Entscheiden, statt endlos zu diskutieren! So kann es gelingen
Flache Hierarchien, Mitbestimmung, New Work – wir schreiben viel über die neue Arbeitswelt und wie sie idealerweise aussehen sollte. Aber leben wir das auch? Heute zeigen wir dir, wie Teamwork bei Perspective Daily aussieht (und wie wir manchmal scheitern).
Einmal im Jahr lässt das Perspective-Daily-Team die Schreibtische in Münster, Berlin, Regensburg und
Bei unserem »Retreat« kochen, spazieren und spielen wir gemeinsam. Wir erzählen uns, was in unseren Leben so los ist – aber vor allem sprechen wir über wichtige Punkte der
Haben wir Datum und Ort festgelegt und unsere 7 Sachen gepackt, stehen wir vor derselben Herausforderung wie alle Teams und Unternehmen: Wie schaffen wir es, dass wir nicht nur endlos diskutieren, ohne dass am Ende klar ist, wie es weitergeht – und dann doch einfach der Chef oder die Chefin entscheidet? Wie stellen wir sicher, dass alle gehört werden, auch diejenigen, die eher still sind und nicht gerne in der Gruppe diskutieren? Und wie können wir gleichzeitig sicherstellen, dass die Zeit, die wir dafür aufbringen, begrenzt bleibt?
Über diese Fragen haben wir im Vorfeld des diesjährigen Retreats intensiv nachgedacht. Welche Lösungen wir uns überlegt und was wir dabei gelernt haben, erzählen wir dir in diesem Text (dessen erste Zeilen auf dem Rückweg im Zug entstehen). Denn wir glauben: Unsere Erkenntnisse können auch dir und deinem Team helfen, gemeinsam effizienter zu entscheiden – egal ob im Job, in der Familie oder im Verein.
Gute Vorbereitung ist alles!
Eine Erkenntnis, die wir in den vergangenen Jahren gewonnen haben: Wenn wir uns die Zeit nehmen, unseren Alltag unterbrechen und Ressourcen in einen gemeinsamen Ausflug investieren, dann sollte dieser gut geplant sein und die Agenda nicht auf den letzten Drücker entstehen.
Wir haben uns im Vorfeld in einem 4er-Team Gedanken darüber gemacht, welche Themen wir angehen sollten. Dabei hatten wir dieses Mal externe Hilfe: Mariola Wittek Mourao und Stella Willborn von
Für den Retreat haben wir gemeinsam die Agenda und »Drehbücher« für die einzelnen Programmpunkte entwickelt. So sind wir dabei vorgegangen:
- In einem ersten Schritt überlegten wir, was bei vergangenen Retreats richtig gut gelaufen ist. Der erste Punkt, der uns allen spontan einfiel: Wie viel Spaß das gemeinsame Kochen in Teams gemacht hat! Was wir daraus geschlossen haben: Teambuilding hat bei unserer Auszeit genauso seine Berechtigung und seinen Platz wie die inhaltliche Arbeit.
- Danach haben wir ungeordnet und spontan Themen auf einem digitalen Whiteboard notiert. Teilweise waren das Punkte, die einer oder einem aus unserer 4er-Gruppe besonders wichtig waren, die meisten stammten aber aus einem Katalog an
- Im nächsten Schritt setzten wir Punkte hinter die Themen, die uns am dringendsten erschienen. So kristallisierten sich beispielsweise »Arbeitsbedingungen bei PD« oder »Arbeitsverteilung in der Redaktion« als dringend zu bearbeitende Programmpunkte heraus.
- Schließlich gingen wir bei den einzelnen Themen in die Tiefe und überlegten uns genau: Was ist die Zielsetzung dieses Agendapunktes? Was können wir realistisch im gesetzten Zeitrahmen erreichen?
Effizient gemeinsam entscheiden: Konsent statt Mehrheit
Bei 3 Agendapunkten erschien es uns besonders wichtig, als Team gemeinsam eine Entscheidung zu treffen. In der Vergangenheit lief das oft so ab: Auf ein gemeinsames Brainstorming zu möglichen Lösungen folgte eine mehr oder weniger lange Diskussionsrunde, an die eine Mehrheitsentscheidung anschloss.
Das Problem: Auch wenn uns der Mehrheitsentscheid intuitiv als demokratischste Methode vorkommt (schließlich bestimmen wir so auch über unsere Regierung!), hat er einige Nachteile. Angenommen, eine Abstimmung fällt sehr knapp aus: Dann gibt es eine größere Gruppe von Teammitgliedern, deren Bedenken sich in der Entscheidung nicht abbilden und die mit dem Ergebnis eigentlich nicht einverstanden sind. Sie müssen nun schlicht damit leben, weil es der Prozess so vorsieht.
Wenn man sich diese Tatsache verdeutlicht, liegt es auf der Hand, dass die Entscheidung von vornherein auf recht wackeligen Füßen steht. Es kann natürlich sein, dass diejenigen, die der jeweiligen Lösung ablehnend oder skeptisch gegenüberstehen, mit der Zeit überzeugt werden. Es kann aber auch sein, dass ein Teil des Teams in den inneren Widerstand geht und die erfolgreiche Umsetzung auf die ein oder andere Art blockiert.
Für diesen Artikel & Podcast haben Katharina Wiegmann und Juliane Metzker schon vor einiger Zeit Alternativen zum Mehrheitsentscheid recherchiert:
Beruht der Mehrheitsentscheid wesentlich auf einer vorangegangenen Diskussion, besteht eine weitere Gefahr: Dass in der Diskussion vor allem jene ihre Überzeugungskunst auspacken, die ohnehin eher »laut« sind und wissen, wie sie sich Raum verschaffen. Stillere Teammitglieder trauen sich vielleicht gar nicht erst, ihre Lösungsvorschläge ins Spiel zu bringen, und ergreifen in einer hitzigen Runde eher nicht das Wort, um Einwände zu formulieren. So gehen wichtige Perspektiven unter und die Lösung ist am Ende nicht so gut, wie sie hätte sein können, wenn sich alle eingebracht hätten.
Um diese Fallstricke zu umgehen, legte uns Mariola eine Methode ans Herz, die wir bislang noch nicht ausprobiert hatten: den
In 9 Schritten zum Konsent
Diese Methode bedeutete für unsere kleine Vorbereitungsgruppe noch etwas mehr Arbeit, denn sie erforderte, im Vorfeld relativ konkrete Lösungsvorschläge für die Treiber zu entwickeln, die zuvor identifiziert worden waren. Konkret wollten wir bei 3 unterschiedlichen Punkten einen Konsent erzielen:
- Ein neuer Führungskreis: Im Laufe der Zeit hat es sich als problematisch herausgestellt, dass zu viele unterschiedliche Verantwortlichkeiten bei Perspective-Daily-Gründer und -CEO Han Langeslag konzentriert waren – was langfristig weder für Han noch für das Unternehmen als Ganzes nachhaltig war. In den vergangenen Monaten bildete sich deshalb bereits ein informeller Führungskreis aus 4 Personen heraus. Über die Fortführung dieser Konstellation wollten wir eine Entscheidung mit dem gesamten Team treffen.
- Neue Redaktionsplanung: Die Arbeitsverteilung innerhalb der Redaktion war ebenfalls ein Thema, das hier und da für Spannungen gesorgt hatte. Ein neuer Ansatz bei der Redaktionsplanung soll Abhilfe schaffen.
- Transparente Gehaltsstruktur: Es gibt ein heißes Eisen, das wir im Team bislang nicht gemeinsam angepackt haben: das Gehaltsmodell. Zunächst hat Han als Geschäftsführer den Istzustand eines Stufenmodells explizit gemacht. Der Vorschlag war dann eine grundsätzliche Fortführung und Weiterentwicklung eines Stufenmodells, worüber – Achtung, Spoiler! – kein Konsent erzielt wurde.
Ideal wäre eine externe Moderation gewesen, doch aus Kostengründen haben wir uns dafür entschieden, dass Katharina sich mithilfe der Materialien einarbeitet, die Mariola und Stella uns zur Verfügung gestellt haben. Im Wesentlichen entsteht ein Konsententscheid in 9 Schritten, die wir auch mit unseren Themen durchlaufen haben:
- Zunächst muss Einigkeit bestehen, dass es überhaupt Handlungsbedarf gibt – an erster Stelle steht also der Konsent zum Treiber.
- Danach wird der Vorschlag vorgestellt, den ein Teammitglied oder eine Kleingruppe zuvor erarbeitet und verschriftlicht hat. Dieser Vorschlag wird dem gesamten Team als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestellt.
- Anschließend werden Verständnisfragen zum Vorschlag geklärt.
- Nun folgt eine Meinungsrunde: Nacheinander formulieren alle Anwesenden eine kurze Reaktion und erzählen, welche Gedanken und Gefühle der Vorschlag in ihnen auslöst.
- Jetzt folgt der (erste) Abstimmungsteil. Wir haben dafür Kartensets verteilt: Eine grüne Karte bedeutet Zustimmung, eine gelbe signalisiert Bedenken, aber die Bereitschaft, die Entscheidung mitzutragen. Eine rote Karte heißt, dass die Person, die sie gezogen hat, einen Einwand hat und die Umsetzung des aktuellen Vorschlags verhindert.
- Gibt es einen solchen Einwand (bei uns gab es viele davon!), sind Wissen und Erfahrung der gesamten Gruppe gefragt, um den Vorschlag gemeinsam zu verbessern und den Einwand zu integrieren. Hier hatte uns Coachin Mariola im Vorfeld den Hinweis gegeben, dass es sinnvoll sei, Zeitlimits für die dadurch entstehenden Diskussionen zu setzen, was sich als sehr sinnvoll erwiesen hat.
- Der verfeinerte Vorschlag wird nun erneut zur Abstimmung gestellt, Einwände erneut abgefragt. Dieser Prozess kann sich einige Male wiederholen – bis eine Entscheidung steht.
- Den Konsent feiern! Katharina hatte im Vorfeld ein wenig Angst, dass sich dieser Teil aufgesetzt anfühlt, tatsächlich war das Bedürfnis danach nach dem ersten Durchgang aber groß: Den erzielten Konsent kurz gemeinsam zu beklatschen fühlt sich nach einem guten Schlussstrich unter die geführten Diskussionen an.
- Ist nun noch Zeit, empfiehlt Soziokratie-Experte James Priest, die Bedenken zu besprechen.
In diesem Video demonstriert James Priest den Konsententscheid bei einem Workshop (englisch).
Fazit: Macht der Konsent unsere Zusammenarbeit konstruktiver? Das sagt das Team
Am Ende unseres Retreats stehen wir nun also mit einer Handvoll Entscheidungen da, die alle aus dem Team mittragen, kurz gesagt:
- Das Führungsteam wird wie vorgeschlagen verstetigt. Nach einem Jahr gibt es eine erneute Abstimmung darüber, ob das so bleiben soll.
- In der Redaktion gibt es für alle Autorinnen und Autoren einen neuen Veröffentlichungsrhythmus, angepasst an das jeweilige Arbeitszeitmodell. Nach 4 Monaten evaluieren wir, ob das mit der Arbeitsverteilung so funktioniert und wie es sich anfühlt.
- Ein Team aus 4 Personen erarbeitet 2 Vorschläge für ein Gehaltsmodell, das dann noch einmal vorgestellt und diskutiert wird. Zusätzlich zum Stufenmodell soll ein bedarfsorientiertes Modell erarbeitet werden.
In der Abschlussrunde sagt Johannes Bohnet, der bei Perspective Daily für das Projektmanagement zuständig ist: »Im Gegensatz zu sonst habe ich diesmal keine Sorge, dass wir die Dinge, die wir besprochen haben, nicht umsetzen.«
Genau das war in den letzten Jahren nämlich ein zentrales Problem. Wir hatten zwar auch während unserer letzten Retreats viele (vermeintlich) tolle Ideen, doch waren diese meist nicht zu Ende gedacht, die Verantwortlichkeit fehlte oder es waren schlicht zu viele Einfälle, um alle umsetzen zu können. Die endlosen Diskussionen, in denen wir uns dann oft verloren, sorgten außerdem dafür, dass wir gar nicht genug Zeit hatten, um einen konkreten Umsetzungsplan auszuformulieren. Das frustrierte. In diesem Jahr haben viele von uns das Gefühl, dass es diesmal anders ist.
»Im ersten Moment schien mir die Konsententscheidung zeitlich sehr ineffizient«, sagt Vanessa Vielhaus aus unserem Community-Management im Rückblick.
Nach dem ersten Durchgang ist mir jedoch bewusst geworden, dass gerade ich selbst sehr von den Meinungsrunden profitiert habe, da jeder Gedanke, mag er noch so unbedeutend erscheinen, Gehör findet.
Auch Désiree Schneider aus der Redaktion bewertet das Prinzip Konsententscheid grundlegend positiv: »Die Ampelkarten haben merklich dazu beigetragen, den Prozess nicht ausarten zu lassen, indem die gleichen Meinungen nicht doppelt und dreifach in Worte gefasst wurden«, sagt sie.
Allerdings bergen Konsententscheidungen auch Herausforderungen. Zum Beispiel für jene, die sie vorbereiten. Katharina Wiegmann, die als Redaktionsleiterin durch die Abstimmungen führte, beschreibt ihre Position als Doppelrolle:
Ich habe den Prozess moderiert, was in gewisser Weise eine neutrale Rolle voraussetzt, bin gleichzeitig aber auch von den Entscheidungen betroffen. Das war für mich nicht ganz einfach zu trennen.
Gleichzeitig sei genau das auch positiv gewesen: »Dadurch habe ich mir besonders gut überlegt, wie ich meine Gedanken formuliere und ob ich wirklich einen begründeten Einwand vorzubringen habe«, sagt Katharina.
Und auch wenn der Tenor zum Konsent grundsätzlich positiv ist, gibt es auch Kritik am Verfahren. Chris Vielhaus aus der Redaktion fasst einen problematischen Aspekt so zusammen:
Fühlt man sich mit einer kritischen Position in der Minderheit, entsteht Druck auf Einzelne, den Konsent nicht zu stören. Besonders wenn die ersten Redner:innen in einer großen Meinungsrunde sich positiv äußern, besteht meiner Meinung nach die Gefahr, dass sich eventuell weniger selbstbewusste Teilnehmer:innen davon beeinflussen lassen. Eine abschließende geheime Abstimmung nach dem Prinzip einer qualifizierten Mehrheit halte ich daher für demokratischer.
Wichtig dafür, dass ein Konsent wirklich funktioniert, ist also, dass sich jede Person dazu in der Lage fühlt, ihre Einwände offen äußern zu können. Gelingt das, birgt der Konsent eher einen Vorteil zur Abstimmung, findet Katharina: »Durch den Konsent gibt es nicht den Fall, dass ein großer Teil der Gruppe aktiv gegen eine Entscheidung gestimmt hat, aber überstimmt wurde und die Entscheidung eigentlich nicht mitträgt«. Stattdessen würde versucht, alle Einwände zu integrieren – und so eine Lösung zu finden, mit der alle arbeiten können und wollen.
Bei Gründer und CEO Han Langeslag sorgte genau dieser Punkt für Aufregung: »Es war sehr spannend, einige wichtige Entscheidungen dem ganzen Team vorzulegen – eine Person hätte ausgereicht, um die Entscheidung zu blockieren«, sagt er. »Am Ende gab es sehr viele wertvolle Einwände, die wir integrieren konnten. So habe ich das Gefühl, dass jede:r im Team die Entscheidungen, die wir getroffen haben, zu 100% mitträgt.«
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily