Kalte Wohnungen, eisige Büros: So wirkt sich Kälte auf deine Gesundheit aus
Um Geld zu sparen, verzichten dieses Jahr viele Menschen darauf, die Heizung hochzudrehen. Doch ab wann wird Frieren bedenklich?
Ein Pulli, dicke Socken, vielleicht eine Wärmflasche – aber Finger weg von den Heizungsthermostaten: Mit den Gaspreisen steigen auch für viele Haushalte in Deutschland die Heizkosten. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen damit warten, die Heizung aufzudrehen.
Zwar könnte eine
Doch damit das Gas den Winter über reicht, ruft Wirtschaftsminister Robert Habeck alle Menschen dazu auf, sparsamer zu sein:
Aber ist das Heizen auf Sparflamme auch gesundheitlich unbedenklich?
Was passiert, wenn wir frieren?
Der menschliche Organismus arbeitet am besten, wenn die Temperatur im Inneren unseres Körpers etwa 37 Grad Celsius beträgt. Der Hypothalamus, ein Teil unseres Gehirns, überprüft ständig, ob die Temperatur im Körperinneren von diesem Optimalwert abweicht. Ist das der Fall, gibt unser Gehirn ein Signal, etwas an der Schieflage zu ändern.
Der Organismus beginnt, gegen den Wärmeverlust anzuarbeiten. Er versucht die Wärme in der Körpermitte zu halten, die bei verschiedenen Stoffwechselprozessen entsteht. Die Durchblutung der Haut verringert sich, dadurch sinkt ihre Temperatur ab – und somit auch die Differenz zur Außentemperatur. In der Folge gibt der Körper weniger Wärme über die Haut an seine Umgebung ab.
Unser Körper kühlt schneller aus, wenn er mit einer kalten Umgebung konfrontiert ist – logisch. Dazu zählt aber nicht nur die Lufttemperatur. Sind etwa der Boden und andere Oberflächen, mit denen wir in Kontakt stehen, kälter als unser Körper, gibt er Wärme an diese
»Wir frieren, wenn unser Körper mehr Wärme abgibt, als er gerade erzeugt«, erklärt
Besonders schnell frieren wir, wenn wir uns nicht bewegen. Wer also am Schreibtisch arbeitet, friert schneller als jemand, der den ganzen Tag auf den Beinen ist. Das liegt daran, dass bei der Aktivierung unserer Muskulatur Wärme freigesetzt wird. Deshalb zittern wir auch, wenn wir stark frieren: Der Körper bringt willkürlich Muskeln in Gang, um Wärme zu erzeugen.
Ab wann wird das Bibbern nun bedenklich?
Wenn Kälte zum Gesundheitsrisiko wird
Medizinisch gesehen, bekommen wir dann ein Problem, wenn unsere innere Körpertemperatur über längere Zeit deutlich unter den optimalen Wert von 37 Grad Celsius fällt – denn dann läuft unser Stoffwechsel nicht mehr so, wie er sollte.
Im Arbeitsschutzgesetz sind Grenzwerte dafür festgelegt, welche Temperaturen für den Menschen erträglich sind. An diesen Werten können wir uns auch im Privaten orientieren: In kalter Umgebung sollte die Temperatur der Haut beispielsweise nicht unter 30 Grad Celsius fallen, die Körperkerntemperatur nicht unter 36 Grad Celsius.
Richtig gefährlich wird es ab einer Hauttemperatur von 12 Grad Celsius:
Lebensbedrohliche Erfrierungen und Unterkühlungen drohen aber vor allem außerhalb von schützenden Gebäuden und sind im Büro oder einer etwas kühleren Wohnung unwahrscheinlich.
Hat Kälte abseits der Erfrierungsgefahr trotzdem Auswirkungen auf uns? Oder können wir uns an ein paar Grad Celsius weniger sogar gewöhnen?
Kälte: Zwischen Krankmacher und Immunbooster
Wenn über die Wirkung von nicht lebensbedrohlicher Kälte gesprochen wird, gibt es 2 Ansätze: Auf der einen Seite steht die krankmachende Wirkung des Wärmeentzugs zur Debatte, auf der anderen der gesundheitsförderliche Aspekt der Kälte.
1. Ansatz: Kälte als Krankmacher
Die Theorie, dass winterliche Temperaturen die alleinige Ursache für Erkältungen sind, ist mittlerweile vom Tisch. Ohne Viren und Bakterien gibt es weder Schnupfen noch Halsweh noch Fieber. Einen Zusammenhang zwischen Kälte und Erkältung könnte es trotzdem geben. Wir erinnern uns: Wird es kalt, fährt der Körper die Durchblutung der Körperoberflächen zurück. Eine Folge davon ist, dass auch die Schleimhäute schlechter durchblutet werden und weniger Abwehrzellen dorthin gelangen.
Treffen jetzt Viren auf die Schleimhäute, kann sich unser Körper schlechter zur Wehr setzen. Zusätzlich trocknen kalte Winter- und trockene Heizungsluft die Schleimhäute aus, die so einen Teil ihrer schützenden Wirkung verlieren. Möglicherweise sind das Gründe dafür, dass sich im Winter mehr Menschen
Hinzu kommt, dass wir uns häufiger in geschlossenen Räumen aufhalten –
2. Ansatz: Kälte als Immunbooster und Schlankmacher
Auf der anderen Seite werden auch gesundheitliche Vorteile durch Kälte diskutiert. Eisbaden und Wechselduschen sollen uns etwa dabei helfen, Kälte auszuhalten – und gleichzeitig das Immunsystem aktivieren. Wissenschaftlich eindeutige Belege gibt es dafür bisher nicht. Lediglich einige kleinere Studien weisen darauf hin, dass das Immunsystem durchaus auf die Kälte reagiert – langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit
Frieren gegen Fett?
Eine andere Theorie: Latente Kälte könnte die Fettverbrennung ankurbeln. So gibt es Hinweise darauf, dass wir beim Frieren braunes Fett abbauen und in Wärme umwandeln. Während weiße Fettzellen Fett und Wasser speichern, um es bei Bedarf wieder an den Körper abzugeben, verbrennen braune Fettzellen das gespeicherte Fett direkt in der Zelle, um Wärme zu erzeugen. Den Mechanismus kennen wir aus der Natur: Winterschläfer halten sich mithilfe von braunem Fett den Winter über warm.
Lange dachten Forschende, dieses braune Fett sei nur bei Babys und anderen Säugetieren zu finden. Manche Menschen besitzen es aber auch als Erwachsene. Grund dafür kann eine genetische Veranlagung sein – aber auch gezieltes Kältetraining. Einige kleinere Studien deuten darauf hin, dass erwachsene Menschen, die sich regelmäßig kalten Temperaturen aussetzen, braunes Fettgewebe entwickeln.
»In der Vergangenheit, vor der Industrialisierung, waren wir daran gewöhnt, in kühleren (Innen-)Umgebungen zu leben«,
Forschende, die auf die Kältetherapie als ein Mittel gegen extremes Übergewicht hoffen, möchte der Thermophysiologe deshalb bremsen: Zwar wird im braunen Fettgewebe Fett verbrannt, doch damit das dauerhaft passiert, müssten sich mögliche Patient:innen permanent in kühler Umgebung aufhalten.
Auch wenn es in Büros und Wohnräumen in den nächsten Monaten etwas kühler werden könnte: Die Braune-Fett-Heizung wird unser Körper vermutlich eher nicht anschmeißen. Einer kleineren Studie zufolge mussten Proband:innen dafür über längere Zeit bei 16 Grad Celsius ausharren – und da sind wir zum Glück noch nicht. Trotzdem könnten auch die aktuellen Temperaturregelungen für einige Menschen unangenehm werden.
19 Grad Celsius: Behaglich ist das nicht
Das Wirtschaftsministerium hat festgelegt: In Büros öffentlicher
Erfrierungen drohen bei diesen Temperaturen zwar nicht, trotzdem liegt der Wert unter der Temperaturuntergrenze von 20 Grad Celsius, die der
Wirklich wohl fühlen sich die meisten Menschen hierzulande während der Heizperiode erst bei
»Die Temperaturen in den meisten Gebäuden liegen deshalb nicht an der vom Arbeitsschutz geforderten unteren Grenze von 20 Grad, sondern eher im Behaglichkeitsbereich«, sagt er. Dass die meisten Büros eher behaglich als kühl sind, hat Gründe: Denn Frieren schlägt auch auf die Stimmung – und das wiederum auf die Arbeitsleistung und die Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen.
Es gibt noch ein weiteres Problem mit den festgelegten Werten: Sie beruhen auf Erfahrungen und Durchschnittswerten, die nicht für alle Menschen gelten. Denn Temperaturempfinden ist höchst individuell.
Nicht alle Menschen frieren gleich
»Grob geschätzt gibt es an die 70 Faktoren, die eine Rolle dabei spielen, wie wir Temperatur wahrnehmen«, sagt Biometeorologe Andreas Matzarakis, der am Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes in Freiburg
Frauen frieren anders als Männer
Frauen würden beispielsweise oft schneller frieren als Männer. Das ist kein Klischee, sondern hat biologische Gründe. »Frauen haben oft weniger Körpermasse und dafür mehr Körperoberfläche, über die sie Wärme verlieren«, sagt Matzarakis. Männer sind zudem meist muskulöser – und Muskeln erzeugen Wärme.
Auch Hormone spielen eine Rolle:
Auch das Alter und die gesundheitliche Verfassung der Menschen sind wichtig für ihre Anpassungsfähigkeit: Menschen mit Vorerkrankungen kommen laut Matzarakis deutlich schlechter damit zurecht,
Menschen, die sich in nächster Zeit über frostige Bedingungen beschweren, sollten deshalb nicht automatisch als überempfindlich abgestempelt werden – dass manche Menschen eher frieren als andere, hat biologische Gründe.
In jedem Fall wirkt sich das Frieren am Arbeitsplatz auf das Arbeitsklima aus: Nicht nur verringert sich das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer:innen, das Frieren kann darüber hinaus auch Konfliktpotenzial mit sich bringen. »Wer bei der Arbeit ständig friert, kann auch psychischen Stress erleiden«, sagt Bux. Genau das müssen Arbeitgeber eigentlich verhindern.
Ist Kälte im Büro überhaupt erlaubt?
Sind 19 Grad Celsius im Büro, wie vom Wirtschaftsministerium angesetzt, überhaupt erlaubt – obwohl der Arbeitsschutz etwas anderes vorsieht?
»Es gibt einen Spielraum, der auch in der Arbeitsschutzverordnung festgelegt ist«, erklärt Bux. Demnach sind niedrigere Temperaturen dann okay, wenn andere Maßnahmen getroffen werden, um die Belegschaft warm zu halten. Möglich sei laut Bux zum Beispiel Folgendes, um die Temperatur zu kompensieren:
- Warmer Boden: Teppiche auf dem Boden verhindern, dass auch die Füße auskühlen.
- Warme Kleidung: Eines der wichtigsten Mittel gegen Kälte, am besten eignen sich viele dünne Schichten nach dem Zwiebelprinzip. Gibt es eine Kleiderordnung, sollte diese entsprechend angepasst werden.
- Aufwärmräume: Pausenräume könnten wärmer gehalten werden als Büros. Hier können sich Mitarbeitende aufwärmen.
- Möglichkeiten zur Bewegung: Wer zwischendurch im Stehen arbeitet, erzeugt mehr Körperwärme durch Muskelaktivität.
- Warme Getränke (natürlich alkoholfrei)
- Dauernde Zugluft vermeiden (aber regelmäßig lüften)
»Das kann man natürlich auch auf den privaten Bereich übertragen«, sagt Bux. Pulli, dicke Socken und Wärmflaschen sind also ein guter Anfang, um mit den kälter werdenden Temperaturen zurechtzukommen – ebenso wie Verständnis für alle, die die Heizung vielleicht doch zwischendurch mal etwas höher drehen.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily