Diese 4 Klimaheld:innen zeigen Wege in eine bessere, sicherere Zukunft
Trotz unzähliger Rückschläge: Diese mutigen Aktivist:innen aus Ecuador, Südafrika, Deutschland und Alaska zeigen Menschen vor Ort Perspektiven aus der Krise.
Seit 277 Tagen dominiert Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine die Nachrichten. Ausnahmen, wie der Tod der Queen oder die Fußball-WM, gibt es wenige. 9 Monate Kriegsberichterstattung, in denen eine Frage zu kurz kam: Was bedeutet Sicherheit eigentlich in der heutigen Welt?
Denn Sicherheit ist mehr als eine Frage von Krieg und Frieden. Selbst wenn in der Ukraine keine Bomben mehr fallen, die Freiheitsbewegung im Iran nicht mehr gewaltsam niedergeschlagen wird, der Waffenstillstand in Äthiopien wirklich hält, kann nicht von Sicherheit die Rede sein. Es geht mindestens genauso sehr um ausreichend Essen und Trinken, eine intakte Gesundheit, psychische Stabilität, vielleicht ein eigenes Bett. Die Klimakrise bedroht all das. Aber das Bewusstsein dafür fehlt. Dabei warnt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) seit 15 Jahren: »Klimawandel verstärkt Mechanismen,
Schon 1992 auf der ersten UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in
Dass die Rechnung nicht aufgeht, zeigt ein Blick auf die Kosten für den Wiederaufbau nach der Flut von 2021: Die Wassermassen haben allein in Westdeutschland und Belgien
Ein Fonds für Verluste und Schäden ist wichtig – aber er ist keine Lösung, wenn die Klimakrise einen kleinen Inselstaat von der Landkarte spült
Überall auf der Welt verstehen Menschen Klimaschutz längst als Teil einer neuen Sicherheitspolitik. Riyaz Rawoot, Evelyn Payaguaje, Laura Brämswig und Dune Lankard wissen, dass ein Leben in Frieden mehr ausmacht als die Abwesenheit von Bomben. Und dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Am Kap der Guten Hoffnung, im Amazonasbecken, am Copper River Delta und in Berlin arbeiten sie deshalb daran, dass niemand in der Krise zurückgelassen wird. Sie warten nicht darauf, dass die Mächtigen etwas für sie tun,
Evelyn Payaguaje, Shushufindi in Ecuador: Über Leben in der Ölpest
Dort, wo Evelyn Payaguaje aufgewachsen ist, sorgen Militär und Polizei nicht für Sicherheit. Im Gegenteil, sagt die 25-jährige Aktivistin aus dem Amazonasgebiet: Sie trieben die Umweltzerstörung und die Klimakatastrophe voran, indem sie die Interessen großer Konzerne schützten, das Gelände der staatlichen Erdölfirma »PetroEcuador« sicherten und Bagger und Ingenieure eskortierten, die neue Ölfelder erschließen sollten. Das Geld aus der Ölproduktion, versprachen schon viele Präsidenten, würde in Bildung und Gesundheitswesen fließen. »Das Einzige, was wirklich bei uns ankommt, ist das Öl aus den Öllecks«, sagt Evelyn bitter. Jeden Monat berichtet das lokale Radio über verseuchte Flüsse nach einem Unfall.
Jede freie Minute arbeitet Evelyn Payaguaje deshalb für den aktiven Widerstand, gibt Interviews
»Uns zusammenzuschließen ist der einzige Weg nach vorne, um auch nur eine Chance zu haben, das zu verteidigen, was uns noch bleibt«, sagt Evelyn. Man hört die Trauer in ihrer Stimme, wenn sie von den verschmutzten Wassern des Rio Aguarico spricht, an dessen Ufern sie aufgewachsen ist.
Sie will anderen Frauen ein Vorbild sein, sich nicht allein mit ihrer Mutterrolle und der Haushaltsarbeit zufriedenzugeben, sondern sich auch für »Mutter Erde« zu engagieren. Sie sagt Sätze wie: »Wir Frauen haben mehr Charakter als die Männer«, und meint damit vor allem eine klare Haltung gegenüber den Angeboten von großen Firmen. Zu oft hätten in der Vergangenheit Männer aus ihrem eigenen Dorf Jobs angenommen, die Teil des Problems seien: Sie hätten sich als Kanufahrer für Ölexpeditionen angeboten, als Saisonarbeiter in der Raffinerie, hätten das Land der Vorfahren an Palmölfirmen verpachtet – alles für die Aussicht auf ein kleines Monatsgehalt. »Aber was bringt dir Geld, wenn du krank bist?« Evelyn ist Gesundheit viel mehr wert als die scheinbare Sicherheit, die Geld bietet. Denn für sie ist nur eines sicher: Um Kranke in der Familie müssen sich die Frauen kümmern. Und dann bleibt weniger Zeit, um die Ölfirmen endlich doch noch zu stoppen.
Riyaz Rawoot, Kapstadt in Südafrika: Der Regenbogen über der Katastrophe
Kapstadt war die erste Großstadt der Welt, der das Wasser auszugehen drohte. 2018 war es nach Jahren der Dürre fast so weit, die meisten Speicher und Staudämme am südafrikanischen Kap ausgetrocknet, kein Regen in Sicht. Was passiert in einer Bevölkerung, wenn Wasser auf 20 Liter am Tag pro
Seit Jahren waren Menschen hierhergekommen, um Quellwasser zu zapfen, auch Riyaz Rawoot. Doch was ihn als Physiotherapeut immer gestört hatte: Wie tief sich alle bücken mussten, um das Wasser abzufüllen. Also installierte Riyaz kurzerhand ein langes Rohr für einen bequemeren Zugang.
Als sich die Wasserkrise 2018 zuspitzte, schien es, als lösten die Quelle und Riyaz’ Konstruktion ein Versprechen ein, das sich das Land vor 30 Jahren mit dem Ende der Apartheid selbst gegeben hatte: Schwarze und Weiße, Arme und Reiche, Menschen aus den weitentfernten Townships und aus der eher wohlhabenden Nachbarschaft, sie alle kamen an der Newlands Spring zusammen. Sie brachten Flaschen, Eimer und Kanister, halfen einander beim Befüllen; wer ein Auto hatte, nahm den anderen mit. Es wurden Tipps zum Wassersparen ausgetauscht und Freundschaften geknüpft. An der Newlands Spring lebte sie für eine Weile, die vielbeschworene
Menschen können sich in Krisen selbst organisieren, ohne in Panik zu geraten
Doch einige Nachbarn begannen sich zu beschweren. So viele Menschen in ihrer Straße, das wollten sie nicht – als sei das Falschparken das Problem der Stadt und nicht der sonst grassierende Rassismus oder die Wasserkrise. »Die Stadtverwaltung hat mein Projekt zerstört«, sagt Riyaz heute. Dort, wo die Menschen in Krisenzeiten kostenlos Wasser holten, ist jetzt nur noch grauer Beton, das Wasserloch ist nicht mehr zu sehen. Doch die Erinnerung an die Community-Quelle ist ihm viel wert: Sie habe gezeigt, dass sich Menschen selbst organisieren könnten, ohne angesichts der Krise in Panik zu geraten. Diese Fähigkeit könnte in Zukunft viel wert sein. Denn wer sagt, dass auch in der nächsten Dürre der Regen gerade rechtzeitig zurückkommt, um den »Day Zero« abzuwenden und die Staudämme wieder zu füllen?
Laura Brämswig, Berlin: Mehr Zeit für Revolution? Probieren wir’s aus!
Laura Brämswig ist nicht mit Geldsorgen aufgewachsen – aber sie macht sich Sorgen um die Welt in der Krise. Und Krisen sieht die 32-Jährige überall: auf dem Wohnungsmarkt, bei der ungleichen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, in der Eskalation der Klimakrise. Deshalb hat sie den gemeinnützigen Verein
Um genug Unterschriften für einen Volksentscheid zu sammeln, hat das Team von Brämswig im Frühsommer überall in der Hauptstadt bunte Schilder aufgehängt: »Mehr Sex durch ein bedingungsloses Grundeinkommen? Probieren wir’s aus!« Lauras Lieblingsplakat zeigte ein Katzen-Emoji mit aufgerissenen Augen. Darüber steht:
Die studierte Politologin und Wirtschaftspsychologin ist sich sicher: »Menschen treffen bessere Lebensentscheidungen, wenn sie finanziell abgesichert sind.« Dabei gehe es um Fragen wie: Kann ich es mir leisten, noch einmal zu studieren? Werde ich jetzt Mutter? Mache ich diesen Job weiter, der den Planeten zerstört und mich nicht einmal inspiriert? Ein Grundeinkommen könne, so Laura Brämswig, den Rahmen erweitern, in dem Transformation überhaupt gesellschaftlich diskutiert werde:
Es gäbe plötzlich keine Debatte mehr darüber, ob wir Kohlekraftwerke schließen können, weil die Angestellten nicht abgesichert sind.
Ein Grundeinkommen würde nicht nur die Zeit überbrücken, bis eine Region wie die Lausitz den Wandel geschafft habe. Es könnte auch die nötigen Kapazitäten in der Klimabewegung schaffen, um diesen Wandel überhaupt systematisch und langfristig zu organisieren.
Genug Unterschriften hat ihre Initiative nicht gesammelt, um per Volksentscheid ein Gesetz einzufordern. Laut Laura Brämswig stünden trotzdem viele Zeichen auf Grundeinkommen. Das 9-Euro-Ticket sei in diese Richtung gegangen, ebenso wie die Energiepauschale, die ausgezahlt worden sei, um die Folgen der steigenden Heizkosten abzufedern. »Je größer die Krise, umso außergewöhnlicher werden auch die Maßnahmen«, sagt sie mit Blick auf die Zukunft. Genau dort kommt die Pionierarbeit von Initiativen wie Expedition Grundeinkommen ins Spiel: Wenn alte Systeme erst einmal kollabierten, reiche es nach Angaben der Aktivistin nicht, eine unerprobte, radikale Idee vorzustellen. An diesem Punkt müssten alternative Modelle schon erprobt, Fehler gemacht und Erfahrungen gesammelt sein, damit schließlich auch die Politik den Mut aufbringe, neue Wege zu gehen.
Dune Lankard, Copper River Delta, Alaska: In Gemeinschaft mit der Unterwasserwelt
Dune Lankard hat viele Geschichten aus seinem Leben am Golf von Alaska zu erzählen. Seine eigene erzählt er so: »Mein erstes Gehalt hat mir der Ozean bezahlt. Damals war ich Hilfsjunge auf einem Kutter.« Seine ganze Art zu sein verdanke er dem Verbund des Lebens unter Wasser: Von den Lachsen habe er gelernt zu reisen, von den Gezeiten den Wechsel zwischen Höhen und Tiefen im Leben. Wer wie seine Vorfahren von der Fischerei lebe, müsse ewiger Optimist sein, sagt Dune und lacht: »Du musst daran glauben, dass der nächste Fang, der nächste Tag, die nächste Saison besser wird als heute.«
Positiv in die Zukunft zu blicken, war keinesfalls eine einfache Übung für die Gemeinden der indigenen
»Es war der Tag, an dem der Ozean starb. Und gleichzeitig erwachte in mir etwas zum Leben«, erinnert sich Dune Lankard an das Tankerunglück. Viele Kämpfe um Landrechte an der Küste hat er seither für die Community vor Gericht gewonnen. Trotzdem droht die Lebensart seiner Großeltern auszusterben: Die steigenden Wassertemperaturen und die Versauerung der Ozeane macht den Lachsen zu schaffen – ohne sie wäre die Kultur der Eyak nicht zu denken. Deshalb hat sich der 62-Jährige etwas ausgedacht. Seine Vision geht weit über das Ziel der Vereinten Nationen hinaus, Ernährungssicherheit für ländliche Regionen zu schaffen. Mit seiner Organisation
»Es ist eine Win-win-win-Situation«
Ein nachhaltiges Einkommen
Kelpfarming zahlt sich also aus. Doch Dune sind nicht die Zahlen wichtig, sondern die Beziehungen, die hier entstehen und Stabilität schaffen, wenn alles andere ins Wanken kommt.
Redaktion: Désiree Schneider
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily