Ist Erben gerecht?
Eine neue Gesetzesregelung lässt die Debatte seit Ende letzten Jahres wieder aufflammen. Die Antwort darauf hat gesellschaftliche Sprengkraft. Wir schauen genauer hin.
Wer vor dem Jahreswechsel einen Blick in die Wirtschaftsteile deutscher Medien geworfen hat, der ist vielleicht über solche oder ähnliche Schlagzeilen gestolpert:
»Steuererhöhung durch die Hintertür«
»Omas Häuschen ist nur noch schwer zu halten«
»Streit um Erbschaftsteuer: Zahlen Mieter die Zeche?«
Es geht um Steuern und Erbschaften, für viele Menschen emotionale Themen. Kein Wunder, denn diese Schlagzeilen klingen danach, als würde sich der Staat nehmen, was ihm nicht zusteht. Vielleicht auch deshalb sehen die meisten Deutschen die Erbschaftsteuer kritisch: Eine
Die Umfrageergebnisse decken sich mit den oben genannten Schlagzeilen, deren Anlass das neue Jahressteuergesetz ist. Damit fordert der Staat ab dem 1. Januar 2023 mehr Geld beim Vererben von Immobilien. Diese werden nun bundesweit einheitlich und marktgerecht bewertet. Das bedeutet, dass Wohnungen und Häuser künftig höher bewertet werden und folglich höhere Steuern anfallen. Das sorgte bei einigen Medien offensichtlich für schlechte Laune. Manche Politiker:innen machen damit Stimmung.
Dabei müssen wir bloß mehr über Erben und Fairness lernen, um klarzusehen.
Nur die Hälfte der Deutschen
Der mit Abstand niedrigste durchschnittliche Steuersatz findet sich bei Schenkungen von über 20 Millionen Euro. Im Jahr 2021 lag dieser bei 2,2%. Schenkungen lassen sich steuerlich besser planen als Erbschaften. Deshalb nutzen viele Wohlhabende Schenkungen, um die real gezahlten Steuern effektiv zu senken.
Klingt ziemlich ungerecht. Aber statt die ungerechte Besteuerung von Reichen zu bemängeln, geht es in der aktuellen Debatte um Omas Häuschen. Gegner:innen des Gesetzes behaupten nun, viele könnten ihr Familienheim im Erbfall nicht halten und müssten es schweren Herzens verkaufen. Der Bayerische Rundfunk schrieb sogar: »In Städten wie München
Schauen wir uns das neue Gesetz einmal genauer an – und wer überhaupt betroffen ist.
Der Realitätscheck zu Omas Häuschen
Wie sieht es nun also aus mit Omas Häuschen, welches sie mühevoll über ihr Arbeitsleben hinweg abgezahlt hat? Bei diesem Beispiel geht es um ein freistehendes Einfamilienhaus. Hierzu hat Immobilienbewerter Lutz Schneider die folgende
Hier wird das Haus an ein Kind vererbt. Diesem stehen 400.000 Euro steuerfrei zu. Das ist der Freibetrag für Kinder des oder der Verstorbenen. Der Rest des berechneten Wertes muss versteuert werden. Wer die Rechnung genau durchgeht, ist vielleicht erst mal erstaunt: Schließlich ist das Haus nicht mehr eine halbe Million, sondern plötzlich fast 800.000 Euro wert. Ein Zuwachs um 61%! Und der oder die Erbende muss nicht mehr nur knapp 10.000, sondern fast 58.000 Euro an Steuern aufbringen. Grund ist hier vor allem der sogenannte »Sachwert- und Regionalfaktor«, der den Wert von Immobilien und Grundstückswerten an regionale preisliche Entwicklungen anpasst.
Wir versetzen uns mal in die Lage: Das Kind hat die eigene Mutter verloren, trauert um den Verlust und muss sich in den kommenden Wochen um allerhand Papierkram kümmern. Innerhalb der nächsten 3 Monate muss es sich auch beim Finanzamt melden. Er oder sie selbst hat nicht viel auf der hohen Kante und kann nicht auf Anhieb die knapp 58.000 Euro zahlen. Auch für die Modernisierung fehlt das nötige Kleingeld. Die Mutter hat alle Ersparnisse in dieses Haus gesteckt und kein anderes Erbe hinterlassen. Das Haus, in dem er oder sie aufgewachsen ist, gefüllt mit all den Kindheitserinnerungen, muss jetzt verkauft werden.
An dieses vermeintliche Schreckensszenario denken viele bei dem Thema und so oder ähnlich lauteten auch die Beispiele in der Berichterstattung. Hier werden jedoch sehr viele Details ausgeblendet, die die Situation in ein anderes Licht rücken. Das Allerwichtigste davon:
Die meisten Ein- und Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen sind von der Gesetzesänderung nicht betroffen.
Sie werden stattdessen nach dem sogenannten »Vergleichswertverfahren« bewertet. Wird ein Haus vererbt, wird geprüft, was die Grundstücke und Häuser in der Nähe bei Verkauf wert wären. Daraus ermittelt ein Gutachterausschuss den Wert des Hauses, das an die Erbenden geht. An diesem Verfahren hat sich nichts verändert.
Das Verfahren, das zum Jahreswechsel geändert wurde, wird nur in einigen Ausnahmefällen angewandt, nämlich wenn ein Vergleich nicht möglich ist. Etwa, wenn Oma ein ganz besonderes Häuschen hat (denkmalgeschützt) oder in einer Gegend wohnt,
Es gibt noch eine weitere Änderung: Auch Mietwohngrundstücke und Geschäftsgrundstücke werden künftig höher bewertet. Hier greift das
Zurück zu unserem Beispiel: Sagen wir, für das Haus des oder der Erbenden liegen keine Daten vor und das Kind möchte nicht in dem Haus leben. Es würden wirklich 57.855 Euro Steuern anfallen. Dann lohnt auch hier der Blick auf die Details:
- Engen Verwandten stehen in der Regel hohe Freibeträge zu. Auch die oder der Erbende erhält in diesem Beispiel 400.000 Euro steuerfrei. Das ist erst mal ein hoher Betrag, den sie »leistungslos« bekommt, ohne dafür gearbeitet zu haben.
- Wenn der oder die Erbende in den nächsten 10 Jahren in dem Haus wohnt, zahlt sie sehr wahrscheinlich 0 Euro Steuern. Bei Kindern sind 200 Quadratmeter Wohnfläche steuerfrei. Bei Ehepartner:innen gibt es keine Grenzen. Wer jedoch nach weniger als 10 Jahren auszieht, muss die Steuer zahlen (Ausnahme sind
- Wenn der oder die Erbende nicht darin wohnen möchte, dann zahlt sie Steuern. Dann ist der Betrag zwar höher als vorher, aber er ist eben marktgerecht und entspricht dem Wert der Immobilie in der Umgebung. Das bedeutet auch, dass der oder die Erbende eine Immobilie von hohem Wert erbt, die sie oder er nutzen kann.
- Die Immobilie kann verkauft werden, zu marktüblichen Preisen.
- Die Immobilie kann auch als Sicherheit für einen Kredit angegeben werden, zum Beispiel für einen Steuerkredit oder Modernisierungsmaßnahmen. Wer die Immobilie dann noch vermietet, lässt faktisch die Mieter:innen den Kredit abzahlen. Alle anderen Nichterbenden müssen schließlich auch Kredite für ein Haus oder ein Unternehmen aufnehmen und diesen abbezahlen. In dem Fall ist der Betrag, den die oder der Erbende zahlen muss, noch immer deutlich geringer. Für 58.000 Euro erhält der- oder diejenige ein Haus im Wert von fast 800.000 Euro.
- Der oder die Erbende kann die Steuer bis zu 7 Jahre stunden, und zwar zinslos, wenn er oder sie diese nicht aus eigenen Mitteln begleichen kann.
Um es auf den Punkt zu bringen: Auch das neue Gesetz bietet also immer noch viele Möglichkeiten,
Dazu zählen Erbende von Mietshäusern und Gewerbeimmobilien, sprich Gebäuden, die Erträge abwerfen. Doch gerade die kennen viele »Kniffe«, um die Steuer zu vermeiden – während die Politik weiter versucht, diese Schlupflöcher zu stopfen.
Gut sind die Gesetze rund ums Erben noch lange nicht. Denn das eigentliche Problem ist der gesetzliche Boden, auf dem unsere Erbschaftsteuergesetze stehen. Schon seit Jahren tobt eine Papierschlacht zwischen Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und Bundesregierung – mit Folgen. Denn die Anpassung zum Jahreswechsel haben sich gar keine Politiker:innen ausgedacht, sondern das Bundesverfassungsgericht.
Die Politik, das Bundesverfassungsgericht und die Schlupflöcher
Das Ringen darum, wie die Erbschaftsteuer genau gestaltet gehört und wer von welcher Ausnahme profitieren darf, geht schon 3 Jahrzehnte zurück.
Immer wieder wurden Gesetzesänderungen als verfassungswidrig eingestuft, so etwa im Jahr 1991, als die Politik Freibeträge für Betriebsvermögen angesetzt hat.
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Im Jahr 1991 wurden mit dem »Gesetz zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze« Betriebsvermögen entlastet, indem deren Bewertung verändert wurde. 2 Jahre später folgte ein Freibetrag einer halben Million DM für Betriebsvermögen. In den darauffolgenden Jahren kamen weitere Vergünstigungen hinzu. Dann entschied 2006 das Bundesverfassungsgericht, dass das Erbschaftsteuergesetz gleichheits- und damit verfassungswidrig war. Als Grund gab es die unterschiedlichen Bewertungskriterien von 1991 an. Die Reform von 2008 glich die Bewertung zwar wieder an, machte Betriebsvermögen durch einen »Verschonungsabschlag« aber steuerfrei, wenn die Summe der Löhne in den folgenden 7 Jahren etwa konstant gehalten wurde. Damit reagierte die Regierung (damals große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD) auf Klagen von Familienunternehmen: Eine zu hohe Erbschaftsteuer gefährde Arbeitsplätze. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium fand dafür jedoch keine empirischen Belege. Die Steuerbegünstigungen sichern keine Arbeitsplätze. Das Bundesverfassungsgericht erklärte dann 2014 die Ausnahmen für Betriebsvermögen als verfassungswidrig. Die darauffolgende Reform 2016 führte zwar eine Obergrenze von 90 Millionen Euro für steuerliche Begünstigungen ein. Ausnahmen und Erleichterungen blieben jedoch. Es folgte das nächste Urteil: Der Bundesfinanzhof entschied 2017, dass das Erbschaftsteuergesetz noch immer verfassungswidrig sei. Das Bundesfinanzministerium unter Olaf Scholz reagierte 2018 mit einem »Nichtanwendungserlass«, der die Finanzämter anweist, das Urteil des Finanzhofs zu ignorieren.
2006 kam das Bundesverfassungsgericht unter anderem zu dem Schluss, dass Immobilien und andere Vermögensgegenstände als Erbschaft ungleich bewertet werden. Immobilien wurden zu niedrig bewertet, die Verfahren haben nicht ausgereicht, um einen angemessenen Wert zu ermitteln. Die Folge war auch, dass Immobilien, die durch den Boom der letzten Jahrzehnte einen viel höheren Wert hatten, unterbewertet wurden.
Ist also Erben in Deutschland gerecht?
Die Frage ist zumindest komplexer, als es zunächst scheint. Denn solange das Bundesverfassungsgericht weiterhin eine Ungleichheit feststellt, die nicht mit unserer Verfassung in Einklang steht, solange kann man auch nicht von »gerechtem Erben« sprechen.
Und solange es Schlupflöcher vor allem gut informierten und reichen Personen leicht macht, sich um essenzielle Teile der Erbschaftsregelungen herumzudrücken, ist Gerechtigkeit beim Erben zumindest fraglich.
Doch vielleicht ist die Frage nach dem Erbe sowieso die falsche Frage. Denn ein enormer Teil des Wertes in Deutschland wird gar nicht vererbt, sondern verschenkt – das wohl bekannteste »Schlupfloch«, um Erbschaftsteuern zu entgehen.
Denn wer noch zu Lebzeiten sein Erbe aufstückelt und nach und nach verschenkt, kann innerhalb von Freibeträgen bleiben, die nicht beim Finanzamt registriert werden müssen. Wie gängig diese Praxis als eigentliches Problem beim Erben ist, zeigt eine Schätzung des DIW zum Jahr 2021: 400 Milliarden Euro wurden nach Schätzungen der Expert:innen verschenkt,
DIW-Studienautor Markus M. Grabka erklärte in einer Mitteilung: »Es ist erstaunlich, dass in einem auf individueller Leistung basierenden Wirtschaftssystem faktisch keine genauen Kenntnisse über das leistungslos übertragene Vermögen in Deutschland vorhanden sind.«
Zudem besteht ein großer Teil der Vermögen in Deutschland aus Firmenanteilen. Betriebsvermögen werden wieder anders behandelt,
Das Resultat sind enorme Steuererleichterungen
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily