1, 2 oder 3 – Brexit-Chance vorbei!
Ob Theresa May wirklich richtig steht, sieht sie am 29. März 2019. Wie hart wird der Brexit wirklich?
»Manchmal ist Isolation eben der Preis, den man in einer Übergangsphase bezahlen muss.« Als der konservative britische Parlamentsabgeordnete
Bis dahin stehen bis zu 730 Verhandlungstage bevor, deren Ergebnis bislang ungewiss ist. Mehrere Szenarien stehen im Raum, und zumindest auf britischer Seite ist das Ziel klar: Theresa May will einen
In der WG wird ein Zimmer frei
Stellen wir uns die EU für einen Moment als 28er-Wohngemeinschaft vor: Der Brexit wäre der Auszug des Nörglers, der sich öfter allein eingeschlossen hat, während seine Mitbewohner Spaß hatten. Jetzt hat er die Kündigung eingereicht und der WG-Rat muss über 3 Themen entscheiden:
- Wie funktioniert der Auszug? Den Briten gehört ein Teil des Inventars, also muss zum Beispiel geklärt werden, ob die EU diesen Anteil ausbezahlt. Es geht also beim Brexit nicht nur darum, einen Möbelwagen und Helfer zu organisieren, vielmehr müssen viele Besitzstände geklärt
- Wie gut versteht man sich danach? Sind die Briten auch künftig in der WG willkommen? Helfen sie weiter mit, WG-Partys zu organisieren? Dann müssen sie aber auch Bier kaufen und hinterher beim Aufräumen helfen. Wie das Verhältnis zwischen EU und Großbritannien ab 2019 sein wird, ist die wohl wichtigste Frage der Verhandlungen.
- Wie verändert sich das Leben in der WG? Die Briten, aber auch die verbleibenden EU-Länder müssen sich neu situieren. Der Brexit kann den verbleibenden 27 auch Anlass zu stärkerer Integration geben.
Zumindest die Punkte 1 und 2 müssen parallel verhandelt und sehr eng aufeinander abgestimmt werden.
London pokert zwar gerade mit hohem Einsatz – aber ernsthaft können beide Parteien kein »No deal«-Szenario wollen: Wenn innerhalb von 2 Jahren kein Abkommen zustande kommt, würde die Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals Schaden nehmen.
1. Harter Brexit – Das kanadische Modell
Viele Briten haben für den Brexit gestimmt, weil die Kampagne – neben
Solche Szenarien, aber vor allem den schieren Umfang der Verhandlungsmasse fürchtet das britische Oberhaus. In einem
In Anbetracht der Konsequenzen eines ›No deal‹-Szenarios […] bekräftigen wir unseren Vorschlag, dass die Regierung als Teil der Austrittsverhandlungen unbedingt die Zustimmung zu einem Übergangs-Handelsabkommen sichert, damit Unternehmen nicht regulatorisch in der Luft hängen.
Der »harte Brexit« ist zwar Theresa Mays bevorzugte Lösung. Der Weg aus der EU hin zu einem Freihandelsabkommen nach kanadischem Vorbild bringt jedoch von allen Szenarien die größten Unwägbarkeiten. Die britische Wirtschaft, besonders aber die Landesteile Schottland und Nordirland – siehe weiter unten – könnten die Briten im Laufe der Verhandlungen dazu zwingen, auf ein anderes Modell hin zu verhandeln.
2. Mittlerer Brexit – Das ukrainische Modell
Die Ukraine wird gehemmt von einem zähen Konflikt – da vergisst man schon mal, wie wendig das 1.200 Seiten starke Nachbarschaftsabkommen ist, mit dem der Konflikt begann. Als das Land 2013 von Umbruch und Krieg erschüttert wurde, war zeitweise unklar, ob es je zum Tragen
Das Abkommen ist, sobald es gilt,
Die wichtigsten Voraussetzungen für ein solches Abkommen hätte Großbritannien als (Noch-)EU- und Nato-Mitglied bereits erfüllt, sodass ein ähnliches Nachbarschaftsabkommen direkt in Kraft treten könnte. Über die Kooperationen dürfte jedoch hitzig verhandelt werden – schließlich bedeutet aus britischer Sicht jeder Kompromiss, dass Brüssel auch künftig ein Wörtchen mitzureden hat. Umgekehrt birgt für Brüssel jeder Kompromiss die Gefahr, dass auch andere Länder eine Abkehr von der EU als attraktive Option ansehen.
3. Weicher Brexit – Das norwegische Modell
Aus britischer Sicht ist das folgende Szenario ziemlich unattraktiv: Um die Annehmlichkeiten des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) weiter zu genießen, müssten die Briten weiterhin Freiheiten gewähren und Richtlinien umsetzen, ohne selbst am Verhandlungstisch zu sitzen. Die Mitbestimmung ist nur wenig größer als für die Ukraine. In genau dieser Lage befinden sich Norwegen, Liechtenstein und der Beitrittskandidat Island. Die beiden skandinavischen Länder wollen
Der britische Europaabgeordnete Andrew Duff sieht Nachteile im aktuellen Status dieser Länder. Wenn sich Norwegen und Island jedoch stärkere Mitbestimmung ausbedingen,
Für manche Staaten wäre eine teilweise Mitgliedschaft ein Sprungbrett zur Vollmitgliedschaft, für andere ein Dauerparkplatz und für andere wiederum eine vernünftige Alternative zu einem vollständigen EU-Austritt. Gestalt und Bedingungen einer solchen Teilmitgliedschaft müssten von Fall zu Fall verhandelt werden und von den Dynamiken bestimmt werden, ob ein Staat kommt oder geht.
Großbritannien hat reichlich Erfahrung in solchen Verhandlungen mit der EU: Erst
Es könnte jedoch am Ende für alle das Beste sein, mit einem weichen Brexit weiter im EWR zu bleiben und dafür die osteuropäischen Wanderarbeiter auf Englands Feldern zu akzeptieren. Die Brexit-Unterhändler könnten zum »norwegischen Modell« gezwungen werden, wenn innenpolitisch sonst größerer Schaden droht.
Die Aussteiger aus dem Ausstieg
Den Termin für den Start der Brexit-Verhandlungen
Schottland hat Erfahrung in Referenden. Erst im September 2014 hatte die Region über eine Unabhängigkeit von Großbritannien abgestimmt. Mit 45% fiel die Zustimmung überraschend gering
Zwar stünde die Wirtschaft eines eigenständigen Schottlands weniger gut da als 2014, weil der Ölpreis seitdem stark gesunken ist. Die SNP beschwört jedoch andere Stärken und betrachtet Öl als
Nordirland wird sich ähnlich grundsätzliche Fragen neu stellen müssen: Ab dem 29. März 2019 soll zwischen dem Norden und der Republik Irland eine EU-Außengrenze verlaufen. Grenzkontrollen könnten einen alten Streit neu entfachen, der das Ende des
Noch sind das alles nur Knackpunkte, gegenüber denen die Unterhändler beider Seiten sensibel sein müssen. Wütende Proteste um Flaggen in Belfast haben jedoch noch in jüngerer Vergangenheit gezeigt,
Die übrigen EU-Staaten haben außerdem ein Wörtchen mitzureden über die zukünftigen Beziehungen. Alle 3 Szenarien könnten in einem gemischten Abkommen enden, dem die 27 Mitgliedstaaten einzeln zustimmen müssten. Belgien hat CETA ausgebremst, die Niederlande das Abkommen mit der Ukraine. Da könnte sich auch für Großbritannien ein Abweichler finden.
Wie hart Brüssel die Briten anpacken muss, um Nachahmer abzuschrecken, wird sich erst nach den französischen Präsidentschaftswahlen zeigen: Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National, hat bereits einen »Frexit« ins Spiel gebracht. Sie hat gute Chancen, in die Stichwahl
Ein Lackmustest für Europa
Auch London geht davon aus, dass die EU einen Deal suchen könnte, »der Großbritannien bestraft und andere Länder abschreckt, denselben Weg zu gehen« – so fasst es das Parlamentsblog Second Reading zusammen. Gleichzeitig will Theresa May nach eigenem Bekunden lieber die Verhandlungen platzen lassen, als einen schlechten Deal einzugehen. Second Reading wägt ab:
Es steht viel auf dem Spiel für Großbritannien und die anderen 27 EU-Staaten. Allein deshalb wird sich vermutlich niemand leisten wollen, eine konstruktive Arbeitsatmosphäre zu stören. Aller Voraussicht nach wird es in 2 Jahren eine gemeinsame Vereinbarung geben – und wenn sie erst mal nur die Verlängerung der Frist
Die Kölner Politikwissenschaftlerin Funda Tekin sieht darin einen
Ein klug verhandelter Brexit hingegen sollte weder allzu riesige Mehrbelastungen für Großbritannien bringen noch der EU zu viel Schaden zufügen. Im besten Fall kann der Brexit die EU um einen Bremser erleichtern und den Zusammenhalt innerhalb des Staatenbündnisses stärken. An Ideen für eine Europäische Union ab 2019 mangelt es nicht.
Titelbild: Perspective Daily - copyright