Wie wir gesünder mit Geld umgehen und unsere Sorgen bekämpfen
Gesundheit und Finanzen hängen eng zusammen. Deswegen braucht es in Zeiten hoher Inflation gute mentale Strategien. Welcher Finanztyp bist du?
Vielleicht gehörst auch du zu den Deutschen, für die 2022 vor allem als »Jahr der Geldsorgen« in Erinnerung bleiben wird.
Viele Berufe hatten es während der Coronapandemie schwer. Inflation und Energiekrise belasten das Portemonnaie jetzt zusätzlich. Und für viele Menschen bedeutet dies mehr als nur »den Gürtel etwas enger schnallen«. Es bedeutet tiefe Einschnitte: Im Supermarkt, an der Tanksäule, bei der Urlaubsplanung. Je länger die Krise dauert, desto mehr plagen leidliche Gedanken: Wie hoch wird wohl die Nebenkostenabrechnung? Wird das Brot noch teurer? Wie wird der nächste Winter? Wird mein Geld reichen? Brauche ich einen Kredit? Kann ich mir die Rate überhaupt leisten?
Erste Daten zeigen, wie ernst die Situation ist. So gaben die Deutschen 2022
Weniger einkaufen, mehr sparen,
Denn die gestiegenen Kosten gehören aktuell zu den größten Ängsten der Deutschen. Laut der Studie »Die Ängste der Deutschen«, die seit 30 Jahren regelmäßig Sorgen und Nöte der Bundesbürger:innen untersucht, fürchten 2/3 der Befragten (67%), dass das Leben hierzulande immer teurer wird. Direkt darauf folgt die Angst vor unbezahlbarem Wohnraum (58%) und die Sorge vor einer großen Wirtschaftskrise (57%). Bemerkenswert ist auch der Anstieg der Angst vor der Inflation um 17 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr.
Und dieser finanzielle Stress kann sogar krank machen.
Die Wissenschaft weiß schon lange, dass Finanzsorgen und mentale Gesundheit zusammenhängen:
Nur wird die Inflation erst mal nicht verschwinden.
Was also tun?
Wie wir einen gesünderen Umgang mit Geld lernen
Dieser Zusammenhang ist auf der anderen Seite des Atlantiks schon zum Trendthema geworden. Unter dem Begriff »Financial Health« bieten Therapeut:innen und Coaches Unterstützung dabei, die eigene Beziehung zu Geld zu verstehen. Was vor 5 Jahren noch eine Nische war, die mit der Finanzkrise erste Aufmerksamkeit erhielt, rückte während der Coronapandemie ins allgemeine Bewusstsein, berichtet
Derartige Angebote sind in Deutschland noch rar gesät. Nur wenige Psycholog:innen sind auch in Finanzfragen geschult. Zu diesen Ausnahmen gehört zum Beispiel Perspective-Daily-Mitglied Hans-Wilhelm Becker. Er arbeitet seit 40 Jahren als Psychotherapeut und war vorher gelernter Bankkaufmann. In seinen Gesprächen stellt er immer wieder fest: »Viele meiner Patienten haben zwar Probleme mit Geld, wollen aber nicht darüber sprechen.« Vermögen und Schulden sind nach wie vor ein Tabu. Dabei weiß er genau, dass Finanzprobleme meist regelbar sind.
Die Patient:innen haben ein konkretes Anliegen, das sie in Beckers Praxis treibt: Traurigkeit, Stress, Panikattacken. Häufig sind ihre Leiden aber auch mit ihren Finanzen verwoben, selbst wenn es die Patient:innen zunächst nicht sehen können. »Die eine hat Kaufsucht, der andere Geltungssucht, der nächste ist Alkoholiker. Alle leben deutlich über ihren Verhältnissen und geben mehr Geld aus, als das Konto im Monat hergibt«, sagt Becker. Beckers Patient:innen wollen nach außen jemanden darstellen. Sie kaufen das edle Auto oder ziehen in eine Wohnung mit zu vielen Quadratmetern. Beides entspricht nicht ihrem Einkommen, aber beeindruckt Nachbar:innen und Gäste.
Derartiges Verhalten baue auf erlernten Werten und Normen auf, erklärt der Psychotherapeut. Die Gründe dafür könnten dann in der Kindheit und Jugend begraben liegen, analysiert er.

Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gibt ihm recht: Eltern üben indirekt Einfluss darauf aus, wie ihre Kinder später
Finanzen besser zu verstehen und den eigenen erlernten Umgang mit Geld zu hinterfragen, ist gerade in diesen Zeiten eine wichtige Schlüsselkompetenz, um sich gegen die wachsenden wirtschaftlichen Sorgen zu wehren. Doch genau daran hapert es leider zu oft.
Warum die Deutschen so wenig über Geld wissen und so schlecht damit umgehen
Vielen Deutschen fällt es schwer, die wichtigsten Finanzfragen korrekt zu beantworten. Das zeigt eine Studie der Stiftung Finanztip. Knapp die Hälfte der Befragten weiß nicht, dass ab dem ersten Cent im Minus Zinsen anfallen: Rund 25% der Befragten glaubten, dass der Dispo kostenlos sei, wenn das Konto am Monatsende wieder ausgeglichen werde. Insgesamt konnte nur etwa knapp die Hälfte der Befragten (48,5%) mehr als 6 von 12 Fragen richtig beantworten. Die Autor:innen schlussfolgern daraus: Einem großen Teil der Befragten fehlt wesentliches Grundlagenwissen, um Finanzentscheidungen und deren Konsequenzen
Die Gründe dafür sind vielfältig: Ahnungslose Vorbilder in Kindheit und Jugend, wenig Finanzbildung
Wir kaufen nicht, was wir haben wollen. Wir konsumieren, was wir sein möchten.
Gerade junge Menschen sind sehr empfänglich, Schulden zu machen und sich damit direkt finanziellen Sorgen auszusetzen. Das beobachtet Marco Rauter regelmäßig. Er ist Schuldner- und Insolvenzberater in Berlin-Neukölln. »Leider sitzen die meisten erst dann vor mir, wenn es schon zu spät ist«, sagt Rauter. Sprich: wenn sich die Schulden schon türmen.
Bei jungen Menschen beobachtet er vor allem unüberlegte Sorglosigkeit. »Da wird zwischen 2 U-Bahn-Stationen schnell was auf Pump gekauft. Anbieter locken damit, dass man erst in 2 oder 3 Monaten bezahlen muss«, erklärt Rauter.
Eine weitere Gruppe, die täglich vor ihm sitzt, sind diejenigen mit »existenzbedrohenden Problemen«, wie er sagt. Hier fehlt Geld für Miete, Strom und Gas. Das Konto ist gepfändet, Privatinsolvenz droht. Die Zahl der Betroffenen hat sich seit Ausbruch der Coronapandemie vergrößert. Auch jetzt mit der Energiekrise gibt es einen leichten Anstieg. »Aktuell herrschen vor allem Angst und Ungewissheit«, sagt der Schuldnerberater. Man höre, man solle was zurücklegen. »Dann fragen mich die Menschen: Aber wovon denn?« Manche neigen daraufhin zu Kurzschlussentscheidungen, verfallen in Panik und greifen auf die Altersvorsorge zurück oder sparen am falschen Ende.
Bei beiden Gruppen, leichtsinnigen Jugendlichen wie
Rauter erzählt: »Da brechen Menschen in Tränen aus, weil sie erklären müssen: Ich kann meine Familie nicht mehr ernähren. Ich habe versagt.« Viele empfinden Druck, mitzuhalten und ihren Angehörigen ein gutes Leben zu bereiten.
»Auch hier fehlt Aufklärung«, sagt Rauter bestimmt und meint damit konkrete Finanzberatung. Denn viele wissen gar nicht, welche Hilfen ihnen zustehen – oder wollen sie aus Scham nicht nutzen. Eine Finanzberatung kann dabei doppelt wirken: Sie kann konkrete Wege aus der misslichen Lage aufzeigen und generell die Ängste gegenüber Geld abbauen.
Wer sich keinen Termin bei privaten Finanzberater:innen leisten will oder kann, kann sich an öffentliche Schuldenberatungsstellen wenden. Wer akut einen Termin in Berlin-Neukölln braucht, wird binnen 48 Stunden betreut. Alle anderen warten maximal 2–3 Wochen. »Zu uns darf man übrigens auch kommen, wenn man die Probleme schon kommen sieht, ohne drin festzustecken«, betont Marco Rauter.
475 Kilometer weiter westlich in der Schuldnerberatungstelle der Caritas Münster ist die Warteliste lang: Ein halbes Jahr kann bis zur Beratung vergehen. Die Beratungsstelle hat eine offene Sprechstunde ohne Termin eingerichtet, doch auch diese sei regelmäßig überfüllt, berichtet Caritas-Berater Michael Mehlich. Die Münsteraner Beratungsstelle sei unterfinanziert, ihr fehle es an Personal. Dabei kämen zu seinen Sprechstunden auch Menschen, die man noch vor Schlimmerem bewahren könnte. »Aber wenn sie so lange auf einen Termin warten müssen, hat sich ihre Lage bis dahin verschlimmert«, erklärt Mehlich.
Beratungsangebote schwanken je nach Region und Bundesland. Sind die öffentlichen Stellen überfüllt, kann es sich trotz Kosten lohnen, private Beratungsangebote mit deutlich niedrigeren Wartezeiten in Anspruch zu nehmen.
Welche mentalen Strategien allen mit Geldsorgen jetzt helfen
Der beste Rat für Menschen mit Geldsorgen – da sind sich Finanzberater:innen und Psycholog:innen einig – ist es, das Sorgenkarussell zu durchbrechen, das alles nur noch schlimmer macht:

Wer Probleme hat, mit dem eigenen Geld zu haushalten, gerät schneller in finanzielle Schwierigkeiten. Das sorgt für Stress, Sorgen sowie Ängste und belastet die psychische Gesundheit. Wer aber psychisch krank ist, schafft es tendenziell weniger, seinen Alltag zu bewältigen und damit auch Aufgaben wahrzunehmen, welche die eigenen Finanzprobleme betreffen.
Wie also aus dem Teufelskreis rauskommen? Diese Tipps können dir dabei helfen:
Konzentriere dich darauf, was du kontrollieren kannst!
Konzentriere dich bei Geldsorgen nur darauf, was du auch kontrollieren kannst. Alles andere – wie Inflation oder Energiepreise – kannst du nämlich akut nicht ändern. Wenn du dir darüber Sorgen machst, riskierst du nur, in Grübelei zu verfallen und dich emotional zu verausgaben. Psychotherapeut Hans-Wilhelm Becker rät zudem dazu, über den eigenen Anteil an den Finanzproblemen nachzudenken. Viele würden die Verantwortung zu sehr auf Politik, Gesellschaft oder das persönliche Umfeld schieben. Wer so denke, fühle sich am Ende machtlos und seinen Problemen ausgeliefert. Als könne er oder sie nichts mehr ändern.
»Selbst wenn wir annehmen, dass 90% der Misere auf Diskriminierung durch das System zurückzuführen sind, gibt es immer noch 10%, die bei einem selbst liegen. Und damit beschäftigen wir uns jetzt«, sagt Becker. Es sei nicht seine Aufgabe als Therapeut, sich mit dem System zu beschäftigen. »Ich kümmere mich um die Menschen und versuche, individuell zu helfen.« Daher rät er, sich zu fragen: »Was kann ich ändern, unabhängig von äußeren Einflüssen?«

Ob Haushaltsbuch, Geld-App oder Post-it am Badezimmerspiegel: Auch gute Finanzvorsätze brauchen hin und wieder eine Erinnerung. Schließlich dauert es 60–90 Tage, um eine neue Gewohnheit zu etablieren. Überlege dir also, wie du dich an deine neuen Vorsätze erinnerst. Apps wie Fabit oder Monkee analysieren zum einen dein Ausgabeverhalten. Zum anderen bieten sie die Möglichkeit, Sparziele zu vereinbaren, woran sie dich immer wieder mit Push-Benachrichtigungen erinnern. Solche Methoden können auch psychisch entlasten. Denn so musst du dich selbst nicht ständig an deine Vorsätze erinnern.
Reflektiere, wie du mit Geld umgehst
Was ist deine Beziehung zu Geld? Um dieser Frage näher zu kommen, kann es helfen, sich an sogenannten »Geldtypen« zu orientieren. Der Autor und Coach Ken Honda unterscheidet 7 Typen, unabhängig vom Kontostand. Dafür untersuchte er jahrelang, wie unterschiedlich Menschen mit Geld umgehen. Jede:r hat eigene Überzeugungen und Emotionen in Bezug auf Geld, und diese werden größtenteils von den individuellen Lebenserfahrungen geprägt, zum Beispiel von den Eltern, einer früheren oder der aktuellen Lebenssituation. Mithilfe seiner Unterteilung kannst du
- Supersparer:in: Du legst endlos Geld weg, manchmal ohne das Ziel zu kennen. Sparen vermittelt dir Sicherheit. Weil du so sparsam bist, wenden sich auch Freund:innen an dich, um eine Empfehlung für die günstigen Urlaubsorte oder den besten Handyvertrag zu bekommen. Du sparst allerdings so krampfhaft, dass du dir nichts gönnst, wie Hobbys oder Ausflüge. Letzteres könnte dich aber glücklich machen und deine Lebensqualität steigern.
- Glücklichkäufer:in: Du gibst viel zu viel Geld aus, meist für Dinge, die du gar nicht brauchst – oft auch für andere, die du verwöhnen willst, oder um dich selbst »glücklich zu kaufen«. Honda rät diesem Geldtyp, sich konkret mit der drohenden Überschuldung auseinanderzusetzen und einen Budgetplan zu erstellen.
- Zwangsverdiener:in: Geld verdienen bedeutet für dich Glück? Dieser Typ verwendet einen sehr großen Teil seiner Zeit und Energie darauf, zu verdienen, und sehnt sich nach Anerkennung für
- Gleichgültige: Du denkst wenig an Geld oder hältst Geld insgesamt für etwas Schlechtes, was die wichtigen Lebensentscheidungen nicht beeinflussen sollte? Hier droht eine Vernachlässigung der Finanzen, die sich in zukünftigem Finanzstress rächen kann. Ken Honda rät, die Kontrolle zu behalten: »Auch wenn du dich finanziell wohlfühlst, solltest du wissen, wohin dein Geld fließt, wie hoch deine monatlichen Ausgaben sind und wie hoch deine Schulden sind.«
- Impulskäufer:in: Du sparst intensiv, nur um es dann in einem Rutsch und ohne Halten auszugeben? Das kann emotional ganz schön anstrengen und dich enttäuschen. Honda empfiehlt, gezielter auszugeben und an die Zukunft zu denken. »Stelle dir vor jedem großen Kauf vor, wie du dich in den folgenden 1–2 Wochen fühlen wirst.«
- Zocker:in: Geld ist auch ein wenig Nervenkitzel für dich und du liebst das Risiko? Ob Rubbellose,
- Sorgende:r: Egal wie viel Geld du hast, du machst dir ständig Sorgen, dass du es verlieren könntest? Hier fehlt vor allem Vertrauen. Aber ständiges Grübeln kann deiner Lebensqualität schaden. Ken Honda rät, das Positive in Gesprächen über Geld zu suchen. »Verstehe, woher deine finanziellen Sorgen kommen.« Finanzberater:innen oder Therapeut:innen können hier besonders helfen.
Du bist nicht allein. Sprich mit anderen über Geld
Die Zahlen am Anfang des Textes zeigen vor allem: Du bist nicht allein. Viele Menschen machen sich derzeit Gedanken um Geld. Und das kann auch etwas Gutes sein, denn viele haben vielleicht in der Vergangenheit gute Lösungen für ihre Probleme gefunden, die sie jetzt mit dir teilen können – wenn du die Scham überwindest, über das Tabuthema zu sprechen.
Marco Rauter, Schuldnerberater in Berlin-Neukölln sagt: »Vielen Menschen hilft es in der Beratungsstelle zu sehen, dass sie nicht allein mit ihren Problemen sind.« Wenn dir deine Geldsorgen über den Kopf wachsen, ist es sinnvoll, eine professionelle Beratungsstelle aufzusuchen. Dafür gibt es zahlreiche Angebote, die wir dir hier auflisten.
- Aufklärung bieten die Verbraucherzentralen, sowohl
- Hier findest du eine Schuldnerberatung
- Aufklärung zum Thema Finanzen bieten auch die Online-Geld-Ratgeber
Es kann aber auch helfen, mit Menschen in deinem Umfeld ins Gespräch zu kommen, denn viele haben vielleicht in der Vergangenheit gute Lösungen für ihre Probleme gefunden, die sie jetzt mit dir teilen können – wenn du die Scham überwindest, über das Tabuthema zu sprechen. In Deutschland reden wir sogar lieber über Sex als über Geld. Dabei gilt auch hier: Sharing is caring. Wer Wissen miteinander teilt, kann sich gegenseitig unterstützen und das Thema endlich enttabuisieren. Das kann dich auch psychisch entlasten, vor allem dann, wenn du siehst, dass dein Umfeld ähnliche Probleme hat.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily