteher der Gemeinde Koro in Zentralmali ist mit einigen Begleitern auf dem Weg in den Busch, um sich mit einer Dschihadistengruppe zu treffen. Es geht um einen Gefangenenaustausch. Ein Lehrer war außerhalb seines Dorfes entführt worden. Nun sollte er gegen einen Jungen ausgetauscht werden, der von anderen Milizen gefangen gehalten wurde. Was Guindo noch nicht weiß: Nach dem Treffen hat er nicht nur den Lehrer befreit, sondern auch eine Telefonnummer und ein Dialogangebot in der Tasche.
Was steckt dahinter? Und darf man überhaupt mit Terrorist:innen reden?
Amadou Guindo entschloss sich, es zu versuchen. Davon berichtet das Magazin The New Humanitarian in einer langen Reportage. Darin erzählt Guindo, wie er die Dschihadistengruppe kontaktierte, um besagten Gefangenenaustausch zu organisieren. Am Ende stand das Dialogangebot und bald schon gab es eine Vereinbarung zwischen dem Dorf
Konflikt in Mali
Schon seit 2012 ist in Mali eine islamistische Aufstandsbewegung aktiv, die sich auch auf die Nachbarländer Burkina Faso und Niger ausgebreitet hat und gegen die dortigen Regierungstruppen kämpft. Dazu kommen in einigen Regionen Konflikte zwischen Bauern und nomadischen Viehzüchter:innen. Bei der Bundeszentrale für politische Bildung findest du einen Überblick zur Lage in Mali.
Die Aufständischen versprachen, seine Gemeinde nicht mehr anzugreifen, wenn auch die Dorfbewohner:innen die Waffen niederlegen würden. Allerdings verlangten sie, dass die Dörfer das Gesetz der Scharia nach der strengen Auslegung der Islamist:innen befolgten. Laut Guindo keine einfache Entscheidung. Jedoch setzten die Dschihadist:innen die neuen Regelungen nicht sehr strikt um und ließen sich in späteren Verhandlungen weitere
Für sein Dorf bedeuten die Vereinbarungen Frieden. Die Menschen können wieder ihre Felder bestellen und reisen, ohne Angst vor Gewalt haben zu müssen. Der direkte Dialog bedeutet, dass beide Seiten zum Telefonhörer statt zur Waffe greifen, um Probleme zu lösen. Als ein Auto einer Nichtregierungsorganisation gestohlen wurde, verhandelte Guindo direkt mit den Islamist:innen und sorgte für eine Rückgabe.

Der Fall des Dorfs Koro in Zentralmali zeigt das Potenzial von direkten Verhandlungen, auch mit schwierigen Parteien. Häufig scheitern Friedensabkommen auf höchster politischer Ebene gerade deshalb, weil sich Regierungen weigern, mit bestimmten Gruppen zu sprechen.
Dass auch ein lokaler Ansatz sinnvoll sein kann, um Fortschritte in größerem Umfang zu erzielen, beweist die Verbreitung der Gespräche im Stil von Koro: Seit Amadou Guindo den Dialog suchte, haben viele andere Gemeinden in Mali und im benachbarten Burkina Faso Verhandlungen aufgenommen.
Gespräche wie die zwischen Guindo und den Rebellengruppen lösen zwar nicht den Konflikt im Ganzen, manchmal sind sie auch mit Zugeständnissen verbunden, die wiederum Leid hervorrufen. Aber sie reduzieren die Gewalt lokal und bringen verfeindete Gruppen wieder miteinander ins Gespräch. Wenn diese gemeinsam nach Lösungen für konkrete Probleme suchen, schafft das Vertrauen und damit die Grundlage für einen tiefer gehenden Friedensprozess.
Gold für den Frieden
von Mathis Gilsbach
Im Jahr 2002, als ich noch minderjährig war, wurde ich von zwei Milizionären vergewaltigt. Als ich 15 Jahre alt war, schloss ich mich derselben Miliz an, und nach einer dreimonatigen Ausbildung war ich Soldatin.
Heute lebt Patience mit ihrem Sohn in der Region Ituri, im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo (DRK), und ist Mitglied einer Genossenschaft. Seit sie der Kooperative beigetreten ist, hat sich ihr Einkommen ver-3-facht. Dadurch kann sie ihren Sohn zu Hause unterrichten und ihre Eltern im Alter unterstützen. Auch mit ihren Traumata kann sie besser umgehen, seit sie an einem Beratungsprogramm teilgenommen hat.
Konflikte im Kongo
Die Konflikte in der Demokratischen Republik Kongo sind vielschichtig. Ihnen zugrunde liegt ein Geflecht aus ethnischen, religiösen und politischen Gruppen, die im Nachgang der Kolonialzeit um Macht, Einfluss und die Kontrolle über Ressourcen kämpfen. Viele der ethnischen Gruppen des Landes haben sich im Verlauf von 2 Bürgerkriegen in Milizen organisiert. Die Bundeszentrale für politische Bildung gibt einen Gesamtüberblick über die Konflikte in der DRK.
Davon erzählt sie der Nichtregierungsorganisation Peace Direct, die lokale Initiativen in Konfliktzonen unterstützt, um nachhaltigen Frieden herzustellen.
Eine solche Initiative ist das
So wie viele ehemalige Kindersoldaten in der DRK kämpfte Patience nach dem Ausstieg mit Traumata sowie Stigmatisierung und arbeitete zu unmenschlichen Bedingungen und geringem Einkommen
Das »Peace Gold«-Projekt bot ihr und anderen Milizkämpfer:innen eine Alternative: In der Region Ituri bildeten sich mehrere Genossenschaften, die gemeinsam Gold abbauen. Das Projekt vereint diese Kooperativen und legt die Profite des Goldabbaus in die Hände der Lokalbevölkerung.
Mit Spenden aus dem Ausland schaffen die Genossenschaften gemeinsam neues technisches Gerät an und erhöhen damit den Ertrag und die Umweltverträglichkeit des Abbaus. Damit bleibt für die beteiligten Arbeiter:innen mehr Geld übrig und ihre Gesundheit und die Umwelt werden geschont.
Das Projekt wendet sich gezielt an ehemalige Kindersoldat:innen und leistet zusätzlich psychologische und praktische Unterstützung bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Dort fand auch Patience Hilfe, psychologische Beratung und ein regelmäßiges Einkommen.

Laut Peace Direct wirkt das Projekt auch über die Grenzen der Genossenschaften hinaus. So würden viele kleinere Konflikte und Probleme jetzt durch Vermittlung gelöst und führten nicht mehr zu Waffengewalt.
Dieses Beispiel zeigt, dass Ressourcen eines Landes auch dafür genutzt werden können, Lösungen für Konflikte zu finden.
Häufig stellen Ressourcen eher eine Ursache für Konflikte dar. Wie genau Milizen und Diktatoren ihre Kriege durch den Raub von Bodenschätzen finanzieren, und wie wir ihnen den Geldhahn abdrehen können, beschreibt Autor Peter Dörrie:
Es zeigt auch: Werden Menschen Auswege aus der Gewalt ermöglicht, können sie mithelfen, den Frieden zu erreichen, statt sich weiter am Krieg zu beteiligen. Denn die wirtschaftliche Selbstermächtigung reduziert gewalttätige Auseinandersetzungen um die Kontrolle von Rohstoffen; der Ausblick auf eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft erhöht die Motivation, von Neuem zu beginnen. Gerade deshalb ist es wichtig, dort anzusetzen, wo sich der wirtschaftliche und gesellschaftliche Alltag abspielt – auf der Ebene der Lokalbevölkerung.
Nachhaltiger Frieden entsteht in der Bevölkerung
Wie wichtig es ist, Akteure abseits der politischen Elite in den Friedensprozess einzubeziehen, ist mittlerweile auch bei vielen Friedensförder:innen angekommen. Immer mehr Mediator:innen und Organisationen, die in der Friedensförderung tätig sind, wählen einen sogenannten
Hier sind 3 Beispiele von Friedensprojekten, die diesen Ansatz gewählt haben:
- Im Jahr 2018 führten die Vereinten Nationen in Libyen eine Reihe an Dialogen mit mehr als 7.000 Libyer:innen im ganzen Land. Bürger:innen konnten ihre Vision von der Zukunft ihres Landes einbringen. Die Beiträge wurden im Friedensprozess
- Der Friedensprozess in Kolumbien gilt als einer der inklusivsten weltweit. Dort wurden vielfältige Bevölkerungsgruppen einbezogen, unter anderem
- Große nationale Hilfsorganisationen fördern zunehmend kleinere Vereine vor Ort und lokale Kooperationen. So fördert etwa die größte Hilfsorganisation von Sri Lanka (Sarvodaya) lokale Jugendcamps (Shanti Sena Peace Brigade) für junge Menschen verschiedener ethnischer und religiöser Herkunft, um dabei Vorurteile
Was am Ende zählt, ist, dass die Belange der Menschen von der politischen Elite wahrgenommen werden. Ein erster Schritt dafür ist das Bewusstsein, dass nachhaltiger Frieden nicht bloß an den internationalen Verhandlungstischen geschaffen wird, sondern oftmals in unscheinbaren kleinen Dörfern.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily