Ich hasse es – und ich will es haben. Klingt wie eine toxische Beziehung, oder? So beginnt Mareice Kaisers neues Buch. Die Journalistin und Autorin schreibt über ein sensibles Thema, das die meisten von uns gerne meiden: Geld.
Geld ist nicht alles – würden jetzt manche sagen.
Aber Geld ist ziemlich viel: Macht, Status, Lebensgrundlage. Und Grund für ziemlich viele Gefühle: Scham, Neid, Eifersucht. Aber auch Sicherheit, Glück, Freiheit.
halten 70% der Deutschen Geld für ein Tabuthema. Sogar über Sex wird mehr geredet als über das eigene Vermögen.
Dabei sind mit Geld Fragen verknüpft, die unser aller Leben existenziell bestimmen: Wie viel Geld ist genug? Wer sollte mehr Geld haben und wer weniger? Und was macht Geld mit uns als Gesellschaft? In
stellt sich Mareice Kaiser selbst diese Fragen und konfrontiert 6 andere Menschen damit: von einem Pfandflaschensammler über eine Haushaltshilfe, einen Lieferando-Rider bis hin zur Multimillionärin.
Ihre Gespräche zeigen deutlich, wie der Alltag von Geld bestimmt ist – egal wie dick das Bankkonto gefüllt ist. Was sie heute über Geld denkt und warum wir viel mehr darüber sprechen sollten, habe ich mit Mareice Kaiser diskutiert.
Corinna Cerruti:
Du sagst, wir sollten mehr über Geld reden statt nur über Gerechtigkeit. Wie hängt beides zusammen?
Mareice Kaiser:
Gerechtigkeit bedeutet für mich, dass alle eine Chance auf ein würdevolles Leben haben, nicht nur einige. Und Geld ist der Weg dahin, weil wir uns durch Geld kaufen können, wo und wie wir leben, welche Anziehsachen wir tragen, ob diese den Witterungsbedingungen entsprechen oder nicht. Geld entscheidet, auf welche Schule unser Kind geht, was wir ihm in die Frühstücksbox packen, wie wir uns fortbewegen: mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit einem Auto; oder auch gar nicht. Geld bestimmt, wie gut und auch wie würdevoll unser Leben ist. Wer hat die Chance auf ein gutes Leben?
Liegt das denn in unserer Hand?
Mareice Kaiser:
Das ist ein Glücksspiel: Mit wie viel Geld und damit Teilhabe ich auf die Welt komme, ob ich erbe oder nicht. Sind meine Eltern Akademiker:innen oder Arbeiter:innen? Liegen zu Hause Bücher herum oder läuft Musik? Das alles hat auch mit Geld zu tun. Und zu Geld kann jede:r was sagen. Geld ist Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit und Macht am konkreten Beispiel.
Damit das Glücksspiel etwas fairer wäre, müssten alle Bürger:innen eine ähnliche Chance haben, etwas aus sich zu machen und in der Gesellschaft aufzusteigen – egal wie viel Geld sie vorher hatten. Dafür könnte der Staat ja theoretisch sorgen. Würde das nicht viel lösen?
Mareice Kaiser:
Auf jeden Fall wäre das gut. Allerdings hängen die ungleichen Chancen nicht nur an Geld und sozialer Herkunft, sondern auch davon ab, welches Geschlecht du hast, welche sexuelle Orientierung, ob du von Rassismus betroffen bist oder nicht, ob du eine Behinderung hast oder nicht. Davon hängt dann ja auch wieder dein Zugang zu Geld ab und gleichzeitig auch dein Zugang zu Bildung und zu einem guten Job.
Die Idee der Chancengleichheit durch Geld wäre gut, wenn die Welt schon gerecht wäre und wir ohne Diskriminierung leben würden. Dann könnte das klappen.
Hast du ein Beispiel, woran man sieht, dass es nicht »fair« zugeht?
Mareice Kaiser:
Sven, den ich in meinem Buch porträtiert habe, beschreibt sich selbst als
. Er kommt aus dem Berliner Bezirk
seine Mutter arbeitet als Erzieherin. Heute ist er Unternehmer, besitzt viele Firmen und Immobilien und wohnt selbst mit seiner Familie in seinem Haus in Brandenburg. In Interviews zum Buch wurde mir häufig gesagt: »Frau Kaiser, da sieht man, dass es klappen kann. Das ist doch die Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär.« Dabei wird vergessen, dass es für Sven auch funktioniert hat, weil er ein weißer, heterosexueller Mann ist. Natürlich ist er auch klug, er hat gute Ideen und war fleißig. Aber wenn diese Geschichte stimmen würde
, dann wäre auch Sara in meinem Buch Millionärin. Sie ist Haushaltshilfe, arbeitet quasi von morgens bis abends, sprich ihren Körper kaputt, und ist dadurch aber nicht reich geworden. Sven glaubt aber fest daran, weil es bei ihm geklappt hat.
Zwischen diesen Gegensätzen von Arm und Reich liegt ja die Mittelschicht. 73% zählen sich selbst dazu. Laut einer
gehören aber nur 64% zu dieser Schicht. Warum wollen wir zur Mitte gehören?
Mareice Kaiser:
Mitte bedeutet finanzielle Sicherheit. Und es bedeutet, nicht der »Abschaum« der Gesellschaft zu sein. Armut wird in unserer Gesellschaft stigmatisiert. Da will niemand zugehören. Und wenn doch, soll man sich dafür schämen.
In meinem Buch beschreibe ich ein Gespräch mit meinen Eltern. Mein Vater erzählt, dass er irgendwann mal zum Sozialamt gegangen ist und meine Mutter ihn hinterher gefragt hat: »Aber du hast schon geguckt, dass dich niemand gesehen hat?« Die Debatte jetzt um das Bürgergeld ist die gleiche wie damals um Hartz 4. Leute haben Angst, dass andere mehr haben könnten, die sich angeblich nicht genauso anstrengen wie sie selbst. Das ist heftig.
Wenn in der Politik die Rede davon ist, dass die Mitte entlastet gehört, dann wird eine Angst vor dem Abstieg geschürt. Selbst wenn die Maßnahmen die Mitte gar nicht entlasten, sondern die Besserverdienenden.
Und wer unterhalb der Mitte wirtschaftet, der ist mit vielen Vorurteilen konfrontiert, von »Wer arbeitslos ist, hat keine Lust zu arbeiten.« bis zu »Sozialschmarotzer«.
Mareice Kaiser:
Genauso habe ich das auch erlebt. Arbeitslos sein, das darf man vielleicht mal 1, 2 Monate für den Übergang, aber dann muss es wieder weitergehen. Ich war mehrmals in meinem Leben arbeitslos und ich musste jedes Mal hart gegen das ankämpfen, was ich als Kind von Arbeiter:innen gelernt habe. Dass wir produktiv sein müssen. Dass es okay sein kann, ohne Arbeit zu sein, muss ich mir immer wieder selbst sagen. Am Ende ist das unser verinnerlichter Kapitalismus, der uns sagt: Wenn du nicht arbeitest, bist du nichts wert.
Deswegen finde ich es so wichtig, was
passiert. Ich kann mich in den vergangenen Jahrzehnten nicht daran erinnern, dass Menschen in die Öffentlichkeit gingen und sagten:
, ich rede darüber und überwinde die Scham. Darüber zu sprechen ist der einzige Weg gegen die Scham.
Du empfindest Scham darüber, zu wenig Geld zu haben?
Mareice Kaiser:
Ja, von Armut betroffene Menschen schämen sich häufig, weil wir dieses Narrativ der Leistungsgesellschaft haben: Man muss sich nur hart genug anstrengen und dann geht es dir auch finanziell gut. Armutsbetroffene merken aber: Oh, ich strenge mich an, aber mir geht es finanziell nicht gut – dann muss es ja an mir liegen. Das strukturelle Problem von Armut wird individualisiert.
In einem
in der Süddeutschen Zeitung schreibst du: »Denn sowohl unter-, als auch oberhalb der Mitte dominiert in Deutschland – die Scham.« Warum schämen sich denn auch die Reichen?
Mareice Kaiser:
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Hyperreiche ihren Reichtum rechtfertigen können, wenn sie verstehen, dass dieser auch auf Ausbeutung – vor allem von Arbeiter:innen – beruht. Es ist vielleicht nicht bei allen Scham, vielleicht eher ein Unwohlsein. Sonst würden ja viel mehr reiche Leute über ihren Reichtum sprechen. Tun sie aber nicht, stattdessen ziehen sie sich häufig zurück und leben unter Reichen.
Ist es auch diese Scham, weshalb wir so ungern über Geld sprechen?
Mareice Kaiser:
Ich glaube vor allem, dass Menschen Angst haben, dass andere denken, das hast du nicht verdient. Es ist ja auch nicht gerecht, einfach wegen der Merkmale, die ich genannt habe. Auch dadurch gibt es eine ungerechte Verteilung von Geld. Wir empfinden Unwohlsein und Scham und machen Geld zum Tabuthema. Dabei sollten wir uns die Frage stellen: Warum bekommen wir nicht alle für unsere Arbeit gleich viel Geld?
Weil zum Beispiel die Ärztin lang für ihren Beruf studieren musste und Verantwortung für ein Menschenleben trägt.
Mareice Kaiser:
Genau. Aber am Ende ist es auch eine hohe Verantwortung, eine Straße so zu bauen, dass niemand verunglückt. Oder Kinder in der Kita zu betreuen. Was für eine krasse Verantwortung ist es, einen Menschen ins Leben zu begleiten? Erziehende, Lehrende, Hebammen. Und trotzdem werden sie schlecht bezahlt. Wer bestimmt eigentlich, dass ein DAX-Manager so viel verdient und eine Erzieherin so wenig? Darüber sollten wir reden.
Und was würde dann passieren?
Mareice Kaiser:
Wenn wir in Deutschland alle offenlegen würden, wer wie viel verdient, würde es eine große Diskussion darüber geben, im Großen und auch im Kleinen. Menschen, die keine verantwortungsvollen Positionen haben mit hohem Verdienst, müssten sich sehr rechtfertigen und dadurch würden dann andere sagen: Das reicht uns nicht, du musst weniger verdienen. In allen Unternehmen, in denen ich gearbeitet habe, wollten meistens die Führungspersonen die Gehälter nicht offenlegen. Das sehe ich auch gesamtgesellschaftlich: Es nützt den Reichen, wenn wir nicht offen über Geld reden.
In besagtem Essay stellst du auch die These auf, wir würden zu viel über die Mittelschicht reden, zu wenig über unten und oben. Wieso?
Mareice Kaiser:
Meine These ist: Wenn Politik die Mittelschicht adressiert und sagt, wir wollen die stark arbeitenden Schultern entlasten werden Armutsbetroffene einfach an der Seite liegengelassen. Dabei sind es doch vor allem Armutsbetroffene, die sehr stark sein müssen. Durch diese Adressierung an die Mitte wird die Armut als gegeben hingenommen. Wenn ein Christian Lindner oder Friedrich Merz sagt, wir müssen die Mitte entlasten, dann sagen sie ja nicht gleichzeitig, wir müssen die Armen entlasten.
16% in Deutschland sind von Armut betroffen.
Das sind echt eine Menge Menschen. Da denkt man doch, Leute, wie könnt ihr jetzt von Entlastung der Mittelschicht sprechen, während die Tafeln aus allen Nähten platzen und Menschen nicht wissen, was sie essen sollen, wie sie Strom bezahlen sollen? Das ist doch gerade existenziell und nicht, wie ein Unternehmer noch reicher wird.
Würdest du sagen, dass dich die Recherche radikalisiert hat?
Mareice Kaiser:
Jeder Tag in dieser Gesellschaft mit ungleichen Chancen radikalisiert mich. Radikal, das bedeutet im Grunde, gesellschaftliche und politische Probleme »an der Wurzel« zu packen und von dort aus möglichst zu lösen.
Was ich vor der Recherche gefühlt hatte, war, wie sehr diese Ungerechtigkeit zwischen oben und unten zusammenhängt und dass man beides nur zusammen betrachten kann. Das Problem zu lösen geht nur mit oben. Und nicht mit ihrer Gutheit, sondern mit ihrem Geld. Mir ist klar geworden, wie dringlich und notwendig Umverteilung ist. Und auch, dass sie möglich ist, weil genug Geld da ist.
Also forderst du, Geld umzuverteilen?
Mareice Kaiser:
Was ich fordere, ist das Ende des Kapitalismus, deshalb heißt ja auch ein Kapitel meines Buchs »Die letzten Tage des Kapitalismus«.
Das ist ja im besten Fall ein Langfristziel …
Mareice Kaiser:
Wir müssen uns als Gesellschaft überlegen, nach welchen Werten wir leben wollen: Profit und Leistung oder Fürsorge und Solidarität? Wenn wir eine Gesellschaft wollen, in der Fürsorge und Solidarität die wichtigsten Werte sind, müssen wir die Rahmenbedingungen ändern. Besser bezahlte Jobs im sozialen Sektor, höherer Mindestlohn, höheres Bürgergeld und ein
. Wenn wir Armut abschaffen wollen, müssen wir Überreichtum abschaffen. Wir brauchen eine armutsfeste Kindergrundsicherung. Und eine 25-Stunden-Woche als Vollzeit, von der alle gut und würdevoll leben können, auch die alleinerziehende Mutter von 3 Kindern, eines mit erhöhtem Pflegebedarf.