Hier ist die 4-Tage-Woche keine Utopie mehr
In zahlreichen Pilotversuchen verabschieden sich Beschäftigte von der traditionellen Arbeitswoche. Doch an nur 4 Tagen das zu schaffen, was vorher 5 Tage gedauert hat – kann das funktionieren?
Wer an einem Freitag bei Vereda anrufen will, sollte sich einen guten Grund einfallen lassen. Das Büro am Rande der westfälischen Stadt Münster steht an diesem Tag leer. Im Homeoffice arbeitet auch niemand. Am Telefon ist lediglich eine Bandansage zu hören, die darauf hinweist, dass die Firma freitags geschlossen ist. Für den Notfall wird eine Handynummer genannt.
Vereda, eine Digitalagentur, die Websites und Onlineshops für mittelständische Firmen einrichtet, hat vor einem Jahr die 4-Tage-Woche eingeführt. Die Notfallnummer sei seitdem erst einmal gewählt worden, berichtet Firmengründer Julian Junghöfer. Es ging um einen Serverfehler, der mit wenigen Klicks behoben war. Mit anderen Worten bedeutet das: Die 4-Tage-Woche funktioniert, hier jedenfalls.
In einem Blogbeitrag
»Wir brauchen Zeit, um uns auch mit anderen Dingen zu beschäftigen.« – Julian Junghöfer, Gründer
Das alles klingt nach einer idealen Arbeitswelt. Doch die Realität sieht gerade etwas anders aus. Nach der Coronakrise droht die nächste Rezession. Wegen
Darüber haben sich auch die Mitarbeiter:innen bei Vereda Gedanken gemacht. Zwar war das Gründerteam sofort von dem Modell überzeugt. Den Anstoß gegeben hatte ein Artikel in einem Wirtschaftsmagazin, den einer der Gründer mitbrachte. Doch es brauchte viele weitere Gespräche, Recherchen und den Austausch mit anderen Firmen, die schon länger so arbeiteten. Danach entschied das Team, die Arbeitszeit testweise auf 32 Stunden zu reduzieren. Dann würde man weitersehen. »Der Freitag war schon immer etwas ruhiger. Deshalb war es naheliegend, den freien Tag auf den Freitag zu legen«, sagt Julian Junghöfer. Außerdem wollten die Mitarbeitenden eine feste Struktur beibehalten.
Das Team ließ sich ein halbes Jahr Zeit, um das neue Modell vorzubereiten.
In der Praxis stellte sich dann heraus, dass das alles nicht zu mehr Stress führt. Ganz im Gegenteil: »Für die Mitarbeiter ist es ein großer Vorteil, einen zusätzlichen freien Tag zu haben. Wir arbeiten kreativ, deshalb brauchen wir Zeit und Raum, um uns auch mit anderen Dingen zu beschäftigen«, sagt Julian Junghöfer. Die Testphase ist inzwischen abgeschlossen, die 4-Tage-Woche längst Alltag. »Ich kann mir nicht vorstellen, jemals wieder in eine klassische 5-Tage-Woche zurückzukehren«, sagt Junghöfer.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily