Sehnst du dich auch nach mehr Natur? Dann ist dieser Text für dich
Diese 4 Schritte können dir (und unserer Gesellschaft) dabei helfen, die vernachlässigte Beziehung zu unseren Ursprüngen wieder zu beleben.
Es ist schwül im Gewächshaus des Botanischen Gartens. Die Wärme, der unebene Boden und die großen Farne und Blätter, die auf den Pfad ragen, machen es schwer, sich zu konzentrieren. Von links flattert etwas vor die Handykamera; ein genervter Wink mit der Hand, es verschwindet. Na toll, jetzt ist das Video für Instagram versaut, die Follower:innen erwarten doch ein Update. »Vielleicht kann ich noch den Anfang mit den Blumen verwenden. Die waren ja echt schön … Moment, irgendetwas läuft hier schief …«
Die Person ist in einem tropischen Gewächshaus, umgeben von meterhohen grünen Gewächsen, Orchideen in allen Formen und Farben. Bunte Schmetterlinge und schillernde Libellen fliegen umher – eine Szenerie, wofür man sonst stundenlang in den Flieger steigen muss. Doch die Person nimmt nichts von dieser Schönheit wahr. Der Blick klebt stattdessen an der
Daran ist jedoch nicht nur der Sog moderner Technologie schuld.
Es ist auch unsere Lebensweise im Globalen Norden,
Diese Entfremdung lässt sich nicht nur spüren, sondern auch belegen:
Wie schaffen wir es also, uns wieder mit der Natur zu verbinden?
1. Schritt: Rausgehen und staunen
Es ist schwül, der Nacken schmerzt. Die Wärme, der unebene Boden und die großen Farne und Blätter, die auf den Pfad im Botanischen Garten ragen, machen es schwer, sich auf den Handybildschirm zu konzentrieren. Also steckt die Person es weg, dabei sieht sie in ihrem linken Augenwinkel, wie ein grüner Schmetterling dicht an ihrem Kopf vorbeifliegt. Der Schmetterling landet auf einem Baumstamm hinter ihr, wo er im Schatten der Blätter fast mit der moosigen Rinde verschwimmt. »Wow, eigentlich ist das total beeindruckend!«
Im ersten Schritt, wie wir uns wieder mit der Natur verbinden können, sind sich Forschende aus den verschiedensten Forschungsrichtungen einig: Wir müssen eigene, ungefilterte Naturerfahrungen sammeln – und zwar nicht beliebige, sondern gezielt solche, die uns
Das sind meistens unerwartete Erlebnisse, wie ein schillernder Schmetterling, den wir uns näher anschauen wollen, ein aufspringendes Reh beim Spaziergang oder der plötzliche Blick auf eine Waldlichtung. Erst staunen wir, dann denken wir darüber nach. Und dieser kurze Moment des Staunens baut eine emotionale Verbindung auf.
Die Naturerlebnisse, die uns zum Staunen bringen, sind so individuell wie die Menschen selbst. Wichtig ist dabei nur, dass wir uns während unserer Erfahrung nicht ablenken und die Natur auf uns wirken lassen, also dass wir nicht mit dem Ziel, einen Spaziergang zu machen, um ein paar schöne Bilder für den Instagram-Kanal oder das Familienalbum zu knipsen, raus in die Natur gehen.
Laut dem Verhaltensbiologen Norbert Jung ist es viel leichter, ein solches Erlebnis in einer Naturlandschaft oder einem Schutzgebiet zu haben als etwa in der Innenstadt. Jung erforscht seit Jahrzehnten die Beziehung zwischen Menschen und Natur. Nach seinen Befragungen sind Naturerlebnisse fernab aller menschlichen Geräusche und Einflüsse emotional am tiefgreifendsten.
Kindern fallen solche Naturerlebnisse wesentlich leichter als Erwachsenen: Sie staunen schneller. Doch auch Erwachsene sind lernfähig, da sind sich Norbert Jung und viele andere Wissenschaftler:innen sicher:
Erwachsene haben wesentlich mehr Lebenserfahrungen gemacht, sind also – je nach Persönlichkeit – nicht mehr ganz so offen oder haben zum Beispiel eine durch andersartige Erfahrungen verschüttete oder verbildete Naturbeziehung. Wir dürfen aus verschiedenen wissenschaftlichen Gründen heraus damit rechnen, dass auch Naturentfremdete ein Stück Natursehnsucht in sich haben.
Dass Spaziergänge in Feld und Wald, der Blick ins Grüne und ja, sogar nur eine
Menschen, die in der Nähe von Grünflächen wohnen, leben gesünder. Maren Urner gibt einen Überblick der Vorteile der »Natur« für den Menschen:
Aber mit nur einem Spaziergang im Monat oder ab und an die Natur zu bestaunen, ist es nicht getan. Wir müssen regelmäßig Naturerfahrungen suchen, um ihren positiven Einfluss wirklich zu spüren. Etabliert sich dadurch eine
2. Schritt: Neugierig sein und lernen
Der Schmetterling landet auf einem Baumstamm hinter der Person, wo er im Schatten der Blätter fast mit der Rinde verschwimmt. »Wow, wie spannend. Wie funktioniert das denn?«, denkt sie sich. Ein Hinweisschild auf Hüfthöhe kommt zu Hilfe. Gleich neben der Abbildung des grünen Falters steht: Der Afrikanische Mondspinner (Argema mimosae) aus der Familie der Riesenseidenspinner ist in Teilen des südlichen und östlichen Afrikas beheimatet. Der Falter ist nachtaktiv, selten auch tagsüber zu sehen. Die Färbung seiner Flügel ähnelt einem Blatt und die Schwanzspitze einem ausgetrockneten Blattstiel, um sich zu tarnen. Augenflecken an den Flügeln sind eines der auffälligeren Merkmale. »Aha!«
Wir kennen das von Kindern. Nach dem ersten Staunen folgt oft ein Interesse am Erfahrenen: Wo kommt das her? Wie funktioniert das? Was bedeutet das? Begeben sich Erwachsene auf die Suche nach der Natur, können sie viel von diesem natürlichen Verhalten wieder erlernen.
Denn Informationen, die ein Mensch nach einer persönlichen, emotionalen Erfahrung erhält, prägen sich besser ein. Der Zusammenhang aus Erleben und dann Lernen und der Zusammenhang mit einem Gefühl der »Naturverbundenheit« sind in der Forschung gut belegt und viele Umweltbildungs- oder Naturpädagogikprogramme machen sich genau das
Erst erleben, dann lernen
Die Ergebnisse: Nach dem Programm haben sich die Kinder beider Altersgruppen, die daran teilgenommen haben, deutlich mehr mit der Natur verbunden gefühlt als vorher. Allerdings behielten nur die jüngeren Kinder die erhöhte Naturverbundenheit bis 4 Wochen nach dem Programm
Wer sich wieder mit der Natur verbunden fühlen möchte, muss also am Ball und vor allem neugierig bleiben. Diese Neugier muss aber nicht auf besondere Naturerlebnisse beschränkt sein. Auch beim Weg zur Arbeit oder auf dem eigenen Balkon kann uns die Natur zum Staunen bringen und wir können etwas darüber lernen. Wir müssen nur offen dafür bleiben, hinsehen und uns nicht durch Technik ablenken lassen.
Für einen echten, ehrlichen Zugang zur Natur fehlt jedoch noch eine wichtige Zutat, die gerade heute immer wichtiger wird: Emotionen. Denn unsere Natur ist zunehmend vom Menschen bedroht.
3. Schritt: Leiden und lieben
Nachdem die Person das Informationsschild gelesen hat, schaut sie den Schmetterling genauer an. Er ist eigentlich nachtaktiv, stammt aus Afrika und ist ein Meister der Tarnung, wie sie nun weiß. Ist er nicht müde und so weit von zu Hause weg? Kurz vibriert das Handy in der Jackentasche. Es bleibt unbeachtet. »Gibt es hier noch mehr coole Tiere?«, fragt sich die Person. »Ich sollte besser aufpassen, vielleicht bin ich schon an anderen vorbeigelaufen.« Mit neu entdeckter Neugierde betrachtet sie die großen grünen Blätter und die Falter, die zwischen ihnen von Blüte zu Blüte tanzen. Die Person liest die Informationen zu den anderen Tieren. »Bedroht«, »Selten«, »Gefährdet« steht dort immer wieder. Ihr Herz wird schwer.
Doch Traurigkeit über schwindende Pflanzen- oder Tierarten ist keine Sackgasse bei der Suche nach mehr Naturverbundenheit. Ganz im Gegenteil: Sie sei ein Anfang, sagt die Doktorandin Susanne Müller. Für sie sind die Emotionen, die wir gegenüber der Natur verspüren, Schlüssel zu einer ehrlichen Beziehung zu ihr. Die Arrangements in botanischen Gärten sind ein leichter Weg, sich an der Natur zu erfreuen und zu lernen, erfasst allerdings nur einen winzigen Teil der Natur und der Beziehung des Menschen zu ihr.
Und ein Großteil dieser Beziehung ist heute von Umweltzerstörung weltweit geprägt.
Für Müller ist diese Erkenntnis ein wichtiger Schritt, wenn wir unsere Gefühle zulassen und reflektieren: »Wie fühlst du dich? Warum löst die Erfahrung dieses Gefühl in dir aus? Wer seine Beziehung zur Natur wieder aufbauen will, muss dafür offen sein«,
Müller untersucht derzeit am Leibnitz-Institut für ökologische Raumentwicklung, wie sich Menschen wieder mit Natur – ihrer eigenen und der nicht menschlichen – verbinden können, um Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit anzustoßen. Das 3-jährige Projekt nennt sich
Der Mensch ist die ganze Zeit in einer Beziehung mit der Natur. Nur sind wir dafür blind geworden, darum dominieren wir die Natur und beuten sie aus. Wie der Soziologe
Seine eigenen Gefühle gegenüber der Natur anzuerkennen, ist viel Arbeit, da wir zumeist damit aufwachsen, sie zu ignorieren. Vermeintlich negative Emotionen wie Angst und Hilflosigkeit, die dabei aufkommen können, ähneln der
Als besonders wirkungsvoll für die Verarbeitung und Annäherung an die eigenen Gefühle haben sich in der Forschung Achtsamkeitsübungen
Doch es muss gar nicht Meditieren sein, die Palette der Achtsamkeitsübungen ist groß: So kannst du auch beim Spazierengehen Achtsamkeit üben, indem du dich auf eine Kleinigkeit fokussierst, wie das Rascheln des Laubs
Die Klimapsychologin Renée Lertzman erklärt in diesem Artikel, wie du die Angst vor der Klimakrise meistern kannst. Die 4 Schritte lassen sich auch auf aufkommende negative Naturgefühle übertragen:
Wer staunt, lernt und seine Gefühle zur Natur ehrlich zulässt, entwickelt im besten Fall eine Verbundenheit und daraus ein
4. Schritt: Werte und Weltbild anpassen
Warum sind all diese Tiere bedroht? Als die Person die Begründung des Botanischen Gartens liest, schnürt ein Kloß ihr plötzlich den Hals zusammen: Abholzung des Regenwaldes, Anbau von Monokulturen und Pestizideinsatz, menschengemachter Klimawandel. »Wieso tun wir Menschen so etwas? Die Tiere brauchen eine Heimat, Nahrung, sie haben es genauso wie der Mensch verdient, zu leben.« Als die Person zu Hause ankommt, überlegt sie und schreibt einen etwas anderen Instagram-Post: »Hey. Ich war heute im Botanischen Garten. Es ist wirklich schön dort, aber auch traurig. Ist euch schon einmal aufgefallen, wie viele Tier- und Pflanzenarten bedroht sind? Das zu sehen, hat mich wirklich berührt. Wieso tun wir Menschen so etwas? Schreibt mir, wenn ihr Ideen habt, was wir gemeinsam dagegen tun können!«
»Wir bekommen in der Schule nicht beigebracht, dass der Mensch verletzlich und von anderen Lebewesen und der Natur komplett abhängig ist«, sagt Susanne Müller. Doch genau das ist der Fall. Der Mensch hat durch seinen Einfluss auf den Planeten gefühlt zwar eine Sonderrolle, doch das trennt ihn nicht von der Natur.
Es reiche jedoch nicht, so Müller, nur zu dieser Erkenntnis zu kommen und der Natur einmal gedanklich oder auch in Aktion die eigene Wertschätzung auszudrücken. Wie bei anderen Beziehungen und Freundschaften lebe die Mensch-Natur-Beziehung von Kontinuität, erklärt die Doktorandin. Es brauche also immer wieder Naturerfahrungen, die uns mit unserer Mitwelt verbänden, und eine stetige Reflexion unseres Verhaltens und unseres Umgangs mit ihr.
Wer die Natur liebt, will sie beschützen
Wir brauchen im Grunde einen kulturellen Wertewandel – weg vom Menschen als einzigen Mittel- und Referenzpunkt des menschlichen Weltverständnisses und hin dazu, dass er sich als Teil des ganzen natürlichen Supergeflechts sieht.
Dass das auch in unserer heutigen wissenschaftsbasierten, urbanisierten und technisierten Zeit gelingen kann, zeigen indigene Völker.
Ein Ergebnis: Die Anishinaabek haben eine hohe Naturverbundenheit, auch wenn sie in urbanen Regionen ein Leben führen, das sich von unserem nicht allzu sehr unterscheidet. Was sich unterscheidet: Die Rolle der Natur für den Menschen und die wechselseitige Beziehung zwischen Natur und Mensch werden in Zeremonien, Geschichten und Liedern kommuniziert. Auch Lektionen über die individuelle Identität und das Einfühlungsvermögen in die Gemeinschaft, die Natur und künftige Generationen finden dort Platz. Das hat laut den Forschenden einen zumindest ebenso großen Einfluss, wie regelmäßig in der Natur zu sein und der Besitz von indigenem Kulturwissen über das Jagen oder die Medizin.
Wir sind Natur. Wenn wir das begreifen, können wir auch als Gesellschaft zusammenwachsen, unser Wirtschaftssystem nachhaltig transformieren und unsere Lebensgrundlagen schützen. Immer mehr Menschen verstehen das und sind dabei, etwas zu verändern. Aktivist:innen und Jurst:innen versuchen der Natur, Flüssen, Gewässern und der Erde
Titelbild: Illustration: Claudia Wieczorek | Foto: Matt Reiter, Unsplash - CC0 1.0