Schluss mit Eis und Badesee: Wie wir Hitze endlich ernst nehmen
Ob in den Medien, in der Politik oder im Privaten, wir haben die Hitzewellen noch immer nicht als das verstanden, was sie sind: Notfälle. Mit diesen 3 Ideen können wir es künftig besser machen.
Bedrohlich wirkende Nachrichten über die Klimakrise liest man gerade häufig. Wenn es dein Reflex ist, direkt weiter zu klicken oder zu wischen, ist das ganz normal, wie wir gleich sehen – doch bitten wir dich in diesem Fall: Lies es einmal durch.
Dicke Rauchschwaden ziehen über die Wälder der Böhmischen Schweiz. Monatelang brannten hier an der deutsch-tschechischen Grenze knapp 10 Quadratkilometer Wald. Etwa 900 Feuerwehrleute versuchten wochenlang vergeblich, die Brandherde in den Griff zu bekommen,
Noch schlimmer ist es in Italien. Das normalerweise fruchtbare Flachland um den Fluss Po in Norditalien ist ausgetrocknet, die Ernten sind verdorrt. Der längste Fluss des Landes führt kaum noch Wasser. »Das Po-Delta droht zur Wüste zu werden«, sagt Mauro Girello, Landwirt aus Norditalien, gegenüber
In Deutschland forderten die
Das sind nur 3 Beispiele dafür, was die derzeitigen Hitzewellen in Europa anrichten – Hitzewellen, die es ohne den menschengemachten Klimawandel in dieser Intensität und Häufigkeit nicht gäbe,
Klingt dir das alles zu alarmistisch?
Verursacht es bei dir vielleicht ein mulmiges Gefühl; würdest du dich lieber schnell mit etwas anderem beschäftigen?
Negative (Klima-)Nachrichten haben auf viele Menschen eine erdrückende Wirkung – um diesem Gefühl zu entgehen,
Wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass Medienberichte bei uns oft genau das Gegenteil ihres eigentlichen Zwecks hervorrufen: Statt uns zu empören und unsere Wut in Energie und gesellschaftliches Engagement umzuwandeln, sind wir durch sie gestresst und überfordert, im schlimmsten Fall gar deprimiert. Schließlich können die in vielen Berichten gezeigten Menschen und somit sicherlich auch wir selbst offenbar nichts ausrichten.
Wie können wir es also schaffen, Menschen für die Gefahren durch die aktuellen Hitzewellen und die Klimakrise im Ganzen zu sensibilisieren, ohne dabei so alarmistisch zu sein, dass sie den Kopf in den Sand stecken?
Darüber haben wir mit 2 Klimapsychologinnen gesprochen und nach konkreten Wegen gesucht, wie das gelingen kann.
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Warum so viele Menschen Hitzewellen nicht als Gefahr wahrhaben wollen
»Die Auseinandersetzung mit der Klimakrise erzeugt unangenehme Gefühle:
Zwar gibt es einige Studien, die zeigen,
Doch dieses Bewusstsein bedeutet nicht automatisch,
Das kann zu einem anderen Extrem führen: Statt uns zu sehr zu sorgen, schieben wir das Problem komplett von uns weg. Aus psychologischer Sicht sei das verständlich, erklären die Psychologinnen. Denn durch das Wegschieben vermeiden wir es, uns mit unseren negativen Gefühlen auseinanderzusetzen. »Sich einzugestehen, dass die Hitzewellen ein Notfall sind, der durch die Klimakrise verursacht wurde, ist für manche Menschen schwierig. Besonders wenn sie ihre Gefühle schlecht regulieren können«, sagt Lea Dohm.
Es gibt einige kognitive Verzerrungen, die uns dabei helfen, die Klimakrise beiseitezuschieben, wie zum Beispiel das »Optimism Bias«: Es beschreibt die Annahme, dass es einen selbst schon nicht treffen wird.
Wie gefährlich es werden kann, die Klimakrise und deren Folgen zu verdrängen, zeigen die aktuellen Dürren und Hitzewellen. Obwohl Forschende schon lange warnen, dass extreme Hitze und Trockenheit auch hierzulande häufiger werden, ist wenig passiert, um die Menschen ganz konkret darauf vorzubereiten.
Nur etwa jeder fünfte Landkreis hat laut einer Recherche von Zeit Online ein Konzept oder einen Maßnahmenkatalog gegen die Hitze und ihre Folgen. Die meisten Landratsämter wissen nicht einmal,
»Bei vielen Menschen herrscht bei Hitze noch immer eher ein Bacardi-Feeling. Sie denken an Urlaub und nicht an die Gefahren, die sie mit sich bringt«, sagt Schulze. Auch dass immer wieder Freibadbilder mit Eiscreme und Pommes als Bebilderung für Extremhitzewarnungen verwendet würden, trage dazu bei. Solche Darstellungen helfen, negative Gefühle von uns wegzuschieben, sorgen aber auch dafür, dass wichtige Probleme und Gefahren übersehen werden und somit notwendige Handlungen ausbleiben.
Stelle dir vor, du begegnest einem Säbelzahntiger und bekommst keine Angst. Du würdest nicht weglaufen oder dich auf einen Baum retten, sondern vielleicht ganz entspannt weiter tun, was du gerade tust. Im Ergebnis würde dich der Tiger fressen und du müsstest sterben. Etwas komplexer, aber in ähnlicher Art und Weise entwickelt es sich leider gerade bei uns als Menschheit mit der Klimakrise.
Der Lösungsvorschlag der Klimapsychologinnen Dohm und Schulze: »Ich würde mir wünschen, dass ich im kommenden Jahr keine mediale Berichterstattung mit Bildern von Eiscreme sähe, wenn es eine Hitzewelle gibt. Das fände ich sehr konstruktiv«, sagt Dohm.
Ich glaube, dass diese positive Darstellung von Hitze vom Framing her psychologisch fatal ist, weil das auch suggeriert: Es ist deine individuelle Schwäche, wenn du dich jetzt gerade nicht nach Baden fühlst, sondern nur noch mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Bett liegen willst, weil es so heiß ist.
Wie wir das Problem wahrnehmen und gegen das Ohnmachtsgefühl vorgehen können
Zusammengefasst: Berichten wir nur über die fatalen Folgen der Hitze, kann das Menschen in eine Schockstarre versetzen. Berichten wir nur darüber, wie sich das Wetter genießen lässt, führt das dazu, dass Menschen das Problem von sich wegschieben. Wie also können wir es als Journalistinnen richtig angehen?
Was sich in Bezug auf Klimakrise und Co. wirklich bewährt hat, ist das an die Medizin angelehnte ›Notfallnarrativ‹. Wir können also sagen: Wir haben es hier mit einem planetaren Notfall zu tun. Ein Notfall kommt über uns, obwohl wir unser Leben vielleicht anders geplant haben. Das ist auch mit der Klimakrise so passiert. Jetzt müssen wir mit den Ressourcen, die wir gerade haben, probieren, das so gut wie möglich abzuschwächen. Gaffen ist das Schlechteste, was wir jetzt machen können, wir müssen irgendwo anfangen – und können das auch.
Es sei auch in Ordnung, wenn uns Nachrichten wie am Anfang dieses Textes aufschrecken. Das könne sogar helfen, den Ernst der Lage zu erkennen. Und gerade als Erwachsene seien wir gut in der Lage, den Schreck zu verarbeiten – aber dafür sei es wichtig, dass wir auch das Gefühl hätten, etwas tun zu können.
»Wir müssen ehrlich zu uns selbst sein und ein Stück weit anerkennen, dass wir jetzt in einer Zeit der Krisen leben«, sagt Schulze. »Und dass, wenn wir da gut durchkommen wollen, wir uns bestenfalls irgendwie einbringen und dieser Einsatz nichts Schlechtes ist, sondern unser Leben sogar bereichert. Es ist nicht nur ein zusätzlicher Stress, der obendrauf kommt, sondern es schafft in ganz vielen Fällen ein neues Erleben von Selbstwirksamkeit«, ergänzt Lea Dohm. »Für unsere Psyche ist es viel besser, wenn ich merke, ich kann etwas tun. Besser, als wenn ich in einem Gefühl von Machtlosigkeit festhänge und da nicht so richtig rauskomme«, erläutert die Psychologin.
Die Klimakrise ist niemandem egal. Davon geht Umweltpsychologin Renée Lertzman aus. In diesem Text erklärt sie, wie man seine Gefühle gegenüber der Klimakrise erkennen kann und lernt, damit umzugehen.
So findest du heraus, was du in deinem Umfeld Sinnvolles gegen Extremhitze tun kannst
Wenn darüber gesprochen wird, dass Menschen ins »Handeln« kommen müssen, bleibt häufig unklar, was das überhaupt heißen soll. »Menschen müssen wissen, welche Handlungsmöglichkeiten es überhaupt gibt und welche davon sie selbst ergreifen können«, sagt Lea Dohm. Erst wenn Menschen wüssten, wie sie etwas direkt beeinflussen könnten, werde das große Schlagwort »Handeln« weniger abstrakt. Gerade Journalist:innen könnten hier helfen und so auch ihrer Verantwortung gerecht werden. Sie sollten nicht nur über Probleme berichten, sondern auch Lösungsoptionen aufzeigen.
Vor allem bei der Berichterstattung von angstmachenden Fakten oder Katastrophenszenarien sei es laut den 2 Psychologinnen wichtig, dass möglichst niedrigschwellige Handlungsmöglichkeiten damit verbunden würden:
Ich kann als Einzelperson vielleicht nicht direkt beeinflussen, dass Kohlekraftwerke früher vom Netz gehen. Ich kann aber den Stromanbieter wechseln oder Möglichkeiten zur politischen Partizipation aufgezeigt bekommen. Vor allem sich Gruppen anzuschließen, löst ein wirksames Gefühl aus. Solche Dinge sollten immer benannt werden, damit man nicht in diesem Angstextrem oder Gefühlsextrem stecken bleibt. Extreme sind nie gut.
Doch wie finde ich nun selbst Handlungsmöglichkeiten, die zu mir passen? Wir haben uns am Beispiel der aktuellen Hitzewelle angeschaut, was wir tun können:
- Schaue, wie dich das Thema in deinem Alltag betrifft: Wie beeinflusst die Hitze deinen Alltag und dein Arbeiten, das deiner 65-jährigen Eltern oder deiner Kinder? Vielleicht nimmt die Mutter Medikamente, deren Nebenwirkungen bei der Hitze verstärkt werden, die eigene Wohnung braucht eine ordentliche Dämmung, damit es im Sommer nicht so heiß wird oder die Kinder werden vom Kindergarten immer
- Rede über das Problem: Das durchbricht das Phänomen der Schweigespirale. Oft kennen nämlich andere das Problem auch, doch niemand spricht es an, um nicht die Stimmung zu verderben. Nur wenn ihr darüber sprecht, kannst du Gleichgesinnte finden, die für den nächsten Punkt wichtig sind.
- Tue dich mit anderen zusammen: Dann sind Handlungen besonders wirksam. Das kann bedeuten, eine Gruppe von gleichgesinnten Eltern zu finden, die mit der Schule reden wollen, um die Pause vorzuverlegen oder damit eine schattenspendende Überdachung gebaut wird. Es kann aber auch hilfreich sein, sich umzuschauen, wer eigentlich in der Nähe wohnt. »Wir wissen, dass in Hitzewellen vorwiegend ältere Menschen, die alleinstehend und in kein Hilfesystem eingebunden sind, besonders leiden und auch besonders häufig versterben. Hier können wir aufeinander achten und uns gegenseitig unterstützen«, sagt Dohm. Sie fügt hinzu: »Oft rücken Menschen erst in Extremsituationen oder unter Belastung zusammen, doch das geht auch schon vorher und zwar zur Lösung vor der Katastrophe.«
Nun ist klar, wo wir auf individueller Ebene ansetzen können. Auch in der Politik kommt endlich an, wie gefährlich die Hitzewellen sind.
Wie wollen Städte und Regierungen das Gefahrenbewusstsein für Hitzewellen in der Bevölkerung erhöhen? 3 Beispiele mit psychologischer Einschätzung
- Persönlicher Kontakt für Betroffene: Hitzetelefone in Österreich und Kassel
In Österreich hat das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen bereits 2017 die Initiative ergriffen und
»Die Menschen rufen an, um zu fragen, was die Symptome für einen Hitzeschlag sind, wie sie ihr Kleinkind schützen können, was sie am besten essen sollen oder wie sie ihrer 90-jährigen Nachbarin bei Hitze helfen können«, sagt Ingrid Kiefer. Sie leitet die Risikokommunikation der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit und das Hitzetelefon. Die zweitbeliebteste Frage – gleich nach der Frage, was man zu Hause selbst tun kann, um sich zu schützen – seien arbeitsrechtliche Anliegen, beispielsweise ob man hitzefrei bekommen kann.
»Dann sind wir gerne eine Drehscheibe zu anderen Hilfenummern, an die Menschen sich wenden können«, sagt die Gesundheitspsychologin. »Arbeitsrechtliche oder medizinische Beratungen können wir nicht anbieten.« Auch wenn das ideal wäre, dafür seien die Ressourcen zu knapp. Beantwortet werden die Anrufe von spezialgeschulten Agenten, die für die Beantwortung der Fragen auf qualitätsgesicherte FAQ zurückgreifen. Gibt es mal keine Antwort, wird ein Rückruf vereinbart. Ziel des Hitzetelefons: gesundheitliche Auswirkungen, aber besonders hitzebedingte Todesfälle durch richtiges Verhalten zu verhindern.
Einschätzung der Psychologinnen: Sie finden die österreichische Aufklärungsinitiative gut, da viele, gerade ältere Menschen den persönlichen Kontakt einer Website oder Infobroschüre vorziehen. Trotzdem sei der Schritt, zum Hörer zu greifen und anzurufen, noch eine hohe Hemmschwelle. Noch besser finden sie dagegen das Hitzetelefon der Stadt Kassel in Hessen. Dieses geht noch einen Schritt weiter, indem Ehrenamtliche präventiv ältere Menschen anrufen, sobald der Deutsche Wetterdienst einen besonders heißen Tag ankündigt. - Informieren und einordnen: Hitzewellen Namen geben
Seit Wochen leidet Spanien unter extremer Hitze, in Sevilla kletterte das Thermometer bereits Mitte Juni auf über 40 Grad Celsius – so früh im Sommer wie seit 40 Jahren nicht mehr. Um den Spanier:innen den Zusammenhang des Extremwetters und der Klimakrise greifbarer zu machen,
In einem einjährigen Pilotprojekt sollen die kommenden extremen Hitzewellen nun kategorisiert und benannt werden –
Einschätzung der Psychologinnen: »Extreme beim Namen zu nennen ist gut. Es kann helfen, das Bewusstsein zu stärken«, sagt Lea Dohm. Jegliche Art von Informationsplattformen, die Menschen auf verschiedenen Weisen die Zusammenhänge der Klimakrise und Hitze sowie ihren Auswirkungen näherbringe, sei gewinnbringend. Ein weiteres Beispiel: - Das Thema auf die politische Agenda setzen: Heat Officer ernennen
In vielen europäischen Ländern stehen die Hitze und deren Auswirkungen noch nicht auf der politischen Agenda. Nur wenige Länder haben einen bundesweiten Hitzeschutzplan wie Österreich – auch Deutschland hat keinen. Das liegt unter anderem daran, dass es keine Menschen mit Expertise gibt, die das Thema in die politischen Diskussionen und Entscheidungen bringen. Um das zu ändern, hat auch hier, wie bei der Benennung von Hitzewellen, das US-amerikanische Arsht-Rock Center seine Finger im Spiel. Die Non-Profit-Organisation spezialisiert sich auf hitzebedingte Extremwettereignisse und deren Auswirkungen. Sie hat in den vergangenen Jahren dabei geholfen,
Einschätzung der Psychologinnen: »Genau mit dem Punkt der fehlenden Einflussnahme haben wir uns auch auseinandergesetzt«, sagt Mareike Schulze. Grundsätzlich finden die beiden Psychologinnen auch diese Idee gut. Es brauche jemanden, der politische Verantwortung übernehme, oder bestenfalls ein ganzes Entscheidungsgremium. »Eine einzelne Person läuft Gefahr, dass wieder Rosinenpicken betrieben wird.«
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily