Ist unsere Gesellschaft gespalten? Ein Streitgespräch
Thomas Lux sieht kaum Hinweise für eine Polarisierung. Klaus Kraemer meint: Doch – zwar nicht im Denken, dafür bei der Chancenverteilung.
25. Januar 2023
– 12 Minuten
Anja Dilk:
Unsere Gesellschaft ist zunehmend gespalten, die Polarisierung wächst – heißt es immerzu in öffentlichen Debatten. Herr Lux, Sie sagen, die Spaltung ist ein Mythos. Wieso?
Thomas Lux:
Weil die Empirie etwas anderes zeigt. Ich habe mit meinen Kollegen Steffen Mau und Linus Westheuser umfangreiche Daten ausgewertet – auch wir waren überrascht:
. In den Einstellungen der Bevölkerung zu vielen Themen – von materieller Ungleichheit über Migration und sexuelle Diversität bis zu Klimapolitik – gibt es weder eine Zunahme der Extrempositionen, noch haben die moderaten Positionen an Bedeutung verloren. Wir finden auch keine fundamentalen Einstellungsunterschiede zwischen Klassen oder Einkommensgruppen. Es stimmt eben nicht, dass die Mehrheit der Arbeiter:innen fremdenfeindlich ist und sich keine Sorgen um die Klimakrise macht. Das ist Schubladendenken.
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily