Wie eine junge Anwältin aus Bangladesch Deutschland auf mehr Klimaschutz verklagt hat
Nachdem Erdrutsche Teile ihrer Heimat weggerissen hatten, beschloss Yi Yi Prue: Sie muss für mehr Klimaschutz kämpfen. Und zwar dort, wo die Verantwortlichen sitzen. Seit ihrem großen Sieg vor dem Bundesverfassungsgericht hat die Arbeit erst richtig begonnen.
Die Wassermassen, die ein Monsun mit sich brachte, rissen das Haus, in dem Yi Yi Prues Nachbarn lebten, einfach davon. Yi Yi selbst und ihre Familie konnten sich gerade so retten, indem sie rechtzeitig aus ihrem Dorf in einer ländlichen Provinz in Bangladesch flüchteten. Sie hatten Glück, dass die Flut den Ort am Tag erwischte und nicht bei Nacht, während alle schliefen, erinnert sich Yi Yi.
Als sie nach dem Unglück zurückkehrten, war ihr Haus zu großen Teilen zerstört und von der Decke tropfte Wasser. Yi Yi lebt seitdem mit der Angst, dass Gebäude, in denen sie sich befindet, einer Überflutung nicht standhalten können. Es ist Teil des Traumas, das sie in sich trägt. »Jedes Mal, wenn ich heute Risse in einer Hauswand sehe, frage ich mich, ob es unter Wassermassen zusammenbrechen würde«, sagt Yi Yi. »Die Erinnerungen sind nach wie vor schmerzhaft.«
Während sie im Videointerview von ihren Erfahrungen spricht, schaut die Frau mit festem Blick in die Kamera ihres Computers. Sie hat kinnlange, schwarze Haare und markante Wangenknochen, ihre Stimme ist klar und ruhig. Der Schmerz schwingt spürbar in ihren Worten mit und er motivierte sie zu ihrer Arbeit als Klimaaktivistin, die sie schließlich von Bandarban vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe führte. Yi Yi kämpft dafür, dass Klimagerechtigkeit auch die Sicht von indigenen Völkern einbezieht – denn sie sind häufig besonders stark von der Klimakrise betroffen.
Aus der ländlichen Provinz in Bangladesch bis zum Bundesverfassungsgericht
Yi Yi Prues Geschichte beginnt in
Erst als sie
Im April 2021 siegte die Rechtsanwältin zumindest teilweise mit einer Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe: Die Richter:innen erklärten damals das
In Bangladesch zerstört der Klimawandel die Lebensgrundlagen indigener Völker
Zeit ihres Lebens wird Yi Yi immer wieder Zeugin davon, wie extreme Wetterphänomene ihr Heimatland Bangladesch heimsuchen. Die vom Globalen Norden verursachte Klimakrise schränkt ihre Freiheit und die ihrer Mitbürger:innen seit Langem massiv ein. Laut »Global Climate Risk Index 2019« gehört Bangladesch zu den
Doch Überflutungen, Erdrutsche oder Dürren sind längst keine Ausnahmeerscheinungen mehr in Yi Yis Heimatregion Bandarban. »Die Folgen des Klimawandels sind am unmittelbarsten für Menschen zu spüren, die in
In der Bergprovinz Chittagong Hill Tracts, denen Bandarban angehört, löste 2017 ein
Die Folgen wirken sich bis heute auf das Leben der Anwohner:innen aus. Straßen, Stromleitungen und Häuser wurden zerstört, deren Wiederaufbau bis heute nicht vollständig gelungen ist. Die Menschen leben in Behausungen mit Wellblechdächern, weil sie bereits die nächste Katastrophe mit neuer Zerstörung fürchten, sagt Yi Yi. Zudem ist die Lebensgrundlage der indigenen Volksgruppen, die sich für gewöhnlich über den Ackerbau versorgen, zerstört: Grundwasser wurde verunreinigt und Ackerland so weit beschädigt, dass die Bauern es nicht mehr bestellen können. Das beeinträchtigt die Lebensmittelversorgung der Menschen vor Ort, zugleich gehen Arbeitsplätze in der Landwirtschaft verloren.
Die unmittelbaren Folgen der Klimakrise beeinflussen somit bereits heute drastisch das Leben der Menschen in den Chittagong Hill Tracts. Viele seien nach dem Unglück 2017 deshalb in die Stadt gezogen, erzählt Yi Yi. Das nahe gelegene Chittagong ist mit 2,5 Millionen Einwohner:innen die größte Stadt der Gegend. »Die wenigen, die bleiben, können sich nicht mehr über Ackerbau versorgen und müssen sich Arbeitsplätze suchen, um zu überleben«, sagt sie. Die Arbeitsformen hätten sich gravierend verändert, die Menschen müssten Jobs in Hotelketten oder in Textilfabriken annehmen.
Warum reiche Industriestaaten trotz des Pariser Klimaabkommens ihren Verpflichtungen nicht genügend nachkommen, während die Klimakrise für die Menschen in ihrer Heimat längst real ist, kann Yi Yi nicht nachvollziehen. Die Anwältin entschied sich, aktiv gegen dieses Unrecht zu kämpfen, und suchte nach dem Unglück 2017 das Gespräch mit Betroffenen in Chittagong Hill Tracts. Ihr Ziel: Wege zu finden, deren Rechte durchzusetzen. Yi Yis Eltern rieten ihr damals davon ab, dort umherzureisen, weil sie die Gegend für unsicher hielten. »Sie können bis heute nicht verstehen, warum ich mich für Klimagerechtigkeit einsetze«, sagt Yi Yi. Denn für ihre Eltern bringe allein das alltägliche Leben zu viele Herausforderungen mit sich, sagt sie. Dennoch ließ sich Yi Yi nicht davon abbringen, für ihre Interessen zu kämpfen – eine zähe Aufgabe, wie sich herausstellte.
Yi Yi Prues Kampf um Klimagerechtigkeit schreibt Geschichte im deutschen Rechtssystem
Aus den gesammelten Gesprächen mit den Menschen der Chittagong Hill Tracts erstellte sie einen Bericht, den sie mit der Bitte um Unterstützung an verschiedene internationale Menschenrechtsorganisationen schickte. Doch ob aus den Niederlanden, Australien oder Deutschland: Die Reaktionen fielen zumeist negativ aus. »Wir können nichts tun«, war oft die Antwort. Klimagerechtigkeit sei ein schwieriges Terrain, gaben ihr viele als Grund für die Absage an. Yi Yi konnte es nicht glauben: »Warum wollen die Menschen nicht zuhören? Warum trauen sie sich nicht an das Thema?«, fragte sie sich.
Schließlich schaffte es Yi Yi, Kontakt zu Remo Klinger aufzubauen, einem Anwalt, der mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zusammenarbeitet. Klinger spezialisiert sich unter anderem auf Umweltrecht und ist dafür bekannt, auch komplexe Fälle anzunehmen. Was danach folgte, ging in die Geschichte der Bundesrepublik ein: Mit der Hilfe von Klinger und der DUH zog Yi Yi vor das Bundesverfassungsgericht – und zwar erfolgreich. Das Urteil gilt in juristischen Kreisen als
Yi Yi war froh, dass die Rechte von indigenen Menschen sowie die der jüngeren Generationen mit dem Urteil endlich Beachtung finden. Mit ihr hatten sich auch 14 weitere Menschen aus Nepal und Bangladesch der Beschwerde angeschlossen. »Wir werden nun noch genauer verfolgen, wie viel Wert die deutsche Regierung und auch andere verantwortliche Staaten auf unser Recht zu Überleben legen«,
Yi Yi bot damals sofort ihre Hilfe zum Wiederaufbau an, doch man sagte ihr, es bestehe kein Zugang für zivile Helfer:innen. Sie entschied sich dennoch, ins Ahrtal zu reisen, um den Menschen vor Ort Beistand zu leisten. Dort sprach sie mit Anwohner:innen, deren Erfahrungen sie aus ihrem eigenen Leben kannte. Eine 80-jährige Frau erzählte, sie hätte sich nicht vorstellen können, dass ihr Haus jemals unter Wasser stehen würde. Yi Yi berichtete der alten Dame von einer ihrer Bekannten in Bangladesch, die bereits 5 Häuser verloren hatte – so oft, dass sie sich nicht mehr traue, ein neues zu bauen. »Wie oft müssen wir unsere Häuser verlieren, bis sich etwas ändert?«, fragt Yi Yi im Interview, als sie die Situation schildert.
Als sie die Verfassungsbeschwerde einreichte, traf sie zum ersten Mal auch auf Klimaaktivist:innen aus Deutschland: Junge Menschen von Fridays vor Future reichten zufälligerweise zum selben Zeitpunkt eine
Die Rechtsanwältin wünscht sich für die Zukunft mehr gemeinsames Engagement von indigenen Menschen und Klimaaktivist:innen aus dem Globalen Norden. So hielt Yi Yi beim weltweiten Klimastreik von Fridays for Future in Berlin vor Tausenden Demonstrant:innen
Unsere Gegenwart ist eure Zukunft!
Seitdem arbeitet sie an Projekten zum gegenseitigen Austausch von Aktivist:innen und Betroffenen aus Bangladesch und Deutschland. Eine Aktivistin, die sie kürzlich kennengelernt hat, habe Yi Yi bereits in ihrer Heimat besucht. Sie habe der jungen Frau verschiedene vom Klimawandel betroffene Orte in ihrer Heimat gezeigt. »Ihre Unterstützung kann dazu beitragen, dass unsere Stimmen gehört werden«, ist Yi Yi überzeugt.
»Indigene Menschen sind vom Klimawandel direkt betroffen und gehören gleichzeitig zu denen, die gesellschaftlich am meisten marginalisiert sind«, sagt die Rechtsanwältin. Unter den Mitklagenden vor dem Bundesverfassungsgericht sind mehrere Personen, die aufgrund der bedrohlichen Situation in ihren ländlichen Heimatorten nach Dhaka, die Hauptstadt Bangladeschs, ziehen mussten. Diese Menschen kommen vor allem in ärmeren Vierteln am Stadtrand unter. Dort wiederum sind sie zunehmend klimabedingten Hitzewellen ausgesetzt, weil ihre Häuser schlecht gebaut sind oder sie sich keine Klimaanlagen leisten können. Die Diskriminierung von Minderheiten setze sich aus mehreren Ebenen zusammen, erklärt Yi Yi. »Klimagerechtigkeit bedeutet deshalb auch soziale Gerechtigkeit«, unterstreicht die Anwältin.
Indigene Lebensformen zu bewahren schützt unseren Planeten vor der Klimakatastrophe
Nicht nur innerhalb Bangladeschs gehören indigene Menschen zu den am meisten marginalisierten Menschen, auch auf internationaler Ebene finden sie kaum Repräsentation. Die Vereinten Nationen setzen sich zwar seit Langem dafür ein, dass die Rechte indigener Völker international Gehör finden: Im Jahr 2007 hat die UN die
Die Ironie daran: Gerade der Lebensstil von indigenen Menschen birgt Wissensschätze, die entscheidend sein könnten, um der Klimakrise entgegenzuwirken.
Für nachhaltigen Umweltschutz sei es daher unerlässlich, einen Austausch mit traditionellem, indigenem Wissen zu ermöglichen, heißt es in einem Grundsatzpapier des wissenschaftlichen Beirats des UN-Generalsekretariats. Das könne dazu beitragen, Wissenslücken zu schließen, wo die Wissenschaft bislang keine Lösungen gefunden hat.
Eine der größten Hürden auf dem Weg dahin sind oftmals Projekte im Namen wirtschaftlichen Wachstums. Sie tragen dazu bei, Land zu zerstören oder zu rauben, das indigenen Völkern als
Aktives Engagement zum Aufhalten der fortschreitenden Klimakrise bedeutet für die Anwältin deshalb auch weiter juristische Druckmittel zu finden: Damit Regierungen politische Maßnahmen beschließen, um die Erderwärmung gemäß dem Pariser Klimaabkommen zu beschränken und um Unternehmen zu verpflichten, deren Emissionen zu reduzieren. »Wenn Deutschland damit beginnt, wird auch die EU folgen«, ist Yi Yi überzeugt.
Tatsächlich hat sich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts einiges bewegt: Bereits im Juni 2021 stimmte der Bundestag einem geänderten Entwurf des
Für Yi Yi geht der Kampf weiter, der indigenen Bevölkerung Bangladeschs eine Stimme zu geben. Denn wie die Studien zeigen, ist es ein Kampf, von dem am Ende alle Menschen profitieren können.
Redaktion: Benjamin Fuchs
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily