Computergemacht oder feministisch – die Zukunft der Pornografie wird wild
3,3 Milliarden Menschen suchen jeden Monat im Netz das, was geil macht. Doch die Branche ist berüchtigt für schlechte Arbeitsbedingungen und erniedrigende Darstellungen. Geht es anders? Ein Interview mit einer deutschen Sexpertin.
»Das Internet ist für Pornos da!«, singt eine Handpuppe im legendären Broadway-Musical Avenue Q. Wie viel des weltweiten Netzes genau für Sexinhalte benutzt wird, darüber streiten sich Forscher:innen – weil es kaum Studien dazu gibt. Aktuelle Zahlen deuten darauf hin, dass die Pornografie der heute über 42.000 Sex-Websites im Internet sehr viele Menschen erreicht. Schätzungen gehen davon aus, .
Doch in den letzten Jahren hat das Geschäft mit nackten Körpern im Netz viel Kritik einstecken müssen. Dokumentationen wie »Hot Girls Wanted« (Netflix, 2017), »Butterfly Effect« (2017), »Milliardengeschäft Porno« (ZDF, 2019) und der Kinofilm »Pleasure« (2022) zeigen die nackte Wahrheit über die Schattenseiten der Pornoindustrie:
Der Trend geht zu »härter«, »schneller«, »krasser« und nötigt vor allem den Darstellerinnen viel ab.
Das Business ist in großen Teilen frauenfeindlich – vor und hinter der Kamera.
Erniedrigung von Frauen ist ein Kernbestandteil vieler Filme.
Ob das auch anders geht?
Tatsächlich steht die Pornoindustrie vor einem technologischen Umbruch, dessen Ausmaß nur schwer abzuschätzen ist. Denn die Algorithmen für computergenerierte Pornografie werden immer besser und könnten Darsteller:innen in Zukunft überflüssig machen – . Wie weit die Technik ist, demonstrierten in den vergangenen Monaten die 2 neuesten Kunst-AI-Softwares namens »Midjourney« und . Und mittlerweile gibt es auch .
Einen ganz anderen Ansatz verfolgen Regisseur:innen der feministischen Pornografie. Sie wollen hochwertige Alternativen zu 08/15-Schmuddelfilmen der breiten Masse bieten – mit Handlung, Ästhetik und Wertschätzung für alle Beteiligten. Eine Befürworterin ist Laura Méritt. Die Kommunikationswissenschaftlerin hat den -Award mitgegründet, einen europäischen, feministischen Filmpreis für gute Als Aktivistin für sexpositiven Feminismus hat sie eine ganz eigene Vorstellung davon, wie Sexfilme der Zukunft im besten Fall aussehen können. Sie empfiehlt lustvoll und interessiert zu schauen. Und am besten mit anderen darüber ohne Scham zu reden.
Ich habe im Interview mit Laura Méritt über die Zukunft der Branche, computergenerierte Sexinhalte und Feminismus in Pornos gesprochen.
Perspective Daily:
Ist die Sexindustrie wirklich das »kälteste Gewerbe der Welt«?
Laura Méritt:
Eigentlich ist es ja ein ziemlich »heißes« Gewerbe. Natürlich muss man sich die Arbeitsbedingungen da ganz genau anschauen. Und natürlich geht es dabei um Einvernehmen, dass man das macht, was man gerne machen möchte – die Darstellenden wie die Produzierenden …
Diverse Aussteiger:innen-Dokus wie »Hot Girls Wanted« zeichnen vor allem für Darstellerinnen ein düsteres Bild von Druck und
bis hin zu Geschichten von körperlichen Grenzerfahrungen und Verletzungen.
Laura Méritt:
Klar, das passiert. Es gibt zum Beispiel Situationen, wo unerfahrene Leute nicht genau wissen, worauf sie sich eingelassen haben, wenn die Kamera anfängt, zu drehen. Aber das sind Fälle, die dann zusätzlich medial aufgebauscht werden. , zum Beispiel im schwedischen Film »Pleasure« von Ninja Thyberg. Mehrheitlich wird alles in Verträgen festgehalten, in die Performende einwilligen, mit entsprechenden Begriffen: »Doppelte Penetration«, »Gruppensex«, »Oral« und Darsteller:innen können jederzeit nein sagen. Aber das reicht ja nicht für einen Konsens. Dazu bräuchte es eine zu erlernende Kompetenz.
Weil man sich eben im konkreten Fall vor der Kamera auch jederzeit umentscheiden kann, logisch. Ein zentraler Vorwurf vieler Aussteiger:innen der letzten Jahre ist aber genau, dass junge Menschen, die Pornodarsteller:innen werden wollen, nicht genau wissen, worauf sie sich einlassen, und dann überfordert sind. Teilst du diese Bedenken?
Laura Méritt:
Pornostar zu werden ist für junge Leute, die gerne ihre Sexualität ausprobieren wollen, momentan cool. Und generell ist es ja gut, dass die Sexualität freier geworden ist. Aber es ist auch sehr wichtig, vor allem junge Darsteller:innen über das Geschäft aufzuklären – und zwar ohne direkt mit dem moralischen Blick zu kommen: Wie sieht es hinter den Kulissen aus? Wie werden Verträge gemacht? Wie läuft das mit der Vorbereitung zu den Sexualpraktiken? Da passiert eigentlich immer noch viel zu wenig. Vor allem verstehen viele nicht, dass ein einmal gedrehter Film dann auch für eine sehr lange Zeit im Internet verfügbar ist.
»Das Internet vergisst nichts.« Dazu gehören Rechte am Film ja auch erst mal einem Unternehmen. Und Pornoseiten kopieren voneinander und führen teilweise sogar . Aber selbst bei legalen und professionellen Inhalten ist im Netz viel Fragwürdiges dabei – immer wieder Gewalt gegen Frauen, Erniedrigung, Vergewaltigungsfantasien. Das mag manche Personen vielleicht anmachen – aber erzeugt das nicht ein schiefes Bild, vor allem von Frauen und ihrer Rolle beim Sex?
Laura Méritt:
Da muss man gar nicht so weit ausholen. Die meisten Pornos arbeiten oft nach demselben Fick-Schema, also Blasen, dann Schwanz in Möse und als Höhepunkt dann Abspritzen. Es ist alles sehr heterosexuell und mit dem versehen, was wir »männlichen Blick« nennen. Und über die schiere Masse an Pornos lernen wir dieses »sexuelle Skript« dann als Konsument:innen. Das betrifft auch nicht nur die Jugendkultur – obwohl die natürlich anfälliger ist –, sondern unsere gesamte Kulturbreite. Die Masse an Pornografie ist dazu diskriminierend, vor allem im dargestellten Umgang mit Frauen, queeren Menschen und auch mit anderen Ethnien. Dass das Auswirkungen haben dürfte, können wir vermuten.
Kann künstliche Intelligenz die Pornobranche verbessern?
Ausbreitung über das Internet und die ständige Verfügbarkeit sorgen sicher dafür, dass die Bilder der Pornos stärker in unser Bewusstsein dringen. Aber was passiert damit, wenn Algorithmen die Regie übernehmen? Die Idee, den Faktor Mensch beim Pornodreh zu streichen, fasziniert mich. Keine Darstellenden, keine Ausbeutung. Was hältst du davon?
Laura Méritt:
Klappt das denn?
Nun ja, aktuell können Algorithmen zumindest Sexfotos nachbilden. Bewegte Bilder sind aber eher eine Frage von Rechenpower und Zeit. Ich habe das mal ausprobiert und die Ergebnisse waren schon ordentlich. Mit einer lustigen Ausnahme.
Diese Menschen existieren nicht. Die Fotos wurden von einem Algorithmus nach bestimmten Eingaben erstellt.Würdest du den Unterschied zu echten sexy Bildern erkennen? Tipp: Die Augen sind nicht symmetrisch und der linke Arm verläuft merkwürdig.Der Algorithmus kann auch verschiedene Stile umsetzen. Bestellt beim Algorithmus war: Anime mit Brille. Dass die Nase fehlt … Details.Bestellt beim Algorithmus war: Frau mit Sonnenbrille in Pool. Technisch gesehen ist das korrekt. ;-)
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Laura Méritt:
Natürlich ist Pornografie immer auch technologisch gebunden und technologischer Fortschritt verändert auch Pornos. Ich frage mich dabei: Wird das technologische Potenzial wirklich kreativ genutzt, also weg von Normierungen und Stereotypen? Und geht dabei nicht auch etwas vom energetischen Austausch zwischen reellen Menschen verloren?
Im Netz gibt es viele Beispiele von sehr unterschiedlich computergenerierten Inhalten, die bisher nur mit mühsamer Handarbeit erstellt werden. Ich glaube, was dabei reizvoll ist, ist die Individualisierung. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – im Gegensatz zu herkömmlichen Pornos.
Laura Méritt:
Und wer schützt dabei Rechte von Personen? Es passiert ja schon in ganz normalen Pornos, dass da Personen nachgestellt werden. Mit einem Algorithmus wird es nur einfacher, öffentliche Personen miteinander ficken zu lassen.
Das ist ein ernstes Bedenken, zugegeben. Denn sobald Algorithmen verlässlich gute und sexy Inhalte produzieren, dürfte diese Pornografie das Internet fluten. Dann stehen auch Gesetzgeber vor neuen Herausforderungen.
Laura Méritt:
Gesetze werden immer umgangen werden. Vor allem bei Pornos existiert seit jeher ein großer Schwarzmarkt. Ich bin bei neuen Pornogesetzen auch immer eher Gegnerin. Das hatten wir ja alles schon, was zu unnötiger Zensur führte. Und als Erstes verschwanden dann Aufklärungsbücher.
Okay, den Bereich des Identitätsdiebstahls mal ausgeklammert, könnten Algorithmen aber zumindest die extremen Contentwünsche befriedigen, für die dann kein Mensch mehr vor die Kamera muss. Also die Gewaltpornos und Erniedrigungen …
Laura Méritt:
Am Ende wird diese Art der Pornografie vor allem die Breite des Verfügbaren erweitern – darin hat es Potenzial. Gegen die bedenklichen Trends im Pornobusiness sehe ich aber eher den Weg über mehr Aufklärung und Reflexion. Es geht auch darum, die Frage zu stellen: Warum gibt es diese extremen Bedürfnisse überhaupt? Und welches Verständnis von Menschen und von Körpern wird da transportiert?
Feministische Pornos wirken schon heute
Die feministische Pornografie versucht ja solche Fragen zu stellen und eine Alternative zu bieten. Wie anders ist denn das, was dabei als Porno rauskommt?
Laura Méritt:
Also erst mal ist wichtig, dass »feministische Pornos« kein Genre sind. Es sind in erster Linie Kriterien, die theoretisch an alle Filme angelegt werden könnten – und hier dazu genutzt werden, Pornos zu machen.
Könntest du das ausführen? Also worauf achten feministische Pornos genau?
Laura Méritt:
Feministische Pornos hinterfragen die eher einseitige Konditionierung durch herkömmliche Pornografie.
Also männlicher Blick, harter Sex.
Laura Méritt:
Genau. Das zentrale Wort heißt Vielfalt. Vielfalt heißt, dass in einem Film verschiedene Menschen – also Körper, Alter, Kulturen, Fähigkeiten – miteinander vielfältige Praktiken machen können und dass man das natürlich auch sehen sollte. Wichtig ist dabei auch, dass man den Konsens zwischen den Personen sieht, wie sie miteinander kommunizieren und wie sie aufeinander abfahren.
Es gibt also vor dem Sex ein wenig mehr Plot als das berühmte »Warum liegt denn hier Stroh?«?
Laura Méritt:
Auch. Dabei muss es gar nicht der Fall sein, dass Penetration im Film drin ist. Feministische Pornos zeigen auch andere Seiten von Sexualität, etwa wie vorsichtig man Anal machen kann, wie Gleitgel und Gummis eingesetzt werden, dass man miteinander wirklich präsent ist. Und auch das Drumherum darf gern gezeigt werden, wie etwa bei härteren Praktiken wie BDSM vorher und nachher oder auch währenddessen achtsam darüber gesprochen wird, was passiert. Diese Pornos stellen auch andere Fragen: Kann ich Falten schön in Szene setzen? Muss ich das überhaupt? Was heißt schön? Wie funktionieren Pornos mit Menschen mit Einschränkungen, damit sie bestärkend aussehen?
Ich habe vor unserem Gespräch natürlich feministische Pornos gesehen und sie sind wirklich anders als das, was man sonst im Netz findet. Es wirkt realistischer, zärtlicher, ästhetischer, kontextualisierter.
Laura Méritt:
Einer unserer Werbesprüche für den PorYes-Award heißt übrigens »Intelligent fickt gut«, das trifft es mit Humor. Sexualität ist erlernbar und feministische Pornografie übernimmt hier auch einen Bildungsauftrag. Das kommt bei allen, auch Männern, gut an. Das ist keine Frage von Geschlechtern.
Also ist das auch völlig okay, wenn man darauf steht?
Laura Méritt:
(lacht) Na klar. Natürlich darf man alles gucken – das mache ich ja auch interessehalber. Und wenn dann Lust aufkommt, ist das auch völlig okay. Es geht ja nicht darum, das eine durch das andere ganz zu ersetzen. Es geht um Vielfalt und darum, zu zeigen: Schau her, das gibt es auch. Und durch das Erweitern der Perspektiven kann sich auch dein Blick auf Sex, deine Lust und dein Begehren verändern, letztendlich deine ganze Sexualität.
Aber du hoffst doch, dass feministische Pornografie den Pornomarkt ein Stück weit verändert, oder?
Laura Méritt:
Das passiert ja bereits, weil feministische Pornos kommerzialisiert werden. Und das ist auch in Ordnung, denn es trägt zur Verbreitung bei. Nach und nach sickern auch feministische Elemente im Der PorYes-Award für feministische Pornos existiert jetzt schon über 10 Jahre. An der Universität werden Porn-Studies betrieben. Das hat gesellschaftliche Auswirkungen und es entstehen neue Diskussionen über Sexualitätspraktiken, Konsens und Rollenbilder.
Wie diskutiert ihr das denn? Schaut ihr euch die Pornos dabei gemeinsam an?
Laura Méritt:
Na klar! Ich mache regelmäßig Salons hier in meiner Wohnung in Berlin. Und dabei schauen wir auch Pornos und sprechen kritisch darüber. Was sehe ich da? Was bleibt bei mir hängen? Warum fahre ich darauf ab? Gibt es Safer Sex? Warum finde ich eine Kameraeinstellung interessant? Haben die Darstellenden etwas mehr miteinander zu tun als Gymnastik?
Davor würden viele Leute wohl zurückschrecken. Mit anderen über Pornos sprechen – das kenne ich eher nicht.
Laura Méritt:
Dabei kann man viel lernen! Wenn wir uns mit unseren sogenannten beschäftigen, kann sich unser Begehren tatsächlich verändern.
Und im besten Fall merkt man, wie vielfältig Fantasien und Lust sein können, und versteht besser, was man selbst mag?
Laura Méritt:
Ganz genau.
Mit Illustrationen von
Frauke Berger
für Perspective Daily
Dirk ist ein Internetbewohner der ersten Generation. Ihn faszinieren die Möglichkeiten und die noch junge Kultur der digitalen Welt, mit all ihren Fallstricken. Als Germanist ist er sich sicher: Was wir heute posten und chatten, formt das, was wir morgen sein werden. Die Schnittstellen zu unserer Zukunft sind online.