Selbst wenn du wolltest: Du kannst nicht alles selbst entscheiden
Alles entscheiden zu wollen, ist eine schlechte Entscheidung: Es lähmt uns und macht uns unglücklich. Wann lohnt es sich trotzdem, den Autopiloten abzuschalten?
»Take back
»Have it your way.« – Burger King
Und weiter: Je mehr Auswahl, desto besser. So können wir unsere Bedürfnisse passgenau befriedigen. Sei es bei der Auswahl zwischen 78 Kekssorten im Supermarkt-Regal, 23 neuen Smartphone-Modellen beim Online-Händler oder 14 Arzneimitteln gegen
Das Dogma ist jedoch irreführend. »Take back control« spielt nicht nur mit unserem Drang zur individuellen Entfaltung, sondern unterstellt auch: Wir haben die Kontrolle – und damit ein Stück Freiheit – verloren. Wir hatten jedoch nie die vollständige Kontrolle über unsere eigenen Entscheidungen. Dafür ist unser Gehirn schlichtweg nicht ausgelegt.
Wie zu viel Auswahl uns unzufrieden macht
Beginnen wir mit der Annahme: Je mehr Auswahl, desto besser. Ist die Auswahl zu groß, zeigt unser Gehirn tatsächlich Lähmungserscheinungen – und zurück bleibt ein demotiviertes Individuum. Genau das zeigten die beiden Psychologen Sheena Iyengar und Mark Lepper im Jahr 2000 erstmals
»Das Geheimnis zum Glück ist: Senke deine Erwartungen!« – Barry Schwartz, amerikanischer Psychologe
In einem zweiten Experiment wählten Studenten entweder aus 6 oder 30 Gourmet-Schokoladen ihren persönlichen Favoriten. Diejenigen, die nur aus 6 Sorten wählen durften, zeigten sich im Anschluss zufriedener mit der eigenen Wahl und waren geneigter, Schokolade statt Geld als Vergütung für ihre Teilnahme an der Studie zu wählen.
Je größer die Auswahl, desto größer die Gefahr, die falsche Wahl zu treffen. Vielleicht gibt es doch noch ein Hotel mit besserem Preis-Leistungs-Verhältnis? Wer sagt mir, dass nicht doch der Käsekuchen mit Rosinen
Solche Gedanken sorgen dafür, dass
Mit einer größeren Auswahl steigen auch die Erwartungen. Der
Kommt all das zusammen – also: viel Denkarbeit vor einer Entscheidung, Reue, verpasste Möglichkeiten und hohe Erwartungen – gilt es, einen Schuldigen zu finden. Bei einer geringen Auswahl fällt die Wahl leichter auf »die Welt«, schließlich hatten die nur 2 Jeans, kein Wunder, dass die schlecht sitzt. Hatten wir selbst die Auswahl zwischen 23 Hosen, liegt es stattdessen näher, die Schuld bei uns zu suchen.
Das Leben ist eine Entscheidung nach der anderen
Sicher ist es trivialer, zwischen Slim Fit und Loose Fit zu entscheiden, verglichen mit wichtigen Entscheidungen, die unsere Gesundheit, Karriere und unser Sozialleben betreffen. Einfach gesagt, ist unser Leben nichts anderes als eine Entscheidung nach der anderen.
Müssten wir ständig alles selbst entscheiden, wären wir schnell überfordert. Darum lagern wir viele Entscheidungen aus an Dritte – vom besten Freund und Arzt bis zum Vermögensberater – und automatisieren andere. Dabei helfen bestimmte Mechanismen im Gehirn, die
Das Dogma, wir hätten die Kontrolle über unsere eigenen Entscheidungen (also die, die wir nicht an Dritte abgeben), ist daher falsch. Denn mit dem Einschalten unseres Autopiloten geben wir die Kontrolle ab.
»Alles Manipulation!«
Der Gedanke, dass wir nicht Herr oder Frau unserer Entscheidungen sind, mag frustrierend oder sogar beängstigend sein – ist aber unvermeidbarer Teil unseres Lebens. Egal wie sehr wir uns Kontrolle wünschen.
Beginnen wir ganz einfach: Wie ein Raum eingerichtet oder wie eine Website designt ist, beeinflusst unser
»Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will.« – Arthur Schopenhauer, Philosoph
Vieles in unserem Leben wird mit
Entscheiden, wann du entscheiden willst
Statt zu rufen »Übernimm wieder die Kontrolle!«, müssten wir also – abhängig vom Kontext – eher fragen:
- Wann will ich nicht alle Möglichkeiten kennen?
Vielleicht lohnt es sich, die nächste Einkaufstour auf 2 (Online-)Geschäfte zu beschränken, wenn es um die Auswahl der nächsten Jeans oder des neuen Smartphones geht. Trotz scheinbar unbegrenzter Möglichkeiten lohnt es sich auch bei komplexen Entscheidungen wie der Partnerwahl und gesundheitlichen Maßnahmen, nicht alle Möglichkeiten kennen zu wollen. - Wann und wo willst du die Kontrolle übernehmen?
Muss es der süße Snack an der Supermarktkasse, die - Wann sollten wir Werkseinstellungen ändern?
Unser Leben wird durch zahlreiche Werkseinstellungen bestimmt, vorgegeben durch Hersteller von Produkten, gesellschaftliche Normen und unsere eigene Biologie. Letztere außen vor gelassen, kommt hier die Verantwortung von Wirtschaft und Staat ins Spiel. Sie entscheiden, ob unser Handy standardmäßig
Und was hat das mit dem Brexit zu tun? Ganz einfach: Jeder Wähler, der mehr Kontrolle fordert, fragt implizit auch nach mehr Verantwortung. Wann wir diese Kontrolle überhaupt ausüben können – und wollen – hängt von vielen Faktoren ab. Vor allem von den beiden begrenzten Ressourcen Zeit und Gehirnkapazität.
Mehr davon? Dieser Text ist Teil unserer Reihe zum Kritischen Denken!
Mit Illustrationen von Robin Schüttert für Perspective Daily